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StPO III: Staatsanwalt als Zeuge, oder: Dann aber dünnes Eis beim Plädoyer

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Und zum Abschluss des (Feier)Tages dann der BGH, Beschl. v. 31.07.2018 – 1 StR 382/17. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit BtM. Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Revision eingelegt. Die war u.a. mit der auf §§ 337, 22 Nr. 5 analog, § 258 Abs. 1 StPO gestützten Verfahrensrüge, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft habe den Schlussvortrag gehalten und die abschließende Beweiswürdigung vorgenommen, obwohl er zuvor von der Kammer als Zeuge vernommen worden sei, begründet. Und die Rüge hatte „in vollem Umfang Erfolg“. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten – das vorsätzliche Verbringen größerer für eine gewinnbringende Weiterveräußerung vorgesehener Mengen Haschisch von Spanien über Frankreich nach Österreich in drei Fällen – nicht eingeräumt. Seine Überzeugung von den die Strafbarkeit des Angeklagten begründenden Tatsachen stützt das Landgericht maßgeblich auf die Angaben des Zeugen K. . Dieser hat den Sachverhalt im Wesentlichen wie von der Strafkammer festgestellt geschildert. Die Angaben des Zeugen K. werden daneben lediglich von weiteren Indizien gestützt. Das Landgericht hat die Aussage des Zeugen K. demgemäß ausführlich gewürdigt und sie insbesondere mit Blick auf frühere Aussagen des Zeugen in anderen Verfahren einer eingehenden Konstanzanalyse unterzogen. Zu den Angaben des Zeugen K. zum verfahrensgegenständlichen Tatgeschehen im Rahmen einer Zeugenvernehmung am 13. April 2015 in anderer Sache hat das Landgericht neben drei Polizeibeamten auch den ebenfalls bei der Vernehmung anwesenden Staatsanwalt (GrL) R. vernommen. Weiter hat die Strafkammer Staatsanwalt (GrL) R. zur Aussage des Zeugen K. in dem Verfahren 1 KLs als einzigen Zeugen vernommen.

Da Staatsanwalt (GrL) R. auch im vorliegenden Verfahren mit der Sitzungsvertretung betraut war, wurde die Staatsanwaltschaft während dessen Zeugenaussage vor der Strafkammer durch Staatsanwalt (GrL) H. vertreten. Nach der Vernehmung übernahm wiederum Staatsanwalt (GrL) R. die Vertretung der Staatsanwaltschaft. Insbesondere hielt dieser auch den Schlussvortrag alleine, wobei er sich ausweislich seiner Gegenerklärung „der wertenden Würdigung der eigenen Aussage enthielt“.

Dazu der BGH, wobei ich die Ausführungen zur Zulässigkeit streiche:

„Die Revision beanstandet zu Recht, dass Staatsanwalt (GrL) R. den Schlussvortrag gehalten und in diesem Rahmen das Beweisergebnis gewürdigt hat, obwohl er zuvor von der Strafkammer als Zeuge vernommen worden war; die beanstandete Verfahrensweise verletzt § 22 Nr. 5 analog, § 258 Abs. 1 StPO (§ 337 Abs. 2 StPO).

…….

2. Die Rüge ist auch begründet. Die Revision beanstandet zu Recht, dass Staatsanwalt (GrL) R. allein den Schlussvortrag gemäß § 258 Abs. 1 StPO gehalten und das Beweisergebnis gewürdigt hat, nachdem er am 22. Juni und 12. Juli 2016 vor dem erkennenden Gericht als Zeuge zu früheren Vernehmungen des Zeugen K. – dem maßgeblichen Belastungszeugen – ausgesagt hatte. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft war mit der Stellung des Staatsanwalts im Strafverfahren unvereinbar und deshalb unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 1982 – 5 StR 408/82, StV 1983, 53 mwN; Beschluss vom 14. Februar 2018 – 4 StR 550/17, NStZ 2018, 482 mwN).

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Staatsanwalt, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen worden ist, insoweit an der weiteren Wahrnehmung der Aufgaben als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gehindert, als zwischen dem Gegenstand seiner Zeugenaussage und der nachfolgenden Mitwirkung an der Hauptverhandlung ein unlösbarer Zusammenhang besteht (BGH, Urteil vom 13. Juli 1966 – 2 StR 157/66, BGHSt 21, 85, 89 f.; Beschluss vom 14. Februar 2018 – 4 StR 550/17, NStZ 2018, 482 mwN). Nimmt der Staatsanwalt im Rahmen der weiteren Sitzungsvertretung eine Würdigung seiner eigenen Zeugenaussage vor oder bezieht sich seine Mitwirkung auf einen Gegenstand, der mit seiner Aussage in einem untrennbaren Zusammenhang steht und einer gesonderten Bewertung nicht zugänglich ist, liegt ein relativer Revisionsgrund nach § 337 StPO vor (BGH, Urteil vom 3. Mai 1960 – 1 StR 155/60, BGHSt 14, 265; Beschluss vom 14. Februar 2018 – 4 StR 550/17 mwN), der zur Aufhebung des Urteils führt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil hierauf beruht (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 1987 – 2 StR 697/86, NJW 1987, 3088, 3090; Beschluss vom 14. Februar 2018 – 4 StR 550/17, NStZ 2018, 482 mwN). Soweit sich die Aufgabenwahrnehmung in der Hauptverhandlung inhaltlich von der Erörterung und Bewertung der eigenen Zeugenaussage trennen lässt, ist der Staatsanwalt dagegen von einer weiteren Sitzungsvertretung nicht ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 25. April 1989 – 1 StR 97/89, NStZ 1989, 583; Beschlüsse vom 7. Dezember 2000 – 3 StR 382/00, NStZ-RR 2001, 107 und vom 14. Februar 2018 – 4 StR 550/17, NStZ 2018, 482 mwN).

Von der vorgenannten Rechtsprechung Abstand zu nehmen, weil es der Angeklagte sonst – wie der Generalbundesanwalt zu bedenken gibt – in der Hand hätte, mit Hilfe geeigneter Beweisanträge den mit der Sache von Anfang an befassten und deshalb eingearbeiteten Anklagevertreter aus dem Verfahren zu entfernen (vgl. zu entsprechenden Bedenken auch BGH, Urteil vom 25. April 1989 – 1 StR 97/89, NStZ 1989, 583; Beschluss vom 24. Oktober 2007 – 1 StR 480/07, NStZ 2008, 353 f.; kritisch dazu Kelker, StV 2008, 381 ff.), bietet der vorliegende Fall schon deshalb keinen Anlass, weil die Vernehmung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft als Zeuge hier gerade nicht aufgrund eines Beweisantrags der Verteidigung erfolgte, weshalb vorliegend ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Verteidigung mit dem Ziel, den mit der Sache befassten und eingearbeiteten Anklagevertreter aus dem Verfahren zu entfernen, nicht im Raum steht.

b) Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsprechung war Staatsanwalt (GrL) R. vorliegend aus Rechtsgründen gehindert, den Schlussvortrag umfassend zu halten und das Beweisergebnis zu würdigen, soweit dieses mit den durch seine eigene Aussage eingeführten Aussagen des Zeugen K. in Zusammenhang stand. Die Aussage von Staatsanwalt (GrL) R. vor der Strafkammer war ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 15 ff.) gerade nicht darauf beschränkt, über Fragen der Verfahrensgestaltung oder sonstige Umstände Auskunft zu geben, die in keinem unlösbaren Zusammenhang mit dem maßgeblichen Tatgeschehen stehen und daher Gegenstand einer gesonderten Betrachtung und Würdigung sein können. Vielmehr betraf die Zeugenaussage des Sitzungsvertreters in der Hauptverhandlung im vorliegenden Verfahren den Inhalt von Angaben, die der maßgebliche Belastungszeuge K. in früheren Vernehmungen zu den hier verfahrensgegenständlichen Kurierfahrten des Angeklagten gemacht hatte. Diese Angaben des Zeugen K. waren ausweislich der Urteilsgründe für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage im vorliegenden Verfahren wesentlich und damit für die Überzeugungsbildung des Landgerichts von Bedeutung. Staatsanwalt (GrL) R. hätte danach zwar auch nach seiner Zeugenvernehmung weiter als Sitzungsvertreter am Verfahren teilnehmen können, er hätte aber im weiteren Verlauf der Verhandlung und vor allem im Schlussvortrag zum Ergebnis der Beweisaufnahme insoweit nicht Stellung nehmen dürfen, als er dabei auch seine eigene Aussage zu würdigen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1988 – 2 StR 377/88, StV 1989, 240; Beschluss vom 7. Dezember 2000 – 3 StR 382/00, NStZ-RR 2001, 107). Er hätte sich demgemäß bei der Beweiswürdigung auf diejenigen Teile der Beweisaufnahme beschränken müssen, die von seiner Aussage nicht beeinflusst sein konnten, während die seine Zeugenvernehmung betreffenden Passagen des Schlussvortrags von einem anderen Sitzungsstaatsanwalt hätten übernommen werden müssen.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruht. Für den Tatnachweis waren die Angaben des Zeugen K. und deren Glaubhaftigkeit von ausschlaggebender Bedeutung. Dass die Ausführungen des Staatsanwalts (GrL) R. zur Beweiswürdigung – auch diejenigen, die die Aussagen des Zeugen K. betrafen, die Gegenstand seiner eigenen Aussage waren – Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts gehabt haben, ist jedenfalls nicht auszuschließen.“

Wenn ich es lese, frage ich mich, warum sich angesichts der (hoffentlich) bekannten Rechtsprechung des BGH eine Kammer und vor allem die Staatsanwaltschaft auf so dünnes Eis begeben.

Und <<Werbemodus ein>>; Auch zu den Fragen kann man nachlesen in „Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019“, die Neuauflage kommt im Dezember. (Vor)Bestellen kann man hier. <<Werbemodus aus>>.

„Wir machen hier keinen Stuhlkreis“, richtig, oder: Auch das NSU-Verfahren ist ein Strafverfahren

entnommen wikimedia.org
Urheber Holger.Ellgaard

Wer gedacht hatte, das Münchener NSU-Verfahren würde nun nach vier Jahren ruhig auf die Zielgerade einbiegen, der hat sich getäuscht. Denn – wie nicht anders zu erwarten – es hat auch um die Plädoyers der Bundesanwälte, die mit 22 Stunden Dauer angekündigt worden sind, Diskussionen gegeben. Und wie nicht anders zu erwarten, haben die Verteidiger beantragt, diese (auf Toband) aufzunehmen und wie – nochmals nicht anders zu erwarten – haben die Vertreter des GBA das abgelehnt. Und der Senat beim OLG München ist ihnen – wenn ich die Berichterstattung über den gestrigen Hauptverhandlungstag richtig verstehe – (zunächst) gefolgt (vgl. hier die SZ).

Daran hat sich dann eine Diskussion entwickelt, über die die SZ auch berichtet. Da heißt es dann:

„Bundesanwalt Herbert Diemer wehrte sich heftig. Die Staatsanwälte seien „keine rechtlosen Gesellen“, die kein Persönlichkeitsrecht hätten. Sie seien auch nicht verpflichtet, ihre Plädoyers an „jeglichen Verständnishorizont anzupassen“. „Wir machen hier keinen Stuhlkreis, sondern das ist ein Prozess. Und die Strafprozessordnung sieht es nicht vor.“

Da möchte man ihm zurufen: Das ist richtig Herr Diemer, aber: Auch die Angeklagten – egal welchen Vorwurf man ihnen macht – sind keine „rechtlosen Gesellen“, sondern – so jedenfalls noch die Rechtsprechung des BVerfG – „Subjekt des Strafverfahrens“ und nicht nur „Objekt“, die alles hinzunehmen haben, so wie es sich der GBA ggf. denkt. Manchmal hat man den Eindruck, dass das dann doch übersehen wird, woran sicherlich auf die „Opfergesetzgebung“ der letzten Jahre Mitschuld trägt. Und ihr „Verständnishorizont“ spielt schon auch eine Rolle.

Zu der Problematik – „Bandaufnahme?“- gibt es übrigens ja auch bereits Rechtsprechung, allerdings wohl nur von einigen OLG, die sehr stark auf das vom Vorsitzenden aus zu übende Ermessen abstellt. Denn eins ist klar und das weiß die Verteidigung auch: Einen Rechtsanspruch auf Bandaufnahme haben die Angeklagten und die Verteidiger nicht, aber sie haben einen Anspruch auf (fehlerfreies) Ermessen in der Frage. Und ob das bislang richtig ausgeübt ist/war, kann man vielleicht bezweifeln. Jedenfalls überzeugt mich die in der Presse mitgeteilte Begründung für die Ablehnung: „Doch das Gericht lehnte den Wunsch rundweg ab und erklärte, gegen den Willen der Bundesanwälte sei das unmöglich, denn sonst würden deren Persönlichkeitsrechte verletzt. Außerdem seien die Verteidiger doch erfahrene Juristen und in die Materie eingearbeitet, sie könnten mitschreiben.“ nicht.

Wieso das Einverständnis der Bundesanwälte erforderlich sein soll, sehe ich nicht – das NSU-Verfahren ist doch keine „Privatveranstaltung“, oder, um im Bild zu bleiben“, ein „Stuhlkreis“. Auf das Argument ist m.E. bislang auch noch nicht in der Rechtsprechung abgestellt worden. Und der Vorhalt: „Könnt doch Mitschreiben„, nun ja. Wer kann schon 24 Stunden mitschreiben. Ich vermisse dann im Übrigen auch – jedenfalls in der Berichterstattung – vor allem ein Eingehen auf die Belange der Angeklagten, die das Plädoyer ja nun auch verstehen sollen/müssen. Können die so lange aufmerksam sein und mitschreiben? Muss man da nicht ggf. die Aufnahme zulassen, auch wenn es denn Vertretern des GBA nicht passt.

Das alles wird diskutiert. Ergebnis: Der Senat scheint seine Entscheidung überdenken zu wollen. Jedenfalls kann man so die Vertagung auf den kommenden Dienstag deuten. Vielleicht überlegt er sich ja auch „Bandaufnahmen unter Auflagen“, nämlich mit einem Weitergabeverbot der Mitschnitte. Das Argument: „Es könne zu Versprechern kommen, man werde dann in der Öffentlichkeit vorgeführt.“ sollte an der Stelle keine Rolle spielen. Die Gefahr besteht auch, wenn nicht aufgenommen wird. Im Übrigen: „Sie nehmen doch nicht an einem Stuhlkreis teil, Herr Diemer“.

Nachtrag: Zum Volltext des OLG München-Beschlusses geht es hier: „Wir machen hier keinen Stuhlkreis“ II, oder: Schutz der Persönlichkeit des Bundesanwalts, im Volltext.