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Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG, oder: Welche Zuwiderhandlungen werden berücksichtigt?

Und die zweite Entscheidung kommt mit dem OVG Sachsen, Beschl. v. 14.09.2023 – 6 B 113/23 – aus Sachsen.

Gekämpft wird um die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung einer Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins. Das VG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt. Zur Begründung hatte es ausgeführt – und darum wird gestritten, „die Entziehung der Fahrerlaubnis finde ihre Rechtsgrundlage in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG, weil für den Antragsteller an dem gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 5 StVG für die Punkteberechnung maßgeblichen Zeitpunkt acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen gewesen seien. Die Antragsgegnerin habe auch die beiden nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG vor der Entziehung der Fahrerlaubnis liegenden Stufen des Maßnahmesystems rechtsfehlerfrei gegenüber dem Antragsteller ergriffen. Dabei sei eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG nicht eingetreten. Nach dem Erreichen von fünf Punkten habe sie den Antragsteller mit Schreiben vom 20. Dezember 2021 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ermahnt. Nachdem dieser einen Punktestand von sieben Punkten erreicht habe, sei er von ihr mit Schreiben vom 5. April 2023 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG verwarnt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass er zu diesem Zeitpunkt rechnerisch bereits acht Punkte erreicht habe. Denn für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG seien nur die im Fahreignungsregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Zuwiderhandlungen maßgeblich. Im Zeitpunkt der Verwarnung am 5. April 2023 habe die Antragsgegnerin keine vom Kraftfahrt-Bundesamt vermittelte Kenntnis davon gehabt, dass die beiden Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 3. und 20. September 2022 seit dem 24. März 2023 rechtkräftig geahndet worden seien. Auch aufgrund der Mitteilung seines Prozessbevollmächtigten vom 24. März 2023 habe der Antragsgegner keine Reduzierung des Punktestands durchführen müssen. Es entspräche einhelliger Auffassung der Rechtsprechung, dass die Fahrerlaubnisbehörde den erforderlichen Kenntnisstand nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG nur durch Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes, nicht durch Mitteilungen des Fahrerlaubnisinhabers oder anderer Privatpersonen erhalte. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 6. November 2020 – 6 B 269/20 –, juris Rn. 4 ff.).

Dazu dann der Leitsatz der OVG-Entscheidung, der das noch einmal bestätigt:

Die Fahrerlaubnisbehörde hat im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG grundsätzlich nur diejenigen Zuwiderhandlungen zu berücksichtigen, die ihr durch das Kraftfahrt-Bundesamt übermittelt worden sind, nicht sonstige, ihr aufgrund einer Selbstanzeige oder Rücknahme des Einspruchs des Fahrerlaubnisinhabers bekannten Verstöße.

Vollständig blockierendes Parken auf dem Radweg, oder: Das Abschleppen ist verhältnismäßig

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Heute stelle ich zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen vor.

Die erste stammt vom OVG Sachsen. Das hat im OVG Sachsen, Beschl. v. 12.07.2021 – 6 D 18/21 – über die Beschwerde gegen einen Beschluss des VG Leipzig, in dem dieses einen Antrag auf Gewährung von PKH zurückgewiesen hatte, entschieden. Der Kläger hat PKH für eine Klage gegen einen Leistungsbescheid beantragt. Der war wegen der Kosten eines Abschleppvorgangs gegen ihn ergangen. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg:

„Nach diesem Maßstab hatte die Rechtsverfolgung des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Leistungsbescheid der Antragsgegnerin vom 6. Juli 2020 über die Kosten eines Abschleppvorgangs in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Landesdirektion Sachsen vom 3. Dezember 2020 rechtmäßig und insbesondere die zugrundeliegende Ersatzvornahme nicht aus den vom Kläger mit der Beschwerde noch geltend gemachten Gründen unverhältnismäßig ist.

Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren nicht mehr bestritten, dass er auf dem mit Zeichen 237 gekennzeichneten und durch Zeichen 295 von der Fahrbahn abgetrennten Radfahrstreifen des T. wegs in L. geparkt und – wie aus der in der Verwaltungsakte befindlichen Fotodokumentation ersichtlich – den vor der Ecke R.platz beginnenden Radweg mit der gesamten Länge seines Fahrzeugs über insgesamt 3,5 m vollständig blockiert hatte. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass das Abschleppen des verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs zur Beseitigung der dadurch eingetretenen und fortdauernden Störung der öffentlichen Sicherheit geboten war und im Hinblick auf die mit dem Parkverstoß einhergehende nicht unwesentliche Behinderung der Radfahrer auch nicht außer Verhältnis zur Belastung des Antragstellers stand.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ein Abschleppen verbotswidrig abgestellter Fahrzeuge im Falle der Behinderung von anderen Verkehrsteilnehmern regelmäßig verhältnismäßig erscheint. Letzteres kann – ohne Beschränkung auf diese Fallgruppen – etwa der Fall sein beim Verstellen des gesamten Bürgersteiges, einem Hineinragen des Fahrzeuges in die Fahrbahn oder bei Funktionsbeeinträchtigungen einer Fußgängerzone (BVerwG, Beschl. v. 18. Februar 2002 – 3 B 149.01 -, juris Rn. 4). Entsprechendes gilt bei einem nicht nur unwesentlichen Hineinragen des Fahrzeugs in einen Radweg oder auch beim Verstellen des gesamten Radwegs (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 15. April 2011 – 5 A 954/10 -, juris Rn. 5). Für alle diese und weitere Abschleppfälle gilt, dass die Nachteile, die mit einer Abschleppmaßnahme für den Betroffenen verbunden sind, nicht außer Verhältnis zu dem bezweckten Erfolg stehen dürfen, was sich aufgrund einer Abwägung der wesentlichen Umstände des Einzelfalles beurteilt (BVerwG a. a. O.). Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Abschleppmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hier nicht zu beanstanden ist. Das Fahrzeug des Klägers war in voller Länge auf dem Radweg geparkt und hinderte Radfahrer daran, den Radweg, zu dessen Nutzung sie nach § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO verpflichtet sind, von dessen Beginn an zu befahren. Die Einrichtung eines Radfahrstreifens durch die Verkehrszeichen 237 und 295 darf nur dort erfolgen, „wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist“ (vgl. § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO). Ein derart zwingendes Erfordernis ist bereits dann anzunehmen, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsverordnung für einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf nicht ausreichen (BR-Drs. 374/97 S. 8; vgl. BVerwG, Beschl. v. 1. September 2017 – 3 B 50.16 -, juris Rn. 6). Eine „besonders hohe Gefährdung“, wie sie der Antragsteller fordert und wie sie nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO in Gestalt einer aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse bestehenden „Gefahrenlage …, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt,“ für die Anordnung von Beschränkungen und Verboten des fließenden Verkehrs verlangt wird, ist dafür nicht Voraussetzung. Das ergibt sich daraus, dass § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 3 StVO die Anordnung von Sonderwegen außerhalb geschlossener Ortschaften (Zeichen 237, 240 und 241) und von Radfahrstreifen innerhalb geschlossener Ortschaften (Zeichen 237 i. V. m. Zeichen 295) von der Geltung des Satzes 3 ausdrücklich ausnimmt. Wie der Begründung der Ergänzung des § 45 Abs. 9 Satz 4 StVO um die in Nr. 3 aufgeführten Radverkehrsanlagen durch die Erste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 30. November 2016 (BGBl. I S. 2848) zu entnehmen ist, hat der Verordnungsgeber für diese „auch ohne Nachweis einer ungefähr 30-prozentigen höheren Gefahrenlage in der Regel per se die Notwendigkeit (gesehen), infolge der hohen Differenzgeschwindigkeiten Radfahrer vom übrigen weitaus schnelleren Kfz-Verkehr auf der Fahrbahn zur Wahrung eines sicheren flüssigen Verkehrsablaufs zu trennen“ (BR-Drs. 332/16 [Beschluss] S. 2).

Durch das Parken auf dem Beginn des Fahrradstreifens wurden Radfahrer hier zudem nicht bloß abstrakt, sondern ausweislich der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Fotodokumentation bereits konkret behindert. Die Behinderung ist entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht deshalb als minimal einzustufen, weil Radfahrer nicht erst vor dem Fahrzeug vom Radweg auf die Fahrbahn hätten „ausweichen“ müssen, sondern nur für den Bruchteil einer Sekunde später von der Fahrbahn auf den Radfahrstreifen hätten auffahren können. Der Antragsteller entnimmt einem von ihm zitierten Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts zu Unrecht, dass eine Behinderung nur dann gegeben sein könne, wenn Radfahrer gezwungen wären, das parkende Fahrzeug durch Verlassen des Radwegs zu umfahren. Derartige Ausweichmanöver zur Vermeidung von Kollisionen mögen gefährlicher sein. Eine nicht nur unwesentliche Behinderung stellt es aber bereits dar, dass Radfahrer auf den Radweg erst hinter dem darauf geparkten Fahrzeug auffahren können und somit länger als durch die Verkehrszeichen vorgesehen auf der Fahrbahn unnötigen Risiken und Erschwernissen ausgesetzt sind.“

Erkennungsdienstliche Behandlung I, oder: Wiederholungsgefahr und eingestellte Bagatelldelikte

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Im Kessel Buntes dann heute zwei Entscheidungen zur sog. erkennungsdiesntlichen Behandlung nach § 81b StPO und der Löschung etwaiger Ergebnisse nach Beendigung des Verfahrens. Ein Bereich, in dem es und um den es immer wieder Diskussionen gibt.

Ich beginne mit dem OVG Sachsen, Beschl. v. 16.06.2020 – 3 A 346/20, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Gegen den Kläger ist gem. § 81b Alt. 2 StPO die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers „in Form der Anfertigung eines Ganzkörperbilds, Dreiseitenbilds, Detailbilds, einer Personenbeschreibung, „Messen und Wiegen“, Zehn-Finger- und Handflächenabdrucks angeordnet [worden]. Zur Begründung zog der Beklagte ein bei der Polizeidirektion D. im Jahr 2015 eröffnetes Ermittlungsverfahren u. a. wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung heran. Dem Kläger wird hierin vorgeworfen, aus einer Gruppe von etwa elf Personen heraus in der Nacht vom 00. auf den 00.00.0000 in D. körperliche Angriffe gegen eine Gruppe von Geschädigten ausgeübt und diese auch beleidigt zu haben. Gegen den daraufhin erlassenen Strafbefehl des Amtsgerichts D. vom 00.00.0000 legte der Kläger Einspruch ein. Gegen den Kläger sind ausweislich einer im Widerspruchsbescheid enthaltenen Übersicht (S. 2 f. des Widerspruchsbescheids) zwischen 2003 sowie 2014 15 Ermittlungs- oder Strafverfahren geführt worden. Die Verfahren wurden mit Verurteilungen zu Geldstrafen abgeschlossen oder gemäß §§ 153, 154, 170 Abs. 2 StPO als Bagatellsachen, als unwesentliche Nebenstraftat oder mangels Nachweisbarkeit der Täterschaft eingestellt.“

Das VG hat die Klage des Klägers abgewiesen. Dagegen dann der Antrag auf Zulassung der Berufung, den das OVG zurückgewiesen hat:

„2. Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zuzulassen.

Zweifel im Sinne der genannten Vorschrift bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Kammerbeschl. v. 21. Dezember 2009 – 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062) und sich das angegriffene Urteil im Ergebnis nicht aus anderen Gründen als offensichtlich richtig erweist (BVerwG, Beschl. v. 10. März 2004 – 7 AV 4.03 -, juris Rn. 7 ff.).

Der Kläger trägt hierzu mit Schriftsatz vom 28. April 2020 vor: Die Tatsache, dass ihm gegenüber ein noch nicht rechtskräftiger Strafbefehl ergangen sei, zeige, dass der Vorwurf offensichtlich nicht schwer sei. Er sei bislang nur dreimal wegen ersichtlicher Bagatellkriminalität verurteilt worden; die übrigen Verfahren seien aus verschiedenen Gründen eingestellt worden. Es sei falsch, dass noch ein „Restverdacht“ gegeben sei. Das Gesetz kenne den Begriff der erwiesenen Unschuld nicht. Die Tatsache, dass seit 2016 keine Verfahren mehr anhängig gemacht worden seien, zeige, dass sich seine Lebenssituation und die Einstellung zu Regelverstößen geändert hätte. Die Schlussfolgerung einer „rechten Gesinnung“ lasse sich aus dem Sachverhalt nicht ableiten, sondern sei reine Spekulation über die rechtlich letztlich nicht bedeutsame Gesinnung im Zusammenhang mit nicht nachgewiesener Täterschaft wegen einer nicht aufklärbaren Straftat. Es handelt sich um einen klassischen Zirkelschluss. Es werde vom Gericht nicht belastbar dargestellt, aus welchen Tatsachen sich tatsächlich die unterstellte Befürchtung weiterer Straftaten ergeben solle. Die Vorteile einer erkennungsdienstlichen Behandlung seien derart allgemein gehalten, dass sie letztendlich auf jedermann zutreffen könnten. Die Sache habe wegen des erheblichen Grundrechtseingriffs gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und die Missachtung der Unschuldsvermutung erhebliche Bedeutung.

Das Vorbringen rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die Prognose des Beklagten ist nicht zu beanstanden, der Kläger werde voraussichtlich auch in Zukunft strafrechtlich in Erscheinung treten.

Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat der Auffassung, dass die Anlasstat und die weiteren gegen den Kläger geführten Ermittlungs- und Strafverfahren die Annahme einer Wiederholungsgefahr rechtfertigen. Dabei können auch Ermittlungsverfahren herangezogen werden, die nicht wegen erwiesener Unschuld gemäß § 170 Abs. 2 StPO, sondern mangels Nachweises der Tat oder aus anderen Gründen eingestellt worden sind (SächsOVG, Beschl. v. 6. Februar 2017 – 3 A 862/16 -, juris Rn. 9 m. w. N.). Aufgrund der präventiv-polizeilichen Ausrichtung der erkennungsdienstlichen Behandlung entfällt die Notwendigkeit von erkennungsdienstlichen Maßnahmen nicht von Vornherein infolge derartiger Verfahrenseinstellungen, mithin bei Ermittlungs- und Strafverfahren, die nicht wegen erwiesener Unschuld des Klägers zur Einstellung gelangt sind. Behörde und Gericht müssen sich unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des Falls damit auseinandersetzen, aus welchen Gründen eine erkennungsdienstliche Behandlung dennoch notwendig ist (st. Rspr.; vgl. SächsOVG, Urt. v. 19. April 2018 – 3 A 215/17 -, juris Rn. 22 m. w. N.; BVerwG, Urt. v. 27. Juni 2018 – 6 C 39/16 -, juris Rn. 23 m. w. N.). Die Berücksichtigung auch solcher Ermittlungsverfahren verstößt nicht gegen die strafrechtliche Unschuldsvermutung (hierzu im Einzelnen SächsOVG, Beschl. v. 5. Mai 2014 – 3 A 82/13 -, juris Rn. 5 m. w. N.). Davon ausgehend hat das Gericht insbesondere die erkennbaren Lebensumstände des Klägers und seine gegenüber seiner Prozessbevollmächtigten gemachten Äußerungen herangezogen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO; S. 7-9 der Urteilsgründe).

Schließlich ändert an dem Ergebnis auch nichts, dass es sich angeblich bei mehreren strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nur um Bagatellkriminalität gehandelt haben soll. Denn – auch hierauf hat das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen – der Kläger ist nicht nur allein im Bereich von Bagatelldelikten auffällig geworden, sondern insbesondere auch mit Körperverletzungsdelikten und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, wegen Tankbetrugs und Fahren ohne Fahrerlaubnis und damit mit von einem erheblichen Unrechtsbewusstsein geprägten Straftatsvorwürfen.

Auch die vom Verwaltungsgericht gebilligte Prognose des Beklagten ist nicht zu beanstanden. Dabei hat es nicht entscheidungserheblich auf die mögliche (rechte) Gesinnung des Klägers abgestellt, sondern darauf, dass auch nach seinen von seiner Prozessvertreterin in der mündlichen Verhandlung mitgeteilten Äußerungen ihr gegenüber der Kläger auch heute noch Teil eines Freundeskreises ist, den er selber als „falsche Leute“ bezeichnet und wegen derer er in „ein Fadenkreuz hineingeraten“ sei. Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, dass mangels ausreichender Distanzierung von seinem bisherigen Freundeskreis auch in Zukunft mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Begehung von Straftaten zu erwarten sei, ist unter diesen Vorgaben durchaus naheliegend. Schließlich geht es zu Lasten des Klägers, wenn er die empfohlene Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht dafür genutzt hat, zur weiteren Aufklärung seiner derzeitigen Lebensverhältnisse zur Verfügung zu stehen. Angesichts dessen kann keine Rede davon sein, dass das Verwaltungsgericht nur Spekulationen angestellt und nur allgemein gehaltene Vermutungen abgegeben habe. Auch ist die Feststellung des Verwaltungsgerichts nachvollziehbar, dass allein der bisherige etwa dreijährige Zeitraum, in dem der Kläger strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, zu kurz sei, um von einer gefestigten Veränderung der Lebensumstände und damit von einer nicht mehr bestehenden Wiederholungsgefahr auszugehen.“

Nur: Blutprobe verwechselt und unbemerkt beigemischt? Das reicht so nicht

Folgender Sachverhalt: Bei einer Kfz-Führerin werden in einer Blutprobe Amphetamin und Methamphetamin festgestellt. Ihr wird darauf die Fahrerlaubnis  (vorläufig) entzogen. Dagegen setzt sie sich beim VG mit dem Antrag, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs wieder herzustellen, zur Wehr. Zur Begründung trägt sie u.a. vor, ihr seien die in ihrem Blut festgestellten Wirkstoffe unbemerkt beigebracht worden und das von einem rechtsmedizinischen Institut untersuchte Blut sei nicht das ihre. Mit beiden „Einlassungen“ hat sie – weder beim VG noch beim OVG – Erfolg. Dazu der OVG Sachsen, Beschl. v. 14.12.2012 – 3 B 274/12:

Dabei ist das Verwaltungsgericht Chemnitz im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Behauptung der Antragstellerin, die in ihrem Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration sei ihr unbemerkt beigebracht worden, unglaubhaft sein dürfte. Offen bleiben kann dabei, ob – wie das Gericht meint – die Antragstellerin bei der bei ihr festgestellten Wirkstoffkonzentration starke Nebenwirkungen hätten bemerken müssen, wenn es sich – wie von dieser behauptet – um eine erstmalige Drogeneinnahme gehandelt hatte. Jedenfalls ist die Behauptung der Antragstellerin, ein Dritter habe ihr möglicherweise während des Toilettengangs Betäubungsmittel in ein Getränk gemischt, nicht geeignet, Zweifel an der Vermutung zu begründen, sie habe die in ihrem Körper aufgefundene Methamphetamindosis selbst und absichtlich zu sich genommen. Grundsätzlich kann zwar das Vorbringen, unwissentlich Betäubungsmittel zu sich genommen zu haben, für die Kraftfahreignung von Bedeutung sein. Allerdings ist es einhellige Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass sich ein Fahrerlaubnisinhaber für die Frage des einmaligen Konsums von „harten Drogen“ im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren grundsätzlich nicht allein mit dem pauschalen Vorbringen entlasten kann, das Betäubungsmittel sei ihm ohne sein Wissen von Dritten verabreicht worden. Angesichts der von einem grundsätzlich ungeeigneten, weil harte Drogen konsumierenden Fahrerlaubnisinhaber für andere Verkehrsteilnehmer ausgehenden erheblichen Gefahren sind an die Plausibilität der Einlassungen des Betroffenen erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Fahrerlaubnisinhaber muss deswegen zumindest eine nachvollziehbare Schilderung abgeben, wie es trotz der gegen eine zufällige Einnahme von in Getränken aufgelösten Betäubungsmitteln sprechenden Umständen zu einem unbewussten, zufälligen oder durch Dritte manipulierten Genuss des Betäubungsmittels gekommen sein soll (vgl. Beschl. des erkennenden Senats v. 12. Januar 2012 – 3 A 928/10 – Rn. 7 m.w.N.; jüngst auch BayVGH, Beschl. v. 21. November 2012 – 11 CS 12.2171 -, […] Rn. 8, sowie OVG LSA, Beschl. v. 8. November 2012 – 3 M 599/12 -, […] Rn. 6, jeweils m.w.N.). Diesen Vorgaben wird das mit der Beschwerde auch nicht mehr ausdrücklich weiterverfolgte Vorbringen der Antragstellerin nicht gerecht, da mit dem bloßen Hinweis darauf, unbekannte Personen hätten ohne ihr Wissen Betäubungsmittel in ihre Getränke gemischt, nicht plausibel gemacht werden kann, dass ein anderer Konsument mit dem Betäubungsmittel leichtfertig verfahren würde oder absichtlich einem Unbekannten ohne nachvollziehbares Motiv einen kostenlosen Rausch verschaffen wollte. Bei dieser Sachlage ist es daher ohne Belang, ob die Antragstellerin als drogengewöhnte Konsumentin bei der bei ihr vorgefundenen Wirkstoffkonzentration keine Nebenwirkungen verspürt oder – als Erstkonsumentin -die von den Betäubungsmitteln ausgehenden Wirkungen bemerkt hätte, und, welche individuelle Reaktion bei der vorgefundenen Wirkstoffkonzentration zu erwarten gewesen wäre (SächsOVG a.a.O. mit Hinweis auf die für Amphetamin festgelegte Wirkungsgrenze).

Auch ist an der von der Antragstellerin angegriffenen Feststellung des Verwaltungsgerichts Chemnitz nicht zu zweifeln, dass eine Verwechselung von Blutproben ausgeschlossen werden könne. Das Gericht hat anhand der hierfür einschlägigen Vorschriften im Einzelnen überprüft, ob die Vorgaben, die bei Blutentnahme und -probe einzuhalten sind, vorliegend erfüllt worden sind. Wie sich dem in den Behördenakten enthaltenen und vom Gericht herangezogenen Unterlagen (Protokoll und Antrag zur Feststellung von Betäubungsmitteln [AS 31], ärztlicher Untersuchungsbericht [AS 32], Befundbericht [3-4]) ergibt, ist die Blutprobe unter der der Antragstellerin zugeordneten Identifikationsnummer „SN 149363″ durchgeführt worden. Angesichts der dokumentierten Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens kann mit dem alleinigen Hinweis darauf, dass der Klebezettel, der die Identifikationsnummer der Antragstellerin enthielt, theoretisch einem anderen Blutentnahmeröhrchen aufgeklebt worden sein könnte, im vorliegenden Fall nicht von der Möglichkeit oder der Gefahr einer Verwechselung ausgegangen werden. Auch insoweit entspricht es nämlich der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass mit der bloßen Behauptung des Gegenteils der dokumentierte ordnungsgemäße Ablauf der Untersuchung nicht in Frage gestellt werden kann, so dass die von der Antragstellerin angeregte Einholung eines DNA-Tests nicht erforderlich ist (jüngst OVG NRW, Beschl. v. 11. September 2012 – 16 B 944/12 -, […] Rn. 10; BayVGH, Beschl. v. 11. Mai 2010 – 11 CS 10.68 -, […] Rn. 20-21, jeweils m.w.N.).“

Im Verkehrsstrafrecht, wo man diese Einlassungen auch immer wieder mal findet, gilt übrigens dasselbe: „Butter bei die Fische“, wenn es Erfolg haben soll

 

Über das Ziel hinaus…

geschossen ist eine Verwaltungsbehörde in Sachsen. Sie hatte eine Fahrtenbauchauflage (§ 31a StVZO) angeordnet, die den gesamten Fuhrpark eines Schwerlasttransportunternehmens erfasste und macht dafür jetzt Gebühren für alle Fahrzeuge geltend.

Das OVG Sachsen sagt in seinem Urt. v. 26.08.2010 – 3 A 176/10: Die Festsetzung von Gebühren für die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage über 15 Fahrzeuge eines Schwerlasttransportunternehmens ist rechtswidrig, wenn bereits die Fahrtenbuchauflage als solche unverhältnismäßig gewesen ist. Davon ist auszugehen, wenn der gesamte Fuhrpark mit dieser Auflage belegt wird, obgleich lediglich in einem Fall von Geschwindigkeitsüberschreitung der Fahrer nicht ermittelt werden konnte.

Also: Über das Ziel hinausgeschossen, dann gibt es dafür nicht auch noch Gebühren.