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Zwei OVG-Entscheidungen zur Fahrtenbuchauflage, oder: Mitwirkungspflicht beim Firmenfahrzeug

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Und im Kessel Buntes dann heute (Verkehrs)Verwaltungsrecht.

Zunächst hier zwei OVG-Entscheidungen zum Fahrtenbuch (§ 31a StVZO). Ich stelle, da die Problematik ja weitgehend bekannt ist, hier nur die Leitsätze der beiden Entscheidungen ein, und zwar:

Aus der Perspektive des späteren Verfahrens zur Anordnung einer Fahrtenbuchführungspflicht obliegt einer GmbH als Halterin des Tatfahrzeugs einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann eine hinreichende Mitwirkung an der Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers, wenn sie im Bußgeldverfahren nicht nur als Zeugin, sondern in erster Linie als Betroffene angehört wird.

1. Steht fest, dass die Fahrzeughalterin einen Zeugenfragebogen erhalten und darauf nicht reagiert hat, kommt es auf den Einwand, ein vorangegangenes Anhörungsschreiben nicht erhalten zu haben, nicht entscheidend an.
2. Auf die Einhaltung der sog. Zweiwochenfrist, die weder ein formales Tatbestandsmerkmal des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO noch eine starre Grenze darstellt, kann sich der Halter nicht bei Verkehrsverstößen berufen, die mit einem Firmenfahrzeug eines Kaufmanns im geschäftlichen Zusammenhang begangen worden sind. Denn bei Firmenfahrzeugen fällt es in die Sphäre der Geschäftsleitung, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrszuwiderhandlung ohne Rücksicht auf die Erinnerung Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat.

 

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Drogenkonsum, oder: Einwand „unbewusste Drogenaufnahme“

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In der zweiten Entscheidung, dem OVG Sachsen,-Anhalt Beschl. v. 26.10.2022 – 3 M 88/22 -geht es mal wieder um die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde. Gestützt worden ist die Entziehung auf die Nichteignung des Betroffenen wegen der Einnahme eines Betäubungsmittels. Der Betroffene wendet ein: Unbewusste Drogenaufnahme. Ohne Erfolg:

„Die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln setzt dabei grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus. Die unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Daher muss, wer sich darauf beruft, einen detaillierten, in sich schlüssigen und glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt und der damit auch zumindest teilweise der Nachprüfung zugänglich ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. Dezember 2021 – 11 CS 21.1896 – juris Rn. 11; OVG Saarl, Beschluss vom 2. September 2021 – 1 B 196/21 – juris Rn. 47; OVG NRW, Beschluss vom 10. März 2016 – 16 B 166/16 – juris Rn. 11; OVG Brem, Beschluss vom 12. Februar 2016 – 1 LA 261/15 – juris Rn. 6; OVG MV, Beschluss vom 4. Oktober 2011 – 1 M 19/11 juris Rn. 8). Erst nach einer solchen Schilderung kann sich die Frage ergeben, zu welchem Nachteil eine gleichwohl verbleibende Ungewissheit über den genauen Hergang der Ereignisse ausschlägt (OVG Bremen, a.a.O.).

Unter diesen Voraussetzungen hat der Antragsteller nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass er unbewusst Metamphetamin zu sich genommen haben könnte. Nach seiner Schilderung kommt für eine (unbewusste) Einnahme von Betäubungsmitteln nur die Zeit seines Aufenthalts bei einem Schausteller in Betracht, den er gemeinsam mit zwei Aushilfsmitarbeitern beim Aufbau eines Karussells unterstützt hat. In dieser Zeit hat der Antragsteller nach seinen Angaben eine von einem Lieferdienst bestellte Thunfischpizza gegessen und eine Cola getrunken. Sein Getränk und die Getränke der anderen Anwesenden hätten, so der Antragsteller, auf einem Tisch zusammengestanden. Er habe sein Getränk nicht über den ganzen Tag beobachtet.

Dieser Vortrag ist nicht hinreichend plausibel, um von einer unbewussten Einnahme von Betäubungsmitteln ausgehen zu können. Die Beschreibung des Antragstellers gibt keinen nachvollziehbaren Grund dafür, dass ihm jemand in der Situation eines gemeinsamen Arbeitstages gezielt Metamphetamine „unterschieben“ wollte. Für keinen der Anwesenden wäre es von Nutzen gewesen, dem Antragsteller heimlich Drogen beizubringen. Für die dem Antragsteller unbekannten Aushilfsarbeiter bestand ersichtlich keinerlei Motiv, auf eigene Kosten erworbene Betäubungsmittel dem nichtsahnenden Antragsteller zu überlassen. Der Schausteller dürfte für ein Unterschieben von Drogen schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil er mit dem Antragsteller offensichtlich freundschaftlich verbunden war. Er würde auch damit gerechnet haben, dass der Antragsteller auf eine unbewusste Einnahme von Metamphetaminen beunruhigt über die unerklärlichen körperlichen Veränderungen und nicht mit einer Leistungssteigerung aufgrund der aufputschenden Wirkung reagieren würde. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass der Antragsteller versehentlich aus einem Glas getrunken hat, in dem sich ein mit Drogen vermischtes Getränk befunden hat. Ginge man davon aus, dass einer der anwesenden Männer selbst Metamphetamine zu sich nehmen wollte und diese in sein eigenes Getränk gegeben hat, würde eine unbewusste Drogenaufnahme des Antragstellers voraussetzen, dass er seine Cola mit dem drogenhaltigen Getränk dieses Mannes verwechselt hat. Wie es hierzu gekommen sein könnte, hat der Antragsteller jedoch nicht näher beschrieben. Eine Verwechslung käme von vornherein nur in Betracht, wenn mindestens einer der Anwesenden das gleiche Getränk (Cola) aus einem gleichen Behälter (z.B. Glas, Flasche, Dose) getrunken hätte. Der Antragsteller hat jedoch nicht einmal beschrieben, welche Getränkebehälter mit welchen Getränken auf dem Tisch gestanden haben. Die Angaben hierzu sind vage („Flaschen und/oder Gläser“). Es ist auch wenig plausibel, dass mindestens einer der Anwesenden ebenfalls eine Cola aus einem gleichen Trinkgefäß getrunken hat, da der Antragsteller nach seiner Schilderung sein Getränk selbst mitgebracht hatte, die Getränke also nicht von dem Schausteller gestellt wurden. Unabhängig davon, dass sich die Schilderung des Antragstellers schon aus diesen Gründen als unergiebig erweist, müsste hinzukommen, dass sich die beiden Trinkgefäße nebeneinander befunden haben und der Antragsteller deshalb das falsche Gefäß „erwischt“ hat. Das ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil derjenige, der Metamphetamine hat einnehmen wollen, ein Interesse daran gehabt haben wird, eine solche Verwechslung gerade auszuschließen, und die Anzahl der Trinkgefäße angesichts der geringen Zahl von vier Anwesenden überschaubar gewesen sein muss. Lückenhaft ist die Schilderung des Antragstellers auch im Hinblick auf die an dem fraglichen Tag anwesenden Personen. Angesichts einer gemeinsamen Arbeit über einen Zeitraum von über zwölf Stunden wäre zu erwarten gewesen, dass der Antragsteller genauere Angaben über die beiden Aushilfsarbeiter hätte machen können, von denen die Betäubungsmittel nach seiner Schilderung stammen mussten. Der Antragsteller hat keine Namen genannt und auch sonst keine Angaben gemacht, die auf die Identität dieser Männer schließen lassen könnten. Es fehlen auch Erläuterungen, warum der Antragsteller von dem mit ihm befreundeten Schausteller die Namen der Aushilfsmitarbeiter nicht erfahren konnte. Auch der Schausteller dürfte ein Interesse daran haben, Drogenkonsum seiner Mitarbeiter während der Arbeitszeit auszuschließen. Insgesamt ergeben sich aus der lückenhaften und vagen Schilderung des Antragstellers keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller am fraglichen Tag unbewusst Metamphetamine zu sich genommen haben könnte…..“

Der besoffene Pilot im Straßenverkehr

© Laif Andersen - Fotolia.com

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Ein Pilot fährt besoffen Fahrrad. Deshalb wird von der Fahrerlaubnisbehörde die Vorlage eines MPU-Gutachtens verlangt. Als der Pilot sich weigert, wird die Fahrerlaubnis entzogen.Der Pilot wendet ein, die Anordnung der MPU sei deshalb rechtswidrig gewesen, weil er wegen desselben Vorfalls an einem Selbsthilfeprogramm seines Arbeitgebers teilnimmt, das u.a. eine dreijährige Abstinenzphase und psychotherapeutische Begleitung vorsieht. Das hat ihm nicht geholfen. Das VG hat seine Klage abgewiesen. Das OVG Sachsen hat das im OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 05.07.2013 – 3 L 693/12 – bestätigt, und zwar wie folgt:

Der Beklagte war aufgrund einer Fahrradfahrt des Klägers unter Einfluss von Alkohol (1,97 ‰ Blutalkohol) grundsätzlich berechtigt, ihm gegenüber die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit dem Prüfauftrag, ob zu erwarten sei, dass er „zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird und/oder […] als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vor[liegen], die das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges in Frage stellen“ anzuordnen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28.02.2011 – OVG 1 S 19.11, OVG 1 M 6.11 -; OVG Koblenz, Urt. v. 17.07.2012 – 10 A 10284/12 -; beide: […]). …………..

Die Anordnung des Gutachtens war auch nicht – wie der Kläger meint – deshalb rechtswidrig, weil das Luftfahrt-Bundesamt seinerseits zur Überprüfung der Flugtauglichkeit des Klägers auf die Vorlage eines Gutachtens verzichtet hat und die Teilnahme des Klägers an dem sog. „Anti-Skid-Programm“ des Arbeitgebers des Klägers, einem Selbsthilfe-Abstinenz-Programm mit therapeutischer Begleitung, als ausreichend zur Sicherstellung der Flugtauglichkeit erachtet. Denn zum einen unterscheiden sich die Prüfungsgegenstände der beiden Überprüfungsverfahren maßgeblich, so dass eine Vergleichbarkeit nicht herzustellen ist. Zum anderen ist der Verzicht auf ein medizinisch-psychologisches Gutachten anders als nach den für die Fluglizenz des Klägers anzuwendenden Vorschriften des LuftVZO sowie der Bestimmungen über die Anforderungen an die Tauglichkeit des Luftfahrtpersonals (BAnz. Nr. 94a vom 23.05.2007, – JAR FCL 3 deutsch -) nach Maßgabe des StVG, der FeV oder der StVZO nicht vorgesehen.

Am augenfälligsten ist der Unterschied zwischen den Anforderungen an die notwendige Zuverlässigkeit zur Erteilung einer Fluglizenz und den daran anknüpfenden Zweifeln an der Flugtauglichkeit und den „Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik“, die zur Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung für Fahrerlaubnisinhaber führen. So besitzt ein Bewerber um eine Fluglizenz bzw. deren Inhaber die für die Erteilung erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht, wenn er „regelmäßig Alkohol, Rauschmittel oder Medikamente“ missbraucht, § 24 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 LuftVZO. Eignungszweifel zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2 c FeV können hingegen schon bei einmaligem Alkoholmissbrauch auftreten, der zu einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ führt, wenn der Betroffene in diesem Zustand am Straßenverkehr teilnimmt. Eine Regelmäßigkeit ist hier nicht notwendig. Auch tatsächlich feststellbare „psychische Störungen oder Verhaltensstörungen durch Alkohol“, die Ziffer 4 des Anhangs 10 zu den Abschnitten B und C der Bestimmungen über die Anforderungen an die Tauglichkeit des Luftfahrtpersonals zu JAR FCL 3.205 und 3.325 als Voraussetzungen für eine Fluguntauglichkeit festlegt, sind für Zweifel an der Tauglichkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs nicht notwendig. Der Prüfungsmaßstab für die Tauglichkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr ist danach ein anderer als der für den Erwerb einer Fluglizenz, so dass der Kläger mit seiner Argumentation, er erfülle durch die Einhaltung der Auflagen des Luftfahrt-Bundesamtes bereits höhere Anforderungen als sie der Beklagte aufgeben könne, nicht durchzudringen vermag.“

 

Zwei Jahre sind zu lang – erstes Urteil wegen überlanger Verfahrensdauer

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Der LTO-Nachrichtenüberblick weist gerade auf das erste Gerichtsurteil zur überlangen Verfahrensdauer, also zu den neuen §§ 198, 199 GVG, hin (vgl. dazu hier). Es ist das OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 25.07.2012 – 7 KE 1/11. Danach sind – für das Verwaltungsverfahren – zwei Jahre vom Klageeingang bis Verfahrensabschluss zu lang. In der Meldung heißt es:

Im Ausgangsverfahren hatte das Verwaltungsgericht (VG) Halle über die Versetzung einer Polizeibeamtin in ein anderes Revierkommissariat zu entscheiden. Das Verfahren wurde erst zwei Jahre nach Klageeingang abgeschlossen.

Der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) befand nun, dass angesichts der geringen Schwierigkeit bzw. Komplexität des Verfahrens eine Dauer von über zwei Jahren nicht mehr angemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 S. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sei. Das Gesetz verpflichtet den Staat, Gerichtsverfahren in einer den Umständen entsprechend angemessenen Zeit abzuschließen. Die Richter sprachen der Beamtin eine Entschädigung zu (Urt. v. 25.06.2012, Az. 7 KE 1/11).

Den Volltext der Entscheidung habe ich leider noch nicht. Aber die Leitsätze, und zwar von der Homepage des OVG Sachsen-Anhalt. Sie lauten:

„Die Angemessenheit der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und der Bedeutung für den Kläger sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten.

Eine lediglich pauschalisierte zeitliche Würdigung der Dauer des Gesamtverfahrens reicht nicht aus; vielmehr muss eine konkrete Betrachtung einzelner Verfahrensabschnitte erfolgen.

Die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, ergibt sich aus der ihm gemäß Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 EMRK obliegenden Justizgewährleistungspflicht.

Das Bestehen von Entschädigungsansprüchen gegen den Staat gem. § 198 GVG setzt kein individuelles schuldhaftes Fehlverhalten einzelner Richterinnen oder Richter voraus.

Der Entschädigungsanspruch gem. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG ist nicht einem Schadenersatzanspruch gem. § 249 BGB gleichzustellen.

Die Gewährung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile gem. § 198 Abs. 2 GVG kann gem. § 198 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 GVG ausgeschlossen sein, wenn die Feststellung der Verfahrensverzögerung allein eine hinreichende Entschädigung darstellt.“