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Zusätzliche VG nach Absehen von der Einziehung?, oder: Das OLG Nürnberg kann es auch nicht

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Ich hatte vor einiger Zeit über den (falschen)  LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 20.1.2022 – 12 Qs 1/22 berichtet (Und schon wieder zusätzliche Gebühr nach Einziehung, oder: Und schon wieder falsch). Zu der Entscheidung liegt inzwischen der auf die weitere Beschwerde hin ergangene OLG Nürnberg, Beschl. v. 11.04.2022 –  Ws 250/22 – vor.

Hier noch einmal der Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft hat am 09.06.2020 Anklage wegen Steuerhinterziehung und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen den Angeklagten beim AG – Schöffengericht für Wirtschaftsstrafsachen – erhoben. Darin führte sie aus: „Von der Einziehung der Taterträge wird gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO abgesehen. Soweit die Verfolgung der Taten vorläufig gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, wird gemäß § 435 StPO von der selbständigen Einziehung abgesehen.“ Die entsprechende Verfügung der Staatsanwaltschaft datiert vom 03.06.2020. Nach Zustellung der Anklageschrift wurde mit Beschluss vom 08.07.2020 der bis dahin nicht mandatierte Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt.

Nach unveränderter Zulassung der Anklage fand am 28.10.2020 die Hauptverhandlung statt. Die die Einziehung betreffende Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 03.06.2020 wurde verlesen. In seinem Plädoyer beantragte der Beschwerdeführer u.a., gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO von einer Einziehung von Wertersatz abzusehen. Der Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Eine Einziehungsentscheidung traf das AG nicht, außerdem war die Einziehung nicht Gegenstand sonstiger Erklärungen.

Der Rechtsanwalt hat die Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG beantragt. Er habe seinen Mandanten ausführlich über die Möglichkeit einer Einziehung beraten. Das reiche für die Entstehung der Gebühr aus. Das sehen AG, LG und auch OLG anders:

„… Aus den zutreffenden Gründen der Vorinstanzen, insbesondere des Landgerichts Nürnberg-Fürth in dessen Beschluss vom 20.01.2022 und in der Nichtabhilfeverfügung vom 08.02.2022, denen sich der Senat anschließt, hat der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf die beantragte Gebühr Nr. 4142 VV RVG. Es liegt keine diese Verfahrensgebühr auslösende Tätigkeit des Verteidigers vor.

1. Voraussetzung für das Entstehen einer solchen Verfahrensgebühr ist eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehender Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme dient. Sinn der Einführung dieser Gebühr war, im Hinblick auf die Zunahme von Verfahren mit Einziehungs- oder Verfallerklärung und im Hinblick auf die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, die die Anordnung dieser Maßnahmen für den Beschuldigten haben kann, eine Aufgabe der Regelungen in §§ 83 ff. BRAGO und eine Vereinfachung der Gebührenberechnung (BT-Drs. 15/1971, 228).

2. Die Verfahrensgebühr wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes ausgelöst (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., zu Nr. 4142 VV Rn. 23 m.w.N.). Mit der Gebühr nach Nr. 4142 VV hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass zu den im Strafprozess unumgänglichen Überlegungen zur Schuld- und Straffrage eine weitere, die Eigentums- und Vermögenslage des Mandanten berührende Thematik hinzugetreten ist, die in der Regel Mehrarbeit verursacht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten (Burhoff/Volpert, ebenda, m.w.N.).

Davon ist aber – ausgehend von der Gesetzesbegründung – nur auszugehen, wenn die Frage der Einziehung naheliegt, entweder weil aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen ist oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt wurde. Hat die Staatsanwaltschaft gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StPO das Verfahren auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt und besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass das Gericht die Wiedereinbeziehung der Einziehung anordnen könnte, ist eine Beratung des Angeklagten über die theoretische Möglichkeit der Einziehung durch seinen Verteidiger nicht geboten, so dass die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nicht anfällt.

3. Vorliegend bestand während des gerichtlichen Verfahrens für den Beschwerdeführer keine Veranlassung für eine Beratung; diese war nicht geboten.

a) Im Hinblick auf die angeklagten Taten hat die Staatsanwaltschaft gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StPO von der Einziehung abgesehen. Soweit die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung weiterer Taten (Betrug/Solidaritätszuschlag) vorläufig nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO abgesehen hat, hat sie gemäß § 435 StPO von der selbständigen Einziehung abgesehen. In der Anklageschrift wurde die Einziehung von Wertersatz von der Staatsanwaltschaft nicht beantragt.

b) Damit war eine Einziehung oder eine dieser vergleichbaren Maßnahme nicht mehr Gegenstand des Strafverfahrens. Zwar hätte das Gericht gemäß § 421 Abs. 2 Satz 1 StPO die Wiedereinbeziehung der Einziehung in jeder Lage des Verfahrens, somit auch erst im weiteren Instanzenzug, anordnen können. Dies hätte aber eine entsprechende Anordnung des Gerichts vorausgesetzt.

c) Somit bestand unter keinem Gesichtspunkt Veranlassung, den Beschuldigten über die Möglichkeit der Einziehung zu beraten. Es ist auch nicht ersichtlich, woraus sich bei einer nicht im Raum stehenden Einziehung ein Haftungsrisiko des Verteidigers ergeben könnte.

4. Auch der Antrag des Beschwerdeführers im Rahmen seines Schlussvortrags, von der Einziehung von Wertersatz abzusehen, kann die Gebühr nicht auslösen, da er nicht veranlasst war. ….“

Dazu: Das OLG referiert zwar zutreffend, was bei „Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., zu Nr. 4142 VV Rn. 23 m.w.N.“ u.a. steht, es zieht daraus m.E. aber nicht die zutreffenden Schlüsse, die dem vorliegenden Sachverhalt gerecht werden. Das hängt u.a. auch damit zusammen, dass mal wieder die Frage des Entstehens der/einer Gebühr mit der Frage der Erstattung/Festsetzung einer Gebühr vermengt wird. Die Problematik kennen wir bei der Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren in den Fällen der Beratung des Mandanten vor der Begründung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, wenn das anschließend zurückgenommen wird.

Im Übrigen: Die Gebühr ist hier auf jeden Fall durch die Beratung des Mandanten über die (verbliebenen) Möglichkeiten der Einziehung entstanden, unabhängig davon, dass die Einziehung nach § 435 StPO (zunächst) aus dem Verfahren ausgeschieden war, aber, worauf das OLG auch hinweist, jederzeit wieder hätte aufgenommen werden können. Dabei ist hier zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bis zur Pflichtverteidigerbestellung offenbar keinen anwaltlichen Beistand hatte. Es lag also, als der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt wurde, auch eine anwaltliche Beratung nahe. Insoweit ist auf die Sicht des Angeklagten abzustellen und nicht auf die des AG, LG oder OLG, die den Beratungsbedarf im Zweifel verneinen. Dass AG, LG oder OLG – hoffentlich – insoweit keinen Beratungsbedarf haben, ändert daran nichts und hätte der Festsetzung der Gebühr nicht entgegengestanden. Alles in allem m.E. mal wieder eine Entscheidung, der man anmerkt, dass dem Verteidiger die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht „gegönnt“ wird.

StPO II: Das Kollegialverhältnis bei einem kleinen AG, oder: Wenn niemand für eine Entscheidung mehr bleibt

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Als zweite Entscheidung dann ein Beschluss aus einem familiengerichtlichen Verfahren, also keine StPO 🙂 . Die im OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.03.2022 – 7 AR 165/22 – angesprochenen Fragen zum Kollegialverhältnis können aber auch in Strafverfahren Bedeutung erlangen.

Bem Beschluss liegt ein Scheidungsverfahren zugrunde liegt. In dem ist die Antragsgegnerin Richterin am Amtsgericht in T und mit dem Antragsteller verheiratet. Der letzte gemeinsame Aufenthalt des Ehepaares war in der Gemeinde , die zum Bezirk des Amtsgerichts T gehört. Die Antragsgegnerin lebt dort weiterhin zusammen mit den beiden minderjährigen Kindern.

Das Amtsgericht T ist das kleinste Amtsgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg. Es sind dort einschließlich des Direktors sowie des Richters am Amtsgerichts als ständiger Vertreter des Direktors insgesamt fünf Richterinnen und Richter beschäftigt.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten hat der Antragsteller beim Amtsgericht T einen Scheidungsantrag einreichen lassen. Dieser wurde der Antragsgegnerin zugestellt. Nacheinander haben die weiteren vier Richter des Amtsgerichts T eine Selbstanzeige gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben. Der RiAG, der als Letzter die Anzeige nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben hat, hat das Verfahren dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgelegt.

Das OLG bestimmt das zuständige Gericht – insoweit bitte selbst lesen – und führt zu den Selbstanzeigen aus:

„2. Sämtliche Selbstanzeigen sind begründet.

Ebenso wie ein Ablehnungsgesuch eines Beteiligten ist die Selbstanzeige dann begründet, wenn Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit begründen, vorliegen. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann zu bejahen, wenn Gründe gegeben sind, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, das Vorliegen eines Sachverhaltes, der vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus bei Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gibt (Zöller-Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 42 Rn 9 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei braucht nicht auf die in den Selbstanzeigen jeweils geschilderten persönlichen Beziehungen zwischen der Antragsgegnerin und dem jeweiligen Richter eingegangen werden; denn die berechtigte Besorgnis der Befangenheit besteht im vorliegenden Fall bereits aufgrund des Kollegialverhältnisses zwischen der Antragsgegnerin und den die Selbstanzeigen erstattenden Richtern. Grundsätzlich reicht das bloße Kollegialverhältnis zwischen einem Richter und einem Verfahrensbeteiligten zwar nicht für die Begründung der Befangenheit aus. Etwas anderes gilt jedoch innerhalb eines kleinen Gerichts wie es das Amtsgericht T ist, da bei einem kleinen Gericht eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit zwischen allen Richtern des Gerichts naheliegt (BGH NJW-RR 2022, 284; BGH NJW 1957, 1400; Zöller-Vollkommer aaO § 42 Rn 12a m.w.N.; Wieczorek/Schütze-Niemann, ZPO, 3. Aufl., § 42 Rn 16).“

Der Gegenstandswert beträgt mehr als 3,2 Mio EUR ?, oder: OLG setzt auf rund 160.000 EUR fest

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Und dann vor dem Wochenende noch zwei Gebührenentscheidungen. Beide betreffen die Nr. 4142 VV RVG – fast ist man geneigt zu schreiben: Welche Ziffer aus dem VV sonst? 🙂 In beiden Entscheidungen geht es um die den für die Höhe der Gebühr maßgeblichen Gegenstandswert, also mal nicht um den Anfall der Nr. 4142 VV RVG.

In dem dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.12.2021 – Ws 1149/21 – zugrunde liegenden Verfahren meinte der Bevollmächtigte des Nebenbeteiligten, 3.231.444,00 EUR seinen als Gegenstandswert angemessen, das OLG hat dann aber nur 157.054,60 EUR festgesetzt.

„3. Bei einem Vermögensarrest gemäß §§ 111e, 111f StPO ist maßgebend für die Wertfestsetzung das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr der Arrestforderung, wobei die konkrete wirtschaftliche Situation in den Blick zu nehmen ist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 RVG). Beträge, deren Durchsetzbarkeit nicht ernstlich in Betracht kommt und die deshalb eher fiktiven Charakter haben, bleiben unberücksichtigt. Nur soweit der zu sichernde Anspruch werthaltig ist und eine Befriedigung des Arrestgläubigers erwarten lässt, ist er im Rahmen der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG der Bemessung des Gegenstandswerts zu Grunde zu legen. Damit geht das für die Wertberechnung gem. § 2 I RVG maßgebliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr des Arrests nicht weiter, als Vermögenswerte vorhanden sind, auf die im Wege der Arrestvollziehung zugegriffen werden kann. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem der Verteidiger tätig wird. Dabei können die in Vollziehung des Arrests erfolgten Pfändungen Anhaltspunkte dafür liefern, inwieweit eine durchsetzbare Verfallsanordnung in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 8.11.2018 – III ZR 191/17 m.w.N., Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4142 VV Rn 42).

4. Danach ist der Gegenstandswert auf 157.054,60 € festzusetzen.

a) Auszugehen ist vom Wert der bei der Nebenbeteiligten in Vollziehung des angeordneten Vermögensarrest sichergestellten 471.163,80 EUR. Auch wenn der Senat mit seinem Beschluss vom 31.08.2021 den in Höhe von 3.231.444,00 € angeordneten Vermögensarrest vollständig aufgehoben hat, ist der Wert nur in Höhe des tatsächlich vollzogenen Betrags anzusetzen. Dass weitere Vermögenswerte der Nebenbeteiligten bestanden, auf die zum Vollzug des Vermögensarrests hätte zugegriffen werden können, ist nicht ersichtlich.

b) Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Anordnung des Vermögensarrests ist ein Abschlag von zwei Dritteln vorzunehmen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.1.2008, 3 Ws 560/07; OLG München, Beschluss vom 16.08.2010, 4 Ws 114/10; BGH a.a.O.; Burhoff a.a.O.; Gerold/Schmidt a.a.O., VV 4142 Rn 20), so dass sich ein Gegenstandswert von 157.054,60 € ergibt.

Antragseinreichung durch elektronisches Dokument, oder: Zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet?

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zunächst etwas zum elektronischen Dokument, und zwar den OLG Nürnberg, Beschl. v. 31.01.2022 – 3 W 149/22.

Im Beschluss geht es u.a. um die Zulässigkeit eines Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweissicherungsverfahrens und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt worden. Das LG hat den Antragsteller auf die Unwirksamkeit des Eingangs der Dokumente nach § 130a ZPO hingewiesen, da die Dokumente nicht kopierbar und durchsuchbar seien. Der Antragsteller übersandte daraufhin die Schriftsätze erneut an das LG. Das wies die Anträge als unzulässig zurück, weil sie nicht formgerecht bei Gericht eingegangen seien. Die Beschwerde hatte dann beim OLG Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Landgericht Nürnberg-Fürth den Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweissicherungsverfahrens und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Nichteinhaltung der Vorgaben zum Dateiformat nach § 130a Abs. 2 ZPO als unzulässig verworfen.

1. Nach § 130a Abs. 2 S. 1 ZPO muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Ob ein Dokument zur Bearbeitung bei Gericht geeignet ist, richtet sich gemäß § 130 a Abs. 2 S. 2 ZPO nach den Bestimmungen der Elektronischer-Rechtsverkehr-VO (ERVV) und den ergänzend hierzu erlassenen Bekanntmachungen (ERVB). Genügt das elektronische Dokument diesen Vorgaben, ist es für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet; ein im internen Gerichtsbetrieb auftretender Fehler führt dagegen nicht zur Unwirksamkeit der Einreichung (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2020 – X ZR 119/18, GRUR 2020, 980, Rn. 13 – Aktivitätsüberwachung).

a) Nach § 2 Abs. 1 S. 1 ERVV in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung ist das elektronische Dokument in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln. Dies bedeutet, dass in den das Dokument enthaltenen Eigenschaften der Datei nicht die Möglichkeit des Drucks ausgeschlossen werden oder die Datei mit einem Kennwort zum Öffnen versehen sein darf (Kersting/Wettich, in Handbuch Multimedia-Recht, 57. EL Sept. 2021, Teil 24, B. Elektronischer Rechtsverkehr, Rn. 20). Den Bedingungen der ERVV entspricht das Dokument auch dann nicht, wenn es verschlüsselt oder mit Viren verseucht oder mit einer anderen schädlichen Software verbunden ist (Fritsche, in MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 130a ZPO Rn. 4; BT-Drucksache 19/28399, S. 13). Das Merkmal der „Kopierbarkeit“ bezieht sich (lediglich) auf eine PDF-Sicherheitseigenschaft, mit der die Kopierbarkeit des Inhalts der PDF-Datei mit einem PDF-Anzeigeprogramm ausgeschlossen werden kann (Müller, NZS 2018, 207 [211]).

Nicht jeder Verstoß gegen die ERVV soll zur starren Rechtsfolge der (nach § 130 a Abs. 6 ZPO heilbaren) Formunwirksamkeit führen. Denn § 130 a Abs. 2 ZPO, den die ERVV näher ausgestaltet, soll lediglich gewährleisten, dass eingereichte elektronische Dokumente für das Gericht lesbar und bearbeitungsfähig sind (BT-Drs. 17/12634, S. 25). Vor dem Hintergrund dieses Zwecks ist auch die Rechtsfolge eines Verstoßes zu bestimmen: Formunwirksamkeit tritt dann ein, wenn der Verstoß dazu führt, dass eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist, z.B. weil sich die eingereichte Datei nicht öffnen bzw. der elektronischen Akte nicht hinzufügen lässt oder weil sie schadcodebelastet ist. Demgegenüber führen Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs, wenn sie lediglich einen bestimmten Bearbeitungskomfort sicherstellen sollen, nicht aber der Lesbarkeit und Bearbeitbarkeit als solches entgegenstehen (OLG Koblenz, Beschluss vom 23.11.2020 – 3 U 1442/20, NJOZ 2021, 758, Rn. 9; Anders, in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 130a Rn. 10a).

b) Mit Gesetz vom 05.10.2021 hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2022 die technischen Rahmenbedingungen entschärft. Zwingend vorgegeben wird nach § 130a Abs. 1 S. 2 ZPO i.V.m. § 2 Abs. 1 ERVV n.F. nunmehr (lediglich) das Dateiformat als PDF. Der Verstoß gegen andere technische Standards soll nur noch dann zur Formunwirksamkeit führen, wenn er dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist (BT-Drs. 19/28399, S. 33, 40). Damit trägt der Gesetzgeber einzelnen Gerichtsentscheidungen Rechnung, die im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Zugang zu Gericht die Einreichung eines elektronischen Dokuments für wirksam erachtet haben, wenn es trotz Unterschreitens der technischen Anforderungen für das Gericht lesbar und bearbeitbar war (von Selle, in BeckOK ZPO, 43. Ed. 01.01.2022, § 130a Rn. 9.2).

Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabes kann der gestellte Antrag nicht als unzulässig verworfen werden.

a) Es ist bereits zweifelhaft, ob die Annahme des Landgerichts – wonach die Anträge nicht formgerecht bei Gericht eingegangen seien, da die eingereichten Dokumente nicht in weiterbearbeitbarer Weise kopierbar seien – zutreffend ist.

Die von der Antragstellerseite eingereichten Dokumente wurden als PDF übersandt und besaßen, wie glaubhaft gemacht, unter anderem die Eigenschaft, dass „Kopieren von Inhalt“ zulässig sei. Dem widersprechen auch nicht die Ausführungen des Landgerichts im angegriffenen Beschluss. Denn das Landgericht führte selbst aus, dass es Teile aus den eingereichten Dokumenten kopiert habe.

Soweit das Landgericht bemängelt, dass ein Problem beim nachträglichen Einfügen der kopierten Teile in ein anderes elektronisches Dokument bestanden habe, weil dabei eine unleserliche und sinnentstellte Buchstabenreihung entstanden sei, führt dies nicht zur Unzulässigkeit des Antrags nach § 130a Abs. 2 S. 1 ZPO in der zum Zeitpunkt des Antragseingangs am 20.10.2021 geltenden Fassung. Denn es handelt sich dabei nicht um einen im Verantwortungsbereich des Antragstellers liegenden Mangel der Bearbeitungseignung. Maßgeblich dafür ist, dass die vom Antragsteller übersandten Dokumente nicht mit einem Kennwort zum Öffnen oder schädlicher Software versehen waren oder bei ihnen die Möglichkeit des Kopierens ausgeschlossen wurde. Die vom Landgericht beschriebenen Probleme beim Einfügen in ein Drittdokument sind vielmehr vergleichbar mit einem im internen Gerichtsbetrieb auftretenden Fehler, der nicht zur Unwirksamkeit der Einreichung führt.

b) Darauf kommt es jedoch nicht streitentscheidend an, da es sich jedenfalls bei dem vom Landgericht gerügten Formmangel nicht um einen Verstoß handelt, der – auch vor dem Hintergrund der mit Wirkung zum 01.01.2022 erfolgten Gesetzesänderung – zur Formunwirksamkeit der Anträge führt. Denn die Möglichkeit der Weiterverarbeitung von kopierten Dokumenten soll lediglich einen bestimmten Bearbeitungskomfort sicherstellen, steht aber nicht der Lesbarkeit und Bearbeitbarkeit als solches entgegen. Für Letzteres ist ausreichend, dass sich die Dateien – wie vorliegend unstreitig gegeben – öffnen und lesen lassen, der elektronischen Akte hinzugefügt werden können und nicht schadcodebelastet sind. Folgerichtig bestätigte – wie durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht – der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts nach telefonischer Nachfrage vom 26.11.2021 dem Antragsteller die Bearbeitbarkeit der versandten Unterlagen. Vor diesem Hintergrund wäre die Zurückweisung des Antrags als unzulässig wegen der Formvorschrift des § 130a Abs. 2 ZPO eine Missachtung der Verfassungsrechtsprechung, die es verbietet, den Zugang zu Gericht durch Anforderungen des formellen Rechts unverhältnismäßig zu erschweren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.10.2004 – 1 BvR 894/04, NJW 2005, 814).“

Haft II: Menschenunwürdige Haft in Albanien, oder: Wird deshalb die nationale Haft unverhältnismäßig?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann vom OLG Nürnberg. Das hat im OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.11.2021 – Ws 1069-1070/21 – zur Verhältnismäßigkeit von U-Haft bzw. eines nationalen Haftbefehls Stellung genommen, wenn sich der Beschuldigte im Ausland in Auslieferungshaft befindet.

Gegen den Beschuldigten besteht ein Haftbefehl des AG, der Grundlage eines am 06.05.2021 erlassenen Europäischen Haftbefehls ist. Der Beschuldigte wurde am 04.06.2021 in Albanien festgenommen und befindet sich dort aufgrund des gestellten Auslieferungsersuchens in Auslieferungshaft, nach Angaben seines Verteidigers in der Haftanstalt K.

Gegen den Haftbefehl des AG hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt, die das LG zurückgewiesen hat. Dagegen die weitere Beschwerde des Beschuldigten, diedas OLG zurückgewiesen hat.

Vorab: Es handelt sich um einen „Encrochat“-Fall. Die Ausführungen des OLg zum Beweisverwertungsverbot schenke ich mir hier.Das OLG führt dazu auch nicht selbständig aus, sondern verweist nur auf die Rechtsprechung der anderen OLG, die alle die gewonnenen Erkenntnisse für verwertbar halten.

Zur Verhältnismäßigkeit der Haft stellt das OLG dann fest:

„Die vom Beschuldigten im Schreiben seines Verteidigers vom 11.10.2021 vorgebrachten Haftbedingungen in der albanischen Haftanstalt K. führen nicht zur Unverhältnismäßigkeit der angeordneten Untersuchungshaft.

(1.)   Derzeit wird die Untersuchungshaft nicht vollzogen. Grundlage des derzeitigen Freiheitsentzugs ist die Anordnung der Auslieferungshaft in Albanien Einwendungen gegen den Vollzug der Auslieferungshaft sind im ersuchten Staat geltend zu machen.

Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 25. März 1981 – 2 BvR 1258/79 –, BVerfGE 57, 9-28) führt dazu aus, dass das Auslieferungsersuchen weder unmittelbar noch mittelbar einen der Bundesrepublik Deutschland zurechenbaren Eingriff in die Freiheit des Beschwerdeführers darstellt. Es ist eine innerstaatliche Angelegenheit des ersuchten Staates, ob und unter welchen Voraussetzungen er die betroffene Person zum Zwecke der Auslieferung in Haft nimmt. Auch die Art. 16 Abs. 1 und Art. 22 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens enthalten keine Beschränkungen des Rechts des ersuchten Staates, die Voraussetzungen einer Auslieferungshaft und den Umfang der Prüfung dieser Voraussetzungen durch seine Behörden zu regeln. Nach diesen Vorschriften entscheiden die zuständigen Behörden des ersuchten Staates über ein Ersuchen um vorläufige Verhaftung nach dessen Recht. Soweit in diesem Übereinkommen nichts anderes vereinbart ist, findet auf das Verfahren der Auslieferung ausschließlich das Recht des ersuchten Staates Anwendung.

(2.)   Aus der Andeutung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.), dass diese Frage anders zu beurteilen sein könnte, wenn infolge des deutschen Auslieferungsersuchens eine Behandlung der betroffenen Person durch den ersuchten Staat zu gewärtigen wäre, die den völkerrechtlich verbindlichen menschenrechtlichen Mindeststandard unterschreitet, ergibt sich nichts anderes. Die im dortigen Verfahren erhobene Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt, mit dem ein Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23ff GVG gegen das gestellte Auslieferungsersuchen als unzulässig verworfen worden war. Die Frage, ob Haftbedingungen im ersuchten Staat zu prüfen sind, wurde vom Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung aufgeworfen, ob der Beschwerdeführer durch das Auslieferungsersuchen unmittelbar in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt worden sein kann. Die Verhältnismäßigkeit des dem Ersuchen zu Grunde liegenden Haftbefehls war nicht Gegenstand der Entscheidung.

Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts betreffen somit nur das Auslieferungsersuchen, nicht aber den dem Ersuchen zu Grunde liegenden nationalen Haftbefehl. Damit kann der Einwand menschenunwürdiger Haftbedingungen in der Einlieferungshaft nicht im Beschwerdeverfahren gegen den Haftbefehl geprüft werden.

Müsste ein Haftbefehl aufgrund menschenunwürdiger Haftbedingungen im ersuchten Staat aufgehoben werden, entfiele damit auch die Fahndung im Inland und in den Ländern, für die keine Zweifel an der Einhaltung der Mindeststandards bei Inhaftierungen bestehen. Der Beschuldigte hätte es damit in der Hand, sich durch eine Flucht in einen entsprechenden Staat dem Strafverfahren dauerhaft zu entziehen und sich weiter frei bewegen zu können.“