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Nochmals: Einfache Signatur des Einzelanwalts, oder: Namenswiedergabe am Ende des Textes erforderlich

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Und dann im zweiten Posting noch einmal/mal wieder elektronisches Dokument/beA, und zwar das OLG Celle, Urt. v. 08.04.2024 – 6 U 28/23. Das OLG nimmt noch einmal Stellung zu den Formerfordernissen an das elektronische Dokument bei Einlegung einer Berufung.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Zahlung von Werklohn und Mietzins geltend. Das LG hat die Beklagte mit am 10.05.2023 verkündeten Urteil teilweise zur Zahlung verurteilt. Gegen das ihr am 11.05.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09.06.2023 Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift ist als elektronisches, über das besondere elektronische Anwaltspostfach des Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermitteltes Dokument beim OLG eingegangen. Die Berufungsschrift enthält den Briefkopf des als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten. Sie endet mit dem maschinenschriftlichen Text

Beglaubigte und einfache Abschrift anbei

Rechtsanwalt“.

Die Beklagte die Berufung begründet. Das OLG hat, nachdem der Senatsvorsitzende vor der mündlichen Verhandlung den Hinweis erteilt hat, dass Zweifel an der formgerechten Einlegung der Berufung bestünden, die Berufung als unzulässig verworfen:

„Die Berufung war als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht in der erforderlichen Form bei dem Berufungsgericht eingelegt worden ist (§ 522 Abs. 1 S. 1, 2 ZPO).

Die Berufungsschrift vom 7. Juni 2023 ist über das besondere Anwaltspostfach, also auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO), verschickt worden. In diesen Fällen muss das elektronische Dokument gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO von der verantwortenden Person signiert worden sein. Die einfache Signatur meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise durch einen maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift (BGH, XII ZB 215/22, Beschluss vom 7. September 2022; III ZB 4/23, Beschluss vom 30. November 2023, je zit. nach juris).

Die hier eingegangene Berufungsschrift weist am Ende lediglich das Wort „Rechtsanwalt“ aus, ein Name fehlt. Allein mit dieser Bezeichnung lässt sich der Schriftsatz keiner bestimmten Person zuordnen, die Verantwortung für seinen Inhalt übernommen hat. Eine eindeutige Zuordnung wird auch nicht dadurch hergestellt, dass im Briefkopf der Kanzlei nur ein Rechtsanwalt genannt ist. Denn dies schließt nicht aus, dass ein im Briefkopf nicht aufgeführter Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat (s. z. B. BGH, XII ZB 215/22, Beschluss vom 7. September 2022, Rn. 12 a. E. bei juris: „Die Beschwerdeschrift endet nur mit der Bezeichnung „Rechtsanwältin“ ohne weitere Namensangabe. Allein mit dieser Bezeichnung lässt sich der Schriftsatz keiner bestimmten Person zuordnen, die Verantwortung für seinen Inhalt übernommen hat. Eine eindeutige Zuordnung wird auch nicht dadurch hergestellt, dass im Briefkopf der Kanzlei nur eine einzige Rechtsanwältin neben anderen männlichen Rechtsanwälten aufgeführt ist. Denn dies schließt nicht aus, dass eine im Briefkopf nicht aufgeführte Rechtsanwältin die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat“; außerdem BGH, III ZB 4/23, Beschluss vom 30. November 2023, Rn. 10 bei juris).“

Die Entscheidung liegt auf der Linie der dazu bisher vorliegenden Rechtsprechung. Das OLG hat die Revision auch nicht zugelassen. Es hat die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO verneint.

StGB III: „Hitlergruß“ gegenüber Wachtmeister des AG, oder: Schutzzweck des § 86a StGB verletzt?

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Und dann habe ich hier noch einmal den OLG Celle, Beschl. v. 22.11.2023 -1 ORs 7/23 -, über den ich bereits einmal berichtet habe, und zwar hier: StGB II: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, oder: „öffentlich“ oder „nicht öffentlich“?

Ich komme heute auf die Entscheidung zurück, und zwar wegen eines zweiten Tatvorwurfs, der dem Angeklagten gemacht worden ist. Dem liegt/lag folgendes Tatgeschehen zugrunde:

„Am 14. Dezember 2021 begab sich der Angeklagte zu einer familiengerichtlichen Anhörung betreffend seinen Sohn zum Amtsgericht Cuxhaven. Aufgrund der dort geltenden 3-G-Regelung – welche er nicht erfüllte – wurde ihm jedoch der Zugang verwehrt. Auf den Vorschlag des Wachtmeisters S., noch einen Test zu absolvieren, ging er nicht ein, sondern echauffierte sich und rief u.a. „Schweine! Kackdemokratie!“ Dann machte er in Richtung der Sicherheitsscheibe und der dort anwesenden Wachtmeister den Hitlergruß und rief laut „Heil Hitler!“, bevor er das Gebäude verließ.“

Das AG hat den Angeklagten deswegen wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt (§ 86a StGB). Das OLG hat auch insowiet aufgehoben:

2. Auch im Hinblick auf das Tatgeschehen am 14. Dezember 2021 lassen die dazu getroffenen Feststellungen eine Subsumtion unter die Strafvorschrift des § 86a Abs. 1 StGB nicht zu.

a) Zunächst hätte sich das Landgericht vorliegend mit dem Kontext, in dem der Angeklagte die festgestellten Handlungen vollzogen hat, auseinandersetzen müssen. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Kennzeichenverwendung, die dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft, aus dem Tatbestand ausgeschlossen (BGH, Urt. v. 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15, NJW 2015, 3590, 3592 mwN); dies ist etwa der Fall, wenn sie als Protest gegen überzogene polizeiliche Maßnahmen und deren Charakterisierung als nazistische Methoden aufzufassen und damit als Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu verstehen ist (BGH, Urt. v. 18. Oktober 1972 – 3 StR 1/71, NJW 1971, 106, 107; ähnlich OLG Oldenburg, Beschl. v. 28. November 1985 – Ss 575/85, NStZ 1986, 166; OLG Koblenz, Beschl. v. 28. Januar 2008 – 1 Ss 331/07, juris Rn. 11). Dies muss der Täter jedoch in offenkundiger und eindeutiger Weise zum Ausdruck bringen (BGH, Urt. v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, NJW 2007, 1602 f.; vgl. auch BeckOK/Ellbogen, StGB, 58. Ed., § 86a Rn. 35), was nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist (MK/Anstötz, StGB, 4. Aufl., § 86a Rn. 20).

Unter dem danach maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt, ob die Kennzeichenverwendung durch den Angeklagten dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft, hat die Strafkammer die einzelnen Umstände der Tat nicht untersucht. Dabei lag es nach dem Kontext, in dem der Angeklagte sich wie festgestellt verhielt – er konnte aufgrund der bestehenden 3-G-Regel nicht an einem ihn betreffenden familiengerichtlichen Termin teilnehmen – sowie seiner allgemeinen politischen Einstellung – er war Kritiker der Coronamaßnahmen und nahm an entsprechenden Kundgebungen teil („Sonntagsspaziergang“) – durchaus nahe, dass er dadurch seinen Protest gegen die Wachtmeister des Amtsgerichts bzw. die Verantwortlichen für die geltenden Coronaregeln zum Ausdruck bringen und diese als nazistische Methoden brandmarken wollte.

Ob dies ggf. auch für objektive Beobachter eindeutig erkennbar war, kann nur aus den näheren Begleitumständen gefolgert werden. Feststellungen hierzu und zu einer für die Bewertung ebenfalls bedeutsamen möglichen Reaktion von Beobachtern fehlen aber bislang.

b) Auch zur Frage der „öffentlichen“ Kennzeichenverwendung fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Die öffentliche Verwendung setzt voraus, dass das Kennzeichen für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis von jedenfalls drei Personen wahrgenommen werden kann; auf die tatsächliche Wahrnehmung kommt es dabei nicht an (vgl. BGH, Beschl. v. 19. August 2014 – 3 StR 88/14, NStZ 2015, 81, 83 mwN; Senat, Urt. v. 10. Mai 1994 – 1 Ss 71/94, NStZ 1994, 440). Keine Öffentlichkeit soll danach etwa beim Gebrauch gegenüber einem einzelnen oder wenigen Polizeibeamten bestehen; mitunter wird sogar ein nicht überschaubarer Personenkreis für erforderlich gehalten (vgl. BGH Beschl. v. 10. August 2010 – 3 StR 286/10, BeckRS 2010, 21238).

Daran gemessen genügen die Feststellungen in dem angegriffenen Urteil nicht, um von einer Öffentlichkeit im oben genannten Sinn ausgehen zu können. Den Feststellungen lässt sich lediglich entnehmen, dass sich die fragliche Szene im Eingangsbereich des Amtsgerichts Cuxhaven abgespielt hat und dass mehr als ein Wachtmeister anwesend war. Um wie viele es sich dabei genau handelte und ob ggf. noch weitere Personen anwesend waren, wird nicht mitgeteilt.“

StGB II: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, oder: „öffentlich“ oder „nicht öffentlich“?

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Im zweiten Posting stelle ich heute dann den OLG Celle, Beschl. v. 22.11.2023 – 1 ORs 7/23 – vor. Der behandelt mehrere Fragen. Hier geht es um die Verurteilung des Angeklagten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB).

Das LG hatte dazu folgende Feststellungen getroffen:

„Am 18. April 2021 lief der Angeklagte mit aktivierter Videofunktion an seinem Handy durch die Innenstadt von C. Dabei traf er auf KHK H.; da dieser zwar im Dienst, jedoch zivil gekleidet war, hielt der Angeklagte ihn für einen Journalisten. Der Angeklagte suchte das Gespräch mit KHK H., wobei er dessen Frage, ob der Angeklagte das Gespräch aufzeichne, wahrheitswidrig verneinte. Tatsächlich filmte der Angeklagte den Boden und nahm den Ton auf. Später überspielte er die Datei von dem Handy auf sein Notebook, wo sie im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung entdeckt wurde. KHK H. hat Strafantrag gestellt.“

Das genügt dem OLG nicht für die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 201 StGB:

„1. Im Hinblick auf das Tatgeschehen am 18. April 2021 wird die Annahme, der Angeklagte habe sich durch das festgestellte Verhalten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB strafbar gemacht, von den dazu getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Nichtöffentlich im Sinne der Vorschrift ist das gesprochene Wort, wenn es weder für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten noch für einen bestimmten, aber innerlich nicht durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis ohne weiteres wahrnehmbar ist (vgl. Graf/Jäger/Wittig/Valerius, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 201 StGB Rn. 7; NK/Kargl, StGB, 6. Aufl., § 201 Rn. 8; jew. mwN). Darauf, ob die Worte privaten oder dienstlichen Charakter hatten, kommt es nicht an (aaO; ebenso Ullenboom, NJW 2020, 3108, 3109). Maßgeblich für die Frage der Nichtöffentlichkeit sind der Wille des Sprechers sowie die objektiven Umstände (Graf/Jäger/Wittig/Valerius aaO Rn. 9; NK/Kargl aaO; Ullenboom aaO; LK/Hilgendorf, StGB, 13. Aufl., § 201 Rn. 9). Wegen der Berücksichtigung objektiver Umstände liegt keine Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes vor, wenn nach den Umständen erkennbar ist, dass Dritte den Wortbeitrag zur Kenntnis nehmen können und somit eine sog. „faktische Öffentlichkeit“ besteht (Graf/Jäger/Wittig/Valerius aaO Rn. 10; vgl. auch NK/Kargl aaO).

Umstritten ist, wie Wortwechsel zwischen Polizeibeamten und Privatpersonen im Zusammenhang mit Demonstrationen/Versammlungen unter freiem Himmel einzuordnen sind; gleiches gilt für Äußerungen in belebter Umgebung (vgl. etwa MK/Graf, StGB, 4. Aufl., § 201 Rn. 18 (Straßen und Plätze); LG Kassel, Beschl. v. 9. August 2019 – 273 Gs 2138/19, BeckRS 2019, 38252 (Hauptbahnhof)).

Nach der Auffassung des Landgerichts München ist maßgeblich, ob die Worte nur an eine Person gerichtet gewesen seien; in diesem Fall sind die Worte im Sinne der Vorschrift nicht öffentlich gesprochen. Dann sollen auch weitere Mithörende keine Rolle spielen (Urt. v. 29. August 2018 – 845 Cs 116 Js 165870/17, Beck RS 2019, 22586 Rn. 20).

Richtigerweise aber sind Worte im Sinne der Vorschrift öffentlich gesprochen, wenn sich ein Polizeibeamter bei einer Versammlung unter freiem Himmel an eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis wendet, weil der Beamte nach den objektiv gegebenen Umständen nicht sicherstellen kann, dass seine Äußerung nicht durch umstehende Teilnehmer oder Passanten wahrgenommen wird (so auch die ganz überwiegende Ansicht: NK/Kargl aaO Rn. 9; Ullenboom, NJW 2020, 3108, 3110; Reuschel, NJW 2021, 17, 18; MK/Graf aaO Rn. 18; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 201 Rn. 9; Kudlich, JA 2023, 342 ff. Anm. zu OLG Düsseldorf, Urt. v. 4. November 2022 – 3 RVs 28/22; Kienzerle, FD-StrafR 2022, 446742 Anm. zu LG Hamburg, Beschl. v. 21. Dezember 2021 – 610 Qs 37/21; LG Osnabrück, Beschl. v. 24. September 2021 – 10 Qs 49/21, FD-StrafR 2021, 442512; LG Kassel, Beschl. v. 9. August 2019 – 273 Gs 2138/19 aaO Rn. 7 ff.).

Das folgt aus dem Schutzzweck der Norm, das unbefangene Wort dann besonders zu schützen, wenn der Sprechende keinen Anlass zu sehen braucht, im Hinblick auf die Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt zu wahren (vgl. LK/Hilgendorf aaO Rn. 10). Denn wenn sich der Sprecher darüber bewusst ist, dass seine Worte ohnehin von Dritten ohne besondere Bemühungen mitgehört werden können und er die Reichweite seiner Worte nicht unter Kontrolle behalten kann, ist eine unbefangene Äußerung regelmäßig nicht möglich (Ullenboom, NJW 2020, 3108, 3110). Für das maßgebliche Vorstellungsbild des Sprechers sind dabei auch die äußeren Umstände von Belang (LK/Hilgendorf aaO).

Daran gemessen genügen die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil nicht, um von „nichtöffentlich“ gesprochenen Worten ausgehen zu können. Vielmehr lassen die mitgeteilten Umstände – das Gespräch erfolgte in der Innenstadt von Cuxhaven im Umfeld eines sog. „Sonntagsspaziergangs“ – eine Mithörmöglichkeit für andere naheliegend erscheinen. Um dies abschließend beurteilen zu können, bedarf es genauerer Feststellungen zu der Gesprächssituation.

In diesem Zusammenhang weist der Senat für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass in der Verweisung auf eine Videosequenz, die sich auf einem elektronischen Speichermedium befindet, keine wirksame Bezugnahme gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO liegt (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 7. April 2022 – 2 Ss (OWi) 39/22, BeckRS 2022 35445 Rn. 6 f. mwN). Sollte das Landgericht anhand der neu getroffenen Feststellungen erneut zu einer Annahme von § 201 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB gelangen, wird ferner im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sein, dass mit dem schlichten einmaligen Kopieren einer Datei – das heutzutage üblicherweise außerhalb eines Wiedergabeprogramms erfolgt (vgl. MK/Graf aaO Rn. 26) – jedenfalls keine signifikante Vertiefung der Rechtsgutsverletzung verbunden ist.“

Wegen der anderen Fragen „ordne“ ich das Selbstleseverfahren an 🙂 .

Vollstreckung III: Anhörung durch Bild-Tonübertragung, oder: Unanfechtbarkeit der Anordnung

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Und dann als dritte Entscheidung heute noch der OLG Celle, Beschl. v. 23.02.2024 – 2 Ws 36/24 -, und zwar auch noch einmal aus dem Strafvollstreckungsverfahren.

Der Verurteilte ist durch Urteil des LG 2014 wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden. Zwei Drittel der Strafe waren am 29.10.2021 vollstreckt, das Strafende ist auf den 29.10.2025 notiert.

Nachdem der Verurteilte in der Vergangenheit bereits mehrfach seine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft beantragt hatte, was von der zuständigen StVK jeweils abgelehnt worden war, beantragte er am 06.12.2023 erneut, die Vollstreckung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen. Hierzu teilte er unter dem 29.12.2023 ergänzend mit, dass er mit einer mündlichen Anhörung im Wege der Bild- und Tonübertragung „per Skype“ nicht einverstanden sei.

Mit Beschluss vom 31.01.2024 entschied die StVK, dass die mündliche Anhörung des Verurteilten gemäß § 463e Abs. 1 S. 1 StPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführt werden solle.

Hiergegen wandte sich der Verurteilte mit seiner Beschwerde, mit der er die Aufhebung des Beschlusses vom 31.01.2024 und die Anberaumung eines mündlichen Anhörungstermins bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit beantragte. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

„Die Beschwerde ist unzulässig. Denn die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nach § 463e Abs. 1 S. 1 StPO, die mündliche Anhörung des Verurteilten nach § 454 Abs. 1 S. 1 StPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchzuführen, ist unanfechtbar.

Die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die von der Strafvollstreckungskammer gemäß § 463e Abs. 1 S. 1 StPO getroffene Entscheidung folgt nicht aus § 304 StPO. Denn es handelt sich hierbei weder um eine Entscheidung im ersten Rechtszug noch im Berufungsverfahren, gegen die die Beschwerde grundsätzlich statthaft ist, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich der Anfechtung entzieht. Vielmehr handelt es um eine Entscheidung im Bereich der Strafvollstreckung, für den hinsichtlich der Anfechtbarkeit gerichtlicher Entscheidungen das sogenannte Enumerationsprinzip gilt. Hiernach sind Vollstreckungsentscheidungen nur in den Fällen einer Anfechtung zugänglich, in denen der Gesetzgeber ein Rechtsmittel ausdrücklich zur Verfügung stellt (OLG Hamm, Beschluss vom 25.04.1989, Az. 1 Ws 123/89; OLG Nürnberg, Beschluss vom 19.12.2001, 1 Ws 1418/01). Da ein Rechtsmittel gegen die Anordnung nach § 463e StPO vom Gesetz nicht vorgesehen ist, ist diese bereits aufgrund des Enumerationsprinzips einer isolierten Anfechtung entzogen (BeckOK StPO/Coen, 50. Ed., 01.01.2024, StPO, § 463e, Rn. 21; Gercke/Temming/Zöller/Pollähne, StPO, 7. Auflage, 2023, § 463e StPO, Rn. 9; Frommeyer in StraFo 2022, 96ff. (98)). Aufgrund dessen bedurfte es zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung nach § 463e StPO auch keiner ausdrücklichen Regelung, wie sie etwa in § 247a StPO für die Anordnung der audiovisuellen Vernehmung von Zeugen in der Hauptverhandlung vorgesehen ist.

Im Übrigen handelt es sich bei der Anordnung gemäß § 463e Abs. 1 S. 1 StPO um keine endgültige Entscheidung des Gerichts, sondern lediglich um eine den Beschluss der Strafvollstreckungskammer nach § 57 StGB vorbereitende Entscheidung. Auch unter diesem Gesichtspunkt unterliegt die Entscheidung nach § 463e StPO nicht der Anfechtung, denn die Entscheidung nach § 57 StGB vorbereitende Entscheidungen sind in entsprechender Anwendung des § 305 S. 1 StPO unanfechtbar (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, 2023, § 454, Rn. 43; KG, Beschluss vom 29.03.2001, Az. 5 Ws 145/01 Vollz; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.06.1999, Az. 1 Ws 499/99; OLG Hamm, Beschluss vom 16.10.1986, Az. 3 Ws 425/86). Zwar gilt § 305 S. 1 StPO seinem Wortlaut nach nur für Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen. Der gesetzgeberische Grundgedanke dieser Bestimmung, dass Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem nachfolgenden Urteil stehen, bei dessen Erlass nochmal überprüft werden und deshalb mit dem Rechtsmittel gegen das Urteil selbst und nicht selbständig angefochten werden sollen, um dadurch eintretende Verfahrensverzögerungen zu verhindern (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, 2023, § 305, Rn. 1; Löwe-Rosenberg/Matt, StPO, 26. Auflage, 2014, § 305, Rn. 1), gilt jedoch auch für das Verfahren nach § 57 StGB vor der erkennenden Strafvollstreckungskammer. Denn durch eine zulässige Anfechtung der vorbereitenden Entscheidungen würde die Schlussentscheidung nach § 57 StGB, mit der auch die Vorentscheidungen und ihre Auswirkungen überprüfbar sind, unnötig hinausgezögert. Zudem soll es der Strafvollstreckungskammer im Rahmen ihrer Verpflichtung, die für ihre Entscheidung bedeutenden Umstände zu ermitteln, unbenommen bleiben, dies vor ihrer Entscheidung ohne Eingriff der Rechtsmittelinstanz zu tun (vgl. OLG Hamm, a. a. O.). Im Falle einer den Verurteilten benachteiligenden ermessenfehlerhaften Anordnung der mündlichen Anhörung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 463e StPO bleibt diese schließlich dadurch gerichtlich nachprüfbar, dass der Verurteilte etwaige Anhörungsmängel im Rahmen der sofortigen Beschwerde nach § 454 Abs. 3 S. 1 StPO gegen die gemäß § 57 StGB ergehende Entscheidung gelten machen kann. Auch ein den in § 305 S. 2 StPO genannten Fällen entsprechender Ausnahmefall, in dem die Beschwerde gegen eine vorbereitende Entscheidung ausnahmsweise zulässig wäre, liegt im Falle der Anordnung nach § 463e Abs. 1 S. 1 StPO nicht vor.“

StPO I: Fehlt die Umgrenzungsfunktion der Anklage?, oder: Sammlermünzen als Objekt der Geldfälschung?

entnommen der Hompage des Bundesverwaltungsamtes

Und heute dann auch noch einmal StPO-Entscheidungen, heute dann aber „bunt“ gemischt.

Ich beginne mit einem schon etwas älteren Beschluss des OLG Celle, der sich zur Nichteröffnung des Hauptverfahrens äußert, wenn eine (vermeintlich) mangelhafte Anklage vorliegt.

Die StA wirft den Angeschuldigten mit ihrer Anklage vor, sich in der Zeit vom 07.11.2018 bis zum 30.09.2020 wegen gemeinschaftlich begangener Geldfälschung (§§ 146 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2 StGB) strafbar gemacht zu haben. Konkret wird den Angeschuldigten zur Last gelegt, als Geschäftsführer der B. V. GmbH die Herstellung und den Vertrieb von 750 Exemplaren eines Metallstücks mit der Prägung „250. Geburtstag Alexander von Humboldt“ veranlasst zu haben, wobei das Metallstück durch seine optische Gestaltung den Eindruck erweckt habe, dass es sich um von einer staatlichen Prägeanstalt herausgegebenes Münzgeld in Form einer Gedenk- und Sammelmünze handele, die im Zahlungsverkehr auch Zahlungsmittelfunktion erfülle.

Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Seine Entscheidung hat das LG damit begründet, dass ein hinreichender Verdacht wegen Geldfälschung nicht bestehe, weil das in der Anklage beschriebene Metallstück nicht geeignet sei, mit echtem Geld verwechselt zu werden, und sich zudem das Vorliegen des subjektiven Tatbestands nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen lassen werde. Die Frage, ob die Anklageschrift unwirksam sei, weil der in ihr dargestellte Sachverhalt nicht alle gesetzlichen Merkmale des angeklagten Tatbestandes, nämlich keine näheren Angaben zu einem gemeinsamen Tatentschluss bzw. einem arbeitsteiligen Vorgehen der Angeschuldigten, enthalte, hat das LG ausdrücklich dahinstehen lassen.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der StA. Sie macht insbesondere geltend, dass wegen der zentral auf dem Revers aufgebrachten Zahl „20“, die der Höhe des Verkaufspreises entspreche, und der weiteren Symbole und Beschriftungen „Adler, Deutschland, Europa, etc“, die in keinem Zusammenhang zu dem Medaillenthema ständen, die Gefahr der Verwechslung mit Sammlermünzen bestehe.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Das OLG hat es mit dem OLG Celle, Beschl. v. 07.08.2023 – 3 Ws 81/23 – zurückgewiesen:

„Die statthafte und zulässig erhobene (§§ 210 Abs. 2, 311 StPO) sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

Das Landgericht hat gemäß § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens mit Recht abgelehnt, weil nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens die Angeschuldigten einer Straftat nicht hinreichend verdächtig sind. Hinreichender Tatverdacht besteht bei vorläufiger Tatbewertung nur dann, wenn die Verurteilung der oder des Angeschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 203 Rn. 2 mwN). Das ist hier nicht der Fall.

Das Beschwerdevorbringen greift demgegenüber nicht durch.

1. Dabei war es dem Landgericht im vorliegenden Fall nicht verwehrt, trotz der erkannten Lücken in der Sachverhaltsdarstellung der Anklage den hinreichenden Tatverdacht zu verneinen. Zwar muss zur Wahrung der Umgrenzungsfunktion bei einem – wie hier – gegen mehrere Angeschuldigte gerichteten Vorwurf der gemeinschaftlichen Begehungsweise anhand der Anklage erkennbar sein, welcher individuelle Tatbeitrag dem einzelnen Angeschuldigten vorgeworfen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 1986 – 1 StR 646/85, NStZ 1986, 329; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NJW 2010, 308). Zudem scheidet bei fehlender Wahrung der Umgrenzungsfunktion der Anklage die Prüfung des Vorliegens eines hinreichenden Tatverdachts grundsätzlich aus, weil es insoweit an der erforderlichen Grundlage für die Prüfung fehlt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. Juni 2020 – 2 Ws 63/20). Im vorliegenden Fall besteht jedoch die Besonderheit, dass der Anklagevorwurf mit der Beschaffenheit eines bestimmten Tatobjekts – nämlich der Einordnung der in der Anklage beschriebenen 750 Metallstücke als Falschgeld – steht und fällt. Da diese Beschaffenheit gänzlich unabhängig von den Tatbeiträgen der Angeschuldigten zu beurteilen ist, fehlt es insoweit nicht an der notwendigen Prüfungsgrundlage für den hinreichenden Tatverdacht.

2. Das Landgericht hat aus zutreffenden Gründen, die der Senat sich in vollem Umfang zu eigen macht und auch seiner Entscheidung zugrunde legt, darauf erkannt, dass es sich bei den in der Anklage beschriebenen Metallstücken nicht um Falschgeld handelt…..“

Insoweit verweise ich dann auf die Leitsätze des OLG, die lauten:

    1. …….
    2. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass Sammlermünzen nicht als Tatobjekte der Geldfälschung (§ 146 StGB) in Betracht kommen, weil sie trotz ihrer Anerkennung als gesetzliche Zahlungsmittel zum Umlauf im öffentlichen Zahlungsverkehr weder bestimmt noch geeignet sind und daher die herkömmliche Definition von „Falschgeld“ auf sie nicht anwendbar ist.
    3. Sieht man Sammlermünzen als taugliche Tatobjekte der Geldfälschung an, so ist als Vergleichsmaßstab nicht der „gewöhnliche Zahlungsverkehr“, sondern der „gewöhnliche Markt für Sammlermünzen“ heranzuziehen.
    4. Bei der Prüfung, ob Medaillen oder Münzstücke eine Verwechselungsgefahr mit echten Sammlermünzen begründen, kommt den Vorschriften der Medaillenverordnung und der Verordnung (EU) Nr. 651/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Ausgabe von Euro-Münzen (Amtsblatt L 201/135 vom 27. Juni 2012) eine indizielle Bedeutung dahin zu, dass bei deren Einhaltung eine Verwechselungsgefahr regelmäßig zu verneinen ist.