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Fahrtkostenerstattung bei Nutzung einer Dauerkarte des ÖPNV, oder: Klimaschutz

Bild von Markus Distelrath auf Pixabay

Heute ist dann „Gebührenfreitag“, also der Tag der RVG-Entscheidungen und/oder kostenrechtliche Entscheidungen. Dazu zunächst ein Aufruf: In meinem Blogordner hängen leider derzeit keine RVG-Entscheidungen. Also: Ich brauche dringend Material  für die Berichterstattung hier. Daher: Wer (interessante) Entscheidungen hat, sollte die bitte schicken. der Dank der Leser ist ihm gewiss.

Und ich stelle heute dann zunächst einen AG-Beschluss vor. Das AG Marburg hat im AG Marburg, Beschl. v. 13.08.2020 – 71 F 301/19 EASO – zur Frage der Fahrtkostenerstattung bei Nutzung einer Dauerkarte des ÖPNV Stellung genommen. Ein Ergänzungspfleger hatte im Rahmen seiner Vergütungsabrechnung u.a. auch i.H.v. 24,60 € Reisekosten geltend gemacht.  Es ging um die Erstattung von Kosten für Fahrten, welche der Ergänzungspfleger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt hat. Der Ergänzungspfleger nutzt hierfür eine Jahreskarte der 2. Klasse für das gesamte RMV- Gebiet. Die zusätzlichen Wege zu und von den jeweiligen Ein-und Ausstiegshaltestellen legt er mit dem E-Bike oder in Einzelfällen auch mit dem PKW zurück. Hierfür hatte er keinerlei Fahrtkostenerstattung geltend gemacht. Er rechnete jedoch die Fahrten mit Bus und Bahn ab, wobei er jeweils die Kosten zugrundegelegt hat, die bei dem jeweiligen Erwerb eines Einzel -Fahrscheins für die einzelnen Fahrstrecken angefallen wären.

Der Ergänzungspfleger hat dazu erklärt, dass er die Jahreskarte auch privat nutzen könne, dies jedoch nur in einem verschwindend geringen Umfang von unter 5 % tatsächlich tue. Er habe die Jahreskarte tatsächlich allein im Hinblick auf seine berufliche Reisetätigkeit erworben; für die private Nutzung komme eine solche Dauerkarte für ihn nicht in Betracht.

Das AG hat die Kosten festgesetzt:

„Das Gericht schließt sich der Auffassung des Ergänzungspflegers an, wonach ihm die geltend gemachten Kosten nach der von ihm gewählten Abrechnungsmethode zu erstatten sind.

Die anderweitigen Ausführungen der Rechtspflegerin, des Bezirksrevisors sowie der von diesen zitierten Rechtsprechung überzeugen nicht.

Zwar ergibt sich aus § 5 Abs. 1 JVEG, dass nur tatsächlich entstandene Auslagen für die Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs erstattungsfähig sind. Tatsächlich sind dem Ergänzungspfleger, der glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt hat, dass er die entsprechende Jahreskarte der 2. Klasse ausschließlich aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Vormund und Ergänzungspfleger erstanden hat, aber dementsprechend auch Fahrtkosten entstanden.

Dabei spielt es nach Auffassung des Gerichtes keine Rolle, dass die erstandene Jahreskarte daneben auch für private Zwecke genutzt werden kann. Da der Ergänzungspfleger hier nicht mehr abrechnet als an – dann unzweifelhaft von der Staatskasse zu erstattenden – Kosten entstünden, wenn er jeweils Einzelfahrscheine erwerben würde, ergibt sich durch die Möglichkeit der auch privaten Nutzung keinerlei Belastung des Staatshaushaltes. Im Gegenteil ergibt sich hier eine so genannte Win-Win- Situation, indem ein zusätzlicher Anreiz für die Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs auch im Privatbereich für den Ergänzungspfleger gegeben wird. Dies ist genau das Verhalten, das derzeit auch von staatlicher Seite gefördert und unterstützt wird, beispielsweise auch im Land Hessen durch die Aushändigung des so genannten Hessentickets an sämtliche Landesbeamten.

Angesichts der akuten Bedrohung unserer Lebensgrundlagen durch die Klimakatastrophe gebietet die in Art. 2 Abs. 2 GG normierte Pflicht des Staates zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit nach Auffassung des Gerichtes eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 JVEG dahingehend, dass selbstverständlich jegliches Bemühen eines Ergänzungspflegers, wie im vorliegenden Fall möglichst ressourcen- und umweltschonend unterwegs zu sein, honoriert werden sollte, was auch völlig unproblematisch möglich ist, solange dem Staat dadurch keine Mehrkosten entstehen. Letzteres ist hier aber bereits dadurch ausgeschlossen, dass der Ergänzungspfleger nicht etwa anteilig Kosten für seine Jahreskarte verlangt. Denn tatsächlich wäre es praktisch schwierig, den entsprechenden auf die im vorliegenden Verfahren unternommenen Reisen entfallenden Anteil an der gesamten beruflichen Tätigkeit des Ergänzungspflegers konkret zu ermitteln. Obwohl beispielsweise das OLG Koblenz in einem Beschluss vom 25.3.1993 (14 W 73 / 93) auch eine derartige anteilsmäßige Umlage von Kosten auf einzelne Verfahren für möglich gehalten hat, stellt sich dieses Problem im vorliegenden Verfahren aber gar nicht. Denn der Ergänzungspfleger hat die Kosten geltend gemacht, die bei Erwerb von entsprechenden Einzel- Fahrscheinen entstanden wären.

Dies scheint dem Gericht auch die einzig praktikable und dem Ergänzungspfleger zumutbare Form der Abrechnung zu sein.

Hier ist auch Art. 3 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Eine nicht sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung wäre aber gegeben, wenn die hier vom Ergänzungspfleger angewandte Abrechnungsmethode nicht zugelassen würde. Denn dann würde dem Ergänzungspfleger ein völlig unverhältnismäßiger Aufwand zur Darlegung seiner Fahrtkosten zugemutet – er müsste ermitteln und nachweisen, welche Fahrten er insgesamt im ganzen Jahr mit der Jahreskarte getätigt hat und dann den entsprechenden prozentualen Anteil für das jeweilige konkrete Verfahren berechnen –, wohingegen ein PKW- Nutzer gemäß § 5 Abs. 2 JVEG keinerlei Nachweise für konkret angefallene Kosten dieser Nutzung erbringen muss. Ebenso wie es einem PKW-Nutzer, der sich mit einem kostengünstigen und verbrauchsarmen Auto bescheidet und infolge dessen tatsächlich geringere Kosten hat als die ihm zustehende Kilometerpauschale, problemlos zugestanden wird, dass er dementsprechend bei der Fahrtkostenabrechnung ein „gutes Geschäft“ macht, so muss es in gleicher Weise auch für den ökologisch verantwortungsvoll handelnden Ergänzungspfleger möglich sein, konkret Vorteile aus seiner umsichtigen Art der Fortbewegungsplanung zu ziehen. Dem gegenüber würde die hier von der Rechtspflegerin und dem Bezirksrevisor vorgeschlagene völlige Verweigerung der Erstattung von Fahrtkosten eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung und somit einen Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes darstellen. Diese Ungleichbehandlung wäre umso unverständlicher, als die Fortbewegung mit öffentlichen Verkehrsmitteln offenkundig die nachhaltigere und dementsprechend auch förderungswürdigere ist und fraglos auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Dabei ist neben dem finanziellen Aspekt der Jahreskarten-Nutzung auch der damit einhergehende Komfort-Gewinn zu berücksichtigen. Auch insofern ist eine weitestmögliche Gleichbehandlung von Nutzern privater PKWs und Nutzern des ÖPNV herzustellen. Fraglos ist die PkW- Nutzung mit deutlich größerem Komfort und erheblich weniger Aufwand verbunden gegenüber der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Es muss daher dem ÖPNV- Nutzer zumindest zugestanden werden, dass er sich durch die Nutzung einer Jahreskarte den zusätzlichen Zeit- und Nervenaufwand erspart, der mit dem jeweiligen Erwerb eines Einzel-Fahrscheins (und sämtlichen bekannten damit zusammenhängenden Unannehmlichkeiten wie defekten Fahrscheinautomaten, Schlange-Stehen zum Fahrscheinerwerb und ähnliches) verbunden ist.

Die sich bei der von der Rechtspflegerin und dem Bezirksrevisor vorgeschlagenen Sichtweise ergebende Schlechterbehandlung des ÖPNV – Nutzers gegenüber dem PKW- Nutzer lässt sich in keiner Weise sachlich rechtfertigen. Vielmehr ließe sich allenfalls umgekehrt eine den PKW- Nutzer benachteiligende Abrechnungspraxis mit dem Schutz des höherrangigen Rechtsguts des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit auch kommender Generationen begründen, der durch den entsprechenden Anreiz zur Reduzierung des PKW-Verkehrs und die Förderung der lebensnotwendigen Verkehrswende verfolgt würde.

§ 5 Abs. 1 JVEG kann daher nach Auffassung des Gerichtes verfassungskonform nur in der Weise ausgelegt werden, dass ein Ergänzungspfleger, der sich zur Zurücklegung der beruflich veranlassten Fahrstrecken eine Jahreskarte zugelegt hat, dann bei jeder einzelnen beruflichen Nutzung dieser Karte von der Staatskasse die Erstattung der Kosten verlangen kann, die für den entsprechenden Einzelfahrscheinerwerb angefallen wären.

Die Frage der auch privaten Nutzung der Jahreskarte stellt sich dabei aus den genannten Gründen in dieser Fallkonstellation nicht. Anders wäre dies gegebenenfalls zu bewerten, wenn die private Nutzung der Jahreskarte überwiegen würde und diese nur gelegentlich für berufliche Zwecke eingesetzt würde. Nur in diesem Fall würde der Ergänzungspfleger bei der entsprechenden Abrechnungsmethode sozusagen auf Staatskosten seine auch privatgenutzte Jahreskarte teilweise mitfinanzieren. Dem Gericht ist jedoch bekannt, dass der Ergänzungspfleger beruflich Vormundschaften, Verfahrensbeistandschaften und Ergänzungspflegschaften in Mittelhessen sowie auch im Rhein –Main-Gebiet ausübt und so seinen Lebensunterhalt erwirtschaftet. Es ist daher glaubhaft und nachvollziehbar, dass die Jahreskarte für berufliche Zwecke angeschafft wurde und daneben nur in sehr geringem Umfang privat genutzt wird.“

Sicherlich lobenswert, aber ob das so richtig ist, lassen wir mal dahin gestellt.

E-Scooter versus ÖPNV – der Linienbus muss ihn nicht unbedingt mitnehmen.

entnommen wikimedia.org – gemeinfrei

Zu der Thematik, ob E-Scooter in Linienbussen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) befördert werden müssen, hatte ich vor einiger Zeit auf das dazu anhängige Einstweilige Verfügungsverfahren hingewiesen. Jetzt liegt die Entscheidung in der Haupsache, von der die Kieler Verkehrsbetriebe betroffen ist, vor. Das OLG Schleswig, hat im OLG Schleswig, Urt. v.  09.11.2017 2 U 6/16, dass, Busse müssen E-Scooter nur bei Einhaltung der Sicherheitsanforderungen mitgenommen werden müssen. Das LG hatte die Beförderungsverweigerung durch die Kieler Verkehrsbetribe abgesegnt.Das hat beim OLG gehalte – ander noch das OLG in der Eilentscheidung. Der Kläger könne nicht mehr verlangen, dass der Beklagten verboten wird, unterschiedslos alle E-Scooter von der Beförderung auszuschließen. Die Situation habe sich durch den am 15.03.2017 in Kraft getretenen Erlass grundlegend geändert. Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Gefahr eines zukünftigen rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten bestehe nicht. Seit dem 15.03.2017 richte sich die Frage der Rechtmäßigkeit nach den Regelungen des Erlasses. Es bestehe nicht die Befürchtung, dass die Beklagte die Beförderung von E-Scootern nicht nach Maßgabe des Erlasses vornehmen könnte. Die Beklagte habe nicht nur ausdrücklich erklärt, sie werde die E-Scooter entsprechend den Vorgaben des Erlasses befördern. Vielmehr lasse auch ihr gesamtes bisheriges Verhalten keinen Zweifel daran, dass sie sich der bundeseinheitlichen Regelung nicht widersetzen wird. Sie habe die Beförderung von E-Scootern zu keinem Zeitpunkt aus grundsätzlichen Erwägungen heraus abgelehnt, sondern stets im Hinblick auf die bestehende Rechtsunsicherheit und die drohenden Haftungsrisiken. Mit der erlassgemäßen Beförderung sei zugleich gewährleistet, dass die Beklagte die Beförderung von E-Scootern in ihren Bussen nicht unterschiedslos ausschließt.