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StPO III: Unwirksamkeit der öffentlichen Ladung, oder: Übersetzung für Ausländer muss man mit aushängen

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages dann noch der OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.08.2021 – Ws 684/21. Ergangen ist die Entscheidung in einem Haftbeschwerdeverfahren. Erhoben war die Haftbeschwerde gegen einen Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO. Das OLG hat aufgehoben, da der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtige Angeklagte nicht ordnungsgemäß öffentlich geladen worden war.

„Die zulässige Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache Erfolg. Der Haftbefehl ist aufzuheben.

Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO waren vorliegend nicht gegeben.

1. Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO ist – neben der Feststellung, dass der Angeklagte nicht erschienen und sein Ausbleiben nicht entschuldigt ist – eine ordnungsgemäße Ladung gemäß § 216 Abs. 1 StPO mit der Warnung, dass im Falle seines unentschuldigten Ausbleibens seine Verhaftung oder Vorführung erfolgen werde. Zwar gehören Ladungen nach § 187 Abs. 2 GVG in der Regel nicht zu den zu übersetzenden Schriftstücken (OLG Köln, NStZ-RR 2015, 317, beck-online). Bei einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten ist es aber für den Erlass eines Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO erforderlich, bei der Ladung zur Hauptverhandlung jedenfalls die Warnung über die drohenden Maßnahmen im Falle des unentschuldigten Ausbleibens in eine ihm verständliche Sprache zu übersetzen (OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; OLG Bremen, Beschluss vom 28. 4. 2005, Ws 15/05, beck-online; OLG Dresden Beschluss vom 14.11.2007, 1 Ws 288/07, beck-online; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. § 230, Rn 21a, § 216 Rdn. 4; Gmel in KK-StPO, 8. Auflage, § 216 Rn 5, 230 Rn 10).

2. Wird die Ladung öffentlich zugestellt, ist die nach §§ 40 Abs. 1, 37 Abs. 1 StPO, § 186 Abs. 2 ZPO vorzunehmende Benachrichtigung bei einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten auch in einer ihm verständlichen Sprache an der Gerichtstafel auszuhängen.

a) Gemäß §§ 40 Abs. 1, 37 Abs. 1 StPO, § 186 Abs. 2 ZPO ist bei einer öffentlichen Zustellung eine Benachrichtigung an der Gerichtstafel auszuhängen, aus der sich der Name der Person, für die zugestellt werden soll, deren letzte bekannte Anschrift, das Datum, das Aktenzeichen und die Bezeichnung des Prozessgegenstands, vorliegend also eine Ladung zu einem Termin, und die Stelle, an der das Schriftstück eingesehen werden kann, ersichtlich sind. Zudem muss die Benachrichtigung den Hinweis enthalten, dass insoweit Fristen in Gang gesetzt werden können und bei deren Ablauf Rechtsverluste drohen können, sowie bei Ladungen zu einem Termin, dass dessen Versäumung Rechtsnachteile zur Folge haben kann (§ 186 Abs. 2 Satz 5 ZPO). Fehlt dieser Hinweis, ist die Zustellung unwirksam (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. Februar 2007, 4 Ws 391/06, juris).

b) Sinn und Zweck des Aushangs der Benachrichtigung an der Gerichtstafel ist, dass der Zustellungsempfänger erfahren kann, dass ein Schriftstück an ihn zugestellt werden soll, Dritte von dem Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks aber keine Kenntnis erlangen. Zugleich soll er auf Rechtsnachteile bei der Versäumung des Termins hingewiesen werden (vgl. OLG Köln aaO). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll mit dem Verweis auf § 186 ZPO auch in Strafverfahren eine „Prangerwirkung“ durch den Aushang des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen entfallen (Bundestagsdrucksache 15/3482, S. 20).

Damit ein der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtiger Angeklagter bei einer öffentlichen Zustellung Kenntnis davon erlangen kann, dass ihm eine Ladung zu einem Termin zugestellt werden soll, er das zuzustellende Schriftstück einsehen kann und ihm bei unentschuldigtem Fernbleiben zum Termin Rechtsnachteile drohen, also auch ein Haftbefehl ergehen kann, muss die Benachrichtigung gemäß §§ 40 Abs. 1, 37 Abs. 1 StPO, § 186 Abs. 2 Satz 5 ZPO sowohl in deutscher wie in der dem Angeklagten verständlichen Sprache an der Gerichtstafel ausgehängt werden. Nur so wird gewährleistet, dass der Angeklagte von der bei der Ladung zu übersetzenden Warnung über die drohenden Maßnahmen im Falle des unentschuldigten Ausbleibens erfahren kann.

Nicht ausreichend ist, dass die übersetzte Ladung mit der Warnung in der Geschäftsstelle aufliegt und der Angeklagte diese dort einsehen kann, da er aufgrund des fehlenden Hinweises in einer ihm verständlichen Sprache in der ausgehängten Benachrichtigung keinen Anlass hat, dort vorzusprechen.

3. Der Angeklagte verfügt nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, so dass die Benachrichtigung an der Gerichtstafel ausschließlich in deutscher Sprache nicht ausreichend war.

Der Angeklagte pp. ist litauischer Staatsangehöriger. Aus den Akten ergibt sich nicht, dass er der deutschen Sprache soweit mächtig wäre, dass er die Benachrichtigung in deutscher Sprache mit dem Hinweis auf die drohenden Rechtsverluste und Rechtsnachteile bei Versäumung des Termins hätte verstehen können. Bei den Gesprächen des Angeklagten mit seiner vormaligen Verteidigerin und bei seiner Exploration durch den Sachverständigen Lippert wurden Dolmetscher zugezogen. Ebenso bei der Eröffnung des Haftbefehls und der mündlichen Haftprüfung durch das Amtsgericht Nürnberg, sowie bei sämtlichen Hauptverhandlungsterminen vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth.

Die Feststellung im Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.02.2018, dass der Angeklagte zumindest über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt, ändert daran ebenso wenig, wie der Hinweis auf ein am 22.03.2017 eingegangenes handschriftliches Schreiben des Angeklagten (Bl. 1299 d.A.), welches in deutscher Sprache verfasst ist. Es ist gerichtsbekannt, dass für sprachunkundige Gefangene nicht selten Mitgefangene Schreiben erstellen, die vom Absender nur noch unterschrieben werden.“

Zustellung III: Öffentliche Zustellung, oder: Anordnung durch Beschluss, nicht nur durch Verfügung

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Die dritte Entscheidung, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.02.2021 – III-2 RVs 5/21 – befasst sich mit Fragen in Zusammenhang mit der öffentlichen Zustellung.

Der Angeklagte ist vom AG verurteilt worden. Die gegen das Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen, nachdem er in der Berufungshauptverhandlung ohne Entschuldigung ausgeblieben war.  Dagegen der Antrag des Angeklagaten, ihm wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Revision mit dem Antrag wegen Versäumung der einmonatigen Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Begründungsfrist gibt es, die beiden anderen Anträge bleiben ohne Erfolg. Hier nur die Ausführungen des OLG zur öffentlichen Zustellung:

„2. Die mangelnde Antragsbegründung ist allerdings unschädlich, wenn sich ein Wiedereinsetzungsgrund aus aktenkundigen Tatsachen ergibt. Denn aktenkundige Tatsachen brauchen nicht vorgetragen zu werden (vgl. BVerfG NJW 1995, 2544; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142, 143; MüKo-Valerius a.a.O. § 45 Rdn. 5). Der Wille des Angeklagten zur Fortführung des Verfahrens kommt bereits durch den Wiedereinsetzungsantrag, der (hier verspätet) mit anderen Erwägungen begründet wurde, eindeutig zum Ausdruck.

In der Rechtsprechung ist weitgehend anerkannt, dass in entsprechender Anwendung der §§ 329 Abs. 7 Satz 1, 44, 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch demjenigen gewährt werden kann, der nicht wirksam zum Termin der Berufungshauptverhandlung geladen wurde und deshalb zu Unrecht als säumig behandelt worden ist (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 521; OLG Hamburg NStZ-RR 2001, 302; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 8101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 329 Rdn. 41 m.w.N.).

Vorliegend ist zwar anhand der Akten ein Ladungsmangel festzustellen (dazu II.2.a). Dieser Ladungsmangel war jedoch nicht kausal für das Nichterscheinen des Angeklagten (dazu II.2.b), so dass eine Wiedereinsetzung auch unter diesem Gesichtspunkt ausscheidet.

a) Eine ladungsfähige Anschrift des Angeklagten, der nach dem erstinstanzlichen Urteil in die Türkei zurückgekehrt ist, war in dem Berufungsverfahren nicht bekannt. Das Landgericht hat daher die öffentliche Zustellung der Ladung angeordnet (§ 40 Abs. 1 StPO).

Dies ist lediglich in der Weise geschehen, dass die Vorsitzende der Strafkammer in der Ladungsverfügung betreffend den Angeklagten den Zusatz „gegen öffentliche Zustellung“ vermerkt hat. Die Anordnung der öffentlichen Zustellung erfordert indes gemäß § 37 Abs. 1 StPO, § 186 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Gerichtsbeschluss, der – jedenfalls kurz – zu begründen ist. Eine Verfügung des Vorsitzenden genügt nicht und macht die Zustellung unwirksam (vgl. OLG Hamm JMBl NRW 1958, 262; KMR-Ziegler, StPO, 102. Lfg. 2020, § 40 Rdn. 19; KK-Maul a.a.O. § 40 Rdn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 40 Rdn. 6).

b) Ein Ladungsmangel als solcher rechtfertigt jedoch noch nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung. Erforderlich ist darüber hinaus, dass der Ladungsmangel kausal für das Nichterscheinen des Angeklagten war (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 380; NStZ-RR 2009, 314; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 8101; OLG Frankfurt BeckRS 2015, 7902; KG BeckRS 2017, 134409). Der Ladungsmangel muss verhindert haben, dass der erscheinungswillige Angeklagte an der Verhandlung teilnehmen konnte. Es besteht kein Anlass, einem Angeklagten, der ohnehin nicht erscheinen wollte oder sich aus anderen Gründen an der Teilnahme gehindert sah, wegen eines Ladungsmangels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

An der erforderlichen Kausalität fehlt es hier. Der Verteidiger hat zu Beginn der Berufungshauptverhandlung erklärt, dass ihm der Angeklagte mitgeteilt habe, dass er sich noch in der Türkei befinde und heute nicht erscheinen werde. Diese Erklärung des Verteidigers impliziert, dass der Angeklagte – offenbar durch telefonischen Kontakt mit dem Verteidiger – sogar Kenntnis von dem Termin hatte. Der dem Angeklagten nicht bekannte Umstand, dass die öffentliche Zustellung statt durch einen Gerichtsbeschluss lediglich im Rahmen der Ladungsverfügung angeordnet wurde, war jedenfalls nicht ursächlich für sein Nichterscheinen.

Soweit das OLG Köln in einer jüngeren Entscheidung (NStZ-RR 2015, 317) bei einer wirksamen öffentlichen Zustellung nicht tragend als obiter dictum bemerkt hat, dass das Kausalitätserfordernis nicht für den Fall der öffentlichen Zustellung gelte, da ansonsten Ladungsmängel bei dieser Zustellungsform nahezu stets folgenlos blieben, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn das Instrument der Wiedereinsetzung dient nicht einer umfassenden Rechtskontrolle.

Um einen für das Nichterscheinen nicht kausalen Ladungsmangel erfolgreich beanstanden zu können, steht dem Angeklagten das Rechtsmittel der Revision zur Verfügung. Auf eine entsprechende Verfahrensrüge bleibt auch ein solcher Ladungsmangel nicht folgenlos, da ein Verwerfungsurteil, das nur bei ordnungsgemäßer Ladung hätte ergehen dürfen, bei einem Ladungsmangel der Aufhebung unterliegt, ohne dass es auf die Kausalität für das Nichterscheinen des Angeklagten ankommt.“

Im Übrigen: Verteidiger scheint ein „Künstler“ gewesen zu sein. 🙂

Aus der Kiste: Begründung der Verfahrensrüge – Wo wohnt der Angeklagte im Inland?

Aus der Kiste „ausreichende Begründung der Verfahrensrüge“ (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) – ich habe nicht geschrieben „Trickkiste“ 🙂 – stammt der KG, Beschl. v. 05.04.2013 – (4) 161 Ss 78/13 (71/13), der sich u.a. mit den Anforderungen an die Zulässigkeit der Verfahrensrüge befasst, wenn die Unzulässigkeit der öffentlichen Zustellung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung, in der seine Berufung wegen unentschuldigten Ausbleibens verworfen worden ist, gerügt wird. Dazu der KG, Beschl.:

„…Will die Revision die fehlerhafte Ladung rügen, muss sie alle hierfür maßgeblichen Umstände schlüssig vortragen (vgl. KG NStZ 2009, 111; OLG Stuttgart Justiz 2006, 235; OLG Hamm NStZ-RR 2005, 114; Meyer-Goßner aaO). Dazu zählt auch die Anschrift, unter welcher der Angeklagte hätte geladen werden können, wo er also tatsächlich gewohnt hat, sowie  die Umstände, aufgrund derer das Gericht dies hätte erkennen oder ermitteln können (vgl. OLG Düsseldorf VRS 97, 132). Wenn die Ladung durch öffentliche Zustellung nach § 40 Abs. 2 StPO bewirkt worden ist, weil der Angeklagte bereits zu einer früheren Hauptverhandlung geladen werden konnte, muss die Revision den die Unzulässigkeit der öffentlichen Zustellung bewirkenden Umstand mitteilen, dass seine Ladung im Inland hätte bewirkt werden können. Die inländische Anschrift ist anzugeben.

 Diesen Anforderungen genügt die Revision nicht. Der Verteidiger teilt lediglich mit, die Angeklagte sei zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung über die JVA geladen worden und nach der Verurteilung in ihr Heimatland abgeschoben worden. Weiter trägt er vor, die jetzige Wohnanschrift der Angeklagten (offenbar in Rumänien) sei bekannt, ein Versuch, sie hierüber zu laden, sei durch das Landgericht aber nicht unternommen worden.

Die Revision teilt hingegen schon nicht die (ausländische) Anschrift mit, unter der eine Ladung der Angeklagten möglich gewesen wäre. Insbesondere unterlässt sie die Erklärung, unter welcher inländischen Anschrift die Angeklagte hätte geladen werden können. Das wäre erforderlich gewesen, weil die öffentliche Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung nur unzulässig gewesen wäre, wenn sie im Inland hätte bewirkt werden können. Denn die Angeklagte war zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht bereits wirksam über die JVA geladen worden. Nach § 40 Abs. 2 StPO kann der in erster Instanz zur Hauptverhandlung nach allgemeinen Vorschriften geladene Angeklagte durch öffentliche Zustellung geladen werden, wenn er nach Einlegung von Rechtsmitteln ins Ausland übersiedelt oder dorthin zurückkehrt (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 48 mwN). Im diesem Falle erwartet der Gesetzgeber, dass der Betroffene sich um den weiteren Fortgang des Verfahrens kümmert und Vorsorge dafür trifft, dass ihn im Inland zu bewirkende Zustellungen fortan erreichen (vgl. KG aaO; OLG Frankfurt aaO). Dies kann durch die Erteilung einer schriftlichen Ladungsvollmacht nach § 145a Abs. 2 Satz 1 StPO gegenüber dem Verteidiger oder auf andere Weise geschehen (vgl. KG aaO). Die erforderliche Mitteilung einer derartigen inländischen Zustellungsmöglichkeit enthält das Revisionsvorbringen nicht.

Wie gehabt bei der Verfahrensrüge. Da ist also eine Menge zu recherchieren und vorzutragen, will man die Hürde des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO überspringen.