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Unfallschadenregulierung, oder: Zur langen Reparatur, Desinfektionskosten, Probefahrt

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Und als zweites Posting des Tages dann etwas zur Unfallschadenregulierung, und zwar das AG Bautzen, Urt. v. 16.09.2021 – 21 C 570/20. Das verhält sich zum Nutzungsausfall, und zwar zum Mitverschulden bei langer Reparaturdauer, sowie zur Ersatzfähigkeit der Kosten einer Desinfektion, von Fahrzeugreinigung und Probefahrt. Der Sachverhalt und die Begründung des AG ergeben sich aus dem Volltext. Hier stelle ich nur die Leitsätze ein:

1. Begehrt der Geschädigte eines Verkehrsunfalls eine Nutzungsausfallentschädigung, so trifft ihn bei einer ungewöhnlichen langen Reparaturdauer die Obliegenheit, sich nach deren Grund zu erkundigen und auf eine zügige Erledigung des Reparaturauftrages hinzuwirken. Kommt er dieser nicht nach und ist dies für eine verzögerte Reparatur kausal, liegt ein anspruchsminderndes Mitverschulden vor. Der Schädiger trägt die Darlegungs- und Beweislast für eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit und deren Kausalität für den Schaden. Den Geschädigten trifft jedoch eine sekundäre Darlegungslast, der zufolge er vortragen muss, welche Anstrengungen er unternommen hat, um eine zügige Reparatur zu erreichen.

2. Der Schädiger hat die Kosten einer Fahrzeugdesinfektion zu ersetzen, die die Werkstatt zur Vorbeugung gegen eine Coronainfektion nach der Erledigung des Reparaturauftrags vornimmt. Nicht ersatzfähig sind aber die Kosten einer Desinfektion vor Hereinnahme des Fahrzeugs, weil es sich insoweit um eine reine Arbeitsschutzmaßnahme handelt. Auch bei den Kosten einer Fahrzeugreinigung zur Beseitigung reparaturbedingter Verschmutzungen handelt es sich um einen ersatzfähigen Schaden.

„Viel“ Nutzungsausfall, oder: Reparatur hat 159 Tage gedauert

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Und als zweite zivilrechtliche Entscheidung dann das OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.03.2021 – 1 U 77/20.

Es geht um Nutzungsausfall-. Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 11.06.2018 ereignete. Zur Ermittlung der an ihrem Kraftfahrzeug durch den Unfall hervorgerufenen Schäden gab die Klägerin am 29.06.2008 ein Gutachten der DEKRA in Auftrag, welches am 02.07.2018 erstellt und der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 23.07.2018 übersandt wurde. In dem Gutachten wurden Reparaturkosten in Höhe von 10.464,61 netto (12.452,89 Euro brutto), eine Wertminderung in Höhe von 1.400,00 Euro und eine Reparaturzeit von vier Tagen bei einem Nutzungsausfallbetrag von 79,00 Euro pro Tag ausgewiesen. In dem Schreiben vom 23.07.2018 wurden die Bruttoreparaturkosten, die Wertminderung, ein Nutzungsausfallschaden in Höhe von 316,00 Euro (4 Tage x 79,00 Euro), Kosten der Begutachtung in Höhe von 772,55 Euro sowie eine Auslagenpauschale von 40,00 Euro geltend gemacht, mithin ein Gesamtbetrag von 14.981,44 Euro. Hinzu kamen außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro. Mit Schreiben vom 01.08.2018 wies die Beklagte die Ansprüche der Klägerin zurück mit der Begründung, dass nach Angaben des Beifahrers des bei ihr versicherten Fahrzeugs dieses bei gelber Ampelschaltung in den Kreuzungsbereich eingefahren sei, sodass keine Eintrittspflicht bestehe.

Am 09.08.2018 erteilte die Klägerin der Firma M. GmbH einen Reparaturauftrag mit der Maßgabe, dass mit der Reparatur erst nach eindeutiger Klärung der Haftungsfrage begonnen werden solle. Nachdem die Klägerin am 14.08.2018 über die Ordnungsbehörde erfahren hatte, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs seinen Einspruch gegen einen gegen ihn wegen des Unfalls erlassenen Bußgeldbescheid zurückgenommen hatte, wurde am selben Tag mit der Reparatur begonnen. Während der Zeit der Reparatur nutzte die Klägerin einen Pkw X., der jedenfalls auch durch ihren Sohn genutzt wurde. In den Zeiträumen vom 10.09.2018 bis zum 20.09.2018 und vom 15.10.2018 bis zum 05.11.2018, in denen sich der Sohn mit dem Fahrzeug im Urlaub befand, nutzte die Klägerin einen Mietwagen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.01.2019 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die bereits im Schreiben vom 23.07.2018 genannten Forderungen geltend, allerdings mit der Maßgabe, dass nunmehr ein Nutzungsausfall für 159 Tage zu je 79,00 Euro, mithin 12.561,00 Euro, sowie zusätzlich die Erstattung zweier Mietwagenrechnungen in Höhe von zusammen 2.093,59 Euro für die Urlaubszeiträume ihres Sohnes, also 31 Tage, gefordert wurde. Der eingeforderte Gesamtbetrag erhöhte sich dadurch auf 29.283,24 Euro. Anwaltskosten wurde nunmehr in Höhe von 1.358,86 Euro gefordert. Es wurde eine Frist zur Zahlung bis zum 31.01.2019 gesetzt.

Die Beklagte zahlte in der Folge an die Klägerin einen Betrag von 16.707,44 Euro, verweigerte jedoch eine Zahlung auf den Nutzungsausfallanspruch für 159 Tage. Auch Anwaltskosten wurden nicht erstattet. Mit der Klage macht die Klägerin die Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 12.561,00 Euro sowie die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend.

Zur langen Reparaturdauer trägt die Klägerin vor, dass ein Airbag-Modul für die Beifahrerseite längere Zeit nicht geliefert worden sei, ohne dass das Fahrzeug nicht betrieben werden dürfe. Bei Lieferung des Moduls habe sich dann herausgestellt, dass auch der Kabelbaum der Beifahrertür defekt gewesen sei, weswegen dieser habe nachbestellt und eingebaut werden müssen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte beim OLG teilweise Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Verzögerungen bei der Reparatur des unfallbeschädigten Kfz, die nicht vom Geschädigten zu vertreten sind, gehen zu Lasten des Schädigers. Insofern kann von dem Geschädigten eine Nutzungsausfallentschädigung auch für einen längeren Zeitraum (hier: 104 Tage) beansprucht werden.

  2. Hat die Werkstatt die Verzögerung mit Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen (hier: Airbag-Modul für die Beifahrerseite) begründet, trifft den Geschädigten keine dahingehende Schadenminderungspflicht, selbst bei anderen Werkstätten oder bei dem Fahrzeughersteller nach der Verfügbarkeit der Ersatzteile zu forschen. Er darf sich vielmehr grundsätzlich darauf verlassen, dass die von ihm beauftragte Werkstatt sich unter Ausschöpfung aller verfügbaren Möglichkeiten um die zeitnahe Beschaffung der Ersatzteile bemühen wird.

  3. Der Geschädigte muss sich zur Verkürzung der Ausfallzeit grundsätzlich nicht mit einer Teilreparatur seines Kfz zufrieden geben.

  4. Dem Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung steht nicht entgegen, dass dem Geschädigten während der Ausfallzeit seines Kfz von einem Familienmitglied ein anderes Kfz zur Verfügung gestellt worden ist. Insofern handelt es ich um die freiwillige Leistung eines Dritten, die den Schädiger nicht entlastet.

Erwerb eines neuen Fahrzeugs nach wirtschaftlichem Totalschaden, oder: Ersatzfähige Ausfallzeit

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Und an zweiter Stelle der Bericherstattung heute dann das LG Saarbrücken, Urt. v. 23.12.2020 – 13 S 82/20.

Gestritten wurde um restliche Nutzungsausfallentschädigung nach einem Verkehrsunfall. Ausweislich eines Schadensgutachtens lag an dem durch den Unfall beschädigten Ford Grand C-Max der Klägerin ein wirtschaftlicher Totalschaden vor (Bruttoreparaturkosten 8.594,51 EUR, Wiederbeschaffungswert 6.150 EUR, Restwert 2.606 EUR). Die Wiederbeschaffungsdauer schätzte der Sachverständige auf 8 Tage. Unter dem 14.09.2019 bestellte die Klägerin einen neuen Dacia Sandero Stepway zu einem Preis von 13.730 EUR mit einer voraussichtlichen Lieferzeit von ca. 3 Wochen. Nachdem es bei der Lieferung zu Verzögerungen kam, entschloss sich die Klägerin ein von der Verkäuferin angebotenes Ersatzfahrzeug gleichen Fahrzeugtyps zu erwerben, welches nach weiteren Verzögerungen am 26.11.2019 auf sie zugelassen werden konnte. Die Beklagte zahlte u.a. ausgehend von einem unstreitigen Tagessatz von 50 EUR an die Klägerin eine Nutzungsausfallentschädigung von 950 EUR (19 Tage).

Mit der Klage hat die Klägerin u.a. restliche Nutzungsausfallentschädigung von 3.000 EUR  begehrt. Das Amtsgericht  ist von einer fiktiven Abrechnung ausgegangen und hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Die hatte keinen Erfolg:

„1. Dem Ansatz des Amtsgerichts, es handele sich vorliegend um eine fiktive Schadensabrechnung, weshalb auf die objektiv erforderliche Nutzungsausfalldauer abzustellen sei, vermag die Kammer allerdings nicht zu folgen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt auch der vorübergehende Verlust der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs einen ersatzfähigen Schaden im Sinne der §§ 249 ff BGB dar, wenn der Geschädigte sich für die Zeit des Nutzungsausfalls keinen Ersatzwagen beschafft hat (st. Rspr., vgl. BGHZ 40, 345, 347 ff; 56, 214, 215; BGH, Urteile vom 10.06.2008 – VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198; vom 10.03.2009 – VI ZR 211/08, NJW 2009, 1663 und vom 14.04.2010 – VIII ZR 145/09, VersR 2010, 1463, jeweils m.w.N.). Dieser Nutzungsausfall setzt neben dem Verlust der Gebrauchsmöglichkeit voraus, dass der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis zur Nutzung des Fahrzeugs willens und fähig gewesen wäre (Nutzungswille und hypothetische Nutzungsmöglichkeit; st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18.12.2007 – VI ZR 62/07, VersR 2008, 370, und vom 14.04.2010 aaO, jeweils m.w.N.), und besteht für die erforderliche Ausfallzeit, d.h. für die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und gegebenenfalls einer angemessenen Überlegungszeit (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 363/11, VersR 2013, 471).

b) Einigkeit besteht, dass diese erforderliche Ausfallzeit grundsätzlich entscheidend durch die Art der vom Geschädigten gewählten Schadensabrechnung beeinflusst wird. Rechnet der Geschädigte seinen Schaden fiktiv ab, kommt es maßgeblich auf die objektiv erforderliche Dauer an (vgl. BGH, Urteil vom 15.07.2003 – VI ZR 361/02, NJW 2003, 3480 f.; Kammer, Urteil vom 15.05.2015 – 13 S 12/15, NZV 2015, 547 m.w.N.). Rechnet der Unfallgeschädigte seinen Schaden demgegenüber konkret ab, ist Nutzungsausfall grundsätzlich für die gesamte erforderliche Ausfallzeit zu leisten, d.h. für die im konkreten Fall notwendige Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und ggfls. einer angemessenen Überlegungszeit. Auch konkret eingetretene Verzögerungen wie sie etwa durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens entstanden sind, muss der Schädiger jedenfalls im üblichen zeitlichen Rahmen hinnehmen (vgl. Kammer, Urteil vom 23.09.2016 – 13 S 53/16, NJW-RR 2017, 355 für Mietwagenkosten). Denn er trägt im Rahmen des Üblichen grundsätzlich das Risiko, dass sich die Wiederbeschaffung verzögert. Dies gilt regelmäßig auch bei einer zunächst fehlgeschlagenen Ersatzbeschaffung („Prognoserisiko“, vgl. Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 249 BGB Rn. 76 m.w.N.). Eine Grenze besteht jedoch, wenn und soweit sich der Nutzungsausfall verlängert, weil der Geschädigte seiner Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB nicht nachkommt (vgl. Kammer, Urteil vom 10.11.2017 – 13 S 97/17, NJW-RR 2018, 27 m.w.N.).

c) Entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung ist vorliegend von einer konkreten Schadensabrechnung auszugehen. Unstreitig hat die Klägerin ein Ersatzfahrzeug zum Preis von 13.730,01 € (brutto) erworben und dies der Beklagten auch mitgeteilt. Weder dass die Klägerin ihrer Schadensabrechnung zunächst das Gutachten des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen … zugrunde gelegt hatte – ein Übergang von fiktiver zu konkreter Schadensabrechnung im Falle einer kostenintensiveren konkreten Ersatzbeschaffung ist jederzeit möglich (vgl. BGH, Urteil vom 02. Oktober 2018 – VI ZR 40/18, NJW-RR 2019, 144) – noch, dass sie ein Neufahrzeug einer anderen Fahrzeugmarke statt eines Gebrauchtwagens der gleichen Marke erworben hat, ändert etwas an ihrer zum Ausdruck gebrachten Entscheidung sowie der Möglichkeit, den Schaden konkret abzurechnen.

2. a) Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Fahrzeugschäden neben der Reparatur der beschädigten Sache nur die Anschaffung einer „gleichwertigen“ oder „gleichartigen“, also vergleichbaren und verfügbaren Ersatzsache als Möglichkeit der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 02. März 2010 – VI ZR 144/09, NJW 2010, 212 m.w.N.), ist damit nicht gemeint, dass dem Eigentümer eines unfallbeschädigten Gebrauchtwagens die konkrete Ersatzbeschaffung durch Ankauf eines Neuwagens einer anderen Fahrzeugmarke verwehrt ist. „Vergleichbar“ ist im Sinne gleicher Funktionserfüllung, also nicht im engen Sinne eines Fahrzeugs gleichen Alters oder Zustands zu verstehen, weshalb auch die Wiederbeschaffung durch ein Neufahrzeug oder durch Ersatz eines anderen Fahrzeugtyps erfolgen kann (vgl. Freymann, „Fiktive Schadensabrechnung“, Zfs 1/19, S. 4 ff.; Kammerurteil vom 21. Mai 2010 – 13 S 5/10, juris, vgl. auch BGH, Urteil vom 01. März 2005 – VI ZR 91/04 „TDI-Trendline“, Kauf eines teureren Ersatzfahrzeugs anderen Typs).

b) Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, welche Art der Ersatzbeschaffung aus wirtschaftlicher Sicht zur Herstellung des früheren Zustands erforderlich war und deshalb als ersatzfähig i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen ist. Übersteigen, wie vorliegend, die Kosten der konkreten Ersatzbeschaffung die in dem Sachverständigengutachten ermittelten Kosten, so ist der Schadensersatzanspruch auch bei konkreter Schadensabrechnung auf den sich aus dem Sachverständigengutachten ergebenden, dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechenden (Brutto-)wert der Wiederherstellung begrenzt. Für den Fall, dass der Geschädigte neben dem Betrag sachverständig ermittelter Reparaturkosten die bei einer tatsächlich vorgenommenen, kostenintensiveren Ersatzbeschaffung angefallene Umsatzsteuer in der Höhe ersetzt verlangt, wie sie bei Durchführung der kostengünstigeren Wiederherstellung im Wege der Reparatur angefallen wäre, hat der Bundesgerichtshof insoweit bereits festgestellt, dass keine unzulässige Kombination von konkreter und fiktiver Abrechnung, sondern eine konkrete Schadensabrechnung auf der Grundlage einer Ersatzbeschaffung vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 – VI ZR 363/11, NJW 2013, 1151; Kammer Urteil vom 03. Juli 2020 – 13 S 45/20,NJW-RR 2020, 1423 mwN). Nichts Anderes kann nach Auffassung der Kammer gelten, wenn beim Vorliegen eines wirtschaftlichen Totalschadens eines Gebrauchtwagens der Geschädigte statt eines anderen Gebrauchtfahrzeugs, das in etwa Alter, Laufleistung und Fahrzeugklasse des beschädigten Fahrzeugs entspricht, ein teureres Neufahrzeug erwirbt, sich bei der Schadensabrechnung aber auf den Brutto-Wiederbeschaffungsaufwand laut Gutachten beschränkt.

c) Soweit die erstinstanzliche Entscheidung auf das Urteil der Kammer vom 15. Mai 2015 – 13 S 12/15, NJW-RR 2015, 1437 hinweist, kann dieser weder entnommen werden, dass es sich im Falle einer Ersatzbeschaffung in Form eines Neufahrzeugs anderen Fahrzeugtyps zwangsläufig um eine fiktive Schadensabrechnung handeln muss, noch, dass die Geltendmachung konkreter Verzögerungen im Rahmen der Ersatzbeschaffung zu einer unzulässigen Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung führt.

3. Dies bedeutet für die hier streitgegenständliche Nutzungsausfallentschädigung, dass zwar von einer konkreten Schadensabrechnung auszugehen ist, die ersatzfähige konkrete Nutzungsausfalldauer jedoch begrenzt ist auf die objektiv erforderliche Zeitspanne, welche für die Beschaffung eines nach dem Gutachten als wirtschaftlich vergleichbar anzusehenden Ersatzfahrzeugs erforderlich ist. Denn im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass der Geschädigte unter mehreren möglichen Wegen des Schadensausgleichs im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg zu wählen hat. Das gilt nicht nur für die eigentlichen Reparatur- oder Wiederbeschaffungskosten, sondern gleichermaßen für die Mietwagenkosten und ebenso für die Nutzungsausfallentschädigung. Kauft der Geschädigte also in frei gewählter Abkehr vom Wirtschaftlichkeitsgebot einen höherwertigen Neuwagen, obwohl er nach den Grundsätzen des Schadensrechts nur Anspruch auf die Reparatur oder die Kosten eines Gebrauchtwagens hat, so kann er Nutzungsausfall auch nur bis zu dem Zeitpunkt beanspruchen, der für eine Unfallreparatur oder die Ersatzbeschaffung eines gleichwertigen Gebrauchtwagens angefallen wäre (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Juli 2019 – 5 U 696/19, Rn. 26, juris mwN). Vorliegend hat sich die Klägerin ein Neufahrzeug bestellt, dessen Lieferzeit von vorneherein bereits auf drei Wochen angelegt war. Diese gegenüber der Ersatzbeschaffung eines vergleichbaren Gebrauchtwagens verlängerte Wartezeit kann nicht zu Lasten des Schädigers gehen, weil sie auf der freien Disposition der Geschädigten beruht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2007 – VI ZR 62/07, NJW 2008, 915). Gleiches muss dann aber auch für Verzögerungen gelten, die sich an diese längere Wartezeit anschließen und zwar unabhängig davon, ob – wie vorliegend nicht – der Klägerin diesbezüglich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht i.S.v. § 254 BGB vorzuwerfen ist.

4. Damit beläuft sich der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung der Klägerin auf die erforderliche Ausfallzeit, d.h. die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und gegebenenfalls einer angemessenen Überlegungszeit. Angesichts einer Begutachtungszeit von 4 Tagen (Erhalt des Gutachtens am 13.09.2019), einer gutachterlich ermittelten Wiederbeschaffungsdauer von 8 Kalendertagen sowie einer angemessenen Überlegungszeit ist die seitens der Beklagten bereits erstattete Nutzungsausfalldauer von 19 Tagen jedenfalls nicht zu kurz bemessen. Ein über die bereits geleistete Zahlung von 950 € hinausgehender Zahlungsanspruch besteht daher nicht, so dass die angefochtene Entscheidung im Ergebnis zutreffend ist.“

Nutzungsausfall für ein Wohnmobil, oder: Nutzung im Alltagsgebrauch

entnommen wikimedia.org
Author Björn Seifert

Die heute im „Kessel Buntes“ als erste vorgestellte Entscheidung passt noch ganz gut in die Jahreszeit.

Es geht im LG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.04.2019 – 2-01 S 283/18 – nämlich um die Höhe des Nutzungsausfalls bei einem Wohnmobil. Allerdings wird nicht Nutzungsausfall für das Vorenthalten des Wohnmobils als Urlaubswagen, sondern für den alltäglichen Gebrauch verlangt. Das LG meint dazu: Dann muss die Tauglichkeit des Wohnmobils auch an der Geeignetheit für die tägliche Nutzung gemessen werden. Das LG sagt: Zwar unhandlich, aber neuwertig. Also Bemessungsgrundlage wie bei einem großen SUV oder Van:

„Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen die Höhe des durch das Erstgericht angesetzten Tagessatzes von 23 €. Seine Einwendung ist begründet. Zur Überzeugung der Kammer ist ein Nutzungsausfall von 79 € pro Tag zu gewähren.

Nachvollziehbar hat das Amtsgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Celle vom 8.1.2004, 14 U 100/03 (zitiert nach Juris) berücksichtigt, dass das Wohnmobil für den täglichen Gebrauch eher unkomfortabel, unhandlich und unpraktisch ist. Es kann daher nicht ohne Weiteres mit einem normalen PKW verglichen werden. Das Wohnmobil hat nach der Recherche der Kammer eine Länge von fast 7 Metern, eine Breite von rund 2,20 Metern, eine Höhe von 2,75 Metern und einen Wendekreis von 13,5 Metern. Da der Kläger Nutzungsausfall nicht für das Vorenthalten des Wohnmobils als Urlaubswagen, sondern für den alltäglichen Gebrauch verlangt, muss seine Tauglichkeit auch an der Geeignetheit für die tägliche Nutzung gemessen werden.

Indes bedeutete das zur Überzeugung der Kammer nicht, dass Wohnmobile, sofern sie für den alltäglichen Gebrauch genutzt werden und Nutzungsausfallentschädigung für diesen Bereich gefordert wird, stets gemäß dem OLG Celle in der niedrigsten Klasse nach der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch eingeordnet werden müssen. Vielmehr ist stets der Einzelfall zu betrachten und die Eigenschaften und Besonderheiten des jeweiligen Wohnmobils zu berücksichtigen.

Vorliegend ist zu beachten, dass das klägerische Wohnmobil zum Zeitpunkt des Unfalls erst gut anderthalb Jahre alt war und einen erheblichen Wiederbeschaffungswert von 50.000 € hatte. Als neuwertiges Fahrzeug hatte es daher Komfortmerkmale, die ein altes Wohnmobil nicht aufweisen kann, sei es in Bezug auf die Funktionsfähigkeit von Heizung, Lüftung, Musikanlage, Türen und Fenstern, Motorisierung, Neuwertigkeit der Innenausstattung etc. Unabhängig von den für den Gebrauch im städtischen Straßenverkehr wenig komfortablen Abmessungen hatte das im Jahr 2015 erstmals zugelassene Fahrzeug des Klägers zum Unfallzeitpunkt daher Komfortmerkmale, die mit der niedrigsten Eingruppierung nach Sanden/Danner/Küppersbusch nicht angemessen abgebildet werden können.

Der Kammer erscheint es daher angemessen, den Nutzungsausfall mit dem eines großen SUV oder Vans gleichzusetzen. Der Vergleich mit einem VW Multivan, der mit über 5 Metern Länge, knapp 2 Metern Höhe und Breite im innerörtlichen Straßenverkehr für alltägliche Verrichtung ebenfalls eingeschränkt handlich ist, ist berechtigt. Die Einordnung in die Gruppe J erscheint daher im vorliegenden Fall angemessen.“

Beschädigtes Motorrad, oder: Nutzungsausfall ja oder nein?

entnommen wikimedi.org
Urheber Noop1958

Und in der zweiten Entscheidung geht es heute noch einmal um das Motorrad, und zwar um die Frage, ob ein Anspruch auf Schadensersatz für den Ausfall der Nutzungsmöglichkeit besteht, wenn ein Motorrad beschädigt wird und dadurch die Gebrauchsmöglichkeiten beeinträchtigt werden. Im entschiedenen Fall hatte der Beklagte das Motorrad des Klägers umgestoßen. Das Motorrad wurde beschädigt. Der Kläger macht Nutzungsausfall für 40 Tage geltend. Die Sache landet beim BGH. Der meint im BGH, Urt. v. 23.01.2018 – VI ZR 57/17, nachdem AG und LG die Klage abgewiesen hatten:

„Die Gebrauchsmöglichkeit des Motorrads, das dem Kläger als einziges Kraftfahrzeug zur Verfügung steht, ist als geldwerter Vorteil anzusehen, so dass der vorübergehende Entzug einen Vermögensschaden darstellt. Der Umstand, dass der Kläger sein Motorrad nur bei günstigen Witterungsbedingungen nutzt, spielt erst im Rahmen der konkreten Schadensbetrachtung bei der Frage eine Rolle, ob der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum – auch im Hinblick auf die Wetterlage – zur Nutzung willens und in der Lage war. Die hierzu erforderlichen Feststellungen sind noch nicht getroffen….“

Der BGH stellt dann (noch einmal) die Grundsätze betreffend einen Anspruch auf Entschädigung für den Fortfall der Nutzungsmöglichkeit von Kraftfahrzeugen dar und wendet die dann entsprechend an:

„Diese Grundsätze gelten auch für die Gebrauchsmöglichkeit eines Motorrads, das als Kraftfahrzeug ebenfalls geeignet ist, Zeit und Kraft zu sparen und unabhängige Mobilität zu gewährleisten. Verfügt allerdings der Geschädigte neben dem Motorrad über einen Pkw und stützt er die Wertschätzung des Motorrads vor allem darauf, dass das Motorradfahren sein Hobby sei oder im Vergleich zur Fahrt mit einem Pkw ein anderes Fahrgefühl vermittle, betrifft dieser Gesichtspunkt nicht die alltägliche Nutzbarkeit zur eigenwirtschaftlichen Lebensführung und entzieht sich daher einer vermögensrechtlichen Bewertung (Senatsbeschlüsse vom 11. September 2012 – VI ZR 92/12, Schaden-Praxis 2012, 438; vom 13. Dezember 2011 – VI ZA 40/11, NZV 2012, 223). Der Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines Motorrads hingegen, das als einziges dem Geschädigten zur Verfügung stehendes Kraftfahrzeug nicht ausschließlich zu Freizeitzwecken genutzt wird, stellt sich nicht lediglich als individuelle Genussschmälerung dar und kann ebenso wie der Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines Pkw den Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung begründen (vgl. OLG Hamm, MDR 1983, 932; einschränkend: OLG Saarbrücken, NZV 1990, 312; OLG Düsseldorf, NJW 2008, 1964 sogar für den Fall, dass ein Zweitfahrzeug vorhanden ist; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 25 Rn. 51). Im Rahmen der im ersten Schritt anzustellenden typisierenden Betrachtungsweise ergibt sich anderes nicht daraus, dass die Nutzung eines Motorrads häufig – insoweit anders als in der Regel die Nutzung eines Pkw – von den Wetter- und Witterungsbedingungen abhängig gemacht wird. Auch der Gebrauch eines Motorrads, das nur in der wärmeren Jahreszeit zugelassen ist und auch in diesem Zeitraum nur bei geeignetem Wetter gefahren wird, spart Zeit und Kraft und ermöglicht es seinem Nutzer, sein Ziel unabhängig von öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Zwar muss er sich von vornherein damit arrangieren, dass er bei ungeeignetem Wetter sein Fahrzeug nicht nutzen und damit von der mit dem Gebrauch des Fahrzeugs verbundenen Zeitersparnis nur unter Umständen profitieren kann, die er weder beeinflussen noch sicher vorhersehen kann. Auch muss er seine Lebensführung so gestalten, dass er jederzeit – ggf. auch kurzfristig – auf ein anderes Fortbewegungsmittel, zum Beispiel öffentliche Verkehrsmittel, ausweichen kann. In der Zeit, in der er das Motorrad nutzt, profitiert er aber von dem Vorteil unabhängiger Mobilität und dem Zeitgewinn ebenso wie ein Pkw-Fahrer. Der hierin liegende geldwerte Vorteil kann ihm ebenso wenig wie einem Pkw-Fahrer mit der Begründung abgesprochen werden, dass er ersatzweise die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen könnte.

Der Umstand, dass das Motorrad nur eingeschränkt – bei geeignetem Wetter – genutzt wird, spielt erst im zweiten Schritt, nämlich im Rahmen der konkreten Schadensbetrachtung bei der Frage eine Rolle, ob der Geschädigte im streitgegenständlichen Zeitraum zur Nutzung willens und in der Lage gewesen wäre und der Gebrauchsentzug für ihn fühlbar geworden ist. Dass dies im Einzelfall – bei einem Motorrad anders als bei einem Pkw möglicherweise unter Einbeziehung der Wetterbedingungen in dem maßgeblichen Zeitraum – festgestellt werden muss, läuft entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung den Erfordernissen der Rechtssicherheit und der Berechenbarkeit des Schadens nicht zuwider.“

Der BGh hat dann allerdings nicht „durchentschieden“, sondern zurückverwiesen. Das LG muss nun im Einzelnnen klären, wie und wann der Kläger sein Motorrad nutzt.