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Unscharfe Gesetzesformulierung: In dubio contra Gesetzgeber

Der Beschl. des AG Herford v. 17.02.2011 – 11 OWi-63 Js 1201/09-588/09, auf den ich über den Newsletter der Verkehrsrechtsanwälte gestoßen bin, ist nicht so sehr wegen seiner materiellen Inhalts berichtenswert – das AG geht zutreffend davon aus, dass im Bußgeldverfahren das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind mit der Folge, dass in beiden Angelegenheiten die Nr. 7002 VV RVG abgerechnet werden kann: Nein, der Beschluss, der im Übrigen von dem Kollegen stammt, von dem auch die sog. Massenfreisprüche stammen, ist wegen seiner Begründung interessant/berichtenswert. Der Kollege stellt zur Begründung seiner Ansicht nämlich darauf ab:

„Soweit von der Gegenmeinung damit argumentiert wird, dass eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für das Ordnungswidrigkeitenverfahren fehle, ist dem entgegenzutreten. Es ist Sache des Gesetzgebers, eindeutige gesetzliche Regelungen zu schaffen, insbesondere, wenn es sich um eine Vielzahl von Fällen handelt, so wie es im Bußgeldrecht der Fall ist. Eine unscharfe gesetzliche Formulierung kann somit nicht zu Lasten eines Betroffenen ausgelegt werden, sondern muss stets zu Lasten des Gesetzgebers gehen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, durch gesetzliche Neuregelungen nachzubessern, falls ihm die gerichtliche Anwendung der Vorschriften nicht passt. Solange eine solche Nachbesserung nicht geschieht, ist es zulässig, die jeweiligen Vorschriften des RVG erweiternd auszulegen. Es begegnet deshalb keinen Bedenken, das „Verwaltungsverfahren“ im Sinne von § 17 Abs. 1 Ziff. 1 RVG auch als Bußgeldverfahren zu verstehen.“

Was schert mich mein Geschwätz von gestern?, oder: Beim LG Leipzig geht es durcheinander

Wenn man die Entscheidung des LG Leipzig vom 28.10.2010 – 5 Qs 164/10 liest, ist man schon erstaunt, irritiert, vielleicht auch verärgert. Denn sie ist m.E. ein „schönes“ Beispiel, wie es nicht  gehen dürfte/sollte.

Das bezieht sich nicht nur auf die Auffassung des LG zur Bemessung der Gebühren im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren, die das LG mit i.d.R. 40 (!!) unter der Mittelgebühr als angemessen (!) bemessen ansieht, was dann zu einer Grundgebühr von 34 € führt. Dazu erspare ich mich jeden Kommentar, schon um mir hier Kommentare zu ersparen, die das als angemessen ansehen.

Nein, die Irritationen beziehen sich auf die beiden anderen Punkte in der Entscheidung.

Das LG bzw. deren 5. große Strafkammer geht davon aus, dass es sich bei der Befriedungsgebühr Nr. 5115 VV RVG um eine Festgebühr handelt, die immer nach der Mittelgebühr anzusetzen sei. Dabei übersieht es aber, dass gerade die 1. große Strafkammer des LG Leipzig (vgl. AGS 2010, 19) anderer Auffassung gewesen ist. Mit deren Auffassung setzt sich die hier entscheidende 5. große Strafkammer nicht auseinander. Eine für die Verteidiger im Zuständigkeitsbereich des LG Leipzig mehr als unerfreuliche Situation. Denn: Was gilt nun? Worauf muss/kann/soll er sich einstellen?

Das gilt dann auch für den 2. Punkt. Da sagt die Kammer kurz und trocken: Die Aktenversendungspauschale der Nr. 9003 KV GKG kann neben der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht werden. So weit, so gut und auch richtig. Nur: Die Auffassung ist nicht so „einhellig“, wie es das LG behauptet. Denn es ist gerade das LG Leipzig, das neben dem LG Zweibrücken (vgl. Beschl. v. 23. 0. 09, Qs 12/09) bislang die Auffassung vertreten hat, dass die Nr. 9003 KV GKG und die Nr. 7002 VV RVG nicht nebeneinander geltend gemacht werden können (vgl. LG Leipzig RVGprofessionell 2009, 33 und LG Leipzig RVGreport 2010, 182). Neben der 6. großen Strafkammer war es gerade die auch hier entscheidende 5. große Strafkammer, die diese falsche Auffassung vertreten hat. Der Schwenk (?) in der Rechtsprechung wird nicht begründet, so dass offen bleibt, ob es sich wirklich um eine Rechtsprechungsänderung handelt oder ob die Kammer nur ihre eigene entgegenstehende Rechtsprechung übersehen hat. Alles in allem: Auch dies mehr als unerfreulich.

Insgesamt: M.E. dürfte man von einem Strafkammer erwarten, dass sie sich mit entgegenstehender Rechtsprechung aus dem eigenen Haus auseinandersetzt und nicht nur danach verfährt: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Darauf haben nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Verteidiger und auch die bei den nachgeordneten Amtsgerichten tätigen Amtsrichter und Rechtspfleger einen Anspruch.