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Pauschgebühr, hier für den Nebenklägerbeistand, oder: Falscher Maßstab und unzulässige Kompensation

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Heute dann Gebührentag. Und an dem stelle ich mal wieder drei Entscheidungen zur Pauschgebühr (§ 51 RVG) vor. Ja, die gibt es noch. Obwohl: Das, was als Pauschgebühr von den OLG „gewährt“ wird, sind meist lächerliche Beträge.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 28.11.2023 – 1 AR 17/22 – zur Pauschgebühr für den Nebenklägerbeistand. Ergangen ist der Beschluss nach einem Schwurgerichtsverfahren. Das war vor einer Schwurgerichtskammer des LG Berlin  mit dem Vorwurf des Mordes ursprünglich gegen elf Angeklagte, nach einer Verfahrensabtrennung am 6. Juli 2017 gegen zehn Angeklagte und in einem Trennverfahren gegen den elften Angeklagten., anhängig. Die erstinstanzlichen Verfahren wurden durch die Urteile vom 01.10.2019 (Ursprungsverfahren) und vom 18.12.2019 (Trennverfahren) beendet. Der Antragsteller meldete sich am 27.10.2014 für die Schwester des Tatopfers, die als Nebenklägerin zugelassen und der der Antragsteller am 27. 10.2014 als Vertreter bestellt wurde. In dieser Funktion war er sowohl im Ursprungs- als auch im Trennverfahren tätig.

An gesetzlichen Gebühren hatte der Beistand bisher insgesamt 197.424 EUR für die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr (erster Rechtszug) und die Terminsgebühren (erster Rechtszug) erhalten. Er hat dann einen auf § 51 RVG gestützten Antrag auf Festsetzung einer Pauschvergütung von jeweils 20.000 EUR anstelle der gesetzlichen Grund- und Verfahrensgebühren (erster Rechtszug) und von 304.152 EUR anstelle der Terminsgebühren (erster Rechtszug), insgesamt auf 344.152 EUR gestellt. Das KG hat unter Zurückweisung des Antrags im Übrigen anstelle der Verfahrensgebühr nach Nr. 4118 VV RVG und der Terminsgebühren nach Nr. 4120 und 4122 VV RVG eine Pauschgebühr in Höhe von 211.056 EUR bewilligt.

Das KG referiert zunächst die Voraussetzungen des § 51 RVG. Da werden dann die Begriffe: „Ausnahmecharakter“ und vor allem auch wieder „exorbitant“ wiederholt. Die Passage kann man sich sparen. Das kennen wird.

Zur konkreten Sache heißt es dann:

„2. Die Inanspruchnahme des im gerichtlichen Hauptverfahren erstmals mit der Sache befassten Antragstellers ist mit den für das Verfahren des ersten Rechtszuges und die für die Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine in dem Zeitraum vom 8. November 2017 (dem Beginn der Hauptverhandlung in dem Trennverfahren) bis zum 1. Oktober 2019 (der Urteilsverkündung im Ursprungsverfahren) gesetzlich vorgesehenen Gebühren, nicht hingegen mit der für die erstmalige Einarbeitung in die Sache gesetzlich vorgesehenen Gebühren, unzumutbar im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 68, 237) vergütet.

a) Einen hervorgehobenen Umfang oder besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art hat die Sache bei der erstmaligen Einarbeitung nicht aufgeworfen. Diese – bei der Übernahme des Mandates. Ende Oktober 2014 erfolgte – erstmalige Einarbeitung ist mit der Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) abgegolten.

Die Antragsbegründung und der Akteninhalt rechtfertigen eine abweichende Auffassung nicht Bei der erstmaligen Einarbeitung in die Sache, dem Erstgespräch mit der Mandantin und der damit einhergehenden Sachverhaltsermittlung wurde der Antrag-steller, was sowohl er als auch der Bezirksrevisor in ihren Ausführungen vernachlässigen, mit einem tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Sachverhalt konfrontiert Mehrere Täter – so der Tatvorwurf – töteten den Bruder der späteren Nebenklägerin. Darüber hinausgehende konkrete Umstände (jenseits der in der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 9. August 2023 abstrakt dargelegten denkbaren anwaltlichen Tätigkeiten) geben für dieses Verfahrensstadium weder die Antragsschrift noch deren ergänzende Begründungen wieder. Mit ihnen sind keine Tatsachen dargelegt worden, die eine außergewöhnliche anwaltliche Mühewaltung offenbaren. Stattdessen hat der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 8. November 2023 vorgetragen, sich vor seiner Bestellung zum Nebenklägervertreter erstmals in die Strafsache eingearbeitet zu haben; konkrete anwaltliche Tätigkeiten, die in den Bereich der erstmaligen Einarbeitung in eire Sache und damit der Grundgebühr fallen, hat er nicht benannt, sondern sich trotz der ihm mit Schreiben vom 7. November 2023 eröffneten Gelegenheit zur Konkretisierung auch weiterhin auf Bewertungen der eigenen Tätigkeit als außergewöhnlich schwierig und umfangreich beschränkt. In den Akten findet sich lediglich der Meldeschriftsatz und ein einseitiger Antrag auf Schwärzung der Wohnanschrift der an diesem Tag als Nebenklägerin zugelassenen Schwester des Tatopfers. Die danach, erstmals mit der Ladungsverfügung vom 27. Oktober 2014 eröffnete und dem Antragsteller nach seinen Angaben erst „knapp vor dem Beginn der Hauptverhandlung gewährte „Akteneinsicht fällt in das gerichtliche Hauptverfahren und ist dort – wegen des Umfanges der Akten und der Erschließung ihres Inhalts parallel zu der bereits begonnenen Hauptverhandlung – mit der 12fachen Erhöhung der gesetzlich vorgesehenen Gebühr berücksichtigt worden. Eine doppelte Berücksichtigung, wie sie offenbar der Bezirksrevisor vornehmen will, spiegelt die konkrete anwaltliche Mühewaltung nicht wider. Es kommt- auch wegen der Berücksichtigung der Sichtung des Aktenbestandes im Hauptverfahren – dabei nicht darauf an, ob der Antragsteller bereits zuvor (erfolglos) um Akteneinsicht ersucht hatte und wegen eines durch die Kammer angenommenen „Vorrang(es)“ der Verteidiger auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet worden war.

b) Die anwaltliche Mühewaltung im gerichtlichen Verfahren (erster Rechtszug) rechtfertigt die Erhöhung der gesetzlichen Gebühr nach Nr. 4118 VV RVG um das Zwölffache, auf einen – die gesetzliche Gebühr ersetzenden – Betrag von 3.792 Euro.

Die im Einklang mit den Ausführungen des Bezirksrevisors angenommene Erhöhung beruht auf der Dauer des gerichtlichen Verfahrens im ersten Rechtszug und dem Aktenumfang, der vor allem zum Ende der Hauptverhandlungen in beiden Verfahren – vornehmlich bedingt durch die den Interessen der Nebenklägerin widerstreitenden Anträge der Verteidiger – angewachsen ist, wie der Antragsteller und der Bezirksrevisor zutreffend herausgearbeitet haben. Beide übersehen zu Gunsten des Antragstellers zwar, dass sich die erste Akteneinsicht auf Hauptakten beschränkte, die z.B. in den Bänden 3 bis 7 und 13 fast ausschließlich oder zu einem überwiegenden Teil Unterlagen enthalten, die die Vertretungs- und Haftverhältnisse der Angeklagten betreffen oder Doppel von Vernehmungsniederschriften sind, daher der intensiven Befassung durch den Antragsteller nicht bedurften. Bezüglich des in der Folge gesichteten Aktenbestandes ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass er wegen der Vielzahl von anwaltlichen Verfahrensbeteiligten in weiten Teilen aus Akteneinsichtsschriftsäten sowie Anträgen, Beschlüssen und Mitteilungen betreffend die Haftverhältnisse der Angeklagten bestand, die doppelt und dreifach eingereicht bzw. ausgedruckt oder als Faxabschriften zu den Akten gelangt sind. Diese betrafen die Vertretung durch den Antragsteller nicht direkt, erforderten, jedenfalls keinen erheblichen Arbeitsaufwand. Dies gilt auch für die Beiakten, die ohnehin weit überwiegend Vorstrafen der Angeklagten betreffen, oder bei denen es sich um Gefangenenpersonalakten (pp. u.a.) handelte. Auch die zuletzt in der Regel per E-Mail des Kammervorsitzenden übermittelten Nachlieferungen bestehen zu einem erheblichen Teil um schnell zu erfassende (Ergänzungen von) Aussagegenehmigungen, Verhinderungsanzeigen von Zeugen und Lichtbildkonvolute. Diesem, den Umfang des Arbeitsanfalls deutlich relativierenden Umstand, steht allerdings die reine Menge des durch den Nebenklägervertreter – im Gegensatz zu den Verteidigern ohne die Möglichkeit zur Arbeitsteilung – vor allem zu Beginn der Hauptverhandlung im Ursprungsverfahren zudem in kurzer Zeit zu bewältigenden Materials gegenüber, wenngleich die Übersendung von dem Antragsteller aus dem Trennverfahren bekannten Unterlagen (vgl. z.B. Bd. 48 BI. 143) nicht doppelt berücksichtigt werden dürfen.

Umfang und Schwierigkeit der Strafsache werden zudem durch einen Blick auf den Tatvorwurf deutlich relativiert. Verglichen mit den in der Regel komplexen und wegen des vom Gesetzgeber unterstellten erhöhten Arbeitsanfalls ohnehin höher vergüteten erstinstanzlichen Staatsschutzsachen mit OLG-Zuständigkeit sowie Strafsachen, die vor den Schwurgerichts- oder Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts gewöhnlich verhandelt werden, warf die Strafsache keinen hervorgehobenen Umfang oder besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art auf.. Im Gegenteil: Es handelte sich (auch weiterhin) um einen mehr als überschaubaren und einfach gelagerten Tatvorwurf, der sich im Verlaufe des Verfahrens nicht änderte und lediglich das Problem der Identifizierung der vielen Täter aufwarf. Verfahrensgegenstand war durchweg der folgende Vorgang: 12 Täter, darunter zehn Angeklagte, begaben sich auf die Weisung eines Mitangeklagten in ein Lokal; einer von ihnen erschoss entsprechend dem vorab gefassten Tatplan das Opfer. Der auf einem Video festgehaltene Tathergang dauerte lediglich 25 Sekunden.

Diesen konkreten, die anwaltliche Beanspruchung mindernden Umstände steht die anwaltliche Betätigung des Nebenklägervertreters gegenüber. Den Akten ist insoweit zu entnehmen, dass sich. der Antragsteller mehrfach in das Hauptverfahren eingebracht hat; beispielhaft sind insoweit Anträge auf Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten pp. (Bd. 23 Bl. 59), Stellungnahmen zu dem Akteneinsichtsantrag eines Zeugenbeistands (Bd. 24 BI. 53) und dem Haftantrag eines Verteidigers (Bd. 30 BI. 125) sowie die Weiterleitung ihm von einem anderen Nebenklägervertreter zugesandter Bilddateien an die Kammer (Bd. 35 Bl. 108) zu nennen. Dies, die Verfahrensdauer und der – mit den oben genannten Einschränkungen zu betrachtende – Aktenumfang, haben zur Folge, dass auch der Senat die zwölffache Erhöhung der Verfahrensgebühr für angemessen erachtet.

Eine weitergehende Erhöhung tragen weder die Antragsbegründung noch der Akteninhalt Die vom Antragsteller bemühten wirtschaftlichen Erwägungen vermögen aus den vom Bezirksrevisor zutreffend genannten Gründen – unabhängig von der Frage des kausalen Zusammenhanges zwischen Gewinnrückgängen und der Vertretung in einer Strafsache — die Gewährung einer Pauschvergütung, die ausschließlich von der konkreten und außergewöhnlich großen Mühewaltung getragen werden kann, nicht zu begründen. Soweit der Antragsteller vorgetragen hat, er habe die Nebenklägerin mindestens einmal im Monat aufgesucht und „jeweils nach dem Termin oder auch nur 2 x die Woche ausführliche Telefonate (…) zur Unterrichtung über den Sachstand“ geführt, auch um „strafprozessuale Fragen für einen juristischen Laien in einfache Sprache umzusetzen und zu erläutern“, umschreibt dies keine den gewöhnlichen Arbeitsaufwand erheblich übersteigende Beanspruchung, sondern die gewöhnlichen Pflichten eines Rechtsanwaltes, dessen Bestellung gerade dazu dient, einer Nichtjuristin wie der Nebenklägerin juristische Vorgänge zu verdeutlichen. Die vermeintlichen außergewöhnlichen Erschwernisse durch das „mediale Interesse“ hat der Antragsteller trotz des entsprechenden Hinweises des Bezirksrevisors (auch weiterhin) nicht konkret dargelegt Eine in seinem Schriftsatz vom 28. August 2023 beispielhaft erwähnte Veröffentlichung fällt nicht in die Zeit des gerichtlichen Verfahrens erster Instanz („während des Revisionsverfahrens“); im Übrigen bleiben die Angaben vage, denn aus der Erwähnung „mehrerer Reportagen“ oder „zahlreicher Anfragen“ gehen weder deren Anzahl, Dauer oder Zeitpunkt hervor noch erschließt sich die konkrete Beanspruchung des Antragstellers.

c) Eine besondere Bindung der Arbeitskraft des Antragstellers nimmt der Senat – aus den in der Stellungnahme des Bezirksrevisors auch insoweit zutreffend aufgeführten Erwägungen – für den Zeitraum der parallel im Ursprungs- und im Trennverfahren geführten Hauptverhandlungen, an denen der Antragsteller an knapp drei Verhandlungstagen je Woche teilnahm, mit einer Pauschale für die letzten beiden Jahre vor der Urteilsverkündung am 1. Oktober 2019.. in Höhe von jeweils 5.000 Euro an.

Eine höhere Pauschvergütung ist nicht gerechtfertigt. Zum einen ist der Antragsteller durch die große Anzahl der jeweils einzeln vergüteten 400 Verhandlungstage besser gestellt worden als in einem durchschnittlichen Verfahren (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. statt vieler Beschlüsse vom 4. November 2021- 1 ARs 35720 – und vom 23. Juli 2019 – 1 ARs 12/17 -). Zum anderen ist auch die Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen, die – ohne die 19.504 Euro, die die Terminsvertreter an den Antragsteller abgetreten haben – mit 196.948 Euro vergütet worden sind, durch den einfach gelagerten Tatvorwurf und den Umstand geprägt gewesen, dass allein die Vielzahl an anwaltlichen Verfahrensbeteiligten, die Feststellung deren An- und Abwesenheiten und (bloße) Anschlusserklärungen einen weiten Raum in den Terminen einnahmen, was das Sitzungsprotokoll des Ursprungsverfahrens eindrucksvoll belegt. Es ist daher hier nicht sonderlich maßgebend, dass die Anzahl der vom Antragsteller hervorgehobenen Beweiserhebungen ohnehin kein Bemessungskriterium i:S.d. § 51 RVG ist. Soweit eine Vielzahl von Beweiserhebungen lange Sitzungstage nach sich zieht, wird dies mit Längenzuschlägen honoriert, hier mit gewichtigen 129 Zuschlägen nach Nr. 4122 VV RVG in Höhe von insgesamt 27.348 Euro. Im Einklang mit den Ausführungen des Bezirksrevisors war überdies zu berücksichtigten, dass der vom Gesetzgeber angenommenen überdurchschnittlichen Schwierigkeit und Arbeitsbelastung in Schwurgerichtssachen gegenüber erstinstanzlichen Strafsachen vor dem Amtsgericht oder einer anderen Großen Strafkammer nicht nur durch höhere Verfahrensgebühren, sondern auch durch erhöhte Terminsgebühren Rechnung getragen wird. Diese gelten auch die für diese Verfahren antizipierten besonders intensiven und wegen der Verfahrensdauer gewöhnlich auch deutlich aufwändigeren Vor- und Nachbereitungen der Hauptverhandlungstermine ab, die abgesehen hiervon.- ebenso wie die Fertigung von Mitschriften während der Hauptverhandlung – ohnehin zu den selbstverständlichen und daher nicht besonders zu vergütenden anwaltlichen Pflichten gehören. Es kommt hinzu, dass die Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine bis zur beginnenden Verhandlung im Trennverfahren den Antragsteller an lediglich 1,2 Verhandlungstagen pro Woche [außerhalb der Feiertage und der Urlaubszeiten] mit einer durchschnittlichen und damit für Schwurgerichtssachen (sechs Stunden, vgl. Senat, Beschluss vom 4. November 2021 – 1 ARs 35/20 -) unterdurchschnittlichen Länge von viereinhalb Stunden in Anspruch nahmen.“

Nun? Ja, richtig. Viel Lärm um nichts ode rum „nicht viel“. Und: Es spricht, sehr viel dafür, auch wenn man die genauen Einzelumstände des Verfahrens nicht kennt,  dass das KG nicht richtig liegt, und zwar:

1. Das KG geht schon vom falschen Vergleichsmaßstab aus, wenn es u.a. darauf abstellt, dass sich für die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG die anwaltliche Mühewaltung „von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben“ müsse. Durch das Abstellen auf ein „exorbitantes Abweichen“ wird nämlich der Vergleichsmaßstab so verschoben, dass die Gewährung von Pauschgebühren praktisch ausgeschlossen ist. Das war aber nicht das Anliegen des Gesetzgebers bei Schaffung des § 51 RVG. Denn auch, wenn die (neue) Anspruchsvoraussetzung „Unzumutbarkeit“ eingeführt worden ist, sollte es noch Pauschgebühren geben. Der BGH und die OLG scheinen es aber besser zu wissen.

2. Falsch sind auch die Ausführungen des KG zur Zulässigkeit der Kompensation. Diese ist – entgegen der Auffassung des KG, die allerdings zum Teil auch von anderen OLG vertreten wird – unzulässig. Das gilt vor allem, wenn – wie hier – eine auf Verfahrensabschnitte beschränkte Pauschgebühr geltend gemacht wird. Denn durch einen solchen „beschränkten“ Antrag macht der bestellte/beigeordnete Rechtsanwalt gerade deutlich, dass er mit den gesetzlichen Gebühren für die die Verfahrensabschnitte, für die eine Pauschgebühr nicht geltend gemacht wird, angemessen honoriert ist. Dann kann man aber nicht diese Gebühren heranziehen, um ggf. eine Pauschgebühr für einen anderen Verfahrensabschnitt abzulehnen. Denn diese Gebühren stehen gar nicht zur Überprüfung an.

Mit diesem Einwand korrespondieren meine Bedenken gegen die Überlegung des KG, dass „der Antragsteller durch die große Anzahl der jeweils einzeln vergüteten 400 Verhandlungstage besser gestellt worden [ist] als in einem durchschnittlichen Verfahren“. Ja, aber es darf doch nicht übersehen werden, dass er für die dafür gewährten gesetzlichen Gebühren an 400 Hauptverhandlungstermine teilgenommen hat. Man kann dann doch diese für erbrachten Zeitaufwand erzielte „Einnahme“ nicht heranziehen, um eine höhere Pauschgebühr abzulehnen. Das ist m.E. widersprüchlich und entwertet die Entlohnung für die Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen.

Prozesskostenhilfe für den Nebenklägerbeistand, oder: Privilegierter/normaler Nebenkläger

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Und im zweiten Posting dann etwas zur Prozesskostenhilfe für den Nebenklägerbeistand. Dazu äußert sich der OLG Schleswig, Beschl. v. 08.02.2022 – 1 Ws 42/22.

Der Nebenklägerbeistand hatte in einem Sicherungsverfahren beantragt, dem Nebenkläger Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu gewähren. Das LG hat den Antrag abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte beim OLG Erfolg:

„Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein hat in ihrer Zuschrift vom 3. März 2022 ausgeführt:

„Der Antrag ist – da für den Beschwerdeführer günstiger – als Antrag auf Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand gemäß § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO auszulegen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die u.a. eine zusätzliche Bedürftigkeitsprüfung voraussetzt, kommt nämlich nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 397a Abs. 1 StPO nicht vorliegen. Der Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands besteht auch dann, wenn zwar die Anklage nicht auf ein versuchtes Tötungsdelikt gestützt wird, aber die wenn auch nur geringe Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte ein solches Delikt begangen hat und seine Verurteilung deswegen in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 12. Mai 1999 – 1 ARs 4 – 99, NJW 1999, 2380). So liegt der Fall hier. Nachdem die Staatsanwaltschaft in der Abschlussverfügung einen Rücktritt vom versuchten Totschlag angenommen hat (Bl. 2 d. SB), geht die Antragsschrift unter Ziffer 5 zwar lediglich von einer gefährlichen Körper-verletzung aus (Bl. 7 d. SB). Gleichwohl verbleibt die Möglichkeit, dass die Frage des Rücktritts nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme anders bewertet wird und infolgedessen ggf. auch ein versuchter Totschlag als Anlasstat in Betracht kommen könnte.

Bereits vor diesem Hintergrund ist die Beschwerde begründet.

Im Übrigen wäre die Beschwerde aber auch begründet, wenn der Antrag – entsprechend der Auslegung des Landgerichts Lübeck – als Antrag auf Gewährung von Prozesskosten-hilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts verstanden würde.

Soweit sich der Beschluss des Landgerichts Lübeck angesichts der erlittenen Verletzungen des Beschwerdeführers ausschließlich damit auseinandersetzt, ob dieser seine Interessen selbst ausreichend wahrnehmen kann, ist anzumerken, dass es sich insoweit weniger um eine Frage der Unfähigkeit als der Unzumutbarkeit eigener Interessenwahrnehmung handeln dürfte, die als solche insbesondere auf der psychischen Betroffenheit des Nebenklägers durch die Tat beruhen kann (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt StPO § 397a Rn. 9). Das in der Antragsschrift unter Ziffer 5 geschilderte Tatgeschehen (Bl. 7 d. SB) lässt sowohl wegen der Tat selbst (Messerangriff auf offener Straße) als auch wegen ihrer Folgen (Notwendigkeit einer lebensrettenden Operation) auf eine erhebliche psychische Betroffenheit des Beschwerdeführers schließen, die eine Unzumutbarkeit eigener Interessenwahrnehmung nahelegt.

Jedenfalls aber erscheint die Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Blick auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Eine schwierige Sach- und Rechtslage ist regelmäßig dann gegeben, wenn aus der vernünftigen Sicht des Nebenklägers der Sachverhalt verwickelt ist, Spezialkenntnisse erfordert oder komplizierte bzw. umstrittene Rechts-fragen auftauchen oder Beweisanträge gestellt werden müssen (BeckOK StPO/Weiner StPO § 397a Rn. 20). Angesichts dessen dürfte sich die Sach- und Rechtslage aus der maßgeblichen Sicht des Beschwerdeführers schon allein deshalb als schwierig erweisen, weil hinsichtlich des Tathergangs eine Aussage gegen Aussage Konstellation besteht und der Beschuldigte sich bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens auf Notwehr berufen hat (Bl. 11 d. SB). Demzufolge steht zu erwarten, dass die Frage etwaiger Notwehr auch Gegenstand der Hauptverhandlung sein wird, zumal auch die Antragsschrift davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer dem Beschuldigten unmittelbar vor dem Messerstich einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hat (Bl. 7 d. SB).

Hinzu kommt, dass es sich vorliegend um ein Sicherungsverfahren handelt, das per se die Schwierigkeit der Beurteilung der Schuld(un)fähigkeit des Beschuldigten birgt und dafür die Bewertung der Ausführungen eines Sachverständigen erfordert, was aus Sicht eines Nebenklägers tatsächlich wie rechtlich als problematisch einzustufen ist. Rechtlich schwierig wäre insbesondere auch eine im Laufe des Sicherungsverfahrens ggf. notwendige Überleitung in das Strafverfahren gemäß § 416 StPO. Für den Beschwerdeführer gilt dies umso mehr, als dass der Vortrag seines Rechtsanwalts auf eine bestehende Sprachbarriere hin-deutet (Bl. 35 d. SB), die sich angesichts der Komplexität der genannten Schwierigkeiten nicht allein durch die Hinzuziehung eines Dolmetschers überwinden lassen dürfte.“

Dem tritt der Senat bei.“

Nebenklage II: Ich will einen Nebenklägerbeistand, oder: Wann muss er bestellt werden?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 09.03.2021 – 4 Ws 35/21 –, nimmt das OLG Hamm zur der Frage Stellung, wann der Nebenkläger einen Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands hat.

Die Staatsanwaltschaft hat dem u. a. einen Totschlagsversuch vorgeworfen.  Das Schwurgericht, zu dem Anklage erhoben worden war, hat das Hauptverfahren vor der großen Strafkammer eröffnet, weil es einen hinreichenden Tatverdacht für ein versuchtes Tötungsdelikt verneint hat. Es sei schon nicht wahrscheinlich, dass sich ein bedingter Tötungsvorsatz feststellen lasse, jedenfalls werde anzunehmen sein, dass die beiden Angeklagten strafbefreiend zurückgetreten seien. Die Strafkammer hat dann antragsgemäß (u.a.) die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluss gem. §§ 395 Abs. 1 Nr. 3, 396 StPO festgestellt. Der Vorsitzende hat aber die beantragte Beiordnung eines des Nebenklägers abgelehnt, weil er nicht Verletzter einer Tat nach § 397a Abs. 1 StPO sei. Dagegen die erfolgreiche Beschwerde:

„1. Die Voraussetzungen für eine Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers liegen vor.

Einen entsprechenden Antrag hat er gestellt. Er ist auch Verletzter einer versuchten rechtswidrigen Tat nach §§ 212, 22, 23 StGB i.S.v. § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Der Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands besteht bereits dann, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte ein Delikt i.S.v. § 397a Abs. 1 StPO begangen hat und seine Verurteilung deswegen in Betracht kommt bzw. die Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheint (BGH NJW 1999, 2380: Dort wurde eine solche Möglichkeit in einem Fall bejaht, in dem das Tatgericht bereits einen Rücktritt vom Versuch des Totschlags angenommen und der Nebenkläger die Beistandsbeiordnung für die Revisionsinstanz beantragt hatte; BGH NStZ 2000, 552; BGH NStZ-RR 2008, 352, 353). Nicht relevant ist hingegen, ob die vorgeworfene Tat in der Anklage oder im Eröffnungsbeschluss als Nebenklagedelikt gewertet wurde. Nicht erforderlich ist ein dringender oder hinreichender Tatverdacht (OLG Celle StraFo 2017, 195, 196). Dies ergibt sich daraus, dass § 397a Abs. 1 StPO – anders als etwa § 112 StPO oder § 170 StPO – nicht auf einen bestimmten Verdachtsgrad abstellt, sondern auf ein Verletztsein durch bestimmte Straftaten. Dabei kommt es aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht darauf an, dass bereits die Verletzteneigenschaft feststeht oder für sie bereits ein bestimmter Verdachtsgrad besteht. Vielmehr soll dem Verletzten durch seine Stellung als Nebenkläger die Möglichkeit eingeräumt werden, aktiv auf das Verfahrensergebnis einzuwirken (BT-Drs. 10/5305 S. 11). Diese Möglichkeit würde geschmälert, wenn man ihm einen rechtlichen Beistand in scheinbar aussichtslosen Fällen verweigert. Er wäre dann eventuell gar nicht in der Lage, in seinem Sinne auf das Verfahrensergebnis einzuwirken. Dementsprechend kann es auf irgendwie geartete Erfolgsaussichten für Beistandsbeiordnung ebenso wenig ankommen, wie dies bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO der Fall ist. Bei dieser hat der Gesetzgeber bewusst von dem Erfordernis der Prüfung einer hinreichenden Erfolgsaussicht Abstand genommen (BT-Drs. 10/5305 S. 14; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 397 Rdn. 9). In Anlehnung an die Verletzteneigenschaft i. S. v. § 172 StPO (vgl. zu dieser Parallele OLG Koblenz, Beschl. v. 30.05.1988 – 2 VAs 3/88 – juris LS; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., Vor § 406d Rdn. 1) kann daher eine Beistandsbestellung nur dann ausscheiden, wenn bereits nach der Darstellung des Nebenklägers seine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung ausscheidet oder – nach allgemeinen Grundsätzen – die Wahrnehmung des Rechts der Beistandsbestellung rechtsmissbräuchlich ist.

Daran gemessen liegen die Voraussetzungen des § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO in Bezug auf den Nebenkläger vor. Angesichts der massiven Gewalteinwirkung auf den Kopf des Nebenklägers durch die Angeklagten mit einem Gegenstand und womöglich auch mit dem beschuhten Fuß (vgl. Bl. 1571 d.A.) besteht – wie auch in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt – jedenfalls die Möglichkeit, dass die Angeklagten die Tötung des Nebenklägers zumindest billigend in Kauf genommen haben. Anders als in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, erscheint dem Senat auch das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags nicht so evident, dass eine Verfolgung des Ziels einer entsprechenden Verurteilung der Angeklagten als schlechthin ausgeschlossen und damit als rechtsmissbräuchlich erscheint. So hat der Zeuge C in seiner Vernehmung vom 30.08.2020 (Bl. 213) angegeben: „Die Blutrünstigkeit und der Klärungsbedarf unter den Beteiligten war so intensiv, dass die Lage sich erst beruhigte, als die Blaulichter den Q [Straße des Tatortes, Anm. d. Senats] herunterfuhren.“ Insoweit käme es auf in der Hauptverhandlung zu klärende Details an, etwa wie nah die Polizei bereits war, als die Angeklagten sie bemerkten, welche Möglichkeiten sie noch sahen, bis zu deren Einschreiten den Nebenkläger tatsächlich zu Tode bringen zu können oder ob sich das Nahen der Polizei für die Angeklagten als unvertretbare Risikoerhöhung (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 9, 10) darstellte und sie nur deswegen auf eine Fortsetzung ihres Tuns verzichteten.“

BGH III: Auswechselung des Nebenklägerbeistands, oder: Das geht wie beim Pflichtverteidiger

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Ein Wechsel in der Person des Beistands des Nebenkläger durch Rücknahme der ursprünglichen Beiordnung und Bestellung eines neuen Beistands kommt nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in entsprechender Anwendung des § 143 StPO in Betracht. Das hat der BGH jetzt noch einmal im BGH, Beschl. v. 16.10.2018 – 4 StR 184/18 – bestätigt und den Antrag einer Nebenklägerin hinsichtlich des Beistandes „umzubeiordnen“.

„Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Die Beistandsbestellung durch das erstinstanzliche Gericht wirkt bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens fort und erstreckt sich somit auch auf die Revisionsinstanz. Ein Wechsel in der Person des Beistands durch Rücknahme der ursprünglichen Beiordnung und Bestellung eines neuen Beistands kommt nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in entsprechender Anwendung des § 143 StPO in Betracht (BGH, Beschlüsse vom 15. März 2001 – 3 StR 63/01 und vom 24. Juni 2010 – 3 StR 156/10, NStZ 2010, 714; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 397a Rn. 16 mwN). Die Nebenklägerin hat jedoch nichts dazu vorgetragen, was den Wechsel in der Person des Beistands rechtfertigen könnte. Dass die Nebenklägerin „wünscht, von der Kollegin B.   vertreten zu werden“, reicht hierfür nicht aus.“

Also: Derselbe „Eiertanz“….. 🙂 , d.h.: Bei Einverständnis des ursprünglichen Nebenklägerbeistandes und der Erklärung: Keine Mehrkosten für die Staatskasse müsste es gehen.

Immer Pflichtverteidiger, wenn ein gewählter Nebenklägerbeistand auftritt?

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Im Recht der Pflichtverteidigung wird – u.a. auch unter dem Stichwort „Waffengleichheit“ – in der Frage gestritten, ob einem Angeklagten immer dann – wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung (§ 140 Abs. 2 StPO) – ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn der Nebenkläger sich auf seine Kosten des Beistands eines Rechtsanwaltes bedient. Das ist nicht der Fall des im Jahr 2009 eingeführten § 140 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2 Satz 1 StPO, da e da um den beigeordneten Beistand geht. M.E. wird man das bejahen müssen.

Einen anderen Weg geht aber das KG im KG, Beschl. v. 27.08.2015 – 4 Ws 81/15. Das KG hatte schon im alten Recht eine andere Auffassung vertreten, die m.E. von der h.M. abweicht, nämlich Einzelfallbetrachtung (das KG sieht das anders). Die Rechtsprechung aus StV 2012, 714 = 2012, 260) setzt das KG nun aber fort, wenn es ausführt:

e) Schließlich führt der Umstand, dass die drei Nebenkläger anwaltlich vertreten sind, nicht zur Annahme einer notwendigen Verteidigung. Der Senat hat mit ausführlicher Begründung entschieden, dass in dem Fall, in dem sich – wie hier – ein Nebenkläger auf eigene Kosten des Beistands eines Rechtsanwalts bedient, keine Vermutung für die Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung spricht, sondern vielmehr die Bestellung eines Pflichtverteidigers dann in Betracht kommt, wenn aufgrund einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung begründet sind (vgl. Senat StV 2012, 714 = OLGSt StPO § 140 Nr. 32; zustimmend Laufhütte/Willnow in KK-StPO 7. Aufl., § 140 Rn. 19). Daran hält er fest. Wie in der genannten Entscheidung näher ausgeführt, bildet seine Rechtsprechung entgegen anders lautender Darstellung in der Kommentarliteratur (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 140 Rn. 31) keinen Gegensatz zur herrschenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Sie steht auch mit der neuen Rechtslage in Einklang. Der Gesetzgeber hat durch Einführung des § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO mit Wirkung zum 1. September 2013 zu erkennen gegeben, dass er die Bestellung eines Pflichtverteidigers (nur) für den Fall der gerichtlichen Beiordnung eines Verletztenanwalts als zwingend erforderlich ansieht. Während der Wahlverteidiger des Beschwerdeführers, der seine Argumentation im Übrigen auch auf die nicht mehr geltende alte Fassung des § 140 Abs. 2 Hs. 2 StPO stützt, offenbar davon ausgehen will, damit sei auch in den übrigen Fällen einer „Beteiligung von Nebenklagevertretern“ die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, legt der Senat zugrunde, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung mit der Einführung des § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO bewusst in Kenntnis der rechtlichen Diskussion getroffen hat und die Gesetzesfassung nicht etwa auf einem Versehen beruht. Diese Ansicht wird durch die Materialien gestützt, denen zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Auffangtatbestand des § 140 Abs. 2 StPO (n.F.) erhalten bleibe und beispielsweise den Fall erfasse, dass ein vom Verletzten „selbst beauftragter Anwalt auftritt und dadurch im Einzelfall ein die Verteidigung beeinträchtigendes Ungleichgewicht entsteht“ (vgl. BTDrs. 17/6261 S. 11; BRDrs. 213/11 S. 13, jeweils unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Köln in NStZ 1989, 542 [kursive Hervorhebung durch den Senat]). Der hier vertretenen Auffassung kann man auch nicht mit dem Hinweis darauf entgegen treten, mit ihr werde ein (vermeintliches) „Regel-Ausnahmeverhältnis“ umgedreht (in diesem Sinne aber Meyer-Goßner StV 2012, 718); denn ein solches gibt es in dem hier interessierenden, gesetzlich nicht geregelten Fall nicht. Der Senatsrechtsprechung steht insbesondere nicht die für den deutschen Strafprozess fragwürdige Sichtweise, dass bereits die Staatsanwaltschaft und (vor allem auch) das Gericht generell die „Gegenseite“ oder gar die Gegnerschaft des Angeklagten darstellten (so Meyer-Goßner aaO, auch unter Bezugnahme auf persönliche Anschauungen nicht benannter Gesprächspartner), entgegen.

Also: es bleibt dabei, dass eine Einzelfallbetrachtung  erforderlich ist.