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Der Exzess des Mittäters bei der Schlägerei, oder: Wenn die „körperliche Züchtigung“ aus dem Ruder läuft

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Heute dann mal wieder etwas aus der BGH-Rechtsprechung. Zunächst das BGH, Urt. v. 14.12.2016 – 2 StR 177/16 – zum „Mittäterexzess“. Es geht um eine Schlägerei, an der die drei Angeklagten zum Nachteil des Nebenklägers beteiligt waren. Das LG hat zwei der Angeklagten, die „den Nebenkläger für sein beleidigendes Verhalten züchtigen wollten“ lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei (§“ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4; 231 Abs. 1 StGB) und nicht auch wegen tateinheitlich hierzu begangener schwerer Körperverletzung verurteilt. Insoweit hat es nur einen der Angeklagten verurteilt (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB). Sein Verhalten hat das LG als Exzess des Mittäters, da es in Schwere und Gefährlichkeit den gemeinsamen Plan überschritten habe.

Der BGH hebt auf die Revision der StA auf. und führt zum „Mittäterexzess“ aus:

„Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht nicht frei von durchgreifenden, die Angeklagten M. N. und C. B. begünstigenden Rechtsfehlern. Die Erwägungen der Schwurgerichtskammer, aufgrund derer sie eine Strafbarkeit der Angeklagten M. N. und C. B. (auch) wegen schwerer Körperverletzung verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Im Rahmen der rechtlichen Erwägungen hat das Landgericht ausgeführt, dass das wuchtige Schleudern des Nebenklägers gegen die Wand als Exzess des Angeklagten H. N. zu bewerten sei. Eine derartige Behand lung des Nebenklägers überschreite in Schwere und Gefährlichkeit den gemeinsamen Plan, den Nebenkläger körperlich zu züchtigen. Eine weitere Begründung dieser Annahme erfolgt nicht. Insbesondere erörtert das Landgericht nicht, welche konkreten Tathandlungen bzw. welche konkreten Formen der körperlichen Züchtigung von dem gemeinsamen Tatplan gedeckt waren und ob sich diese in Schwere und Gefährlichkeit von der Tathandlung des Angeklagten H. N. unterschieden, die letztlich zu den schweren Folgen geführt hat.

b) Ein Exzess des Mittäters liegt indes nur bei einem wesentlich vom gemeinsamen Tatplan abweichenden Ablauf vor (vgl. Senat, Urteil vom 5. Oktober 2005 – 2 StR 94/05, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 2; weitere Nachweise bei Joecks in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl., § 25 Rn. 243). Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muss, werden vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat (vgl. etwa Senat, Urteil vom 15. September 2004 – 2 StR 242/04, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, in-soweit in NJW 2010, 308, 309 nicht abgedruckt). Gleiches gilt für Abweichungen, bei denen die verabredete Tatausführung durch eine in ihrer Schwere und Gefährlichkeit gleichwertige ersetzt wird (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 – 3 StR 219/04 NStZ-RR 2005, 71, 72; Urteil vom 16. September 2009 – 2 StR 259/09, NStZ 2010, 33 f.). Ebenso ist ein Mittäter für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seines Tatgenossen gleichgültig ist (Senat, Urteil vom 15. September 2004 – 2 StR 242/04, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32; BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 – 3 StR 219/04 NStZ-RR 2005, 71, 72; Urteil vom 16. September 2009 – 2 StR 259/09, NStZ 2010, 33 f.; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, insoweit in NJW 2010, 308, 309 nicht abgedruckt).

c) Die Schwurgerichtskammer hat sich bei der Beurteilung des Mittäterexzesses nicht damit auseinandergesetzt, ob die drei Angeklagten sich überhaupt auf eine bestimmte Form der körperlichen Züchtigung geeinigt bzw. entsprechende Grenzen vereinbart hatten, oder ob es den Angeklagten M. N. und C. B. letztlich gleichgültig war, durch welche Handlungswei sen die jeweils anderen Tatgenossen „es dem Nebenkläger heimzahlen“ würden.

Unzweifelhaft waren nach den getroffenen Feststellungen vom gemeinsamen Tatplan jedenfalls die heftigen und wahllos geführten Faustschläge mit den Quarzsandhandschuhen gegen den Oberkörper und Kopf des Nebenklägers umfasst ebenso wie das Schlagen, Schubsen, Zu-Boden-Stoßen und Treten des Nebenklägers vor der Gaststätte. Davon ist auch das Landgericht ausgegangen.

Die Schwurgerichtskammer hat sich indes bei der Beurteilung des Mittäterexzesses ersichtlich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die vorgenannten Handlungen in ihrer Gefährlichkeit mit der Tathandlung des Angeklag-ten H. N. vergleichbar waren, die zu den schweren Folgen führte. Dies gilt – wie der Generalbundesanwalt im Einzelnen ausgeführt hat – unbeschadet dessen, dass auch unter Berücksichtigung der rechtlichen Würdigung zweifelhaft sein könnte, von welchem genauen Geschehensablauf das Landgericht ausgeht.

Weshalb der Tatplan der Angeklagten im Hinblick auf die von ihnen beabsichtigte sogenannte „Züchtigung“ des Nebenklägers zwar Faustschläge mit Quarzsandhandschuhen ins Gesicht umfasste, nicht aber ein Hochziehen des Nebenklägers, verbunden mit einem Stoßen gegen die Wand, drängt sich nicht ohne Weiteres auf. Ist eine Zurechnung dieser Körperverletzungshandlung nach § 25 Abs. 2 StGB möglich, dann kann auch die eingetretene Folge nach § 18 StGB zugerechnet werden.“