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StPO III: Mindestanforderungen an die Anklageschrift bei einer Tatserie, oder: Ausreichende Konkretisierung

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Und dann als dritte StPO-Entscheidung noch der BayObLG, Beschl. v. 24.06.2021 – 202 StRR 67/21 – zu den Mindestanforderungen an die Anklageschrift bei einer Tatserie. Dem BayObLG hat in einem Verfahren wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen die Anklageschrift teilweise nicht gefallen:

„1. Soweit die Angeklagte in den Fällen II. 1. bis 26. des Berufungsurteils jeweils wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt wurde, fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageerhebung, weil diese Fälle von der Anklageschrift vom 14.11.2018 nicht erfasst sind.

a) Eine Anklageschrift muss nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (vgl. nur BGH, Beschl. v. 27.02.2018 – 2 StR 390/17 bei juris m.w.N.). Bei einer Vielzahl von Straftaten im Rahmen einer Tatserie, die häufig erst nach längerer Zeit angezeigt werden, ist eine Individualisierung nach Tatzeit und exaktem Geschehensablauf oftmals nicht möglich. Die Taten als Verfahrensgegenstand werden in diesen Fällen durch die Festlegung des zeitlichen Rahmens der Tatserie, die Nennung der Höchstzahl der nach dem Anklagevorwurf innerhalb dieses Rahmens begangenen Taten, die Person des Tatopfers und die wesentlichen Grundzüge des Tatgeschehens bestimmt (st.Rspr., vgl. nur BGH a.a.O.; Beschl. v. 04.03.2021 – 2 StR 423/20; 09.09.2020 – 2 StR 291/20 jew. bei juris; Urt. vom 11.01.1994 – 5 StR 682/93 = BGHSt 40, 44 = MDR 1994, 399 = StV 1994, 226 = BGHR StPO § 200 Abs 1 S 1 Tat 6 = NStZ 1994, 350 = NJW 1994, 2556 = NStZ 1994, 591 und 29.07.1998 – 1 StR 94/98 = BGHSt 44, 153 = StV 1998, 580 = NJW 1998, 3788 = wistra 1998, 357 = StraFo 1999, 16 = BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 15).

b) Diesen Anforderungen wird die Anklageschrift in den Fällen II. 1. bis 26. des Berufungsurteils nicht gerecht. Zwar sind die jeweiligen Opfer und die Tatzeiträume in der Anklageschrift geschildert. Eine Nennung der Höchstzahl der in den jeweiligen Tatzeiträumen nach dem Anklagevorwurf begangenen Taten unterbleibt indes, was aber nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zur ausreichenden Konkretisierung in solchen Fällen unbedingt geboten ist (BGH a.a.O.). Nur so kann gewährleistet werden, dass der Tatrichter zu einer umfassenden Aufklärung des nicht durch die Zahl der Einzelakte, sondern wesentlich durch die Art und Weise der Tatbegehung, die Person des Opfers und den Tatzeitraum charakterisierten Gesamtgeschehens in der Lage ist (vgl. nur BGHSt 40, 44). Die Höchstzahl, von der die Staatsanwaltschaft ausging, kann auch nicht etwa mittelbar der Anklageschrift entnommen werden. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuleitungsschrift vom 04.06.2021 aus der Nennung der Tatzeiträume eine Höchstzahl ableiten will, indem die Wochentage zugrunde gelegt werden, kommt dies in der Anklageschrift gerade nicht zum Ausdruck. Es ist schon nicht dargelegt, dass die Angeklagte in den Tatzeiträumen ununterbrochen mit der Betreuung der jeweiligen Kinder befasst war, und überdies bleibt unklar, ob die Verabreichung von Speisen durch die Angeklagte einmal oder mehrfach am Tag erfolgte. Für eine Hochrechnung anhand der Wochentage bietet der Inhalt der Anklageschrift mithin keine hinreichende Grundlage. Die Unklarheit der Anklage wird im Übrigen noch dadurch verstärkt, dass einerseits jeweils von „mehreren“ Taten bzw. mehrfachen Wiederholungen zum Nachteil mehrerer Kinder die Rede ist, andererseits aber im Rahmen der rechtlichen Würdigung nur 6 Fälle der Misshandlung von Schutzbefohlenen genannt werden, ohne dass ersichtlich wäre, ob es sich hierbei um die Nennung einer Höchstanzahl, die aber wiederum mit der Schilderung der Tatvorwürfe nicht in Einklang stünde, handelt oder ob dies Folge einer unzutreffenden Einschätzung der Konkurrenzen ist…..“

Täteridentifizierung: So wird der Beweisantrag richtig formuliert

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Geht es im Bußgeldverfahren um die Frage der Täteridentifizierung, werden häufig Beweisanträge auf Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens gestellt. Welche Anforderungen dabei zu beachten sind, ergibt sich aus dem OLG Bamberg, Beschl. v. 17.03.2017 – 3 Ss OWi 264/17.

Zu beachten ist danach Folgendes: Es darf mit dem Antrag nicht nur unter Beweis gestellt werden, dass der Betroffene zur Tatzeit nicht der Führer des Tatfahrzeugs gewesen ist. Das ist nur eine sog. Negativtatsache in Gestalt des erhofften Beweisziels. Das hat indes nicht der Sachverständige, sondern allein das Gericht auf der Grundlage der erhobenen Beweise zu ziehen. Es müssen daher im Beweisantrag Angaben entweder dazu gemacht werden, welche bestimmte – „verwechselungsgeeignete“ – Person anstelle des Betroffenen das Fahrzeug zur Tatzeit geführt hat bzw. auf dem Beweisfoto abgebildet ist oder aber wenigstens dazu, welche bestimmten morphologischen oder sonstigen Merkmale des Erscheinungsbilds, die eine Identität des Betroffene mit der auf dem Messfoto abgebildeten Person ausschließen, durch das beantragte Gutachten ermittelt werden sollen (vgl. auch BGH, Beschl. v. 24.01.2017 – 2 StR 509/16; OLG Hamm, Beschl. v. 15.09.2009 – 3 Ss OWi 689/09 und dazu: OLG Hamm 3 Ss OWi 689/09: Lehrbuch für Verteidiger).

Wird das nicht beachtet, handelt es sich nur um einen Beweisermittlungsantrag mit allen sich daraus ergebenden nachteiligen Folgen.