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OWi III: Entgegen dem BayObLG Einsicht in Messreihe, oder: Ende der Karriere :-)

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Und dann zum Schluss noch ein AG-Beschluss zum Dauerbrennerthema „Akteneinsicht im Bußgeldverfahren“. Ich stelle den Beschluss vor, weil er sich vom Mainstream der OLG-Rechtsprechung wohltuend absetzt und das in Bayern (!!).

Der Verteidiger des Betroffenen, dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt wird, hat Akteneinsicht beantragt, die nur teilweise gewährt worden ist. Gegen die Versagung der Gewährung von Akteneinsicht ist Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt worden

Das AG Passau hat im AG Passau, Beschl. v. 13.02.2024 – 4 OWi 749/23 – das bayerische Polizeiverwaltungsamt „angewiesen, dem Verteidiger die mit Antragsschriftssatz vom 16.12.2023 angeforderten Unterlagen in Form des ersten und des letzten Bildes der gesamten Messereihe sowie der jeweils 5 Bilder vor und nach der Messung des Betroffenen im Rahmen einer erneuten Akteneinsicht zur Verfügung zu stellen.“

Begründung:

„Dieser Antrag erweist sich als zulässig und begründet.

Grundsätzlich steht einem Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht zu gemäß § 46 I OWiG in Verbindung mit § 147 StPO.

Dieses umfasst regelmäßig lediglich die in der Akte des Bußgeldverfahrens enthaltenen Unterlagen. Das Akteneinsichtsrecht begründet grundsätzlich keinen Anspruch auf Erweiterung des Aktenbestandes.

Ein solcher Anspruch ergibt sich jedoch im vorliegenden Verfahren aus der gesetzlich gebotenen Aufklärungspflicht, denn die im Beschlusstenor genannten Unterlagen sind zur Überprüfung der verfahrensgegenständlichen Messung durch einen Sachverständigen spätestens diesem in der Praxis regelmäßig vorzulegen.

Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG verwenden Sachverständige diese Bilder der Messreihe zur Überprüfung einer Geschwindigkeitsmessung regelmäßig und ziehen aus diesen Rückschlüsse auf die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der Messung, welche sich beispielsweise durch eine im Rahmen des Vergleichs der Messbilder festzustellende Veränderung der Bildeinstellung ergeben kann.“

„Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG“ = Ende der Karriere 🙂 .

OWi II: Zweimal AG zur Akteneinsicht in Messserie u.a., oder: Antrag auf gerichtliche Entscheidung überholt?

Und dann im zweiten Posting drei Entscheidungen zur Akteneinsicht, Stichwort: Messserie u.a. Nichts Weltbewegendes, aber zwischendurch kann man ja mal wieder über die Problematik berichten. Denn ausgestanden sind die Dinge/Fragen nicht.

Hier sind dann:

Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, sind ihm die Daten der gesamten Messserie auf einem von der Verteidigung zur Verfügung gestellten Speichermediumzur Verfügung zu stellen.

    1. Dem Verteidiger ist auf seinen Antrag die vollständige Messreihe zu einer Geschwindigkeitsmessung zur Verfügung zu stellen, das ohne die Herausgabe der entsprechenden Daten der Anspruch auf des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt würde.
    2. Die Herausgabe des (öffentlichen) Token kann hingegen nicht verlangt werden.

Zwar wird nicht stets durch Einspruch oder Rechtskraft des Bußgeldbescheides eine nachträgliche Unzulässigkeit des Verfahrens nach § 62 OWiG eintreten. In Fällen jedoch, in dem der Antrag auf gerichtliche Entscheidung darauf abzielte, die Hauptsache-entscheidung vorbereitende prozessuale Fragen (insbesondere der Akteneinsicht des Betroffenen) zu klären, wird der Antrag durch das Fortschreiten des Verfahrens in Form des Ein-spruchs gegen einen erlassenen Bußgeldbescheid unzulässig, da er prozessual überholt ist. Erst recht gilt dies bei eingetretener Rechtskraft.

Die Beschlüsse des AG Beckum und des AG Köln sind m.E. zutreffend. Sie setzen konsequent die Rechtsprechung des BVerfG und – der des AG Köln – die des OLG Köln um. Die im Beschluss zitierte Entscheidung des OLG hatte ich ja hier auch vorgestellt.

Beim AG Dortmund habe ich so meine Bedenken, ob das zutreffend ist. Allerdings: Man kennt den genauen Sachverhalt nicht. So sind Beschlussinhalt und Leitsatz des AG für mich eine nicht überprüfbare Behauptung. Jedenfalls eröffnen solche Entscheidungem der AG den Verwaltungsbehörden die Möglichkeit, entsprechende Anträge mal einfach „ungestraft“ „liegen zu lassen“.

So, und dann mal aus Anlass dieses Postings <<Werbemodus an>>, denn: Wir sind allmählich mit den Arbeiten an der 7. Auflage vom „Handbuch des straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahrens“ am Ende, so dass einem Erscheinen im März/April nichts entgegenstehen dürfte. Daher: Vorbestellungen sind möglich. Und wer vorbestellt, muss sich um nichts mehr kümmern. Das Buch kommt dann automatisch.

Es gibt übrigens auch das „Verkehrsrechtspaket“ neu, also dann „Messungen“ in der 6. Aufl. und OWi-HB in der 7. Aufl. Aktueller geht nicht.

Zu den Vorbestellungen geht es hier. <<Werbemodus aus>>.

OWi II: Einsicht in die gesamte Messreihe zur Messung, oder: Einsichtsrecht und Aussetzungsantrag

Bild von Felix Müller auf Pixabay

Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann vom OLG Köln. Sie ist schon etwas älter, ich habe sie aber erst vor kurzem übersandt bekommen.

In dem Beschluss geht es um das Einsichtsrecht des Verteidigers in die so. Messreihe. Das OLG Köln begründet im OLG Köln, Beschl. v. 30.05.2023 – 1 RBs 288/22 – eingehend, warum der Verteidiger/Betroffene ein Einsichtsrecht hat und dass die Hauptverhandlung ggf. aus Antrag auszusetzen ist, wenn das Einsichtsrecht nicht beachtet worden ist.

Wegen der Einzelheiten bitte „Selbststudium. Hier nur mein Leitsatz:

Dem Verteidiger des Betroffenen ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG ggf. auf Antrag die vollständige Messreihe zu einer Geschwindigkeitsmessung zur Verfügung zu 72123, BeckRS 2023, 9523).

Akteneinsicht III: Zweimal OLG zur (Akten) Einsicht, oder: Einsichtsort und gesamte Messreihe

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Und im dritten Posting dann mal wieder zwei OLG-Entscheidungen zur (Akten) Einsicht im Bußgeldverfahren – Stichwort: Messreihe, Token und so. Das sind:

Das Zugangsrecht des Verteidigers auf Messunterlagen erstreckt sich nicht lediglich auf Einsicht in die Unterlagen in den Räumen der Dienststelle des Messbeamten. Eine Reise dorthin nur zu dem Zweck, die gesamte Messreihe einzusehen, kann dem ortsfremden Verteidiger des Betroffenen, bzw. dem von diesem beauftragten Sachverständigen grundsätzlich nicht zugemutet werden, da deren Anreise mit Mühen und Kosten verbunden ist, die außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen.

1. Der Betroffene hat keinen Anspruch auf Einsicht in die gesamte Messreihe.

2. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren kann aber grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang des Betroffenen zu nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgen. Die begehrten Informationen müssen aber zum Zweck der Ermittlung entstanden und weiterhin vorhanden sein, damit sie dem Betroffenen zur Verfügung gestellt werden können.

In dem Zusammenhang: Man fragt sich, wo die Entscheidung des BVerfG in 2 BvR 1167/20 bleibt. Angekündigt ist sie ja schon länger- Jetzt hört man, dass es im Juni etwas werden soll. Hoffentlich im Juni 2023 🙂 .

OWi II: OLG Celle zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Abwarten mit neuer Verhandlung bis „nach dem BGH“

Im zweiten Posting des Tages weise ich hin auf den OLG Celle, Beschl. v. 22.02.2022 – 2 Ss (OWi) 264/21, über den ja auch der Kollege Gratz im VerkehrsrechtsBlog schon berichtet hat. Das OLG hat in der Entscheidung noch einmal umfassend zur Einsicht in Messunterlagen Stellung genommen.

In der Entscheidudng geht es (zunächst) um das Einsichtsrecht des Betroffenen in Messunterlagen, wie z.B. Lebensakte mit etwaigen Reparatur,- Störungs,- Reinigungs- und Wartungsnachweisen. Insoweit verweise ich auf den Voltext der verlinkten Entscheidung. Das OLG führt dazu umfassend aus.

Hier will ich auf einen anderen Aspekt der Entscheidung hinweisen, nämlich auf die Frage, wie das OLG mit der Einsicht in die Messreihe umgeht. Ich erinnere, dass es dazu ja eine (Divergenz)Vorlage des OLG Zweibrücken und eine des OLG Koblenz gibt, über die ich hier ja auch schon berichtet habe. Dazu „verkneift“ sich das OLG eine eigene Aussage, aber regt an, dass das AG mit der neuen Hauptverhandlung wartet, bis der BGH – wann endlich? – entschieden hat:

„3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

a) Die Verteidigung des Betroffenen hat gegenüber der Bußgeldbehörde und nachfolgend im gerichtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht erfolglos die Bereitstellung der sog. Rohmessdaten aus der gesamten Messreihe aus der am Vorfallstag durchgeführten Geschwindigkeitsmessung sowie der Statistikdatei verlangt. Das Amtsgericht hat in seiner Entscheidung vom 20.05.2021 (Az. 17 OWi 369/21) einen Rechtsanspruch auf die Bereitstellung dieser Daten verneint.

Die Frage, ob einem Betroffenen aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens folgend ein Anspruch auf Einsicht in nicht bei den Verfahrensakten befindliche Rohmessdaten einer gesamten Messreihe zusteht, wird in der nach der o.g. Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 161/18 –, juris) ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt.

Einige Oberlandesgerichte haben auf der Grundlage der unter dem Titel „Der Erkenntniswert von Statistikdatei, gesamter Messreihe und Annullationsrate in der amtlichen Geschwindigkeitsüberwachung“ verfassten Stellungnahme der Physikalisch-Technische Bundesanstalt vom 30.03.2020 die vom Bundesverfassungsgericht vorausgesetzte „Relevanz“ für das Zugangsrecht des Betroffenen bzw. seiner Verteidigung zu begehrten nicht bei den Akten befindlichen Informationen hinsichtlich der Daten der gesamten Messreihe einer Geschwindigkeitsmessung abgesprochen. Hieran anknüpfend haben sie ein Einsichtsrecht der Verteidigung des Betroffenen verneint (vgl. BayObLG, Beschl. v. 04.01.2021 – 202 ObOWi 1532/20 –, juris; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 05.05.2021 – 1 OWi 2 SsBs 19/21 –, juris).

Andere Oberlandesgerichte hingegen gehen davon aus, dass die Bewertung, ob bestimmte Informationen für die Verteidigung „relevant“ sind, allein der Einschätzung der Verteidigung unterliegt und es daher genügt, wenn sie zur Begründung ihres Einsichtsbegehrens auf mögliche Auffälligkeiten, die sich aus der Betrachtung der Daten der gesamten Messreihe ergeben könnten, verweisen. Ihnen könne zudem auch unter Berücksichtigung der o.g. Stellungnahme der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt eine potentielle Beweiserheblichkeit nicht abgesprochen werden. Aufgrund dessen sei einem entsprechenden Einsichtsgesuch der Verteidigung stattzugeben (vgl. OLG Jena, Beschl. v. 17.03.2021 – 1 OLG 2 SsBs 23/20 –, juris; OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.08.2021 – 4 Rb 12 Ss 1094/20 –, juris).

Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat aufgrund der divergierenden Auffassungen in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung die Frage dem Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 GVG zur Entscheidung vorgelegt (vgl. OLG Zweibrücken, aaO). Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist bislang noch nicht ergangen.

Der Senat hat im vorliegenden Verfahren von einer eigenen Beurteilung der Rechtsfrage abgesehen, da insoweit die Entscheidung des Bundesgerichtshofs abzuwarten ist, welche im weiteren Verfahren bindend sein wird.

Für das Amtsgericht bietet es sich daher an, entweder mit einer neuen Hauptverhandlung bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs zuzuwarten oder die Daten der gesamten Messreihe vom Tag der Geschwindigkeitsmessung des Betroffenen anzufordern und sie seiner Verteidigung zugänglich zu machen.“

Damit kann man dann vielleicht als Verteidiger in anderen Verfahren, in denen die Frage eine Rolle spielt argumentieren.