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Pflichti III: Noch einmal zu Beiordnungsgründen, oder: Gesamtstrafe, Vollstreckung, stotternder Beschuldigter

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Und im letzten „Pflichti-Posting“ des Tages – und wohl auch des Jahres, aber man soll ja nie nie sagen 🙂 – dann noch zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar einmal zur „Schwere der Tat“ in einem Gesamtstrafenfall und einmal zur Bestellung im Strafvollstreckungsverfahren. In beiden Fällen ist die Bestellung abgelehnt worden.

Hier die Leitsätze der beiden Entscheidungen – zum Teil mit meinen – Leitsätzen:

Die Schwelle für die Bestellung eines Pflichtverteidigers von einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe ist auch bei der Gesamtstrafenbildung maßgeblich, was selbst dann gilt, wenn die Gesamtstrafe aus der verfahrensgegenständlichen Verurteilung und -künftigen Verurteilungen aus noch nicht abgeschlossenen Verfahren gebildet werden wird oder insoweit zumindest in Betracht kommt. Etwas Anderes gilt jedoch dann, wenn die Straferwartung im anhängigen Verfahren die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflusst.

Für die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist im Strafvollstreckungsverfahren maßgeblich, ob die vollstreckungsrechtliche Lage schwierig ist. Das ist dann der Fall, wenn n tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Fragen aufgeworfen werden, die Aktenkenntnis erfordern und über die regelmäßig auftretenden Probleme hinausgehen. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit erneut erheblich und einschlägig straffällig geworden und deswegen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Ob diese Entscheidung des OLG Brandenburg zutreffend ist, kann man m.E. ohne genaue Kenntnis der Umstände nicht beurteilen.

    1. § 140 Abs. 1 Nr. 11 StPO ist im Hinblick auf hör- und sprachbehinderte Beschuldigte wie § 140 Abs. 2 Satz 2 StPO a. F. auszulegen.
    2. Das Stottern eines Beschuldigten begründet den Fall einer notwenigen Verteidigung lediglich dann, wenn die Behinderung einen solchen Grad annimmt, dass die Befürchtung besteht, der Beschuldigte werde wegen seines Gebrechens nicht alles Notwendige sagen.

 

Befriedungsgebühr, oder: Gebührenhöhe nach Einstellung im Ermittlungsverfahren?

Freitag ist „Money-Day“ und da habe ich heute zwei sehr schöne Entscheidungen, die mir von Kollegen übersandt worden sind.

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Den Anfang macht der LG Marburg, Beschl. v. 30.11.2018 – 4 Qs 52/18, der sich mal wieder zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG äußert. Es geht um deren Bemessung/Höhe. Allerdings nicht um die – zu bejahende – Frage, ob die Nr. 4141 VV RVG eine Festgebühr ist, sondern um die bislang in der Rechtsprechung noch offene Frage, wie sich die Verfahrensgebühr bemisst, wenn das Verfahren im vorbereitenden Verfahren eingestellt wird. Dann könnte Anknüpfungspunkt die Nr. 4104 VV RVG sein, was zu einer niedrigeren Gebühr führen würde, oder die Ordnung des Gerichts, das mit dem Verfahren befasst worden wäre, wenn sich das Verfahren nicht durch Einstellung erledigt hätte.

Darum wurde beim LG Marburg gestritten. Eingestellt worden ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des versuchten Totschlags (§§ 212, 22 StGB). Der Verteidiger hatte die Gebühr Nr. 4141 VV RVG nach der Nr. 4118 VV RVG bemessen, und: Wen wundert es, dass er damit beim Bezirksrevisor auf wenig Gegenliebe gestoßen ist. Der meinte natürlich: Bemessung nach der Nr. 4104 VV RVG. Zutreffend anders das LG:

„Alleiniger Streitgegenstand der Beschwerde ist die Frage der Höhe der unstreitig entstandenen Befriedungsgebühr gemäß Nr. 4141 VV RVG nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch Mitwirkung des Verteidigers gemäß § 170 Abs. 2 StPO. Während das Amtsgericht eine Gebühr in Höhe von 316,00 € gemäß Nr. 4141 i.V.m. 4118 VV RVG festgesetzt hat, hält der Bezirksrevisor eine Gebühr in Höhe von 132,00 € gemäß Nr. 4141, 4104 VV RVG für zutreffend.

Nach Nr. 4141 Abs. 3 VV RVG richtet sich die Höhe der Befriedungsgebühr nach dem Rechtszug, in dem die Hauptverhandlung vermieden wurde. Vorliegend war demnach eine Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug anzusetzen, also im erstinstanzlichen Verfahren. Zu der Frage, ob damit die Verfahrensgebühr im vorbereitenden Verfahren oder im gerichtlichen Verfahren fest-zusetzen ist, verhält sich die Vorschrift nicht. Da das Verfahren vorliegend im Stadium des Ermittlungsverfahrens eingestellt wurde, liegt die Argumentation des Bezirksrevisors nahe, dass dann die Befriedungsgebühr auch nach der Verfahrensgebühr im Ermittlungsverfahren (132,00 € gem. Nr. 4104 W RVG) zur Anwendung kommen sollte. Hiergegen spricht jedoch der Normzweck bzw. der darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille, der sich aus der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (BT-Drucksache 15/1971 S. 227f.) ergibt: Danach soll mit der Schaffung der Befriedungsgebühr die intensive und zeitaufwändige Tätigkeit des Verteidigers honoriert werden, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führt. Deshalb soll ihm eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt werden. Die Befriedungsgebühr soll den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen. Absatz 3 soll demnach – laut weiterer Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (BI-Drucksache 15/1971 S. 227f.) – klarstellen, dass sich die Höhe der Gebühr nach der Instanz bemisst, in der die Hauptverhandlung entbehrlich geworden ist.

Unter Berücksichtigung dessen ist der in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Burhoff in Gerold/Schmitt, 23. Aufl. 2017, VV Nr. 4141, Rn. 49, Hartung/Schons/Enders, Kommentar RVG, 3. Aufl. 2017, VV Nr. 4141, Rdnr. 55) zuzustimmen, wonach sich die Befriedungsgebühr bei einer Beendigung des Verfahrens im vorbereitenden Verfahren nicht nach VV 4104 bemisst. Denn darin läge keine äquivalente Kompensation des Verlusts der entgehenden Terminsgebühr. Der Anreiz, das Verfahren durch Mitwirkung des Verteidigers in einem frühen Stadium zu beenden, würde nicht geschaffen, sondern der Verteidiger würde durch die Festsetzung der geringeren Gebühr nach VV 4104 sogar „bestraft“, indem er eine geringere Gebühr erhält. Dass damit das Ziel, weniger Hauptverhandlungen durchführen zu müssen, nicht erreicht wer-den kann, liegt auf der Hand.

Im Übrigen steht auch die Differenz der hier streitigen Gebührentatbestände und die sich daraus für die Staatskasse ergebene Mehrbelastung (von 218,96 €) in keinem Verhältnis zu den bei Durchführung einer Hauptverhandlung entstehenden Kosten, die, sofern der Angeklagte nicht verurteilt wird, ebenfalls der Staatskasse zur Last fallen.

Die Verfahrensgebühr war daher nach W 4106 ff. zu bemessen und richtet sich danach, welches Gericht mit dem Verfahren befasst worden wäre, wenn sich das Verfahren nicht erledigt hätte. Da vorliegend der Verdacht des versuchten Totschlags Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war, ist die vom Amtsgericht vorgenommene Zuordnung zu W 4118 RVG im Hinblick auf eine voraussichtliche Verhandlung vor dem Schwurgericht nicht zu beanstanden. Als zusätzliche Gebühr gem. Nr. 4141 Abs. 3, 4118 VV RVG waren daher 316,00 € festzusetzen.

Soweit der Bezirksrevisor hilfsweise die Festsetzung der Befriedungsgebühr gemäß Nr. 4141, 4106 VV RVG auf 132,00 € beantragt hat, da auch eine Anklage vor dem Amtsgericht möglich gewesen sein könnte (als minder schwerer Fall infolge einer möglichen Notwehrsituation), war dem nicht stattzugeben, da jedenfalls die hypothetische Zuordnung zur Schwurgerichtskammer vertretbar erscheint.“

Die Frage hat bei der Einstellung von Verfahren, die beim AG „gelandet waären, keine Bedeutung, aber hier – wie man sieht – dann doch.

Im Übrigen: Schade, dass das LG die weitere Beschwerde nicht zugelassen hat.

Fesselung bei der Darmentleerung, oder: Habt Ihr sie denn noch alle,…..?

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Nach dem  LG Kleve, Beschl. v. 07.12.2015 – 182 StVK 1/15 betreffend die Zulässigkeit der Fesselung eines Untergebrachten bei dessen Vorführung zu einem Anhörungstermin bei der StVK (vgl. dazu Fesselung eines Maßregelpatienten bei der Vorführung?, oder: Hat das OLG Hamm seine Hausaufgaben nicht gemacht?), nun das LG Marburg, Urt. v. 22.09.2015 – 7 O 112/11. In ihm geht es um die Zahlung einer angemessenen Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Verurteilten. Verlangt hat der Verurteilte 5.000 € auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Der Kläger verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes mit anschließender Sicherheitsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt. Während der gesamten bis zum streitgegenständlichen Vorfall dreizehnjährigen Haftdauer gab es keine Ereignisse, die auf einen Fluchtwillen hindeuteten.

Am 19.11.2009 wurde der Kläger aufgrund plötzlich aufgetretener krampfartiger Schmerzen im Unterleib in die Asklepios-Klinik Schwalmstadt verbracht. Auf Anweisung der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt wurden dem Kläger Hand- und Fußfesseln angelegt und zudem ständige und unmittelbare Bewachung angeordnet. Die Fesselung wurde während der ärztlichen Untersuchung und Behandlung, bei der der Kläger Einläufe erhielt, beibehalten.

Zur Bewachung des Klägers befanden sich mindestens sechs Polizeibeamte in dem Behandlungszimmer, die das Zimmer auch während der Verabreichung der Einläufe nicht verließen und somit Zeuge der für den Kläger unangenehmen Prozedur wurden. Im Anschluss an die Einläufe wurde dem Kläger nicht gestattet, den im Behandlungszimmer befindlichen fensterlosen Toilettenraum aufzusuchen. Es wurde auf Weisung der bewachenden Polizeibeamten ein Toilettenstuhl in das Behandlungszimmer gebracht, auf dem der Kläger in Gegenwart der Polizeibeamten seine Notdurft verrichtete. Auch während dieses Vorgangs blieb die Fesselung an Händen und Füßen bestehen. Gegenüber dem Hinweis des Klägers, eine Flucht sei nicht beabsichtigt, verwiesen die Beamten auf die Anordnung der Fesselung. Im Anschluss daran wurde der Kläger zur weiteren Behandlung in das Vollzugskrankenhaus nach Kassel transportiert.

Mit Beschluss vom 07.05.2010 hat die 7. Strafkammer – Strafvollstreckungskammer – des Landgerichts Marburg/Lahn festgestellt, dass die Sicherungsmaßnahmen anlässlich des Krankenhausaufenthaltes am 19.11.2009, soweit diese von der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt veranlasst waren, rechtswidrig waren (Beiakte 7a StVK 262/09, Bl. 8f. d. A.).

Der Kläger begehrt eine angemessene Entschädigung, wobei er sich einen Betrag in der Größenordnung von 5.000 € vorstellt. Der Kläger ist der Auffassung, dass die massive Bewachung eine Fluchtgefahr ausgeschlossen habe. Die Weigerung, dem Kläger die Nutzung des fensterlosen Toilettenraumes zu gestatten, habe ihn in seinen Rechten verletzt. Die Rechtsverletzung zwinge zur Gewährung einer Geldentschädigung. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit sei nicht geeignet, ihm zureichende Genugtuung und Wiedergutmachung zu vermitteln.“

Wenn man das liest, möchte man den Polizeibeamten noch nachträglich zurufen: „Habt Ihr sie noch alle, schon mal was von Menschenwürde gehört?“ Das LG gewährt dann auch eine Entschädigung, aber nur in Höhe von 2.500 €, was mir verhältnismäßig niedrig erscheint. Wenn man dann liest, mit welchen Argumenten das LG sich in dem Zusammenhang auseinandersetzen muss, dann weiß man, was das beklagte Land vorgetragen hat. Und dann möchte man denen, die das im Verfahren als Erwiderung verfasst haben, noch mal rufen: „Habt Ihr sie denn noch alle, ……“ Allein, dass der Kläger Klage erheben musste, ist m.E. schon ein Unding, aber dann offenbar u.a. auch noch folgende Argumente des Landes:

„Die Fesselung des Klägers während der Behandlung begründete sowohl mit Blick auf das Krankenhauspersonal als auch auf die anwesenden Vollzugs- und Polizeibeamten eine Bloßstellung und damit auch eine Entwürdigung. Hierbei ist davon auszugehen, dass angesichts der zahlenmäßigen Übermacht der Beamten, der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers und der Behandlungsmaßnahmen eine Flucht oder eine Gefährdung Dritter nahezu ausgeschlossen war.

Mit dem Argument, ein Patient empfinde die Zuwendung einer ärztlichen Behandlung mit einer gewissen Erleichterung und Dankbarkeit lässt sich die Beeinträchtigung nicht relativieren, da eine solcherart empfundene Dankbarkeit nicht auch auf eine Fesselung und die Beobachtung durch die anwesenden Beamten bezogen ist. Gegen die Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle spricht auch nicht, dass das medizinische Personal der Verschwiegenheitspflicht unterlag. Der Kläger wendet sich nicht primär gegen die Beobachtung durch medizinisches Personal, sondern gegen die Fesselung während der Behandlung und die Beobachtung durch umstehende Beamte der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt und des Sondereinsatzkommandos der Polizei. Die durch Fesselung und Überwachung mit mehreren Beamten begründete Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes des Klägers ist auch nicht mit der weithin üblichen Behandlung in einem Zweibettzimmer zu vergleichen. Ungeachtet des Umstandes, dass deutlich mehr Personen als ein gedachter Mitpatient anwesend waren, ist der Krankenhausbetrieb im Regelfall in der Lage, durch mobile Trennwände oder ähnliche Maßnahmen auch in einem Zweibettzimmer eine abgeschirmte Behandlungssituation zu gewährleisten, wenn dies der Zustand des Patienten oder die Behandlung erfordern. Bedeutung für das Ausmaß der Beeinträchtigung im Einzelfall hat allerdings der vom Kläger selbst vorgetragene Umstand, dass er aufgrund der Schmerzen genauere Erinnerungen an die Einzelheiten der Situation nicht mehr hat (Bl. 33 d. A.). In diesem Zusammenhang muss auch Berücksichtigung finden, dass die bloßstellende Behandlung unter fortdauernder Fesselung allenfalls einen kurzen Zeitraum von wenigen Stunden andauerte.

Auch mit Blick auf das Maß der Sorgfaltspflichtverletzungen sprechen die überzeugenderen Gründe für die Annahme einer Entschädigungspflicht. Die Anordnung einer ununterbrochenen Fesselung bzw. die Außerachtlassung derjenigen Aspekte, die zur wenigstens kurzzeitigen Lockerung der Fesselung drängten, kann als qualifizierte Sorgfaltsverletzung angesehen werden. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Fesselung während der Darmentleerung. Entsprechendes gilt für die Weigerung, den fensterlosen Toilettenraum nutzen zu dürfen. Auch hierfür ist ein nachvollziehbarer Grund nicht ersichtlich. Dass die insofern vorgebrachten Sicherungsüberlegungen oder Aspekte der medizinischen Behandlung eine ernsthafte Rolle gespielt haben können, erschließt sich für die Kammer nicht. Der Sorgfaltspflichtverstoß der mit der Ausführung befassten Beamten erscheint aus den oben dargestellten Gründen auch nicht deshalb geringer, weil die behandelnden Ärzte eine Aufhebung der Fesselung nicht für erforderlich hielten.

Nicht zu überzeugen vermag auch das Argument des beklagten Landes, der Kläger habe sich im Nachgang zu der Ausführung über die Fesselung nicht beschwert. Zunächst ist eine Beschwerde im weiteren Sinn jedenfalls in dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit vom 28.11.2009 zu erblicken. Zudem ließe das Fehlen einer persönlichen Missfallensbekundung nicht den Schluss zu, die Beeinträchtigung sei nur gering gewesen, werde als gering empfunden oder klaglos hingenommen.

Ob die anwesenden Beamten anlässlich der ärztlichen Behandlung abfällige Bemerkungen machten, ist für die Frage der Zubilligung einer Entschädigung und deren Höhe nicht von Bedeutung, da der Kläger das Geschehen selbst nur verschwommen wahrnahm. Keine wesentliche Bedeutung kommt auch dem Umstand zu, dass der Kläger nach seinem unstreitig gebliebenen Vortrag infolge des Ereignisses an Alpträumen leidet. Nach menschlichem Ermessen sind auch zahlreiche andere in der Biografie des Klägers begründete Umstände zur Auslösung von Alpträumen geeignet. Hierfür spricht gerade auch die Angabe des Klägers, diese Alpträume nicht zum Schwerpunkt der Klage machen zu wollen (Bl. 28 d. A.).

Zu berücksichtigen war allerdings der Umstand, dass die Fesselung des Klägers eine effektive Reinigung nach dem Ausscheidungsvorgang erheblich beeinträchtigt haben dürfte.“

Man könnte „kotzen“, wenn man es liest.

„Der Vorsitzende legt die Sache der Staatsanwaltschaft zur Prüfung vor, ..“ – beim LG Marburg geht es zur Sache

Vor einigen Tagen hatte der Kollege Wolf in seinem Blog unter dem Titel: „LG Marburg: Honorarverlangen des Pflichtverteidigers stört Vertrauensverhältnis“ über den LG Marburg, Beschl. v. 22.05.2012 – 7 StV 442/10 – berichtet (vgl. hier den Beitrag). Der Beitrag ist – was mich ein wenig erstaunt- untergangen. Darum will das Thema hier noch einmal aufgreifen, vielleicht habe ich ja mehr Resonanz.

Worum geht es? Dem LG-Beschluss lässt sich folgender Sachverhalt entnehmen:  Der Verurteilte befindet sich zum Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Im Prüfungsverfahren nach §§ 67e, 67d Abs. 2 StGB wurde ihm Rechtsanwalt P. nach § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 29.03.2012 beschwerte sich der Verurteilte über den Pflichtverteidiger und trug u.a. vor, dieser habe ein Zusatzhonorar zu den Pflichtverteidigergebühren vereinbaren wollen. Dem habe der Verurteilte nicht zugestimmt, und er habe nun den Eindruck, dass die Verteidigung schlecht geführt werde. Der Verurteilte beantragt, den Verteidiger zu entpflichten und einen anderen Anwalt beizuordnen. Dem Antrag hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer entsprochen.

Zur – mehr als knappen – Begründung:

Der Antrag der Verurteilten ist begründet. Es ist allgemein anerkannt, dass die Pflichtverteidigung aufgehoben werden kann, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger schwerwiegend gestört ist (Meyer-Goßner StPO § 143 Rdn. 3 m. zahlreichen Nachweisen). So ist es fraglos hier: Ein Verteidiger, der gegenüber dem Mandanten deutlich macht, dass ihm das Honorar eines Pflichtverteidigers nicht genügt, erweckt bei jedem vernünftig denkenden Mandanten den klaren Anschein, ohne das Zusatzhonorar werde die Verteidigung nicht ordentlich geführt. Auf dieser Grundlage sollte niemand Vertrauen in die Güte der Verteidigung entwickeln müssen.

Und was soll/muss man davon halten: Nun – m.E. ist der Beschluss falsch, und zwar aus folgenden Gründen: Es ist allgemein anerkannt, dass auch der Pflichtverteidiger mit dem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung treffen kann (vgl. dazu die Nachw. bei Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2012, Teil A: Vergütungsvereinbarung [§ 3a], Rn. 1514). Der Pflichtverteidiger darf allerdings keinen Druck auf den Mandanten im Hinblick auf den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung ausüben (vgl. dazu u.a. BGH NJW 1980, 1394; StRR 2010, 236), also ihm deren Abschluss z.B. in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einem Termin antragen (vgl. BGH, a.a.O., für Hauptverhandlung). Auch darf er den Mandanten nicht massiv bedrängen und eine „Schlecht-/Minderleistung“ in Aussicht stellen (vgl. dazu die Fallgestaltung bei KG StRR 2011, 261 m., Anm. Burhoff). Aber hat der Pflichtverteidiger das hier getan? M.E. nicht. Denn er hatte den Mandanten wie folgt angeschrieben:

Sehr geehrter Herr NN,

ich teile Ihnen gegenüber mit, dass ich nunmehr Ihrem Wunsch entsprechend zum Pflichtverteidiger im Vollstreckungsverfahren beauftragt wurde. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass wir uns bei der nächsten Besprechung ggf. über die Verabredung eines Zusatzhonorars unterhalten können, da Sie sich bestens vorstellen können, dass das Honorar eines Pflichtverteidigers — zumal im Vollstreckungsverfahren — als vollkommen unangemessen zu bewerten ist.

Sobald es meine Zeit erlaubt, werde ich Sie zu einer Besprechung in Gießen aufsuchen.
Zur Ihrer Einstellung und Vorbereitung übersende ich Ihnen in Kopie das Prognosegutachten der Klinik vorab.

Mit freundlichem Gruß“

 

In dem Schreiben kann ich ein unangemessenes Bedrängen des Mandanten, aus dem der schließen kann/muss, der – von ihm gewünschte – Rechtsanwalt werde, wenn es nicht zum Abschluss der Vergütungsvereinbarung komme, seine Verpflichtungen ihm gegenüber nicht bzw. nicht ordnungsgemäß erfüllen, nicht erkennen. Anders im Fall des KG (vgl. den Sachverhalt in StRR 2012, 261). Hier ist bislang lediglich angekündigt worden, dass man sich über die „Verabredung eines Zusatzhonorars“, also eine Vergütungsvereinbarung „unterhalten“ wolle. Nachteilige Folgen für den Fall, dass diese nicht abgeschlossen wird, werden nicht in Aussicht gestellt und kann man m:E. auch nicht in das Schreiben des Verteidigers hineinlesen. Damit stellt die Entscheidung des Vorsitzenden die Rechtsprechung des BGH, ohne das mit einem Wort zu begründen auf den Kopf: Wenn nämlich allein der Vorschlag, eine Vergütungsvereinbarung abzuschließen, ausreicht, um eine Störung des Mandatsverhältnisses anzunehmen, dann gilt der Grundsatz, dass auch der Pflichtverteidiger eine Vergütungsvereinbarung treffen kann, nicht mehr. Die Entscheidung schießt damit weit über das Ziel hinaus.

 

2. Und Letzteres gilt erst recht für die im Beschluss enthaltene Mitteilung des Vorsitzenden, die ich wörtlich zitiere: „Der Vorsitzende legt die Sache der Staatsanwaltschaft zur Prüfung vor, denn der Pflichtverteidiger hat keinen Anspruch auf ein Zusatzhonorar und stellt dem Mandanten hinreichend deutlich vor Augen, dass er ohne das Zusatzhonorar seine gesetzlichen Pflichten als Verteidiger nicht ordentlich erfüllen wolle.“ Also: Anregung eines Ermittlungsverfahrens wegen Nötigung (§ 240 StGB). Aber: Wo bitte wird vom Pflichtverteidiger damit gedroht/in Aussicht gestellt, „dass er ohne das Zusatzhonorar seine gesetzlichen Pflichten als Verteidiger nicht ordentlich erfüllen wolle“. Es wird lediglich ein Gespräch über die Vergütungsvereinbarung angekündigt. Das ist aber noch keine Nötigung. Offenbar wird das aber beim LG Marburg anders gesehen.

 

3. Was mich zusätzlich erstaunt: Der Pflichtverteidiger hat die Entscheidung rechtkräftig werden lassen. Das verstehe ich nun gar nicht. M.E. wäre die Beschwerde angebracht und auch erfolgreich gewesen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg