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Pflichti I: Wieder etwas zu Beiordnungsgründen, oder: Schwere der Tat, Waffengleichheit, Beweisverwertung

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und heute dann mal wieder ein Pflichtverteidigungstag. Es haben sich wieder ein paar Entscheidungen angesammelt. Nichts Weltbewegendes, aber es lohnt sich :-).

Zunäch dann die Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen – und auch ein wenig Verfahrensrecht. Ich stelle aber nur die Leitsätze vor, und zwar:

1. Nach ganz überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung ist eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe in der Regel Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers. Diese Grenze für die Straferwartung gilt auch, wenn sie nur wegen einer Gesamtstrafenbildung erreicht wird.

2. Eine – auch entsprechende – Anwendung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO auf die Fälle des § 141 Abs. 1 StPO ist aufgrund der eindeutigen Systematik des § 141 StPO ausgeschlossen.

1. Gegen die Versagung der Bestellung eines Pflichtverteidigers steht dem Beschuldigten ein Beschwerderecht zu, nicht aber dem nicht beigeordneten Rechtsanwalt. Im Zweifel ist zwar davon auszugehen, dass eine Einlegung eines Rechtsmittels nicht im eigenen Namen des Verteidigers erfolgt. Dies gilt allerdings nicht, wenn sich aus den Umständen die Beschwerdeeinlegung im eigenen Namen des Verteidigers ergibt.

2. Die Schwere der dem Beschuldigten drohenden Rechtsfolgen, die die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt, bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile, wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen.

3. Zur Frage, wann weitere laufende Verfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfordern.

Der Grundsatz des fairen Verfahrens erfordert beim Vorwurf einer gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung, sowie der Tatsache, dass sowohl die beiden als Haupttäter Mitangeklagten als auch der Nebenkläger anwaltlich vertreten sind, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers.

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn das Amtsgericht aufzuklären hat, ob es sich bei einer Äußerung des Beschuldigten um eine verwertbare Spontanäußerung gehandelt hat oder ob ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen §§ 163a Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO in Betracht kommt.

Na, zufrieden? Ich denke, dass man das sein kann, denn insbesondere die Entscheidungen des LG Magdeburg und des LG Nünrberg-Fürth sind „sehr schön“.

Zu der verfahrensrechtlichen Porblematik bei LG Koblenz kann man nur sagen: Selbst schuld, denn warum macht man nicht deutlich, dass der Mandant Rechtsmittel einlegt?

1,82 Promille – keine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad

Der Angeklagte war auf dem Fahrrad mit einer BAK von 1,82 ‰ unterwegs. Anklage wegen einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt. Die verneint das LG Dessau, Urt. v. 22.03.2011 -7 Ns 593 Js 21502/10 mit einer interessanten Argumentation:

Eine vorsätzliche Begehensweise konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Zwar spricht die bei dem Angeklagten festgestellte hohe Blutalkoholkonzentration dafür, dass er sich der Möglichkeit seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bewusst gewesen sein könnte. Allerdings kann nicht allein aufgrund des Blutalkoholgehaltes auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden. Vielmehr müssen hierfür weitere Indizien herangezogen werden. Vorliegend haben sich jedoch keine weiteren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat. Er ist bisher weder strafrechtlich in Erscheinung getreten, noch durch besonders vorsichtige Fahrweise oder das Benutzen von Schleichwegen aufgefallen. Stattdessen ist er vom Stadtfest aus kommend mit seinem Fahrrad – und nicht mit einem PKW — eine gut beleuchtete Durchgangsstraße entlanggefahren. Dabei fuhr er in Schlangenlinien direkt auf den deutlich sichtbaren, am Straßenrand stehenden Polizeiwagen zu, anstatt vom Fahrrad abzusteigen oder umzudrehen. Zudem trat er gegenüber den Polizeibeamten nicht schuldbewusst oder reumütig auf; sondern wirkte eher aufgebracht. Aufgrund dieser Umstände ist die Kammer trotz des hohen Blutalkoholgehaltes davon ausgegangen, dass der Angeklagte lediglich fahrlässig und nicht vorsätzlich gehandelt hat.“

Den Angeklagten „rettet“ also seine Fahrweise und sein Auftreten :-). Wegen der 1,82 ‰ kommt das dicke Ende dann aber noch an anderer Stelle.