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StGB I: Wann ist es eine „kriminelle Vereinigung“?, oder: Abgrenzung zur Bande

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Ich stelle heute dann mal wieder einige StGB-Entscheidungen vor, aber heute dann auch mal zwei Entscheidungen, die sich nicht mit den Delikten befassen, die „alltäglich“ sind bzw. sonst die Berichterstattung beherrschen.

Und ich beginne mit dem LG Köln, Beschl. v. 09.11.2020 – 101 Qs 72/20. In ihm geht es um den Begriff der kriminellen Vereinigung i.S. des § 129 StGB und die Abgrenzung dieses Begriffs zur Bande. Da der Beschluss gut 26 (!) Seiten lang ist, eignet er sich nicht so gut, um hier eingestellt zu werden. Daher verweise ich auf den Volltext.

Und hier mache ich es mir einfach und stelle das Übersendungsschreiben der 1. großen Strafkammer des LG Köln ein:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

in der Anlage übersende ich Ihnen einen Beschluss unserer Kammer vom 09.11.2020 (101 Qs 72/20), der aus meiner Sicht für eine Veröffentlichung in Betracht kommen könnte.

In diesem Beschluss hat sich unsere Kammer im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens ausführlich mit dem Begriff der kriminellen Vereinigung befasst, insbesondere ausgeführt, dass auch nach der Einführung der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 StGB weiterhin eine trennscharfe Abgrenzung von Bande und krimineller Vereinigung möglich sein müsse. Höchstrichterliche Entscheidungen liegen hierzu, soweit wir sehen, nach der Gesetzesneufassung noch nicht vor. Die Kommentarliteratur erkennt das Problem einer geradezu uferlosen Anwendung des § 129 StGB und hat die Hoffnung geäußert, dass die Rechtsprechung dem Begriff ggfs. neue Konturen verleihen könne. Diesem Ziel haben wir uns in dem angesprochenen Beschluss, mit dem wir einen u.a. auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gestützten Haftbefehl aufgehoben haben, auf den Seiten 4 bis 17 gewidmet.

Folgende Leitsätze könnten für den angehängten Beschluss in Betracht kommen:

  1. Zur Abgrenzung der kriminellen Vereinigung von der Bande nach der Neuregelung des § 129 Abs. 2 StGB mit Gesetz zur Änderung des Strafrechts vom 21.07.2017
  2. Der Anwendungsbereich des § 129 StGB ist weiterhin subjektiv zu begrenzen (Fortgeltung der in BGHSt 54, 216 entwickelten Auslegungsgrundsätze).
  3. Eine darauf verzichtende, allein am Zweck des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates der Europäischen Union vom 24.10.2008 orientierte Auslegung würde demgegenüber zu einer Verwischung der Grenzen von Bande und krimineller Vereinigung und damit zu einem unauflösbaren Bruch im System der Strafbarkeit mehrerer zusammenwirkender Personen führen, auf dem das deutsche materielle Strafrecht beruht.
  4. Ein „übergeordnetes gemeinsames Interesse“ im Sinne von § 129 Abs. 2 StGB scheidet daher weiterhin aus, wenn bloß ein persönliches Gewinnstreben der Täter im Vordergrund steht.

Die gegen unseren Beschluss gerichtete weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Köln hat das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 21.01.2021 (2 Ws 717/20) als unbegründet verworfen. Es hat ausgeführt, dass – mangels Ausbeutung – kein dringender Tatverdacht bezüglich eines Menschenhandels bestehe und letztlich offen bleiben könne, ob ein solcher bezüglich der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorliege, da es jedenfalls am Haftgrund fehle. Im Rahmen eines obiter dictums hat das Oberlandesgericht Köln ausgeführt, dass die Kammer „mit beachtlichen Argumenten“ darauf hingewiesen habe, dass es auch nach Einführung von § 129 Abs. 2 StGB n.F. möglich bleiben müsse, die kriminelle Vereinigung vom Begriff der Bande abzugrenzen; dies entspreche auch der Gesetzesbegründung.

Auch in einem ähnlich gelagerten Parallelverfahren hat das Oberlandesgericht Köln eine weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss der Kammer (vom 1.10.20, 101 Qs 64/20) mit Beschluss vom 21.01.2021 (2 Ws 614/20) als unbegründet verworfen. Auch hier hat das Oberlandesgericht Köln nicht abschließend zum Begriff der kriminellen Vereinigung Stellung genommen, aber erneut erwähnt, dass die Kammer „mit beachtlichen Gründen ausgeführt“ habe, dass gegen den Beschuldigten insoweit kein dringender Tatverdacht bestehe.“

Im Übrigen: Selbst lesen. Die Kammer hat sich viel Mühe gemacht.

„Hooligans als kriminelle Vereinigung“ und/oder: Die „dritte Halbzeit“

entnommen wikimedia.org Urheber Amarhgil

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So, jetzt mache ich mal das, was ich sonst selten bzw. ungern tue. Ich beziehe mich mal auf eine PM des BGH, und zwar auf die PM 11/2015 v. 22.01.2015. Grund: Das dieser PM zugrunde liegende BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 233/14 – ist mehr als 40 Seiten lang. Die kann man hier nicht vernünftig darstellen. Also greife ich auf die PM zurück und verweise im Übrigen auf den Volltext der BGH-Entscheidung. Überschrieben ist die PM mit: Hooligans als kriminelle Vereinigung. In der Sache ging es u.a. dann auch um die sog. „Dritte Halbzeit“. Im Einzelnen aus der PM:

„Der für Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat heute die Verurteilung von fünf Angeklagten weitgehend bestätigt, gegen die das Landgericht Dresden wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, teilweise in Tateinheit mit schwerem Landfriedensbruch und mit gefährlicher Körperverletzung auf Freiheits- bzw. Geldstrafen erkannt hatte.

Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten Rädelsführer bzw. Mitglieder einer in Dresden ansässigen Gruppierung von Hooligans, die im zeitlichen und räumlichen Umfeld von Fußballspielen des Vereins Dynamo Dresden, aber auch unabhängig davon an anderen Orten, Kämpfe gegen andere Hooligans ausfocht, zu denen sich die Gruppierungen zumeist vorher verabredet hatten. Für die Kämpfe existierten ungeschriebene, aber in den einschlägigen Kreisen allgemein anerkannte Regeln. Die Auseinandersetzungen dauerten oft nur einige Sekunden, höchstens Minuten und waren beendet, wenn alle Kämpfer einer Seite am Boden lagen, flohen oder wenn sonst die Niederlage anerkannt wurde. „Kampfrichter“, die bei Regelverstößen oder Verletzungen der Beteiligten unmittelbar eingriffen, gab es nicht. Allenfalls wurden Regelverstöße anschließend diskutiert und konnten dazu führen, dass der Verursacher nicht mehr zu Kämpfen mitgenommen wurde.

In dem über zwei Jahre andauernden Tatzeitraum kam es zu mehreren solcher Auseinandersetzungen, teilweise konnten verabredete Kämpfe wegen der hohen Polizeipräsenz nicht ausgefochten werden. Das Landgericht hat nur in einem dieser Fälle angenommen, dass sich die Beteiligten wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht hätten; denn nur in diesem Fall sei wegen der Anzahl der Kämpfer auf beiden Seiten die Gefährlichkeit der gegenseitigen Angriffe so groß gewesen, dass die jeweiligen Körperverletzungshandlungen trotz der von den Beteiligten stillschweigend erklärten Einwilligung in ihre Verletzungen sittenwidrig gewesen seien. Die Einwilligungen hätten daher gemäß § 228 StGB keine rechtfertigende Wirkung entfalten können. In den anderen Auseinandersetzungen habe eine derart hohe Gefährlichkeit der gegenseitigen Tätlichkeiten nicht vorgelegen, sodass die erteilten Einwilligungen wirksam und die Körperverletzungen daher gerechtfertigt gewesen seien.

In einem weiteren Fall hat die Strafkammer in einem Angriff auf mehrere türkische Gastronomiebetriebe in der Dresdener Neustadt im Sommer 2008 ebenfalls eine Tat der Vereinigung erblickt und die daran beteiligten Angeklagten insoweit auch wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat die Auffassung des Landgerichts, bei der Gruppierung der Angeklagten habe es sich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB gehandelt, im Ergebnis bestätigt. Anders als das angefochtene Urteil sieht er die Tätlichkeiten im Rahmen der verabredeten Prügeleien unabhängig von einer größeren Anzahl von Kämpfern auf beiden Seiten (und der Härte des Untergrunds am „Kampfort“) als strafbare (gefährliche) Körperverletzungen an. Diese Bewertung leitet der Senat daraus ab, dass die Beteiligten rechtswidrig und schuldhaft den Straftatbestand der Teilnahme an einer Schlägerei (§ 231 StGB) verwirklichten, wofür die Einwilligung der Kämpfer in die Körperverletzungshandlungen nach der Gesetzesstruktur von vornherein keine rechtfertigende Wirkung entfalten kann. An dieser Beurteilung der Körperverletzungshandlungen ändert sich auch nichts deswegen, weil bei keiner der Prügeleien eine der in § 231 StGB als Bedingung der Strafbarkeit vorausgesetzten schweren Folgen (Tod eines Menschen oder schwere Körperverletzung im Sinne des § 226 StGB) eingetreten ist und daher eine Bestrafung nach dieser Vorschrift nicht in Betracht kam. Weil die Gruppierung der Angeklagten gerade auch auf die Ausübung von Tätlichkeiten im Rahmen von Schlägereien ausgerichtet war, bestand ihr Zweck und ihre Tätigkeit daher in der Begehung strafbarer (gefährlicher) Körperverletzungen. Da sie auch die übrigen von § 129 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Merkmale erfüllte, hat sie das Landgericht im Ergebnis somit rechtsfehlerfrei als kriminelle Vereinigung erachtet.

Der Überfall auf die türkischen Gastronomiebetriebe kann nach Ansicht des Senats der Vereinigung hingegen nicht zugerechnet werden. Das Verfahren war deshalb hinsichtlich zweier Angeklagter mangels wirksamer Anklageerhebung einzustellen; hinsichtlich eines weiteren Angeklagten war der Schuldspruch auf Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu ändern. Für diese drei Angeklagten muss wegen des verbleibenden geringeren Schuldumfangs die Strafe neu zugemessen werden; im Übrigen ist das Urteil des Landgerichts Dresden rechtskräftig.“

Die Entscheidung ist zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt und wird sicherlich auch Gegenstand zahlreicher Besprechungen werden.