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Verkehrsrecht I: Straßenverkehrsgefährdung, oder: Wo ist die konkrete Gefährdung von Personen/Sachen?

Heute stelle ich dann mal wieder frei Entscheidungen mit verkehrsrechtlichem Bezug vor.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 4 StR 528/20 -, der noch einma/mal wieder zur Straßenverkehrsgefährdung Stellung nimmt. In dem Zusammenhang ist folgender Sachverhalt von Bedeutung:

„c) Nachdem sich der Beschuldigte mit seinem Pkw entfernt hatte, begann die verständigte Polizei nach ihm zu suchen. Als sich Polizeibeamte dem vor einer Ampel stehenden Pkw des Beschuldigten auf der Fahrerseite annäherten, fuhr dieser stark beschleunigend an und floh. Dabei folgte er weiter den ihn beherrschenden imperativen Stimmen, die ihm nunmehr geboten, vor den Polizeibeamten zu flüchten, um im Rahmen der Verfolgungsfahrt erschossen zu werden. Die Polizeibeamten fuhren dem Beschuldigten nach. Bei der sich anschließenden Verfolgungsfahrt missachtete der bewusst mit unangepassten Geschwindigkeiten von 60 bis 90 km/h fahrende Beschuldigte insgesamt sechs Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlagen, wobei er diese Verkehrsverstöße zumindest billigend in Kauf nahm. An zwei Einmündungen und an zwei Lichtzeichenanlagen mussten insgesamt sechs vorfahrtsberechtigte Fahrzeuge zur Vermeidung einer Kollision mit dem Fahrzeug des Beschuldigten sehr stark abbremsen. Dies hätte der Beschuldigte bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen und vermeiden können. Eine Kollision mit dem Fahrzeug des Beschuldigten hätte an den vorfahrtsberechtigten Fahrzeugen einen „erheblichen Gesamtschaden von insgesamt mindestens ca. 1.000 Euro“ verursachen können. Dessen Nichteintritt war nur dem Zufall und der geistesgegenwärtigen Reaktion der anderen Verkehrsteilnehmer geschuldet.“

Das LG ist von einer Straßenverkehrsgefährdung § 315c StGB) ausgegangen. Der BGH sieht das anders:

„Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Beschuldigte durch sein Fahrverhalten während der Verfolgungsfahrt den Tatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2a) und d), Abs. 3 Nr. 1 StGB verwirklicht hat. Dies führt zur Aufhebung der allein hierauf gestützten Entziehung der Fahrerlaubnis, der Einziehung des Führerscheins und der Bestimmung einer Sperrfrist und zum Entfallen dieser Maßregel. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann gleichwohl bestehen bleiben.

1. Die Annahme der Strafkammer, der Beschuldigte habe bei seiner Flucht vor der Polizei durch sein Fahrverhalten den Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2a) und d) StGB erfüllt, wird von den Feststellungen nicht getragen, weil diese nicht ergeben, dass es in den Fällen, in denen Fahrzeuge an Einmündungen zur Kollisionsvermeidung abgebremst werden mussten, zu einer konkreten Gefährdung von Personen oder fremden Sachen von bedeutendem Wert gekommen ist.

a) § 315c Abs. 1 StGB setzt in allen seinen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus.

Dazu ist es erforderlich, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2019 ? 4 StR 517/18, NStZ 2020, 225 Rn. 5; Beschluss vom 5. Dezember 2018 ? 4 StR 505/18, NStZ 2019, 346 Rn. 7; Beschluss vom 27. April 2017 – 4 StR 61/17 Rn. 6; Beschluss vom 5. November 2013 ? 4 StR 454/13, NZV 2014, 184, 185 mwN). Es reicht daher für die Annahme einer konkreten Gefahr nicht aus, dass sich Menschen oder Sachen in enger räumlicher Nähe zu dem Täterfahrzeug befunden haben. Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete ? etwa aufgrund überdurchschnittlich guter Reaktionen – noch zu retten vermochte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 1995 – 4 StR 234/95, NJW 1995, 3131).

Die Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert ist dabei nicht schon dann gegeben, wenn eine werthaltige Sache in einer solchen Weise gefährdet worden ist. Vielmehr ist auch erforderlich, dass ein bedeutender Schaden gedroht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2018 ? 4 StR 505/18, NStZ 2019, 346 Rn. 7; Beschluss vom 12. April 2011 – 4 StR 22/11 Rn. 5; Beschluss vom 29. April 2008 ? 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289 mwN). Dessen Höhe ist nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. April 2019 ? 4 StR 86/19, NStZ 2019, 677, 678; Beschluss vom 29. April 2008 ? 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289).

b) Diesen Vorgaben genügen die Feststellungen nicht, denn sie belegen weder entsprechend gefährliche Verkehrsvorgänge, noch bieten sie eine Grundlage für die Annahme, dass fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet wurden.

Für die Annahme, dass die in den Einmündungsbereichen von ihren Lenkern zum Stehen gebrachten Fahrzeuge konkret gefährdet waren, fehlt es an einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Denn die Urteilsgründe verhalten sich weder zu den gefahrenen Geschwindigkeiten noch zu der Intensität der zur Vermeidung einer Kollision vorgenommenen Bremsungen. Auch bleibt offen, in welchem Abstand zu dem vorbeifahrenden Fahrzeug des Angeklagten die vorfahrtsberechtigten Fahrzeuge in den jeweiligen Querstraßen zum Stehen gebracht wurden. Die Beweiswürdigung gibt hierfür keinen weiteren Anhalt, denn die Strafkammer vermag sich insoweit nur auf die Angaben der den Angeklagten verfolgenden Polizeibeamten zu stützen.

Schließlich verhält sich das Urteil weder zum Wert der beteiligten Fahrzeuge noch zu dem im Kollisionsfall zu erwartenden Schadensbild und dessen Bewertung.“

Nichts Besonderes, aber: Der BGH „erinnert“.

Verkehrsrecht I: Straßenverkehrsgefährdung, oder: Wann ist eine konkrete Gefahr gegeben?

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Ich hatte schon länger keinen Verkehrsrechtstag mehr. Heute ist es dann mal wieder so weit.

Und ich beginne mit dem OLG Celle, Beschl. v. 16.02.2021 -3 Ss 6/21 -, den mir der Kollege Reimers geschickt hat. Thematik: Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) und: Mal wieder nicht ausreichende Feststellungen für die „konkrete Gefahr“:

„Der Revision kann ein zumindest vorläufiger Erfolg in der Sache nicht versagt bleiben. Die vomn Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind nicht geeignet, den Schuldspruch zu tragen; sie sind lückenhaft.

Zwar ist es von Rechts wegen zunächst nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht auf-grund der getroffenen Feststellungen von einem grob verkehrswidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen ist. Ein rücksichtsloses Handeln im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB geht aus den Feststellungen des Amtsgerichts indessen ebenso wenig hervor wie das Vorliegen einer konkreten Gefahr.

Erforderlich für das Vorliegen einer konkreten Gefahr ist nach gefestigter Rechtsprechung die Feststellung einer auf Tatsachen gegründeten nahe liegenden Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses, bei der nach Würdigung aller konkret erheblichen Umstände im Rahmen einer objektiven nachträglichen Prognose im Sinne einer ex-ante Beurteilung der Eintritt eines substantiellen Schadens in so bedrohliche Nähe gerückt sein muss, dass seine Vermeidung sich nur noch als Zufall darstellt (vgl. nur Fischer, Strafgesetz-buch, 68. Aufl., § 315c Rn. 15a m.w.N.). Dies lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend entnehmen. Allein die Feststellung, dass es zu einem Unfall gekommen wäre, wenn der Zeuge W. nicht stark abgebremst und dem Fahrzeug des Angeklagten ausgewichen wäre, ist hierfür nicht ausreichend. Denn eine konkrete Gefahr liegt regelmäßig nicht vor, wenn es einem Verkehrsteilnehmer noch möglich ist, einen Unfall durch ein im Bereich einer verkehrsüblichen Reaktion liegendes Brems- oder Ausweichmanöver abzuwenden (vgl. BGH vom 03.11.2009, 4 StR 373/09). Es war dem Zeugen W. nach den Feststellungen ersichtlich möglich, dem Fahrzeug des Angeklagten durch ein reaktionsschnelles Fahrmanöver auszuweichen. Das Vorliegen einer konkreten Gefahr ist vielmehr anhand objektiver Kriterien, wie beispielsweise der Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge, des Abstandes zwischen ihnen sowie auch der Beschaffenheit der Fahrzeuge selbst und ggf. bestehender Ausweichmöglichkeiten zu ermitteln. Nicht ausreichend sind insoweit lediglich wertende Umschreibungen wie etwa ein „scharfes“ Abbremsen oder Ausweichen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es stellt im Wesentlichen nur auf ein dichtes Auffahren sowie auf einen Fahrstreifenwechsel des Angeklagten ab, durch welchen der Zeuge W. zu einem starken Abbremsen sowie zu einem Aus-weichen gezwungen wurde, jedoch nicht auf notwendige weitere Umstände, um eine strafbare Straßenverkehrsgefährdung anzunehmen. Soweit ein Beinahe-Unfall offenbar in dem – verkehrswidrigen – Rechtsüberholen des Angeklagten liegen könnte, fehlt es an jeglichen Feststellungen zur Verkehrssituation und zur subjektiven Tatseite. Bereits die Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge wird nicht mitgeteilt. So bleibt anhand der getroffenen Feststellungen bereits offen, ob sich das Geschehen bei hoher, mittlerer oder geringerer Geschwindigkeit oder bei etwaig erhöhtem Verkehrsaufkommen (sog. Kolonnenspringen) zugetragen hat. Auch fehlt es an Feststellungen zu den Fahrzeugen der Beteiligten sowie zur Beschaffenheit der Fahrbahn (nass, trocken). Es werden auch keine Umstände mitgeteilt, aus denen sich die gefahrene Geschwindigkeit zuverlässig ableiten ließe. Allein aus dem Auslösen des Antiblockiersystems bei dem Fahrzeug des Zeugen W. lässt sich die gefahrene Geschwindigkeit und hiernach die Annahme eines „Bei-nahe-Unfalls“ nicht herleiten, da, was der Senat als allgemeinkundig voraussetzt, auch bei sehr geringen Geschwindigkeiten bis hin zur Schrittgeschwindigkeit das Antiblockiersystem bei einem entsprechend starken Bremsvorgang ausgelöst werden kann, was nicht zuletzt auch abhängig ist von der Beschaffenheit der Fahrbahn. In Bezug auf das Ausweichmanöver des Zeugen W. fehlt es an Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten, insbesondere hinsichtlich eines eventuellen Abkommens von der Fahrbahn sowie eines Annäherns an die Mittelleitplanke.

Ein Rückschluss auf die gefahrenen Geschwindigkeiten lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass sich die getroffenen Feststellungen zufolge die Fahrzeuge des Angeklagten sowie des Zeugen W. zum Zeitpunkt des Vorfalls zumindest teilweise auf dem linken Fahrstreifen befunden haben und der rechte Fahrstreifen zu diesem Zeitpunkt von LKWs befahren wurde, da das Amtsgericht auch zu der gefahrenen Geschwindigkeit der LKWs keinerlei Feststellungen getroffen hat.

Darüber hinaus fehlt es an Feststellungen zum subjektiven Tatbestand und hierbei insbesondere zum Tatbestandsmerkmal der Rücksichtslosigkeit, welches erfordert, dass der Täter sich aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrs-teilnehmern hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen lässt. Hierbei ist für das Vorliegen der Rücksichtslosigkeit der äußere Tathergang zwar regelmäßig das wichtigste und oftmals auch ausschlaggebende Entscheidungskriterium. Jedoch reicht das äußere Tatgeschehen allein für die Beurteilung der Rücksichtslosigkeit regelmäßig nicht aus. Es kommt vielmehr auf die konkrete Verkehrssituation, auch im Vorfeld sowie im Nachgang des Vorfalls, unter Einbeziehung der Vorstellungs- und Motivlage des Angeklagten an (vgl. Fischer aaO, Rn. 14a), wobei das Amtsgericht auch hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Dies trifft auch auf die aus-weislich des Tenors durch das Amtsgericht angenommene fahrlässige Verursachung der Gefahr gemäß § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB zu.“

Und noch mal § 315c StGB – es klappt einfach nicht mit der „konkreten Gefahr“

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Ich hatte ja schon mehrfach über die Rechtsprechung des BGH zu § 315c StGB und damit auch zu § 315b StGB berichtet. In beiden Fällen ist zur Erfüllung des Tatbestandes das Vorliegen einer „konkreten Gefahr“ Voraussetzung. Und damit bzw. mit den vom BGH dazu geforderten tatsächlichen Feststellungen hapert es in der Praxis immer wieder. Folge: Der für die Verkehrsstrafsachen zuständige 4. Strafsenat des BGH hebt die Urteile der LG immer wieder auf. Ein Beispiel ist der BGH, Beschl. v. 16.04.2012 – 4 StR 45/12. Aus dem Beschluss:

Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügt die hierauf bezogene knappe Bemerkung des Landgerichts („Dadurch gefährdete er H. .“) nicht den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr. Einen Vorgang, bei dem es beinahe zu einer Verletzung der Mitfahrerin gekommen wäre – also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“ (Senat, Urteil vom 30. März 1995 und Beschluss vom 4. September 1995 – jew. aaO; Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 StR 340/11, StV 2012, 217) – hat die Strafkammer auch nach dem Gesamtzusammenhang ihrer auf das Unfallgeschehen bezogenen Feststellungen nicht hinreichend mit Tatsachen belegt.“

Und der BGH bemängelt weiter noch:

b) Nach den bisherigen Feststellungen bleibt zudem offen, ob die Beifahrerin des Angeklagten vom Schutzbereich des § 315c StGB überhaupt erfasst ist. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dies für an einer solchen Straftat beteiligte Insassen des Fahrzeugs zu verneinen (BGH, Urteile vom 23. Februar 1954 – 1 StR 671/53, BGHSt 6, 100, 102, vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, 43, und vom 20. November 2008 – 4 StR 328/08, NJW 2009, 1155, 1157; vgl. SSW-Ernemann, StGB, § 315c Rn. 24 m.w.N.). Die Mitfahrerin könnte sich mit der an den Angeklagten gerichteten Aufforderung, „auch einmal zu fahren“ (UA 7), der Anstiftung gemäß § 26 StGB schuldig gemacht haben. Zwar ist der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB verurteilt worden, so dass es an der in § 26 StGB vorausgesetzten vorsätzlichen Haupttat fehlen könnte. Diese rechtliche Würdigung beschwert den Angeklagten, soweit der Schuldspruch in Rede steht, nicht. Jedoch war ihm nach den Feststellungen „bewusst, dass er Alkohol getrunken hatte und möglicherweise nicht mehr fahrtauglich war. (Das) nahm er zumindest billigend in Kauf, als er sich an das Steuer setzte.“ (UA 7). Danach liegen die Voraussetzungen der Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination in § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB vor, zu der strafbar angestiftet werden kann (§ 11 Abs. 2 StGB). Abschließend kann der Senat die Frage einer strafbaren Teilnahme der Beifahrerin nicht beurteilen, weil das angefochtene Urteil keine Feststellungen zur Frage eines „doppelten“ Anstiftervorsatzes enthält.“

Und ist schon manchmal erstaunlich, was die LG so machen 🙂

Was man weiß, was man wissen sollte – von der Straßenverkehrsgefährdung

Als (Auch)Verkehrsrechtler freue ich mich immer, wenn man auch mal beim BGH auf verkehrsstrafrechtliche Entscheidungen trifft. So auf den BGH, Beschl. v. 22.03.2012 – 4 StR 558/11. Es handelt sich auch noch um eine Leitsatzentscheidung, die zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist. Allerdings wohl nicht mit dem verkehrsstrafrechtlichen Teil, sondern mit den sicherlich auch lesenswerten Ausführungen des BGH zur sog. Hemmschwellentheorie.

Als Verkehrsrechtler interessiert hier jetzt aber mehr der verkehrsstrafrechtliche Teil, an dem sich das Schwurgericht (auch) versucht hat. Bei der Gelegenheit: Ich frage mich immer, warum man eigentlich bei Schwurgerichtsanklage die Vorwürfe nicht verschlankt und solche Vorwürfe wie hier die Straßenverkehrsgefährdung nicht einstellt. Es hat dann ja auch beim Schwurgericht nicht geklappt. Die Kammer hat die Enden für die Verurteilung nach § 315c StGB nicht zusammenbekommen. Es hapert mal wieder an der „konkreten Gefahr“ bzw. am „Beinaheunfall“. Dazu waren nicht genügend tatsächliche Feststellungen getroffen, aus denen sich das „es ist gerade noch einmal gut gegangen“ ergab (vgl. zur konkreten Gefahr hier mein Beitrag aus dem VRR 2011, 369). Dass ein Schwurgericht das weiß, kann man nicht erwarten (oder doch?) :-). Beim AG sollte man es aber wissen. Aber auch da kranken die Urteile häufig an mangelnden Feststellungen zu den Fragen.

Der BGH, Beschluss fasst alles noch einmal schön zusammen. Und: Er weißt auch noch einmal darauf hin, dass es immer um einen Fremdschaden geht – das eigene Auto/das Täterauto spielt keine Rolle

Scheppermannfall/Absichtlicher Auffahrunfall – wie intensiv hat es gescheppert?

§ 315b StGB – gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – und kein Ende. Immer wieder gibt es dazu BGH-Entscheidungen, die im Grunde genommen immer wieder dasselbe sagen bzw. zu denselben Fragen Stellung nehmen. So auch der BGH, Beschl. v. 25.01.2012 – 4 StR 507/11, der noch einmal bestätigt, was der BGH schon vor einiger Zeit zum Merkmal „konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen“ ausgeführt hat. Im Zusammenhang mit der absichtlichen Herbeiführung eines Auffahrunfalls kann die von § 315b StGB vorausgesetzte konkrete Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen nicht hinreichend damit begründet werden, dass in solchen Fällen provozierter Unfälle regelmäßig die Gefahr liege, dass der plötzliche Aufprall bei den von der Situation überraschten Insassen des auffahrenden Fahrzeugs, dessen Auffahrgeschwindigkeit der Täter nicht beeinflussen könne, zu nicht unerheblichen Verletzungen namentlich im Kopf- und  Halswirbelsäulenbereich führe. Vielmehr sind – so der BGH – grundsätzlich konkrete Feststellungen insbesondere zu den Geschwindigkeiten der Pkw im Zeitpunkt der Kollision und der Intensität des Aufpralls zwischen den beteiligten Fahrzeugen erforderlich.

Und daran feht es häufig, weil die LG nur allgemeine Ausführungen machen, womit grundsätzlich in solchen Fällen zu rechnen sei.