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StGB II: Rechtswidrig handelnde Vollstreckungsbeamte, oder: Ist der Widerstand strafbar oder straffrei?

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Und als zweite Entscheidung dann das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23 – zur Frage des „Widerstandes“ bzw. des „tätlichen Angriffs“ auf rechtswidrig handelnde Vollstreckungsbeamte.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten vorgeworfen, als Strafgefangener am 02.04.2021 in seinem Haftraum einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung begangen zu haben. Das AG verurteilte den Angeklagten wegen dieses Vorwurfs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG ihn frei.gesprochen

Das LG ist von folgenden Feststellungen ausgeganagen:

„Der angeklagte Strafgefangene habe sich lautstark am Fenster seines Haftraums in der JVA Stadt1 unterhalten, es sei – unwiderlegt versehentlich – zu einem Bruch der Fensterscheibe gekommen, diese sei auf den Boden gefallen und zersplittert, so dass Scherben auf dem Boden des Haftraums verteilt gewesen seien. Andere Gefangene, die den Vorgang akustisch wahrgenommen hatten, hätten die Zentrale der JVA informiert und mitgeteilt, dass geschrien worden sei und ein Fenster zu Bruch gegangen sei.

„5. Die Zeugen A, B, C und D begaben sich daraufhin zum Haftraum des Angeklagten und schlossen diesen auf. Der Zeuge A ging etwa einen Schritt in den Haftraum hinein und sprach den Angeklagten, der – nur mit einer Trainingshose bekleidet und barfüßig war – auf seinem Bett, von der Haftraumtür aus gesehen, relativ weit hinten stand, auf die kaputte Fensterscheibe an, fragte, was los wäre, und erklärte ihm sinngemäß, dass er in einen anderen Haftraum müsse. Damit war der Angeklagte, was er auch lautstark und „verbal aggressiv“ zum Ausdruck brachte, nicht einverstanden, vermutlich u.a. deshalb, da in einem anderen freien Haftraum kein Fernsehempfang bestehen würde. Seinen Unmut brachte der Angeklagte außer durch lautstarke Worte auch dadurch zum Ausdruck, dass er ein Buch, das er in der Hand hielt, zu Boden vor die Füße des Zeugen A warf, ohne diesen treffen zu wollen. Da mit dem Angeklagten nach Einschätzung des Zeugen A und seiner Kollegen nicht zu reden war, zogen sie sich zurück und verschlossen die Haftraumtür.

6. Aufgrund der im Haftraum befindlichen Scherben war für A und seine Kollegen klar, dass der Angeklagte den Haftraum verlassen musste. Nach dem Eindruck des Zeugen A stand der Angeklagte, der zwar relativ klein, aber von kräftiger Statur ist, „unter Strom“ und verhielt sich aggressiv, so dass es als zu gefährlich eingeschätzt wurde, dem Angeklagten ungeschützt gegenüber zu treten.

Die Beamten kamen überein, sich – wie in solchen Fällen üblich – mit der dafür bereitstehenden Schutzbekleidung einschließlich Schutzhelmen und -handschuhen auszurüsten, wobei beschlossen wurde, dass anstelle der Zeugin C der Justizvollzugsbeamte E an der Maßnahme beteiligt werde und die Zeugin C dessen Posten auf „dem Turm“ übernehme.

7. Der Zeuge A schätzte aufgrund des Verhaltens des Angeklagten die Lage so ein, dass auch eine Verlegung des Angeklagten in einen anderen Haftraum zu gefährlich sei und entschied in seiner Eigenschaft als dienstranghöchster Beamter vor Ort, dass der Angeklagte in den besonders. gesicherten Haftraum D1/37 verbracht werden solle. Er veranlasste, dass der mit ihm über Funk in Verbindung stehende Zeuge F Verstärkung anfordere, den ärztlichen Dienst hinzuziehe und den „ID“, das heißt den Inspektions-Diensthabenden, der als stellvertretender Anstaltsleiter Bereitschaftsdienst hatte, informierte.

8. Als Verstärkung trafen die Justizvollzugsbeamten G und H von der Justizvollzugsanstalt Stadt1 sowie vom medizinischen Dienst die Justizvollzugsangestellten I und Frau J vor dem Haftraum des Angeklagten ein. Alle Beteiligten gingen davon aus, dass der Angeklagte durch die in Schutzkleidung gesicherten vier Strafvollzugsbeamten aus seinem Haftraum herausgeholt und im besonders gesicherten Haftraum untergebracht werden sollte.
9. Absprachegemäß öffnete der Zeuge H die Haftraumtür des Angeklagten, damit die durch die oben beschriebene Schutzkleidung gesicherten Beamten als sogenannte Raupe, also hintereinandergehend und durch Körperkontakt von Mann zu Mann durch Handauflegen verbunden, hineingehen und die Maßnahme durchführen konnten. Der Angeklagte befand sich im Zeitpunkt des Zugriffs am Ende des Haftraums unter dem Fenster, vermutlich auf einem Stuhl stehend. Die Beamten bewegten sich in der erwähnten Formation auf ihn zu, wobei sich an erster Stelle der Zeuge E mit einem vor sich getragenen Schutzschild befand, dahinter der Zeuge D und danach die Zeugen B und A.
10. E sprach den Angeklagten kurz an mit Worten wie, „auf den Boden“, oder „Hände hoch“. Der Angeklagte, dem klargeworden war, dass er von diesem „Einsatzkommando“ in den „Bunker“, also den besonders gesicherten Haftraum, verlegt werden sollte, was er als nicht gerechtfertigt ansah, sprang von dem Stuhl herab. Es gelang ihm – zur Überraschung der beteiligten Beamten – an dem Schild des vor ihm befindlichen Zeugen E vorbei zu kommen. Im weiteren Verlauf des sich nun entwickelnden massiven und lautstarken Gerangels schlug der Angeklagte dem Zeugen D ein- oder zweimal von oben mit der Faust auf den Helm. Die Beamten versuchten den Angeklagten an Beinen und Oberkörper zu ergreifen und zu fixieren, mit dem Ziel, ihn zu fesseln, der Angeklagte leistete allerdings durch Bewegungen von Armen und Beinen heftige und kraftvolle Gegenwehr, so dass eine längere Zeit, mehr als 5 Minuten, möglicherweise mehr 10 Minuten, verging, bis es schließlich gelang, den Angeklagten in Bauchlage auf den Boden zu fixieren und an den Händen hinter dem Rücken und den Füßen Fesseln, die von dem Zeuge G, wie zuvor abgesprochen, zugereicht wurden, angelegt werden konnten.
11. In die Auseinandersetzung war der Zeuge D u.a. dergestalt involviert, als dass er sich im Bereich des Fensters am Boden liegend befand und der Angeklagte über ihm lag, und zu einem späteren Zeitpunkt er, der Zeuge D, auf dem Bett saß und den Angeklagten im Brustbereich von hinten umklammerte. Hierbei verdrehte der Angeklagte, um den Griff zu lösen, den linken Daumen des Zeugen D, Außerdem biss er ihm in die Hand, wobei letzteres infolge der Schutzhandschuhe keinerlei Folgen verursachte.
12. Der Angeklagte, der sich bei der Auseinandersetzung durch die im Haftraum vorhanden Glasscherben heftig blutende, scharfkantige Schnittverletzungen zumindest an der rechten Hand, an der linken Ferse und am Rücken zugezogen hatte, wurde sodann nach außerhalb des Haftraums und von dort zum ca. 100 m entfernten besonders gesicherten Haftraum verbracht. Der Angeklagte versperrte sich auch dabei und wurde zeitweise getragen bzw. gezogen.
13. Im besonders gesicherten Haftraum wurde der Angeklagte auf einer Liege von den weiterhin in Schutzkleidung befindlichen Beamten fixiert. Die Schnittwunden des Angeklagten wurden von dem hinzugekommenen Anstaltsarzt K desinfiziert und durch Schaumpflaster versorgt. Anschließend lösten die Beamten die Fesseln des Angeklagten und verließen nach eingeübten Muster in rückwärtiger Bewegung den Haftraum, der Zeuge D als letzter.“

„14. Der Zeuge D erlitt bei dem Geschehen eine Distorsion an der linken Schulter, eine Prellung mit Hämatom am linken Ellenbogen mit der Folge einer Kontusion des Nervus Ulnaris, eine Thoraxprellung und eine durch das Verdrehen durch den Angeklagten verursachte Distorsion des linken Daumens. Außerdem stellte sich beim Zeugen eine Posttraumatische Belastungsstörung ein vermutlich als Retraumatisierung früherer traumatischer Belastungen bei seinem früheren Bundeswehreinsatz in Afghanistan.“

Gestützt auf diese Feststellungen hat das LG den Angeklagten freigesprochen zur Begründung ausgeführt, dass die Vollstreckungshandlung der Beamten des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) rechtwidrig gewesen sei; es habe an einer notwendigen Androhung der auf die Verbringung in den besonders gesicherten Haftraum (bgH) gerichteten unmittelbaren Gewaltanwendung gefehlt; zudem hätte diese gemäß § 51 Hessisches Strafvollzugsgesetz (HStVollzG) durch den Anstaltsleiter oder dessen Vertretung angeordnet werden müssen. Der Angeklagte sei deshalb auch vom Vorwurf der Körperverletzung freizusprechen gewesen, denn er habe in Notwehr gehandelt.

Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie hat die Verletzung materiellen Rechts gerügt und ist neben weiteren Punkten der Meinung, dass es entbehrlich gewesen sei, die Anwendung unmittelbarer Gewalt anzudrohen und dass die Feststellungen zur Anordnung der Maßnahme und zur diesbezüglichen Zuständigkeit durch die Beweiswürdigung nicht ausreichend belegt seien. Unter Zugrundelegung des strafrechtlichen Begriffs der Rechtmäßigkeit im Sinne von § 113 Abs. 3 StGB sei das Handeln der Beamten rechtmäßig gewesen. Die Annahme, dass dem Angeklagten ein Notwehrrecht zugestanden habe, das es ihm erlaubt hätte, den Beamten am Daumen zu verletzen, gehe gänzlich fehl. Die Staatsanwaltschaft meint, dass es ausweislich der sogenannten „Notwehrprobe“ in der Konsequenz des angefochtenen Urteils liegen würde, dass die Beamten verpflichtet gewesen seien, die Verletzung des eigenen Körpers zu dulden. Das widerspreche der Rechtsordnung.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Ich stelle hier nur die Leitsätze des OLG ein – den Rest bitte selbst lesen:

  1. Wenn ein Gefangener einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte begeht, die auf Anordnung eines unzuständigen Beamten gehandelt haben, kann die Strafbarkeit nach §§ 113, 114 StGB entfallen, aber gleichwohl eine Strafbarkeit nach § 223 StGB gegeben sein.

  2. Wenn ein Strafgefangener entgegen §§ 50 Abs. 2 Nr. 5, 51 Abs. 1 HStVollzG in einen besonders gesicherten Haftraum verbracht wird, ohne dass dies vom Anstaltsleiter oder seinem Vertreter angeordnet wurde oder Gefahr im Verzug vorliegt, fehlt es an der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung im Sinne von § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB.

  3. Wenn sich ein Strafgefangener gegen eine solche formell rechtswidrige Diensthandlung wehrt, kann zwar ein gegen ihn gerichteter rechtswidriger Angriff im Sinne von § 32 StGB vorliegen, Notwehr aber nicht „geboten“ sein. Einschränkungen, die teilweise im Rahmen des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ des § 113 Abs. 3 StGB erörtert werden, sind stattdessen im Rahmen der Einschränkungen des Notwehrrechts zu verorten. Bei der Prüfung, ob körperliche Gewalt gegen einen formell rechtswidrig handelnden Vollstreckungsbeamten „geboten“ ist (§ 32 Abs. 1 StGB), können das staatliche Gewaltmonopol und die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Vollstreckungshandelns nachträglich im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage überprüfen zu lassen, zu berücksichtigen sein.

StGB III: Bestrafung duch Schläge mit Bambusstock, oder: Besondere Art der Promotionsbetreuung

entnommen wikimedia.org
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Und zum Tagesschluss dann noch etwas vom BGH, und zwar den BGH, Beschl. v. 08.03.2023 – 6 StR 378/22 -, den ich bisher in meinem Ordnet übersehen hatte.

Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung in vier Fällen, wegen Körperverletzung im Amt in acht Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung und in zwei Fällen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, sowie wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren jeweils auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen. Mit ihrer – vom Generalbundesanwalt vertretenen – Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft in den Fällen II.1. b) ii) und jj) der Urteilsgründe eine tateinheitliche Verurteilung auch wegen Nötigung. Die Nebenklägerin beanstandet in den sie betreffenden Fällen eine unterbliebene tateinheitliche Verurteilung wegen sexueller Nötigung. Die Revisionen haben Erfolg:

„1. Das Landgericht hat – soweit hier von Belang – folgende Feststellungen getroffen:

a) Der Angeklagte betreute ab Oktober 2013 als Hochschullehrer der Universität pp.  das durch ein Stipendium geförderte Promotionsvorhaben der aus Vietnam stammenden, nur unzureichend Deutsch sprechenden Nebenklägerin Ho. Nachdem es anfänglich zu nur wenigen persönlichen Kontakten zwischen beiden gekommen war, vereinbarte der Angeklagte nach etwa zehn Monaten „regelmäßigere Gesprächstermine“ außerhalb der regulären Dienstzeiten in dem ihm zugewiesenen Büro der forstwissenschaftlichen Fakultät.

Als die Nebenklägerin im Juli 2014 bei einer Besprechung dem Angeklagten mitteilte, dass sie vergessen habe, sich zu einem Seminar anzumelden, war dieser „wütend“. Er schloss die Bürotür ab, steckte den Schlüssel ein und kündigte der Nebenklägerin an, dass er sie „wegen ihres Fehlers nun bestrafen müsse“. Dazu wolle er ihr mit einem etwa 60 cm langen Bambusstock auf das unbekleidete Gesäß schlagen. Als die Nebenklägerin das ablehnte, kündigte der Angeklagte an, in diesem Fall die Zusammenarbeit mit ihr nicht fortzusetzen. Dies wollte die Nebenklägerin unbedingt vermeiden. Sie fühlte sich beruflich und – mit Blick auf notwendige Bescheinigungen für ihr Stipendium – finanziell vom Angeklagten abhängig. Aus Angst vor den von ihm angekündigten Folgen und „aufgrund der momentanen Situation – abgeschlossenes Büro, keine weiteren Mitarbeiter im Institut – willigte“ sie in ihre „Bestrafung“ ein. Auf Aufforderung des Angeklagten „positionierte“ sie sich vor einem Tisch. Der hinter ihr stehende Angeklagte schlug 15 Mal auf ihr bekleidetes Gesäß, um seine Macht gegenüber der Nebenklägerin zu demonstrieren (Fall II.1. b) aa)).

Dies wiederholte sich im Juli und im August 2014 (Fälle II.1. b) bb) und cc)). In einem weiteren Fall im August 2014 teilte der Angeklagte der Nebenklägerin mit, dass er sie zur „Bestrafung“ auf ihr entblößtes Gesäß schlagen werde. Er müsse seinen „Ärger an ihr ablassen, um weiter mit ihr zusammenarbeiten zu können“. Nachdem die Nebenklägerin dies abgelehnt hatte, verlangte er, nunmehr erbost, von ihr, sich die Hosenbeine bis über die Waden hochzukrempeln und sich „vor dem Schreibtisch zu positionieren“. Dem entsprach die Nebenklägerin abermals „nur aus Angst“ vor der „angedrohten Aufkündigung der Zusammenarbeit“. Sodann versetzte der Angeklagte ihr mit dem Bambusstock auf jede entblößte Wade mindestens 20 Schläge, wodurch Hämatome entstanden (Fall II.1. b) dd)).

Im Dezember 2014, im Januar 2015 sowie in zwei Fällen im Mai 2015 forderte der Angeklagte sie abermals auf, Hose und Unterhose herunterzuziehen, um die von ihm für vermeintliches Fehlverhalten vorgesehene „Bestrafung“ durch Schläge auf ihr unbekleidetes Gesäß vornehmen zu können. Dem entsprach die Nebenklägerin diesmal – wiederum aus „Angst“ vor der jeweils ausdrücklich „in Aussicht gestellten Beendigung ihrer Zusammenarbeit“ – und „positionierte“ sich weisungsgemäß vor dem Schreibtisch des Angeklagten. Hinter ihr stehend schlug dieser ihr jeweils mindestens 20 Mal mit der flachen Hand schmerzhaft auf ihr entblößtes Gesäß (Fälle II.1. b) ee) bis hh)).

Im Juni und Ende Juli 2015 forderte der Angeklagte sie erneut auf, ihr Gesäß zu entblößen, weil er sie durch die Schläge „für einen künftigen Job vorbereiten“ wolle. Es sei absehbar, dass „ihr Chef auf ihren Schwachstellen herumhacken werde“. Er kündigte bei diesen beiden Taten allerdings jeweils nicht ausdrücklich an, die Zusammenarbeit mit ihr im Falle einer Weigerung zu beenden. Die Nebenklägerin kam seiner Aufforderung gleichwohl jeweils nach, „da ihr diese Androhung des Angeklagten im Zusammenhang mit den früheren Bestrafungen im Gedächtnis noch präsent war“. Sodann schlug er jeweils mindestens zehnmal schmerzhaft mit der flachen Hand auf das unbekleidete Gesäß der sich wiederum vor dem Schreibtisch „positionierenden“ Nebenklägerin (Fälle II.1. b) ii) und jj)).

In sämtlichen Fällen umarmte der Angeklagte die Nebenklägerin nach der vollzogenen „Bestrafung“ und verlangte, dass sie sich für die erhaltenen Schläge bedanken solle, was diese mit den Worten „Thank you“ auch tat. Nur in einem Fall weinte sie leise und entgegnete nichts (Fall II.1. b) hh)).

In einem letzten Fall schlug ihr der Angeklagte unmittelbar nach ihrem Erscheinen zu einem Besprechungstermin in seinem Büro „kraftvoll mit der flachen Hand einmal auf jede – bekleidete – Brust, was für die zu diesem Zeitpunkt noch stillende Zeugin“ schmerzhaft war (Fall II.1. b) kk)). Er wollte sie damit wegen eines Fehlers in einer Präsentation bestrafen.

b) Der Angeklagte nahm die Schmerzen und Verletzungen der Nebenklägerin mit Blick auf die von ihm durch die Taten jeweils erstrebte „Machtausübung“ billigend in Kauf. Bei den Schlägen auf das unbekleidete Gesäß „handelte er auch aus einer sexuellen Motivation heraus“.

2. Die Strafkammer hat die Taten als gefährliche Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung in vier Fällen (Fälle II.1. b) aa) bis dd)), als Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung in weiteren vier Fällen (Fälle II.1. b) ee) bis hh)) sowie als Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in zwei Fällen (II.1. b) ii) und jj)) gewürdigt. In den letztgenannten beiden Fällen hat sie sich abweichend von den übrigen Taten von einer verwirklichten idealkonkurrierenden Nötigung (§ 240 Abs. 1 und 4 Satz 2 Nr. 3 StGB in der bis zum 9. November 2016 geltenden Fassung) nicht zu überzeugen vermocht. Den Fall II.1. b) kk) hat die Strafkammer als Körperverletzung im Amt bewertet.

II.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Begründung, mit der das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten auch wegen Nötigung in den Fällen II.1. b) ii) und jj) der Urteilsgründe verneint hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Zwar hat die Strafkammer rechtlich zutreffend angenommen, dass sich die in den acht vorangegangenen Fällen jeweils vom Angeklagten ausdrücklich geäußerte Absicht, bei Widerspruch der Nebenklägerin die Betreuung ihres Promotionsvorhabens einzustellen, als ein Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels erweist (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1997 – 1 StR 772/96, NStZ 1997, 494; LK-StGB/Altvater/Coen, 13. Aufl., § 240 Rn. 99 mwN). Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen eine Strafbarkeit wegen tateinheitlicher Nötigung aber allein deshalb abgelehnt (§ 240 Abs. 1 StGB), weil der Angeklagte in beiden Fällen „nicht explizit angedroht“ habe, bei einer verweigerten Einwilligung in die „Bestrafung“ die weitere Zusammenarbeit mit der Nebenklägerin zu beenden. Nicht in den Blick genommen hat die Strafkammer eine mögliche konkludente Drohung des Angeklagten.

a) Drohen bedeutet seelisches Einwirken auf den Bedrohten in Gestalt einer auf Angst und Furcht abzielenden Ankündigung eines Übels. Das Übel muss also irgendwie vom Täter in Aussicht gestellt worden sein; es genügt nicht, wenn es von einem anderen nur erwartet wird. Auf die äußere Form, in der die Drohung zum Ausdruck gebracht wird, kommt es jedoch nicht an. Drohen kann man daher nicht nur mit klaren und eindeutigen Worten, sondern auch mit allgemeinen Redensarten, mit unbestimmten Andeutungen in versteckter Weise, selbst in schlüssigen Handlungen, sofern nur das angekündigte Übel genügend erkennbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1955 – 4 StR 8/55, BGHSt 7, 252, 253).

Aber auch frühere Drohungen können eine in die Tatgegenwart fortwirkende Drohwirkung entfalten (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 1989 – 5 StR 586/88, BGHR StGB § 255 Drohung 6; Beschluss vom 27. Februar 2013 – 4 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 207 zu § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF). Deshalb kann im Einzelfall auch das Ausnutzen einer „Drohkulisse” ausreichen, wenn durch eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Täters eine finale Verknüpfung mit dem Nötigungserfolg hergestellt und dies vom Opfer als Drohung empfunden wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Februar 2013 – 4 StR 544/12, aaO S. 208; vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, StV 2012, 534, 536; vom 6. November 2008 – 4 StR 495/08, NStZ 2009, 263, 264; jeweils zu § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF). In diese Bewertung sind neben den Erklärungen des Täters namentlich auch das Tatbild früherer Zwangslagen sowie deren Identität mit der aktuellen Tatsituation, die Art des zuvor angedrohten Übels und der zeitliche Abstand zueinander einzustellen.

b) Dies zugrunde gelegt, war die Würdigung des Tatgeschehens auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer konkludenten Drohung geboten. In Betracht kommt hier eine fortdauernde Wirkung der vorangegangenen Drohungen. Für die notwendige finale Verknüpfung mit dem Nötigungserfolg sprechen insbesondere das festgestellte eingeschliffene Verhaltensmuster und das identische Gepräge der auch zeitlich zusammenhängenden Zwangslagen. Aussagekraft kommt ferner dem – wegen der festgestellten beruflichen wie finanziellen Abhängigkeit vom „Doktorvater“ – besonderen Gewicht des in Aussicht gestellten Übels und den Feststellungen zum Vorstellungsbild der Nebenklägerin in beiden Tatsituationen zu. Ihr waren in beiden Fällen die früheren Drohungen „präsent“. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass der Angeklagte die von ihm geschaffene „Drohkulisse“ in beiden Fällen ausgenutzt hat.

2. Die Nötigung würde angesichts der Tatumstände jeweils auch nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter die Körperverletzung im Amt (§ 340 Abs. 1 StGB) zurücktreten, sondern zu ihr im Verhältnis der Tateinheit nach § 52 StGB stehen (vgl. RG, Urteil vom 15. Juni 1900 – Rev. 1926/00, RGSt 33, 339, 340 f.; LK-StGB/Altvater/Coen, aaO Rn. 185).

3. Der Senat kann den Schuldspruch wegen des erforderlichen tatgerichtlichen Bewertungsaktes und mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht ergänzen. Das Urteil unterliegt damit in beiden Fällen der Aufhebung. Dies entzieht den beiden Strafen und der Gesamtstrafe die Grundlage. Auf die hiergegen gerichteten sachlich-rechtlichen Beanstandungen der Beschwerdeführerin kam es nach alledem nicht mehr an. Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten hat die gebotene Überprüfung nach § 301 StPO nicht ergeben.

…..

III.

Die zulässige Revision (§ 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 Satz 1 StPO) der Nebenklägerin hat im selben Umfang wie die Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet. Das Landgericht hat vor dem Hintergrund der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung des 33. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 1. Juli 1997 (BGBl. I 1607; § 177 aF) ohne Rechtsverstoß abgelehnt.

1. Das Ausnutzen einer schutzlosen Lage im Sinne dieser Vorschrift erfordert, dass das Opfer möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Diese Schutzlosigkeit muss eine Zwangswirkung auf das Opfer in der Weise entfalten, dass es aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des Täters in Gestalt von Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen einen Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 366; Beschlüsse vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, BGHSt 51, 280, 284; vom 18. November 2015 – 4 StR 410/15, NStZ-RR 2016, 78; Urteil vom 2. Juli 2019 – 4 StR 678/19, NStZ 2020, 662, 663 f.; LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 93 ff. mwN). Es genügt demzufolge nicht, wenn das Opfer Widerstand aus Angst vor der Zufügung anderer Übel unterlässt; für Willensbeugungen anderer Art kommt nach Maßgabe von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF lediglich der Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) in Betracht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, NJW 2007, 2341; vom 21. Dezember 2011 – 4 StR 404/11, NStZ 2012, 570; Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 640/11, NStZ-RR 2012, 216).

2. Die Feststellungen belegen, dass diese aus „Angst“ vor der ihr in Aussicht gestellten Beendigung der Zusammenarbeit handelte. Dies habe sie wegen der bestehenden beruflichen und finanziellen Abhängigkeit „unbedingt verhindern wollen“. Anhaltspunkte dafür, dass sie die Schläge jeweils (zumindest auch) aus Furcht vor Gewalteinwirkungen des Angeklagten, etwa in Gestalt von Körperverletzungshandlungen, hingenommen hat, sind den Urteilsgründen auch in ihrer Gesamtschau nicht zu entnehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2019 – 2 StR 94/19). Damit fehlt es für die Annahme des objektiven Tatbestands am notwendigen funktionalen und finalen Zusammenhang zwischen objektivem Nötigungselement, Opferverhalten und Tathandlung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 – 4 StR 396/11, NStZ 2012, 209, 210; vom 18. November 2015 – 4 StR 410/15, NStZ-RR 2016, 78). Entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin zwingt auch die vereinzelte Formulierung, dass die Nebenklägerin „insbesondere“ für den Fortgang ihres Promotionsvorhabens Nachteile befürchtete, nicht zu einem anderen Schluss. Die Strafkammer hat diese nähere Bestimmung in den Zusammenhang gestellt mit sämtlichen für den Fall einer beendeten Zusammenarbeit mit dem Angeklagten zu besorgenden Konsequenzen, nicht aber auch bezogen auf eine Furcht vor dessen Gewalthandlungen.2

Das war dann mal ein wenig mehr Text, aber das ist bei dem sicherlich nichg alltäglichen Fall angemessen.

StGB I: Gefährliche Körperverletzung, oder: War das ein „hinterlistiger Überfall“?

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Heute dann seit längerem mal wieder drei StGB-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem schon etwas älteren BGH, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 StR 386/20 – zur Frage der „Hinterlist“ im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Grundlage sind folgende Feststellungen des LG:

„1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beabsichtigte der Angeklagte, die Nebenklägerin zu töten. Zu diesem Zweck bewaffnete er sich heimlich mit einem Springmesser und stieg unter dem Vorwand, zu Bekannten gefahren werden zu wollen, zu ihr ins Auto. Auf der Fahrt verhielt er sich friedfertig, um die Nebenklägern in Sicherheit zu wiegen. Er dirigierte sie an eine einsame Stelle, wo er die Enge der Fahrerkabine für die Tat ausnutzen wollte. An einem solchen Ort angekommen, spiegelte er ihr vor, aussteigen zu wollen. Nachdem die ahnungslose Nebenklägerin den Wagen weisungsgemäß angehalten hatte, zog der Angeklagte das Messer. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Entschluss, sie zu töten, jedoch aufgegeben. Stattdessen wollte er sie jetzt nur noch mit dem Tod bedrohen und hierdurch erreichen, dass sie die Beziehung zu ihm fortsetzt. Hierzu stach er dergestalt in Richtung ihres Bauch- und Brustbereichs, dass die Messerspitze jeweils auf ihrem Körper aufsetzte, die Kleidung aber nicht durchstach. Dabei nahm er Verletzungen der Nebenklägerin billigend in Kauf. Tatsächlich erlitt sie unter anderem einen Schnitt an der Handinnenfläche, weil sie in Panik in die Klinge griff und diese von sich wegdrückte.“

Das LG hat auch einen hinterlistigen Überfall im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht:

„Hinterlistig ist ein Überfall, wenn der Täter planmäßig in einer auf Ver- deckung der wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. Es muss also ein Über- raschungsangriff beabsichtigt, die wahre Absicht verdeckt und der Überfall gezielt in einer für das Opfer überraschenden Weise durchgeführt werden. Hierfür genügen in der Regel das Entgegentreten mit vorgetäuschter Friedfertigkeit oder ein von Heimlichkeit geprägtes Vorgehen. Das bloße Ausnutzen eines Überraschungsmoments reicht dagegen nicht aus (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 334/08, NStZ-RR 2009, 77).

Hieran gemessen lag ein hinterlistiger Überfall vor. Denn der Angeklagte täuschte Friedfertigkeit vor und stellte der Nebenklägerin eine Falle, indem er sie an einen einsamen Ort lotste und sie dort unter einem Vorwand anhalten ließ, um sie mit seinem verborgenen Messer zu töten. Dass er diese Absicht direkt vor der eigentlichen Tathandlung aufgab und den Angriff nur noch mit bedingtem Verletzungsvorsatz ausführte, steht der Annahme von Hinterlist nicht entgegen. Der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt nicht voraus, dass der Täter bis zur letzten Ausführungshandlung mit Verletzungsabsicht vorgeht.

Welche Vorsatzform für den subjektiven Tatbestand der Körperverletzung mittels hinterlistigen Überfalls erforderlich ist, ist nicht abschließend geklärt. Während die Kommentarliteratur teilweise ausdrücklich einen dolus directus verlangt (MüKoStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 224 Rn. 33, 53; BeckOK-StGB/Eschelbach, 48. Ed., § 224 Rn. 47; Matt/Renzikowski/Engländer, StGB, 2. Aufl., § 224 Rn. 16) und die Rechtsprechung regelmäßig das planmäßige Verbergen der „Verletzungsabsicht“ (exemplarisch BGH, Beschlüsse vom 18. September 2019 – 2 StR 156/19, NStZ-RR 2020, 42; vom 2. Mai 2012 – 3 StR 146/12, NStZ 2012, 698), findet sich andernorts der pauschale Hinweis, im Hinblick auf das Grunddelikt genüge bei § 224 StGB grundsätzlich bedingter Vorsatz (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 224 Rn. 32, Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 224 Rn. 9; NK-StGB/Paeffgen/ Böse, 5. Aufl., § 224 Rn. 34; vgl. auch LK/Laufhütte, StGB, 12. Aufl., § 224 Rn. 2, 39; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 13; AnwK-StGB/Zöller, 3. Aufl., § 224 Rn. 19). Unklar ist damit insbesondere die rechtliche Einordnung von Konstellationen, in denen der Täter eines Raubes oder einer Vergewaltigung dem Opfer eine Falle stellt und mit Eventualvorsatz (auch) eine Körperverletzung verwirklicht; ein solcher Täter agiert hinterlistig, aber ohne eine Verletzungsabsicht zu besitzen und zu verdecken.
Der vorliegende Fall ist indes durch eine Zweistufigkeit gekennzeichnet, in welcher der Angeklagte zunächst in Verletzungsabsicht – die als Minus in der Tötungsabsicht enthalten war – vorging und diese planmäßig vor der Nebenklägerin verbarg. Er lockte sein Opfer trickreich in einen Hinterhalt, um es dort über- raschend anzugreifen. Erst danach wechselte sein Vorsatz. Die Verletzung war nun nicht mehr sein Primärziel, er nahm sie im Folgenden nur noch billigend in Kauf. Gleichwohl ging der Angeklagte zäsurlos und überfallartig zum Angriff über, für den er die von ihm zuvor geschaffene Überraschungssituation ausnutzte.
Jedenfalls in einer solchen Konstellation begeht der Täter die Körperverletzung mittels des hinterlistigen Überfalls. Das ergibt sich aus Folgendem:

Der Wortlaut der Vorschrift verlangt keine Einschränkung auf Fälle, in denen der Täter das Opfer absichtlich verletzt. Die drei Komponenten Hinterlist, Überfall und Kausalität („mittels“) erfordern lediglich, dass eine Finte des Täters den überraschenden Angriff auf das Opfer ermöglicht und der Überrumpelungseffekt die Körperverletzung begünstigt. Diese Voraussetzungen sind auch dann erfüllt, wenn der Täter im letzten Moment von seiner Absicht abrückt und das Opfer nur mit Eventualvorsatz verletzt. Denn auch dann liegt die vom Tatbestand geforderte kausale Verknüpfung zwischen List und Körperverletzung vor.
Außerdem ist es gerade die Irreführung, welche die abstrakte Gefährlichkeit im Vergleich zum Grunddelikt erhöht, nicht der Vorsatzgrad bei der eigent- lichen Verletzungshandlung. Befindet sich das Opfer in der Falle, ist seine Verteidigungsmöglichkeit eingeschränkt, unabhängig davon, ob der Täter es absichtlich oder (nur noch) mit bedingtem Vorsatz angreift. In beiden Fällen wirkt das inszenierte Überraschungsmoment fort und ermöglicht oder erleichtert die Körperverletzung.

Auch das Tatunrecht wird durch den späten Vorsatzwechsel allenfalls unwesentlich verringert. Es liegt hier kein bloßes Ausnutzen eines ungeplanten Überraschungsmoments vor, sondern ein gezieltes Täuschungsmanöver des Täters, von welchem er bei der Verletzung Gebrauch macht.

Schließlich fügt sich diese Auslegung von § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB in die Systematik der Vorschrift ein. Bei den anderen Tatvarianten ist ebenfalls anerkannt, dass für die Verwirklichung des Grunddelikts Eventualvorsatz genügt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 4. November 2014 – 4 StR 200/14, NStZ-RR 2015, 244 mwN; Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172, 173). § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB unterscheidet sich zwar von diesen, weil die Norm mit der „Hinterlist“ ein inneres Merkmal beschreibt, das zielgerichtetes Vorgehen vor- aussetzt. Allen Qualifikationen ist jedoch gemein, dass die entsprechende Begehungsweise die abstrakte Gefährlichkeit der Tat erhöht. Für die subjektive Tatbestandsverwirklichung der anderen Tatvarianten gilt vor diesem Hintergrund, dass es ausreicht, wenn der Täter die Umstände (er-)kennt, die die Steigerung der abstrakten Gefährlichkeit bedingen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133 Rn. 25 mwN; LK/Laufhütte, StGB, 12. Aufl., § 224 Rn. 39). Diese Steigerung oder überhaupt die Verwirklichung des Grunddelikts bezwecken muss er nicht. Übertragen auf das Tatbestandsmerkmal der Hinterlist bedeutet dies, dass der Täter nur wissen muss, dass sein Täuschungsmanöver die Körperverletzung ermöglicht oder erleichtert und potentiell in ihrer Erheblichkeit erhöht.“

Strafzumessung I: Körperverletzung mit Todesfolge, oder: Direkter Vorsatz strafschärfend?

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Ich habe seit längerem keine Strafzumessungsentscheidungen mehr vorgestellt. Heute kommen dann mal wieder drei.

Und an erster Stelle steht der BGH, Beschl. v. 24.03.2021 – 4 StR 20/21. Das LG hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen die Revision, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hatte:

„Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung im engeren Sinne isoliert strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte „mit direktem Vorsatz“ handelte. Der Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1, 227 StGB) setzt vorsätzliches Handeln im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes der Körperverletzung voraus. Die isolierte strafschärfende Wertung von dolus directus (Wissentlichkeit) verstößt ungeachtet der Frage, ob direkt vorsätzliches Handeln als (normativer) Regelfall (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016, 8; vom 1. Dezember 1989 – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3; jeweils für § 212 StGB; ablehnend BGH, Beschluss vom 7. Juni 2017 – 4 ARs 22/16, NStZ-RR 2017, 238) oder als typischer Fall der Tatbestandsverwirklichung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 351; vom 25. Februar 1997 – 4 StR 409/96 Rn. 8; vom 23. Oktober 1992 – 2 StR 483/92, StV 1993, 72 und vom 8. Februar 1978 – 3 StR 425/77 Rn. 3) anzusehen ist, gegen § 46 Abs. 3 StGB (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016, 8; Urteil vom 14. August 2008 – 4 StR 223/08, NStZ 2008, 624 und Beschluss vom 17. September 1990 – 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4).

Auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe vermag der Senat die im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne isoliert hervorgehobene strafschärfende Erwägung, dass der Angeklagte die Körperverletzungshandlung – das heftige Schütteln des Säuglings – mit direktem Vorsatz beging, nicht dahin zu verstehen, dass das Tatgericht mit dieser Wendung lediglich die konkrete Tatausführung näher umschrieben hat.

Der Senat vermag ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen.“

StGB I: Die Morphinspritze beim unheilbar Kranken, oder: Mutmaßliche Einwilligung?

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Heute stelle ich dann wieder StGB-Entscheidungen vor, das habe ich schons eit längerem nicht mehr gemacht.

Und als erste Entscheidung bringe ich dann den BGH, Beschl. v. 26.05.2020 – 2 StR 434/19 – zur Körperverletzung bzw. zu den Grundsätze der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines schmerzfreien Todes. Ein heikles Thema also-

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde – die Zusammenfassung habe dem StRR 12/2020 entnommen, wo der Kollege Stehr aus Göppingen die Entscheidung vorgestellt hat:

Der Angeklagte arbeitete als examinierte Pflegekraft in einem Altersheim. Ein unter gesetzlicher Betreuung stehender Patient litt im Endstadium unter Lungenkrebs. Sein Zustand zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt war präfinal, also todgeweiht. Dessen Arzt rechnete mit einem krankheitsbedingen Ableben in den nächsten Stunden, höchstens Tagen. Der unter sehr starken Schmerzen Leidende aß nichts mehr und litt unter erheblichen Schmerzen. Nur durch leichtes Kopfnicken oder einfachen Worten gelang die Kommunikation. Auf Grund der Schmerzen und des präfinalen Zustands verordnete dessen Arzt erhebliche Dosen schmerzstillender Medikamente. In Abstimmung mit dem Palliativteam wurde „vorsorglich“ 5mg Morphin, subkutan verordnet. Das Morphin sollte dann verabreicht werden, wenn auf Grund der Schmerzen ein Schlucken der anderen Medikamente nicht mehr möglich sei.

Der Angeklagte hatte die Nachtschicht, zusammen mit seiner unerwiderten Liebe, einer ungelernten Pflegekraft. Diese stellte am Patienten um 22:30 Uhr fest, dass dieser unter starken Schmerzen litt. Der ärztlichen Verordnung entsprechen injizierte der Angeklagte 5mg Morphin, aus einer 10mg Ampulle. Es kam zur beabsichtigten Schmerzlinderung. Um 6:00 Uhr bejahte der spätere Verstorbene erneut starke Schmerzen. Dem Angeklagten und der Pflegekraft tat der später Verstorbene – „trotz ihrer Erfahrungen in der Pflege“ – „unglaublich“ leid.

Der Angeklagte unterließ es daraufhin den Patienten erneut nach einer Morphinspritze zu fragen. Obwohl der Angeklagte wusste dass die erste Spritze, wie verordnet, mit 5mg Morphin ausreichend wirkte, er den verordnenden Arzt oder den gesetzlichen Betreuer hätte jederzeit erreichen können, verabreichte er nun 10mg Morphin subkutan. Hierbei war seine Motivation seine unerwiderte Liebe mit seinem mitfühlenden Verantwortungsbewusstsein für den sterbenden Leidenden zu beeindrucken. Dass die Atmung dadurch stark beeinträchtigt wird, wusste und wollte der Angeklagte, da er seine Aktion auch als „weggespritzt“ ihr gegenüber bezeichnete.

Knapp 3 Stunden später verstarb der Patient am Krebsleiden – nicht  – an der Morphininjektion. Das LG hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten – deren Vollstreckung auf Bewährung ausgesetzt wurde – verurteilt…. „

Die Revision des Angeklagten war mit der Sachrüge erfolgreich:

„2. Die Revision ist begründet. Die bisher getroffenen Feststellungen und Wertungen tragen den Schuldspruch wegen Körperverletzung nicht.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit als Körperverletzung zu bewerten, auch wenn er in heilender Absicht erfolgt. Selbst ein im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommener Eingriff erfüllt den Straftatbestand. Er kann nur durch wirksam erklärte oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden (st. Rspr.; Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 73 mwN).

b) Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist hier jedenfalls die Verneinung einer Rechtfertigung der Handlung des Angeklagten. Das Landgericht hat fehlerhaft die Prüfung einer mutmaßlichen Einwilligung unterlassen, weil es aus der bewussten Umgehung bzw. eigenmächtigen Erweiterung einer ärztlichen Verordnung durch den Angeklagten als Nichtarzt eine generelle Unmöglichkeit der Rechtfertigung der Körperverletzung durch (mutmaßliche) Einwilligung abgeleitet hat.

aa) Nach den Urteilsfeststellungen ist eine Einwilligung in die konkrete Handlung des Angeklagten nicht erklärt worden. Ob von einer mutmaßlichen Einwilligung, die in Betracht kommt, wenn eine ausdrückliche Einwilligung aufgrund vorübergehender Einwilligungsunfähigkeit nicht oder nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, auszugehen ist, wäre jedoch durch Gesamtschau aller Umstände zu prüfen gewesen (vgl. auch Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 78).

(1) Die Grundsätze der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines schmerzfreien Todes sind nicht ausnahmslos auf Handlungen durch einen Arzt oder aufgrund ärztlicher Anordnung beschränkt (Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 78; Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 205 f.; Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 550). Im Ausnahmefall kann auch ein Nichtarzt medizinische Maßnahmen zur Leidensminderung durchführen, wenn sie der Sache nach den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen und sich im Rahmen einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten bewegen. Dies gilt auch deshalb, weil das Unterlassen einer vom Patienten erwünschten Schmerzbekämpfung durch einen Garanten eine Körperverletzung sein kann (Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 78 mwN; Urteil vom 30. September 1955 – 2 StR 206/55, BeckRS 1955, 31192233).

(2) Beim Sterben eines unheilbar Kranken, dem unmittelbar vor dem Tod nur noch durch Schmerzbekämpfung geholfen werden kann, besteht eine besondere Ausnahmesituation (vgl. auch Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 79 mwN). Tritt deshalb der Gesichtspunkt des Handelns aufgrund einer ärztlichen Verordnung in den Hintergrund, schließt die Eigenschaft des Handelnden als Nichtarzt oder sein Handeln unter Abweichung von einer ärztlichen Anordnung die Rechtfertigung einer Körperverletzung durch mutmaßliche Einwilligung nicht zwingend aus, wie es das Landgericht jedoch rechtsfehlerhaft vorausgesetzt hat.

bb) Die Strafkammer hätte daher eine Gesamtwürdigung aller Umstände vornehmen müssen, die für den mutmaßlichen Patientenwillen von Bedeutung sein können. Dabei wäre zu berücksichtigen gewesen, dass im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten der Inhalt seines Willens aus seinen persönlichen Umständen, individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln ist (Senat, Beschluss vom 25. März 1988 – 2 StR 93/88, BGHSt 35, 246, 249 f.; BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 263). Hinweise dafür können etwa Gespräche des Geschädigten mit seinem Betreuer „über eine mögliche Patientenverfügung, die er jedoch nicht (bzw. nicht mehr) unterzeichnete“, liefern. Weitere Indizien können sich aus dem Verhalten des Patienten in dem Pflegeheim ergeben. Welche Äußerungen M. dort gemacht hat, insbesondere gegenüber dem Angeklagten, mit dem er sich nach seiner Aufnahme in das Pflegeheim sofort „verstanden“ habe, teilt das angefochtene Urteil nicht mit.

Die Beachtung ärztlicher Anordnungen gehört zwar im Regelfall ebenfalls zu dem, was als gemeinhin vernünftig anzusehen ist. Jedoch kann beim eigentlichen Sterbevorgang unmittelbar vor dem Tod auch die Schmerzbekämpfung mit allen verfügbaren und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Mitteln als vernünftig und deshalb dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechend anzusehen sein (Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 80 mwN). Das gilt insbesondere dann, wenn – wie hier festgestellt – die ärztlich verordnete Schmerzmedikation an der Untergrenze des medizinisch Angemessenen gelegen hat. Bei der Gesamtwürdigung ist überdies in den Blick zu nehmen, wie nahe der Patient dem Tode war (BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 263). An einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände fehlt es jedoch im angefochtenen Urteil.

cc) Eine mutmaßliche Einwilligung scheidet im Übrigen nicht schon dann ohne Weiteres aus, wenn der Angeklagte – auch – aus einem anderen Motiv gehandelt hat, nämlich um die Zeugin A. durch seine Entschlossenheit zu beeindrucken. Tritt ein anderes Motiv zu einem auch vorhandenen Willen, im Einklang mit dem mutmaßlichen Patientenwillen zu handeln hinzu, steht dieser neue Beweggrund der Annahme eines subjektiven Rechtfertigungswillens nur dann entgegen, wenn dieses hierdurch völlig in den Hintergrund gedrängt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2001 – 1 StR 487/00, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 14; vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, juris Rn. 7; jeweils mwN).“