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BGH II: Einziehung, oder: Neues Abschöpfungsrecht gilt auch im Jugendstrafrecht

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Die zweite Entscheidung des Tages ist das BGH, Urt. v. 08.05.2019 – 5 StR 95/19, das der Kollege Deutscher bereits für den StRR aufbereitet hat, in dem demnächst seine Besprechung erscheinen wird. Der BGH hat in der Entscheidung zur Einziehung des Wertes von Taterträgen im Jugendstrafrecht (nach neuem Recht) Stellung genommen.

Zu der Entscheidung passen folgende Leitsätze:

  1. Nach der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zum 1.7.2017 sind die Regelungen der §§ 73, 73c StGB zur Einziehung bzw. Wertersatzeinziehung auch im Jugendstrafecht zwingendes Recht.
  2. Härtefälle wie etwa die Entreicherung des Angeklagten werden hinreichend durch die vollstreckungsrechtliche Härteklausel in § 459g Abs. 5 StPO erfasst.

Die Leitsätze sind „nicht amtlich“, sondern stammen vom Kollegen Deutscher, bei dem ich sie mir „geklaut“ habe. 🙂

JGG: Erziehungsgedanke hat Vorrang

Das LG hat den jugendlichen Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Der Jugendliche geht in die Revision und hat wegen des Strafausspruchs Erfolg. Dem BGH passen die Ausführungen der Jugendkammer zur Strafzumessung nicht. Es ist nicht die Jugendstrafe an sich, die er beanstandet, sondern deren Höhe. Und er vermisst die Berücksichtigung des Erziehungsgedankens. Dazu der BGH, Beschl. v. 27.09.2011 – 3 StR 259/11:

Ohne Rechtsfehler ist die Jugendkammer davon ausgegangen, dass wegen der Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich ist. Durchgreifende Bedenken bestehen jedoch gegen die Erwägungen, mit denen sie die Höhe der verhängten Jugendstrafe begründet hat. Diese lassen besorgen, sie könnte nicht bedacht haben, dass sich auch bei einer wegen Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe deren Höhe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten bemisst (Eisenberg, JGG, 14. Aufl., § 18 Rn. 20 ff.). Die Urteilsgründe stellen in erster Linie – wie bei der Strafzumessung nach Erwachsenenstrafrecht – auf das in der Tat zum Ausdruck gekommene Unrecht ab. Sie erwähnen den Erziehungsgedanken nur pauschal, ohne das Tatunrecht gegen die Folgen der Verbüßung der verhängten Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten abzuwägen. Insbesondere stellt die Jugendkammer nicht dar, warum trotz der festgestellten positiven Entwicklung dem vorrangigen Erziehungsgedanken nur durch Verbüßung einer langdauernden Jugendstrafe, die noch dazu die begonnene schulische Ausbildung unterbrechen würde, Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 1987 – 2 StR 353/87, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 2; BGH, Beschluss vom 18. August 1992 – 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8).

Wochenspiegel für die 12. KW, oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Wir berichten über:

  1. Über die Fahrerlaubnis mit Verfallsdatum.
  2. Über die bösen Angeklagten.
  3. Über die langsam mahlenden Mühlen des Gesetzes.
  4. Über das Schmierestehen.
  5. Über tödliche Gerichtsentscheidungen.
  6. Über einen besonderen Anfangsverdacht.
  7. Über das Abschleppen vom Supermarktparktplatz.
  8. Über Rechtsmittel im Jugendstrafrecht.
  9. Über die Parallelwertung in der Laiensphäre.
  10. Und über die Beschlagnahme von Interviewprotokollen.

Immer wieder falsche Bezugnahmen

Die Bezugnahmen auf Feststellungen/Ausführungen in aufgehobenen Urteilen durch das neu entscheidende Tatgericht beschäftigen den BGH immer wieder. Gerade in dem Bereich werden auch häufig Fehler gemacht, in dem Bezug genommen wird, wo es so bzw. in dem Umfang nicht zulässig ist. Wenn man dazu in den BGH-Beschlüssen liest, ist man dann schon manchmal erstaunt, wie „sorglos“ die Tatgerichte an der Stelle doch sind. So heißt es im Beschl. des BGH v. 25.11.2010 – 3 StR 431/10:

Das Landgericht hat zur Begründung der verhängten Jugendstrafe lediglich Folgendes ausgeführt:

„Grundlage der Strafzumessung hinsichtlich des Angeklagten sind die vom Bundesgerichtshof grundsätzlich nicht beanstandeten Ausführungen im Urteil des Landgerichts vom 3.3.2009 unter der dortigen Ziff. V., soweit es um die zu Ziff. II. 1 und 2 des Urteils festgestellten Taten geht…. Da bei der Strafzumessung die Tat zu Ziff. II. 3. des vorgenannten Urteils [der gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedene Vorwurf des Wohnungseinbruchsdiebstahls] nicht zu berücksichtigen ist, somit der dem Angeklagten zur Last zu liegende Unrechtsgehalt seiner Taten wesentlich geringer ist, konnte es bei der Bemessung der Einheitsjugendstrafe mit zwei Jahren sein Bewenden haben.“

Der BGH begründet die Aufhebung des Strafausspruchs:

Damit hat die Strafkammer zur Begründung der Jugendstrafe ausschließlich auf die Strafzumessungserwägungen des früheren Urteils Bezug genommen. Diese Bezugnahme ist indes unzulässig, weil der Strafausspruch jenes Urteils und damit die ihn tragenden Erwägungen – anders als die ihm zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen – durch die Entscheidung des Senats vom 25. November 2009 aufgehoben worden ist (BGH, Beschluss vom 26. Mai 2004 – 4 StR 149/04). Die Strafzumessungserwägungen aus dem früheren Urteil sind deshalb nicht mehr existent und können daher auch nicht Gegenstand einer Bezugnahme sein. Damit fehlt es an einer tragfähigen Begründung der festgesetzten Jugendstrafe.

Und ergibt einen freundlichen Hinweis :-), was alles zu tun ist:

„Der neue Tatrichter wird auf der Grundlage der aufrechterhaltenen Feststellungen aus dem ersten Urteil und ergänzenden Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten, die in der neuen Hauptverhandlung getroffen werden, eigenständige und neue Erwägungen zur gesamten Strafzumessung, mithin auch zur Frage der Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht (vgl. zum Verbot der Schlechterstellung Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 331 Rn. 14) anzustellen haben.“

Schädliche Neigungen beim KG

Auf einen im Grunde ganz banalen Umstand aus dem Jugendstrafrecht hat jetzt vor kurzem noch einmal das KG in seinem Beschl. v. 26.08.2010 – (1) 1 Ss 351/10 (25/10)  – hingewiesen. Der Angeklagte war vom AG zu einer Jugendstrafe verurteilt worden, dei mit schädlichen Neigungen i.S. von § 17 Abs. 2 JGG begründet worden war. Das KG hat aufgehoben und führt dazu u.a. aus:

„Darüber hinaus ist die Annahme von „schädlichen Neigungen“ im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG in dem Urteil nicht rechtsfehlerfrei begründet. Das Jugendgericht sieht die schädlichen Neigungen darin, daß der Angeklagte sich dem illegalen Zigarettenhandel angeschlossen und ihn mit erheblicher Intensität betrieben habe, was an seinen „häufigen Aufgriffen“ ablesbar sei. Richtig ist zwar, daß die wiederholte Begehung der ge-werbsmäßigen Steuerhehlerei tragfähige Rückschlüsse auf erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel zulassen. Das Amtsgericht hätte jedoch feststellen und darlegen müssen, daß die schädlichen Neigungen nicht nur bei Begehung der Taten, sondern auch noch im Zeitpunkt des Urteils vorlagen und deshalb weitere Straftaten des Angeklagten zu befürchten sind (vgl. Senat, Be-schluß vom 20. Juni 2008 – (1) 1 Ss 185/08 (13/08) – mwN). Anlaß zu derartigen Erörterungen bestand, weil sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits etwa drei Wochen in Untersuchungshaft befunden hatte und das Jugendgericht bei seiner Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 21 JGG) selbst davon ausgegangen ist, daß von dem Angeklagten wegen der „erfahrenen“ Untersuchungshaft und des Warneffekts seiner Verurteilung keine weiteren Straftaten zu erwar-ten seien. Das Amtsgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob nicht insbesondere die – soweit ersichtlich erstmals – erlittene Freiheitsentziehung zu einer positiven erzieherischen Wirkung geführt hatte, welche die Verhängung von Jugendstrafe entbehrlich machte.“

Wird immer wieder übersehen.