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Absprache II: Lag ein Verständigungsgespräch vor?, oder: Nochmals Anforderungen an die Mitteilung

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Auch in der zweiten Entscheidung zum Komplex „Verständigung“ geht es um die Verständigungsmitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO. Dazu hat der OLG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2022 – 2 Rev 28/22 – Stellung genommen.

Der in dem Verfahren erhobenen Verfahrensrüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

„a) Der Rüge liegt ? soweit für die Entscheidung von Bedeutung ? folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Zu Beginn der Hauptverhandlung vom 23. Februar 2021 bat der Verteidiger um ein Rechtsgespräch. Dieses fand sodann unter Ausschluss des Angeklagten und der Öffentlichkeit im Beisein des Vorsitzenden, der Schöffen und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft statt. Der Vorsitzende teilte mit, dass er – entgegen seiner damaligen Einschätzung – angesichts der positiven Entwicklung die Verhängung einer unbedingten Jugendstrafe nicht mehr für erforderlich halte. Ob dies ein Schuldspruch, eine Vorbewährung oder etwas anderes sei, könne er noch nicht sagen. Der Verteidiger schlug eine geständige Einlassung mehrerer Taten vor, welche etwas mehr als zwei Drittel des Gesamtschadens abdeckten; die übrigen Taten sollten dann eingestellt werden. Für diese Einlassung sollte als Rechtsfolge neben der Wiedergutmachung des Schadens Erziehungsmaßregeln ausgeurteilt werden. Weder der Vorsitzende noch der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten dem zu. Der Vorsitzende erklärte, dass er insbesondere etwas zur Motivation des Angeklagten, wie insbesondere im Jugendstrafrecht üblich, erfahren wolle, um eine geeignete Rechtsfolge zu bestimmen. Eine Verständigung wollte der Vorsitzende – ausweislich seiner vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahme – nicht treffen und habe dies auch geäußert.

In der am 16. März 2021 durchgeführten Sitzung regte der Verteidiger erneut ein Rechtsgespräch unter Ausschluss des Angeklagten an. Dieses wurde nach Unterbrechung der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Vorsitzenden, des Vertreters der Staatsanwaltschaft sowie der Schöffen geführt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft regte aufgrund der nach seiner Auffassung erdrückenden Beweislast eine geständige Einlassung des Angeklagten an, da dies auf seine Beurteilung über das Vorhandensein von schädlichen Neigungen Einfluss haben könnte. Der Vorsitzende gab dazu keine Erklärung ab. Der Verteidiger erklärte, dass er dies mit dem Angeklagten besprechen werde, was er – wie zuvor auch – tat.

Über keines der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche wurde in der Hauptverhandlung berichtet. Vielmehr stellte der Vorsitzende nach Verlesung der Anklageschrift und vor Schluss der Beweisaufnahme fest, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben.“

Dem OLG reicht das nicht:

„c) Hiernach erfüllte der Vorsitzende seine verständigungsspezifischen Mitteilungs- und Dokumentationspflichten nicht.

Ein Verständigungsgespräch liegt dann vor, wenn nach seinem Inhalt ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verfahrensabsprache im Raum steht. Ob dies der Fall ist, ist maßgeblich danach zu beurteilen, ob in dem Gespräch Verfahrensfragen erörtert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe liegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10; BVerfG NJW 2020, 2461; BGH NStZ-RR 2022, 355; BGH wistra 2022, 384; BGH NStZ 2022, 55). Abzugrenzen sind solche Erörterungen, bei denen ein Verfahrensergebnis einerseits und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten andererseits in ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen (vgl. BGH NStZ 2020, 237; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15). Auch kann die Abgrenzung zwischen einem reinen Aufzeigen der jeweils eigenen Standpunkte und dem Einstieg, wie diese möglicherweise in Einklang gebracht werden können fließend sein. Im Zweifel ist ein solches Gespräch mitzuteilen (vgl. LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 57).

Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gehört dabei zu den vom Gesetzgeber zur Absicherung des Verständigungsverfahrens normierten Transparenz- und Dokumentationsregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BGH StraFo 2022, 436; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21; BGH StV 2018, 6; BGHSt 60, 150; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 55).

Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat der Vorsitzende daher nach Verlesung des Anklagesatzes über Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die vor der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Kommt es zu solchen Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung, so hat der Vorsitzende nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch dies bekanntzugeben (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 87; BGH StV 2021, 3). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen daher nicht nur darüber informiert werden, dass Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, wer an den Gesprächen teilgenommen hat, welche Standpunkte von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfGE 133, 168; BVerfG NJW 2020, 2461; BGHSt 59, 252; BGH NStZ-RR 2022, 80; BGH NStZ 2021, 506; BGH NStZ-RR 2021, 180; BGH StV 2021, 3). Diese Umstände sind auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen mitzuteilen (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGHR StPO § 257c Abs. 1 Erörterungen 1; BGH StraFo 2022, 436; BGH NStZ 2020, 751; BGH NStZ 2014, 416; BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 StR 64/22), und zwar regelmäßig alsbald nach der Fortsetzung der Hauptverhandlung (vgl. BGH NStZ 2022, 761; BGH NStZ 2018, 419; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 56).

An diesen Grundsätzen gemessen traf den Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StPO. Jedenfalls bei der Unterredung am 23. Februar 2021 wurde durch den Verteidiger eine Verknüpfung zwischen einem möglichen Geständnis, also dem prozessualem Verhalten des Angeklagten, und dem Verfahrensergebnis hergestellt. Die Erörterung ging damit über die bloße Darstellung der eigenen Meinung hinaus und es handelte sich nicht lediglich um „Sondierungsgespräche“ ohne Bezug zu einer einverständlichen Verfahrenserledigung. Dass der Vorsitzende, wie dieser in seiner dienstlichen Stellungnahme dargelegt hat, an keiner Verständigung interessiert war, nimmt dem Begehren des Verteidigers nicht den auf eine Verständigung und damit mitteilungspflichtigen gerichteten Inhalt. Dies gilt auch für den Umstand, dass der Vorsitzende das Gespräch selbst nicht als mitteilungspflichtig eigeschätzt hat.

Auch das Gespräch vom 16. März 2021 war konkludent auf eine Verständigung gerichtet. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verband ein Geständnis mit der Prüfung, ob schädliche Neigungen beim Angeklagten vorgelegen haben und damit mit der zu verhängenden Rechtsfolge. Insbesondere auch im Licht des vorherigen Rechtsgesprächs handelte es sich um eine mitteilungspflichtige Erörterung, auch wenn sich der Vorsitzende zu dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft nicht geäußert hat.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der unzulänglichen Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO beruht…..“

Es erscheint möglich, dass der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht das Einlassungsverhalten des Angeklagten beeinflusst hat. Darauf, dass dieser von seinem Verteidiger über Äußerungen unterrichtet wurde, kommt es nicht an, weil eine von Verständnis und Wahrnehmung des Verteidigers beeinflusste Information die gesetzlich vorgeschriebene Unterrichtung durch das Gericht nicht ersetzen kann (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGHSt 58, 310; BGHSt 59, 252; BGH NStZ 2017, 244).

Zudem darf die Frage des Beruhens des Urteils auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten beurteilt werden. Hierdurch wird die Bedeutung der Transparenzvorschriften für die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die auch dem Schutz des Angeklagten vor sachfremder Beeinflussung durch das Gericht und damit der Verfahrensfairness dient, ausgeblendet. Der auf die Kontrolle durch die Öffentlichkeit abzielende Schutzgehalt des § 243 Abs. 4 StPO beansprucht unabhängig vom Aussageverhalten des Angeklagten Geltung und muss bei der Beruhensprüfung stets Berücksichtigung finden (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461). Auch insoweit liegt hier kein Ausnahmefall vor, bei dem zweifelsfrei ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil ausgeschlossen werden könnte.

Hiernach konnte dahinstehen, ob auch die verständigungsbezogenen Erörterungen, die am 27. Oktober 2021 ohne den Angeklagten vor der Aussetzung der ursprünglich angesetzten Hauptverhandlung stattgefunden haben, in der neuen Hauptverhandlung mitzuteilen waren (so aber BGH NStZ 2022, 371).

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

1.Im Jugendstrafverfahren sind Verständigungen nur in besonderen Ausnahmenfällen angezeigt, da ihnen die besonderen jugendstrafrechtlichen Strafzumessungsregeln und Aspekte des Erziehungsgedankens in der Regel entgegenstehen werden (vgl. BT-Drs. 16/12310 S. 10; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rdn. 12). Für sie war hier angesichts der vorliegenden Beweislage ohnehin kein Raum.

2.Darüber hinaus sollte der Vollstreckungsstand der durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 30. Juli 2019 verhängten Sanktion eindeutig wiedergegeben werden. Zudem sollte unzweifelhaft zu erkennen sein, ob eine – nachträgliche – Einheitsjugendstrafe gebildet wurde.

3. Schließlich wird die Staatsanwaltschaft zu prüfen haben, ob die vorläufig eingestellten Taten wieder aufgenommen werden sollten, um so – im Falle ihrer Erweislichkeit – dem Tatrichter eine insgesamt schuldangemessene Bestrafung zu ermöglichen.

4. Für den Fall, dass sich der neue Tatrichter die Überzeugung von einem strafbaren Verhalten des Angeklagten verschafft, wird er auch die Kompensation etwaiger rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.

StPO I: Vorlage zum BGH wegen Vertretungsvollmacht, oder: Das OLG Düsseldorf „traut“ sich

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Heute stelle ich drei StPO-Entscheidungen von OLG vor. Einen StPO-Tag hatte ich länger nicht mehr.

Ich beginne mit dem recht aktuellen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.09.2021 – 2 RVs 60/21. Zu dem passt nun wirklich mal: Das OLG traut sich. Ja, es traut sich zu einer Divergenzvorlage an an den BGH. Das mögen die OLG ja sonst nicht so gern und sie legen ja nicht selten wortreich dar, warum man nicht vorlegen muss. Anders aber hier.

Anlass zu der Vorlage ist die Frage nach den Anforderungen an die Vertretungsvollmacht in der Berufungshauptverhandlung. Das OLG fragt:

Genügt eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt worden ist, den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht?

Anlass für die Frage ist ein Berufungsverfahren, in dem die Berufung des nicht erschienenen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden ist. Der Verteidiger hat eine von dem Angeklagten unterzeichnete Strafprozessvollmacht vorgelegt, die eingangs dahin lautet, dass dem Verteidiger „Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung, auch im Falle meiner Abwesenheit, in allen Instanzen erteilt“ wird. Dem LG hat die Vollmacht mangels ausdrücklicher Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht genügt und hat die Berufung verworfen.

Dagegen nun die Revision, der das OLG stattgeben möchte. Aber:

„Daran sieht sich der Senat durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. November 2016 (5 RVs 82/16 bei juris = BeckRS 2016, 111318) gehindert. Gegenstand dieser Entscheidung war eine inhaltsgleiche Vertretungsvollmacht mit folgendem Formulartext:

„Die Vollmacht erstreckt sich auf meine Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen sowie im Vorverfahren – ebenfalls für den Fall meiner Abwesenheit in einer Verhandlung – …“

Das Oberlandesgericht Hamm hat diese Vertretungsvollmacht für unzureichend erachtet und verlangt, dass die Vertretungsvollmacht ausdrücklich auch die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung erfassen müsse. Nur dann könne von einer zulässigen Vertretung im Sinne des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO überhaupt ausgegangen werden. Aus diesem Grund wurde die dortige Revision verworfen.

Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Die Möglichkeit der Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist in Strafsachen in folgenden Konstellationen vorgesehen: im Berufungsverfahren (§ 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO), im Strafbefehlsverfahren (§ 411 Abs. 2 StPO), nach Maßgabe des § 234 StPO, im Privatklageverfahren (§ 387 Abs. 1 StPO), im Einziehungsverfahren (§ 428 Abs. 1 Satz 1 StPO) und im Revisionsverfahren (§ 350 Abs. 2 Satz 1 StPO). Eine – wie hier – ohne Einschränkung für alle Instanzen erteilte Vertretungsvollmacht deckt die Vertretung des abwesenden Angeklagten ohne Weiteres in allen strafprozessual zulässigen Vertretungsfällen ab. Der Gesetzgeber hat die Vertretungsvollmacht in den vorgenannten Vorschriften gleich behandelt. Es bedarf im Falle der Berufungshauptverhandlung keiner ausdrücklichen Hervorhebung (vgl. OLG Oldenburg BeckRS 2016, 124738 = StV 2018, 148).

Dass die Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung weitrechende Folgen für diesen haben kann, weil der Verteidiger dann berechtigt ist, ihn im Willen und in der Erklärung zu vertreten, stellt keine Besonderheit der Berufungshauptverhandlung dar. Dies gilt auch für die Erwägung, dass es sich um die letzte Tatsacheninstanz handelt. So kann ein nach § 234 StPO zulässiger Vertretungsfall auch in der Hauptverhandlung vor einer großen Strafkammer des Landgerichts (nur eine Tatsacheninstanz) eintreten (vgl. Spitzer NJW 2021, 327, 328).

Zudem war schon vor der Änderung des § 329 StPO anerkannt, dass die im Strafbefehlsverfahren normierte Vertretungsbefugnis (§ 411 Abs. 2 StPO) auch für die Berufungshauptverhandlung gilt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 329 Rdn. 14 m.w.N.). Es erscheint nicht folgerichtig, nunmehr – jedenfalls in gerichtlichen Strafverfahren nach Anklage – für die Vertretung in der Berufungshaupthandlung eine ausdrücklich hierauf bezogene Vollmacht zu verlangen. Ob das gerichtliche Strafverfahren mit einem Strafbefehl oder einer Anklage begonnen hat, stellt kein taugliches Abgrenzungskriterium dar, zumal die durch einen Strafbefehl festgesetzten Rechtsfolgen bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe (mit Aussetzung zur Bewährung) reichen können.

Ohne dass es entscheidend darauf ankommt, weisen der dem Senat vorliegende Fall und der von dem Oberlandesgericht Hamm entschiedene Fall über den Inhalt der Vertretungsvollmacht hinaus eine weitere Parallele auf. Denn in beiden Strafsachen war die Vertretungsvollmacht erst in dem Berufungsverfahren erteilt worden. Vorliegend ist die Vertretungsvollmacht vom 3. Juli 2020 zusammen mit der Berufungsschrift vom 3. Juli 2020 eingereicht worden. Aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm geht hervor, dass das erstinstanzliche Urteil vom 3. November 2015 stammt, während die Vertretungsvollmacht vom 3. Februar 2016 datiert.

Bei dieser Sachlage war eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – nichts anderes stand jeweils bei Erteilung der „in allen Instanzen“ geltenden Vertretungsvollmacht an – erst recht entbehrlich. Aber auch ohne eine solche Besonderheit in der zeitlichen Abfolge ist eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, „in allen Instanzen“ erteilt worden ist, nach Auffassung des Senats für die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung ausreichend.

Durch drei weitere Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte (vgl. KG Berlin BeckRS 2018, 5556; OLG Hamm BeckRS 2019, 5617; OLG Celle BeckRS 2021, 626) sieht sich der Senat wegen anders gelagerter Sachverhalte nicht an der beabsichtigten Entscheidung unter Bejahung der Vorlegungsfrage gehindert.

Denn diese Entscheidungen betreffen jeweils Vertretungsvollmachten, in denen die Vertretungsfälle nach § 411 Abs. 2 StPO und §§ 233 Abs. 1, 234 StPO ausdrücklich angeführt werden, während die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung (§ 329 Abs. 1 u. 2 StPO) nicht erwähnt wird. Insoweit bedarf es im Einzelfall der Auslegung, ob es sich um eine abschließende Aufzählung oder lediglich um Beispiele für die Vertretung „in allen Instanzen“ handelt. Dass die Gründe der vorgenannten Entscheidungen tendenziell nicht mit der von dem Senat beabsichtigte Entscheidung in Einklang stehen, stellt noch keinen Vorlegungsgrund dar.“

Mal sehen, wie lange der BGH braucht. Bis dahin wird man m.E. über ggf. anhängige Revisionen, in denen die Frage eine Rolle spielt, nicht entscheiden können. Und auch mit Berufungsverwerfungen wird man „vorsichtig“ sein müssen.

Auf die Entscheidung des BGH werden wir aber mit den Neuauflagen der beiden Handbücher „Ermittlungsverfahren“ und „Hauptverhandlung“ in der 9. oder 10. Auflage nicht warten können 🙂 . Die gehen wie geplant im Oktober bzw. Dezember 2021 an den Start. Zum <<Werbemodus an>> geht es hier. <<Werbemodus aus>>.

Verzögerungsrüge, oder: Auch bei mehr als vier Jahre Dauer des Berufungsverfahrens feilscht man noch

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Im „Kessel Buntes“ stelle ich dann zunächst das BGH, Urt. v. 26.11.2020 – III ZR 61/20 – vor. Schon etwas älter, aber erst jetzt veröffentlicht.

Gegenstand des Verfahrens war eine Entschädigung nach den §§ 198, 199 GVG, also nach bzw. in Zusammenhang mit einer Verzögerungsrüge. Geltend gemacht wurde die wegen überlanger Dauer eines zivilrechtlichen Berufungsverfahrens.

Die Klägerin hatte im Jahr 2015 einen Zivilrechtsstreit vor dem LG Hamburg geführt, das ihr mit Urteil vom 02.09.2015 einen Betrag von 55.000 EUR nebst Zinsen zusprach. Dagegen legte der damalige Beklagte Berufung beim OLG Hamburg ein, die er mit Schriftsatz vom 09.11.2015 mit dem Ziel einer vollständigen Klageabweisung begründete. Die Klägerin erwiderte unter dem 14.12.2015 auf das Berufungsvorbringen. Mit Schriftsatz vom 29.02.2016 bat sie unter Hinweis auf das Datum der Berufungserwiderung um einen Sachstandsbericht. Daraufhin teilte das Berufungsgericht ihr mit richterlicher Verfügung vom 02.03.2016 mit, dass wegen zeitlich vorrangig zu bearbeitender Eilverfahren und älterer Verfahren mit einer Förderung der Sache vor dem vierten Quartal 2017 nicht gerechnet werden könne. Der Senat sei jedoch bemüht, die Bearbeitung schon vorher in Angriff zu nehmen.

Unter dem 22.12.2016 übersandte die Klägerin die Kopie einer Anklageschrift gegen den damaligen Beklagten und bat um eine möglichst zeitnahe Terminierung. Da auch nach Ablauf des vierten Quartals 2017 eine Förderung des Verfahrens durch das Berufungsgericht nicht feststellbar war, wies die Klägerin mit Schriftsatz vom 22.05.2018 unter Bezugnahme auf die am 29.08.2017 erfolgte endgültige Einstellung des Strafverfahrens gegen den Beklagten nach Zahlung einer Geldauflage auf die Entscheidungsreife des Berufungsverfahrens und dessen „enorme Verfahrensdauer“ hin. Dabei verband sie die Spiegelstrichauflistung des bisherigen Verfahrensgangs mit der erneuten Bitte um eine zeitnahe Terminierung.

Mit Verfügung vom 06.08.2018, die sich mit einer weiteren Sachstandsanfrage der Klägerin unter dem 09.08.2018 überschnitt, erteilte das Berufungsgericht den Parteien den Hinweis, dass der Senat beabsichtige, die Berufung des Beklagten (des Ausgangsverfahrens) durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe. Die dem Berufungskläger eingeräumte Stellungnahmefrist bis zum 24.08.2018 ließ dieser ungenutzt verstreichen.

Da eine mit Schriftsatz der Klägerin vom 09.10.2018 vorgetragene dringende Bitte um kurzfristigen Abschluss des Verfahrens fruchtlos blieb, rügte die Klägerin unter dem 28.03.2019 mit ausführlicher Begründung die dreieinhalbjährige Dauer des Berufungsverfahrens gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG und behielt sich einen Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG ausdrücklich vor. Mit Beschluss vom 02.12.2019 wies das Oberlandesgericht schließlich die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Berufungsverfahren jedenfalls seit Oktober 2017 unangemessen verzögert worden sei und ihr deshalb eine Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von mindestens 2.300 € (nebst Zinsen) zustehe.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Die geltend gemachte Entschädigungsforderung scheitere daran, dass die Verzögerungsrüge vom 28.032019 keine Rückwirkung bis Oktober 2017 entfalten könne (Hinweis auf BFHE 253, 205).

Das Oberlandesgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 2.200 € (nebst Zinsen) verurteilt und die Revision zugelassen. Die Beklagte verfolgt mit der Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter, soweit sie zur Zahlung eines Betrages von mehr als 800 € (nebst Zinsen) verurteilt worden ist.

Die Revision beim BGH hatte keinen Erfolg.

Der BGH verwendet auf die Frage der Unangemessenheit der Dauer des Berufungsverfahrens in seinem Urteil nicht viel Platz und führt  nur kurz – und zutreffend – aus, dass „diese Verfahrensweise (objektiv) nicht mehr verständlich.“ M.E. noch nett. Man hätte auch schreiben können: „unverschämt“.

Im Übrigen nimmt er zu den Anforderungen an die Verzögerungsrüge wie folgt Stellung:

1. § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG stellt keine besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge, sondern verlangt lediglich, dass die „Dauer des Verfahrens gerügt“ wird. Daraus folgt, dass auch eine nicht ausdrücklich als „Verzögerungsrüge“ bezeichnete Äußerung eines Verfahrensbeteiligten im Wege der Auslegung als Verzögerungsrüge anzusehen ist, wenn sich ihr nur entnehmen lässt, dass der Beteiligte die Dauer des Verfahrens beanstandet oder in sonstiger Weise zum Ausdruck bringt, mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden zu sein.

2. Ein Anlass zur Besorgnis im Sinne des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG ist gegeben, wenn ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Ausgangsverfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt. Auf ein rein subjektives Empfinden des Verfahrensbeteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektiveGründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen, ohne dass ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom 21.05.2014 III ZR 355/13, NJW 2014, 2443).

Und: Bei einer wirksam gegenüber dem mit der Sache befassten Ausgangsgericht erhobenen Verzögerungsrüge ist auch der vor dem Rügezeitpunkt liegende Zeitraum in die Entschädigungsprüfung einzubeziehent. Daran ändert auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Verzögerungsrüge später – hier erst rund acht Monate nach Eintritt der Überlänge des Verfahrens – erhoben worden ist.

Mich wundert immer, warum und wieso eigentlich die Justizverwaltungen bei solchen Verfahrensabläufen – Entscheidung im Berufungsverfahren mehr als vier Jahre nach dem erstinstanzlichen Urteil – noch um die Entschädigung feilschen müssen. Auch das ist peinlich.

Vollmacht II: Dauerbrenner Vertretungsvollmacht, oder: Wie muss die formuliert sein?

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Die zweite Vollmachtsentscheidung kommt vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Beschl. v. 18.01.2021 – 2 Ss 119/20 – noch einmal zur Vertretungsvollmacht Stellung genommen. Auch ein Dauerbrenner, der vor allem Bedeutung bei der Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO Bedeutung hat.

Der Angeklagte hatte gegen die Verurteilung durch das AG Berufung eingelegt. Diese Berufung hat das LG nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte im Hauptverhandlungstermin ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Der in der Berufungshauptverhandlung anwesende Verteidiger, der als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, hatte beantragt, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen und ein weiteres ärztliches Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit und Vollzugsfähigkeit einzuholen. Der Angeklagte befinde sich seit dem Vortag der Verhandlung im Krankenhaus. Weiter hatte der Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung eine von dem Angeklagten unterschriebene Vollmacht, die auf den 6.10.2018 datierte, vorgelegt. In dieser hieß es zu Ziffer 6: „Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen (§§ 302, 374 StPO, 73, 43 OWiG) einschließlich der Vorverfahren sowie (für den Fall der Abwesenheit) Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO und mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach § 233 Abs. 1, 234 StPO und Stellung von Straf- und anderen nach der Strafprozessordnung zulässigen Anträgen.“  Die Vollmacht hat dem OLG nicht gereicht:

„Die Verfahrensrüge erweist sich jedoch als unbegründet.

Die dem Verteidiger am 06.10.2018 erteilte Vollmacht berechtigt den Verteidiger nicht zur Vertretung des abwesenden Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung. Das Landgericht hat damit rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte nicht in zulässiger Weise vertreten worden ist.

Eine allgemeine Verteidigervollmacht reicht für die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus, erforderlich ist vielmehr nach allgemeiner Ansicht eine besondere Vertretungsvollmacht im Sinne einer spezifischen Ermächtigung des Verteidigers, für den Angeklagten verbindlich Erklärung abgeben und wirksam für ihn Erklärungen annehmen zu können, also die Rechtsmacht, den Angeklagten im Prozess in Erklärung und Willen zu vertreten (vergleiche BGHSt 9, 356; KG Berlin, Beschluss vom 01.03.2018, Az: 121 Ss 15/18, Rn. 3, zitiert nach juris, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 234 Rn. 5 m. w. Nw.). Aus der Pflichtverteidigerbestellung als solcher ergibt sich dabei keine besondere Vertretungsmacht des Verteidigers (vgl. OLG Celle, NStZ 2013, 615 m. w. Nw.). Auch der Pflichtverteidiger benötigt als Beistand des Angeklagten eine ausdrückliche Vertretungsvollmacht. Diese ist gegebenenfalls neu zu erteilen, soweit das Wahlmandat durch die Beiordnung als Pflichtverteidiger erloschen ist (vlg. OLG Celle, a. a. O.).

Hier wurde die Vollmacht erst am 06.10.2018 erteilt und damit nach der erfolgten Bestellung des Verteidigers als Pflichtverteidiger.

Streitig ist allerdings, ob eine Vollmacht, die allgemein „zur Verteidigung und Vertretung“ erteilt wird, für eine Vertretung in der Berufungshauptverhandlung ausreicht (bejahend: OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2016, Az: 1 Ss 178/16, Rn. 14, zitiert nach juris m. w. Nw.), Insoweit wird angeführt, durch die Forderung einer expliziten Ermächtigung zur Vertretung des Angeklagten „in dessen Abwesenheit“ würde der in dem Erfordernis einer gesonderten Bevollmächtigung zu Grunde liegende Schutzgedanke überspannt (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.) Dies trägt allerdings der Bedeutung der Übertragung der Vertretungsrechte durch den Angeklagten an den Verteidiger nicht Rechnung. Denn mit der Erteilung einer Vertretungsvollmacht für den Fall einer Abwesenheitsverhandlung überträgt der Angeklagte wichtige Verfahrensrechte wie Anwesenheit und rechtliches Gehör vollständig auf seinen Verteidiger und muss sich an dessen inhaltlichen Erklärung festhalten lassen, als wenn es seine eigenen wären (vgl. KG Berlin, a. a. O.). Diese Konsequenzen wiegen bezogen auf die Berufungshauptverhandlung besonders schwer, da sie den Abschluss der letzten Tatsacheninstanz bildet. Vor dem Hintergrund dieser weitreichenden Folgen ist es nach Auffassung des Senats erforderlich, dass sich die Vollmacht ausdrücklich auch auf die Abwesenheitsverhandlung in der Berufungshauptverhandlung bezieht (vergleiche KG Berlin, a. a. O., OLG Hamm, a. a. O.; OLG Saarbrücken a. a. O., KK-Paul, StPO, 8. A., § 329 Rn. 6) Dies gilt umso mehr, seitdem durch Inkrafttreten der Neuregelung des § 329 StPO am 25.7.2015 weitreichende Rechte zur Vertretung in Abwesenheit des Angeklagten geschaffen wurden. Dies führt dazu, dass eine Abwesenheitsverhandlung auch in Fällen erfolgen kann, in denen erstinstanzlich eine Vertretung des Angeklagten ausgeschlossen ist, insbesondere ist das Berufungsgericht nur an den Strafrahmen des § 24 Abs. 2 GVG und nicht an den des
§ 233 StPO gebunden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. A., StPO, § 329 Rn. 37 m. w. Nw.).

Die dem Verteidiger des Angeklagten am 06.10.2018 erteilte Vertretungsvollmacht reicht vor diesem Hintergrund zur Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus.

Die vorgelegte Vollmacht bezieht sich in Ziffer 6 schon im Wortlaut nur auf das Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 411 Abs. 2 StPO) sowie auf die Vorschriften der
§§ 233 Abs. 1, 234 StPO. Dem Wortlaut nach handelt es sich dabei auch um eine abschließende Aufzählung, in der § 329 StPO nicht genannt wird. Es ist nicht ersichtlich, dass lediglich eine bespielhafte Aufzählung der Möglichkeiten der Vertretung in Abwesenheit erfolgen sollte. Auch der Verweis in Ziffer 6 der Vollmacht auf die Vorschrift des § 234 StPO führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Vorschrift des § 234 StPO knüpft inhaltlich an die Vorschriften der § 231 ff. StPO an, die in Berufungsverfahren nur Anwendung finden, soweit
§ 329 StPO nicht anwendbar ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt,63. A., StPO, § 332 Rn. 1).  Für die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung enthält
§ 329 Abs. 1 und 2 StPO jedoch spezielle Regelungen (vgl. KG Berlin a. a. O.).“

Beweisantrag I: Der Inhalt des Beweisantrags, oder: Tatsachen, Tatsachen, Tatsachen

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Heute – man sieht es an der Überschrift – kommen dann drei Entscheidungen zu Beweisanträgen (§ 244 StPO).

Zunächst stelle ich – zum warm werden – den BGH, Beschl. v. 14.05.2020 – 1 StR 147/20 – vor. Nichts Bedeutendes, was der BGH da zum Beweisantrag ausführt, aber immerhin 🙂 :

„Soweit der Angeklagte mit seiner Verfahrensrüge, die Ablehnung seines Beweisantrags auf Vernehmung des Investors J. genüge nicht den Anforderungen des § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2 StPO (aF; entspricht § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO nF), die Glaubwürdigkeit der beiden Mitgesellschafter G. und B. sowie die Glaubhaftigkeit ihrer Zeugenaussagen angreift, fehlt es bereits an ausreichend präzisen Tatsachenbehauptungen, welche das Landgericht hätte bescheiden müssen (§ 244 Abs. 6 Satz 1 StPO). Denn die „Präsentation“ der „Bestandsobjekte“ in K. , I. und R. schließt nicht die Behauptung ein, die 19 verfahrensgegenständlichen Überweisungen seien im Januar 2017 in China zur Sprache gekommen. Dass sich beide Hauptbelastungszeugen mit den genannten Projekten auch nach dem Januar 2016 beschäftigten, ist vom Landgericht in seinem Ablehnungsbeschluss rechtsfehlerfrei gewürdigt worden. Dies entspricht den Urteilsfeststellungen (insbesondere UA S. 8), wonach die beiden Mitgesellschafter die anderen Bauprojekte erst „angehen“ wollten, nachdem die C. GmbH aus dem Studentenwohnheim in W. Erträge erzielt hätte.

Das Landgericht hat den Vermögensnachteil (§ 266 Abs. 1 StGB) unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Schadenseinschlags mit der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Investitionen in die Bauobjekte K. , I. und R. für die C. GmbH begründet; dabei hat es auf deren konkrete finanzielle Situation abgestellt. Deren Liquidität entzog der Angeklagte gemäß seinem Tatplan (UA S. 4) vollständig (UA S. 11 f.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 – 3 StR 490/16 Rn. 33 aE mwN), um die laufenden Kosten der allein von ihm betriebenen CE. GmbH zu begleichen (UA S. 12 f.). Seinen Tatplan setzte er mithilfe pauschaler Rechnungsbeträge bei nichtssagenden Rechnungsleistungsinhalten (UA S. 5) um. Die Pflichtwidrigkeit der Überweisungen hat das Landgericht hingegen auf eine andere Tatsachengrundlage, nämlich auf den Verstoß gegen die Gesellschafterabrede aus dem Januar 2016 gestützt (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 1. November 2012 . 2 BvR 1235/11 Rn. 24, BVerfGK 20, 114, 121 f.). Mitnichten hat das Tatgericht damit allein aus dem Pflichtenverstoß auf den Untreueschaden geschlossen.“