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Beweis II: Wann liegt denn nun eine Vernehmung vor?, oder: Was ist eine Durchsuchung?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt aus Bayern. Das BayOBlG hat im BayObLG, Beschl. v. 13.9.2021 – 202 StRR 105/21 – zur Abgrenzung der „Vernehmung“ zur „informatorischen Befragung“ und zu der Frage Stellung genommen, wann eine Durchsuchung i.S. des § 102 StPO vorliegt.

Das AG hat den Angeklagten unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Die dagegen eingelegte Berufung hat das LG verworfen. Hiergegen richtet sich dann die u.a. auf die Verfahrensrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die hatte keinen Erfolg.

Das LG hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte bewahrte am 08.03.2019 in seiner Wohnung 7,49 g Marihuana sowie 0,42 g Cannabis-Tabakgemisch und 0,34 g Amphetamin auf. Nachdem Polizeibeamte, denen mitgeteilt worden war, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen sei, gegen 9:10 Uhr den Angeklagten an der Wohnungstür hierauf angesprochen hatten, habe dieser sofort gestanden, dass er soeben einen „Joint“ geraucht habe. Auf Aufforderung durch die Beamten habe er die in der Wohnung befindlichen Betäubungsmittel an diese herausgegeben.

Der Angeklagte hat mit seinen Verfahrensrügen Verwertungsverbote hinsichtlich der sichergestellten Betäubungsmittel und seines Geständnisses vor der Polizei geltend gemacht. Wie gesagt: Ohne Erfolg:

„b) Die erhobenen Verfahrensrügen sind indes bereits unzulässig, weil sie den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht gerecht werden. Hiernach ist der Beschwerdeführer gehalten, die den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau wiederzugeben, dass das Revisionsgericht allein anhand der Begründungsschrift beurteilen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.02.2019 – 1 StR 604/17 = StV 2019, 808 = BGHR StPO § 244 Abs. 3 S. 2 Ungeeignetheit 26 = StraFo 2019, 243; 27.09.2018 – 4 StR 135/18 = NStZ-RR 2019, 26; 20.09.2018 – 3 StR 195/18 = NStZ-RR 2019, 190; Beschluss vom 01.12.2020 – 4 StR 519/19 = NStZ-RR 2021, 116 = Blutalkohol 58, 159 (2021); 29.09.2020 – 5 StR 123/20 = JR 2021, 231; 13.05.2020 – 4 StR 533/19 = medstra 2021, 42 = NStZ 2021, 178; 17.07.2019 – 5 StR 195/19, bei juris; 09.08.2016 – 1 StR 334/16 = NStZ 2017, 299 = StraFo 2017, 24 = StV 2017, 791; 19.05.2015 – 1 StR 128/15 = BGHSt 60, 238 = NStZ 2015, 541 = StraFo 2015, 381 = StV 2016, 78 = JR 2016, 78; 11.03.2014 – 1 StR 711/13 = NStZ 2014, 532 = BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 29 = StV 2015, 87; BayObLG, Beschluss vom 09.08.2021 – 202 ObOWi 860/21, bei juris). Dem entspricht die Rechtfertigungsschrift nicht.

aa) In Bezug auf das vor der Polizei abgelegte Geständnis, das der Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen die Belehrungspflicht für unverwertbar hält, fehlt es in mehrfacher Hinsicht an erforderlichem Sachvortrag, der dem Senat die Überprüfung ermöglichen würde, ob gegen die Belehrungspflicht nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO verstoßen wurde.

(1) Die Revision legt schon nicht dar, dass gegen den Angeklagten im Zeitpunkt des Erscheinens der Polizeibeamten an seiner Wohnungstür überhaupt ein Anfangsverdacht bestanden hatte. Die Pflicht zur Belehrung einer Person als Beschuldigten nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO wird erst dann ausgelöst, wenn sich der Verdacht gegen sie so verdichtet hat, dass sie ernstlich als Täter einer Straftat in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 07.09.2017 – 1 StR 186/17 = wistra 2018, 91). Aus den in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegebenen Passagen des Berufungsurteils lässt sich dies gerade nicht ableiten. Hiernach sei laut Aussage des als Zeuge vernommenen Polizeibeamten der Polizeidienststelle mitgeteilt worden, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen gewesen sei, und der Polizeibeamte habe dann im Treppenhaus des Wohnanwesens des Angeklagten ebenfalls Marihuanageruch wahrgenommen. Hieraus resultiert indes noch keineswegs ein konkreter Anfangsverdacht gerade in Bezug auf den Angeklagten hinsichtlich eines Betäubungsmitteldelikts. Denn die Inhaberschaft einer Wohnung ist ebenso wenig strafrechtlich relevant (vgl. BGH, Urt. v. 25.04.2017 – 5 StR 106/17 = NStZ-RR 2017, 219 = StraFo 2017, 257 = StV 2018, 503) wie der bloße etwaige Konsum von Betäubungsmitteln (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 14.10.2013 – 3 Ss 102/13 = StV 2014, 621 = OLGSt BtMG § 29 Nr. 21 m.w.N.). Dass die Polizeibeamten gerade den Angeklagten als Täter eines Betäubungsmitteldelikts konkret in Verdacht hatten, ergibt sich auch sonst aus der Rechtfertigungsschrift nicht.

(2) Zudem unterbleibt jeglicher Vortrag dazu, ob überhaupt eine die Belehrungspflicht erst auslösende „Vernehmung“ vorlag, als das Geständnis vor der Polizei abgelegt wurde. Hiervon kann nur dann gesprochen werden, wenn der Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt bereits den Beschuldigtenstatus eingenommen hatte, was sich aber aus der Rechtfertigungsschrift ebenfalls nicht ergibt. Ungeachtet dessen ist die im Berufungsurteil erwähnte, durch die Revisionsbegründung nicht weiter untermauerte bloße „Ansprache“ des Angeklagten auf den Marihuanageruch noch keineswegs als Vernehmung im Sinne einer gezielten Befragung eines Tatverdächtigen zu werten. Vielmehr liegt mangels ausreichenden weiteren Vortrags der Revision nicht fern, dass es lediglich um eine informatorische Befragung einer zum Kreis der potentiellen Tatverdächtigen gehörenden Person zum Zwecke der Klärung ging, ob oder gegen wen gegebenenfalls förmlich als Beschuldigter zu ermitteln ist, durch die die Belehrungspflicht § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 6 StPO noch nicht ausgelöst wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 06.06.2019 – StB 14/19 = BGHSt 64, 89 = NJW 2019, 2627 = NStZ 2019, 539 = StraFo 2019, 376 = JR 2020, 81; 27.10.1982 – 3 StR 364/82 = NStZ 1983, 86; BayObLG, Beschluss vom 02.11.2004 – 1St RR 109/04 = VD 2005, 101 = NStZ-RR 2005, 175 = wistra 2005, 239 = StV 2005, 430 = NZV 2005, 494 = Blutalkohol 43, 312 (2006); KK-StPO/Diemer 8. Aufl. § 136 Rn 4).

(3) Darüber hinaus unterbleibt ein Vortrag dazu, ob dem Angeklagten seine Rechte aus § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 6 StPO zum damaligen Zeitpunkt nicht ohnehin bereits bekannt waren. Ausführungen hierzu waren umso mehr erforderlich, als er vielfach und massiv vorbestraft ist, sodass es naheliegt, dass ihm schon aufgrund seiner Kontakte zu Ermittlungsbehörden und Gerichten seine Rechte bekannt waren. Sollte dies der Fall gewesen sein, durfte der Inhalt der Angaben, die er ohne Belehrung vor der Polizei gemacht hat, bei der Urteilsfindung verwertet werden (BGH, Beschluss vom 27.02.1992 – 5 StR 190/91 = BGHSt 38, 214).

(4) Schließlich scheitert die Zulässigkeit der Verfahrensrüge daran, dass der bereits in erster Instanz verteidigte Beschwerdeführer der Verwertung seines vor der Polizei abgelegten Geständnisses nicht rechtzeitig, d. h. bis zu dem in § 257 StPO vorgesehenen Zeitpunkt, mit einer konkreten Stoßrichtung widersprochen hat (vgl. grundlegend: BGH a.a.O.), was zur Rügepräklusion führt (vgl. nur BGH, Urt. v. 09.05.2018 – 5 StR 17/18 = NSW StPO § 105 (BGHintern) = NJW 2018, 2279 = StraFo 2018, 385 = StV 2018, 772 = NStZ 2018, 737 = BGHR StPO § 105 Abs. 1 Verwertungsverbot 1 m.w.N.).

bb) Soweit die Revision geltend macht, die Erkenntnisse aus der Sicherstellung der Betäubungsmittel unterlägen einem Beweisverwertungsverbot, weil sie aufgrund einer gegen den Richtervorbehalt (§ 105 StPO) verstoßenden Durchsuchung erlangt worden seien, versagt auch diese Verfahrensrüge.

(1) Da der auch für die Rüge unzulässiger Verwertung von Durchsuchungsfunden erforderliche Verwertungswiderspruch (vgl. nur BGH a.a.O.) in erster Instanz nicht erhoben wurde, ist diese Verfahrensrüge ebenfalls präkludiert und deswegen bereits unzulässig.

(2) Ungeachtet dessen kam es weder nach dem Vortrag der Revision noch nach den Gründen des Berufungsurteils zu einer Durchsuchung. Kennzeichnend für eine Durchsuchung im Sinne des § 102 StPO ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen und Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.05.1987 – 1 BvR 1113/85 = BVerfGE 75, 318 = NJW 1987, 2500 = WuM 1987, 303 = DVBl 1987, 1062 = Rbeistand 1987, 120 = MDR 1987, 903 = JuS 1988, 149; Löwe-Rosenberg/Tsambikakis StPO 27. Aufl. § 102 Rn. 1). Hiervon kann schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Angeklagte die Betäubungsmittel auf die „Ansprache“ durch die Polizei an der Wohnungstür sofort freiwillig herausgegeben hat, so dass es zu einer Durchsuchung deshalb gar nicht kam.

(3) Für das Vorliegen eines Verwertungsverbots nach § 136a Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 StPO aufgrund einer etwaigen Ankündigung einer Durchsuchung unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt ergeben sich nach dem Revisionsvortrag schon keine Anhaltspunkte.“

M.E. eine dieser typischen bayerischen Fleißarbeiten, die von Zitaten strotzen, obwohl das alls gar nicht nötig gewesen wäre. Denn:

Man kann nur den Kopf schütteln über den Verteidiger. Dem scheinen die Grundkenntnisse im Recht der Beweisverwertungsverbote zu fehlen. Denn inzwischen sollte bei jedem Verteidiger angekommen sein, dass – wenn ein Beweisverwertungsverbot geltend gemacht wird – in der Hauptverhandlung widersprochen werden muss und dass der Umstand, dass widersprochen worden ist, dann auch in der Revision im Rahmen der Begründung der Verfahrensrüge vorgetragen werden muss. Und damit wäre es m.E. gut gewesen. Denn aus dem Grund ist die Entscheidung – im Ergebnis – zutreffend.

Aber: Das BayObLG muss natürlich einer staunenden (?) Fachwelt mitteilen, was es im Übrigen von der Sache hält. Und da ist die Entscheidung m.E. falsch. Denn der Angeklagte hätte als Beschuldigter belehrt werden müssen und seine ohne Belehrung gemachten Angaben wären damit, wenn widersprochen worden wäre, unverwertbar gewesen. Denn der Verdacht gegen ihn im Hinblick auf ein BtM-Delikt hatte sich zum Zeitpunkt der Befragung bereits so verdichtet, dass er als Täter einer Straftat in Betracht kam (zur Beschuldigteneigenschaft Burhoff in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 1041 ff.). Ich halte fest: Der Polizeidienststelle wird mitgeteilt worden, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen ist, Polizeibeamte nehmen dann im Treppenhaus des Wohnanwesens des Angeklagten ebenfalls Marihuanageruch wahr, der Angeklagte öffnet die Wohnungstür. Bei den Umständen soll der Angeklagte dann nicht als Täter einer Straftat – eines BtM-Delikts, und zwar zumindest Besitz von BtM – in Betracht. Man fragt sich, was eigentlich noch passieren muss, bis man in Bayern als Beschuldigter angesehen wird? Für mich unverständlich, aber: Bayern eben.

Beweisverwertungsverbot II: § 252 StPO gilt auch bei der informatorischen Befragung

Nichts wesentlich Neues, aber als bestätigender Beschluss ganz interessant ist der OLG Bamberg, Beschl. v. 28. 2. 2011 – 3 Ss OWi 40/11. Vom Sachverhalt her sicherlich keine Seltenheit. Dazu heißt es in der Entscheidung:

Das AG hat den Betr. wegen einer fahrlässigen Über­schreitung der zulässigen Höchstge­schwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaf­ten zu einer Geldbuße verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot verhängt. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung hat das AG zur Täterschaft des Be­tr., der sich zur Sache nicht geäußert hat, im Wesentlichen ausgeführt:  „Der Zeuge POM W. führte aus, dass aufgrund der hohen Geschwindigkeit eine an sich beabsichtigte sofortige An­haltung nicht möglich gewesen sei. Er habe jedoch gesehen, dass es sich bei dem Fahrer um einen ‚älteren Herrn mit grauen Haaren’ gehandelt habe. Letzteres habe auch sein für die An­hal­tung zuständige Kollege der L. beobachtet. Beide Zeugen berichteten, dass sie aufgrund einer Halteranfrage festgestellt hätten, dass der fragliche Pkw auf Frau Hannelore T. (…), wohnhaft K.-Straße in G. zugelassen ist. Aus diesem Grund seien sie zu dieser Adresse gefah­ren. Hierbei haben sie die Ehefrau des Betroffenen angetroffen. Auf Nachfrage, wer mit dem auf sie zugelassenen Pkw (…) gefahren sei, habe diese erklärt, dass dies ihr soeben nach Hause gekommener Ehemann gewesen sei. In diesem Augenblick sei der Betroffene erschie­nen und habe sich als Ehemann der Halterin zu erken­nen gegeben. Aufgrund dieser Aussagen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Betroffene der Fahrer des Pkw (…) war. Der Betrof­fene passt zu der vagen Be­schreibung seines Äußeren durch die Zeugen, wovon sich das Gericht in der Hauptverhandlung überzeugen konnte. Der Aussage seiner Ehefrau gegenüber den Zeu­gen W. und L., dass er am Tattag mit dem auf sie zugelassenen Pkw unterwegs gewe­sen und kurz vor Eintreffen der Zeugen zu seiner Wohnung zurückgekommen sei, spricht deut­lich dafür, dass es sich bei dem Betroffenen um den Fahrer des Fahrzeugs zum Messzeitpunkt handelte. Die Erklärung der Ehefrau gegenüber den Zeugen ist auch ver­wertbar. Zwar wurde sie von den Polizeibeamten nicht gemäß §§ 163 III 1, 52 I Nr. 2, III StPO über ein Zeugnisver­weigerungs­recht belehrt. (…) Die Äußerung erfolgte jedoch nicht im Rahmen einer Vernehmung und ist daher, ohne dass eine Belehrung erfolgt ist, verwertbar.“

Mit seiner gegen das Urteil erhobenen Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene ausdrücklich nur die Verletzung sachlichen Rechts, wobei er in diesem Rahmen zur Begründung insbesondere ausführt, die Angaben seiner in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungs­recht Gebrauch machenden Ehefrau gegenüber den Zeugen seien nicht verwertbar gewesen. Das ist insofern nicht richtig, weil der (Rechts)Fehler mit der Verfahrensrüge hätte geltend gemacht werden müssen. Aber dazu das OLG: Die unzutreffende Einordnung eines Rechtsbeschwerdeangriffs als Verfahrens- oder Sachrüge ist unbeachtlich, wenn sich aus der Begründungsschrift deutlich ergibt, welche Rüge gemeint ist. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung der Rüge, sondern ihre wirkliche rechtliche Bedeutung, wie sie dem Sinn und Zweck des Vorbringens zu entnehmen ist. Soweit das Rechtsmittelvorbringen dies er­laubt, ist der als Sachrüge bezeichnete Vortrag daher auch unter dem Gesichts­punkt der Verfahrensrüge zu prüfen (u.a. Anschluss an BGH, Urteil vom 21.11.2006 – 1 StR 392/06). Und davon ist das OLG dann ausgegangen und hat die Rüge der Verletzung des § 252 StPO als begründet angesehen. Dazu dann:

Die Rüge der Verletzung des § 252 StPO sei auch begründet.Dazu rückt das OLG die GStA ein, die ausgeführt hatte:

„Da die beiden Zeugen W. und L. nur eine vage Beschreibung des Äußeren des Fahrzeugsführers (‚älterer Herr mit grauen Haaren’) abgeben konn­ten, hat das Gericht in den Urteilsgründen dargelegt, dass seine Überzeugungsbildung von der Täterschaft des Betr. aufgrund einer Gesamtwürdigung mit einem gewichtigen Indiz beruht, nämlich der Erklärung der Ehefrau gegenüber den beiden Zeugen, dass der Betr. am Tattag mit dem Pkw unterwegs gewesen ist. Die Verwertung der polizeili­chen Aussage der Ehefrau verstößt jedoch, worauf die Verteidigung zutreffend hingewie­sen hat, gegen § 252 StPO. (…) Letztendlich hat die Ehefrau des Betr. im Anschluss an die Ver­nehmung der beiden Zeugen von ihrem Zeugnisverweigerungs­recht Gebrauch gemacht. Der Umstand, dass es sich, wie in den Urteilsfeststellungen ausge­führt, lediglich um eine ‚informatorische Befragung’ der Ehefrau handelte, lässt das Beweis­verwertungsverbot nicht entfallen, denn § 252 StPO gilt auch regelmäßig für informato­rische Anhörungen (vgl. Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 252 Rn. 7 m.w.N.). Da das wesentliche Indiz der Über­zeugungsbildung hinsichtlich der Fahrereigenschaft des Betroffenen (hier: Aussage der Ehefrau gegenüber den Zeugen W. und L.) einem Be­weisverwertungsver­bot unterliegt, tragen die (bislang) seitens des AG zur Identifizie­rung des Betr. als Fahrer getroffenen Feststellungen den Schuldspruch und damit das Fahr­verbot nicht.“

Kindermund spricht Wahrheit…

habe ich gedacht, als ich in der heutigen Tagespresse die Kurznachricht „Fünfjähriger verpetzt Vater“ gelesen habe, über die dann auch im Internet berichtet worden ist (vgl. z.B. hier bei Focus). Zum Sachverhalt: Der stark angetrunkene Vater hatte wohl eine Radfahrerin angefahren und war weitergefahren. Kurz darauf fuhr er dann auf einen Pkw, der an einer Ampel wartete, und beschädigte ein parkendes Auto. Wieder fuhr er weiter. Zeugen konnten sich das Kennzeichen merken, darüber kam man (= die Polizei= dann zur Wohnung des Fahrers. Und weiter heißt es bei Focus:

Beim Besuch der Polizisten in seiner Wohnung tat der stark angetrunkene Mann ahnungslos. Der Sohn aber nicht. „Ich weiß, warum ihr da seid“ , sagte er zu den Polizisten. „Bestimmt wegen dem Unfall eben.“ Gegen den Mann wurde dann Strafanzeige erstattet.

Lassen wir mal die rechtlichen Fragen außen vor: Vernehmung des Sohnes, Zustimmung, Pflegerbestellung, informatorische Befragung, Spontanäußerung, Beweisverwertungsverbot, Widerspruchslösung – im Grunde das Richtige für eine Klausur im Examen oder im FA-Kurs :-), wobei man allerdings den Fall auch praktisch lösen kann und wahrscheinlich wird und auf die Vernehmung des Sohnes verzichtet, da ja offenbar andere Zeugen zur Verfügung stehen. Unabhängig davon stellt sich die Frage: Was lernt man daraus? Wie gesagt: Sicherlich „Kindermund spricht Wahrheit“ (?). Oder abgewandelt: Jedenfalls lernt man daraus: Kinder in ihr Zimmer, wenn die Polizei kommt und Nachforschungen anstellen will. 🙂 🙂

Bei der Einschätzung der Meldung bitte beachten: Wir kennen alle die Akten nicht.

Wochenspiegel für die 36. KW – oder wir schauen mal wieder über den Tellerrand

Zu berichten ist:

1. Nochmals über die informatorische Befragung, hier.
2. Keine Kohle, keine MPU, hier.
3. Missachtung von Kontrollauflagen und Entziehung der Fahrerlaubnis, hier.
4. Der geblitzte Notarzt, hier.
5. Um den Humor von Juristen/Richtern ging es an verschiedenen Stellen, nämlich hier, hier, hier und hier.
6. Ein nicht gezahltes Bußgeld hat fatale Folgen, hier.
7. Mit der Verfolgung Unschuldiger befasst sich der Kollege Melchior.
8. Und immer wieder die Unfallflucht, oder hier
9. Die SZVO-Novelle, immer noch interessant, hier.
10. Und dann noch Motocross.

Rat: Schnauze halten – meistens ist es zu spät :-(

Der Kollege Melchior nimmt unseren heutigen Post zur „informatorischen Befragung“ (grds. zu Recht) zum Anlass, den (grundlegenden) Rat des Verteidigers an den Mandanten, bei den Ermittlungsbehörden zum Anlass, unter Überschrift „Schnauze halten“ zu wiederholen.

So weit, so gut und sicherlich auch richtig. Nur: Meistens/häufig ist es aber dafür leider zu spät, weil die Mandanten nicht selten schon „informatorisch befragt“ worden sind, und „gequasselt haben“. Das zeigen die beiden von mir in unserem Post erwähnten Entscheidungen sehr anschaulich. Da ist dann häufig nichts oder nur sehr schwierig noch etwas zu retten, zumal die Rechtsprechung m.E. mit der Annahme, was noch „informatorische Befragung“ sehr weit geht, leider. Richtig ist es natürlich, dem Mandanten zu raten, jetzt aber auf jeden Fall den Mund zu halten und sich nicht noch weiter um Kopf und Kragen zu reden.

Es gilt eben: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.