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Die nicht erfüllte Rückrufaktion des Pkw-Herstellers, oder: Sofortige Betriebsuntersagung folgt

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In der zweiten Entscheidung, dem VG Cottbus, Beschl. v. 08.10.2019 – 1 L 502/19 – geht es um die Erfüllung einer Rückrufaktion des Herstellers eines Pkws durch den Halter. Nein: Nicht VW und Abgasskandal, sondern Mitsubishi. Zurückgerufemn wurde wohl wegen eines Prtoblems an den Scheibenwischern. Der Halter eines davon betroffenen Pkws wollte dem Rückruf nicht Folge leisten, was zu einer Betriebsuntersagung geführt hat, und zwar mit Anordnung der sofortigen Vollziehung. Der dagegen gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hatte keinen Erfolg:

„Die Ermessensentscheidung des Gerichts fällt ebenfalls zu Lasten des Antragstellers aus, weil die angefochtenen Regelungen mit jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig sind und Gründe der Verkehrssicherheit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegen.“

Nach § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (Fahrzeug-Zulassungsverordnung [FZV]) i. d. F. vom 06. Juni 2019 (BGBl. I S. 756) kann die Zulassungsbehörde dem Eigentümer oder Halter eine angemessene Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen, wenn sich ein Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig nach der Fahrzeug-Zulassungsverordnung oder der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung erweist.

Das streitgegenständliche Kraftfahrzeug, ein Mitsubishi Outlander des Baujahrs 2005 – 2012, erweist sich nach dem maßgeblichen Kenntnisstand des Antragsgegners (vgl. VG Augsburg, Urt. v. 29. März 2016 – Au 3 K 15.1733 –, juris Rn. 42; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 5 FZV Rn. 2 a. E.) als in diesem Sinne „nicht vorschriftsmäßig“. Zwar machen bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 1 FZV („erweist sich“) und der systematische Zusammenhang mit § 5 Abs. 3 FZV („Besteht Anlass zu der Annahme“) deutlich, dass die dem Kraftfahrzeug fehlende Vorschriftmäßigkeit durch Offenkundigkeit oder durch Augenschein festgestellt, jedenfalls aber erwiesen, sein muss (Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 5 FZV Rn. 3; MüKoStVR/Huppertz, 1. Aufl. 2016, FZV § 5 Rn. 7; beide zit. nach https://beck-online.beck.de; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 5 FZV Rn. 3). Davon ist jedoch – zumindest nach derzeitiger Sachlage in dem vorliegenden Eilverfahren – auszugehen.

Zwar ist das Kraftfahrzeug SPN-RG 300 entsprechend § 40 Abs. 2 S. 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) i. d. F. v. 26. April 2012 (BGBl. S. 679) mit „selbsttätig wirkenden Scheibenwischern“ ausgestattet und es ist im vorliegenden Einzelfall gerade nicht festgestellt worden, dass eine „Korrosion innerhalb des Scheibenwischermotors oder des Wischergelenks“ vorläge. Hierauf kommt es in dem vorliegenden Zusammenhang jedoch bei summarischer Prüfung auch nicht entscheidend an. Der Antragsteller berücksichtigt nicht hinreichend, dass sein Kraftfahrzeug einer vom Kraftfahrt-Bundesamt überwachten Rückrufaktion des Fahrzeugherstellers unterliegt und dass es im Zuge dieser Aktion der individuellen Feststellung eines konkreten Mangels nicht bedarf. Ein vom Kraftfahrt-Bundesamt überwachter Rückruf durch den Hersteller erfolgt, wenn dieser Informationen darüber hat, dass ein Produkt ein ernstes Risiko darstellt. Im Rahmen der Rückrufaktion ist eine maximale Erfüllungsquote anzustreben, zu deren Erreichung in der Regel die Halter aller betroffenen Fahrzeuge, die zum Zeitpunkt des Rückrufs in der Bundesrepublik Deutschland als zugelassen oder im Verkehr befindlich im Zentralen Fahrzeugregister registriert sind, zu informieren sind (vgl. unter Nr. 2.2.4.2 und 2.5, S. 7, des Kodex zur Durchführung von Rückrufaktionen des Kraftfahrt-Bundesamtes, Stand: September 2019, zit. nach: https://www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Rueckrufe/Kodex/kodex_pdf.pdf?__blob=public-ation File&v=6). Das Kraftfahrzeug des Antragstellers unterliegt einer Rückrufaktion des Herstellers Mitsubishi, die offenbar bereits seit August 2017 in Amerika durchführt wurde und weltweit 688.000 Fahrzeuge, in Deutschland 25.000 Exemplare der Modelljahre 2006 bis 2012 betrifft. Die Vertragsbetriebe tauschen im Rahmen der Aktionen mit dem internen Code R30328 und R30341 sowohl Motor als auch Wischergestänge aus, weil es durch eine Korrosion im Inneren des Motors oder des Wischergelenkes zu einem plötzlichen Ausfall des Scheibenwischers kommen kann (vgl. https://www.kfz-rueckrufe.de/mitsubishi-outlander-rueckruf-nun-auch-in-europa/3985/ und https://www.kba-online.de/gpsg/auskunftServlet zur KBA-Referenznummer 7886).

Hiervon ausgehend sind sämtliche Kraftfahrzeuge, die der sachverständigen Einschätzung des Herstellers nach der Rückrufaktion unterliegen, (produkt-)mangelbehaftet, und zwar selbst dann, wenn sich der Mangel im Einzelfall noch nicht gezeigt oder ausgewirkt haben sollte. Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedarf es – gerade im Rahmen des nicht auf eine Klärung des Sachverhalts angelegten Eilverfahrens – in diesem Zusammenhang nicht weiteren Nachforschungen, welche Umstände den Hersteller des Kraftfahrzeugs bewogen haben, die Rückrufaktion einzuleiten; dass dem Autohersteller für den Rückruf hinreichende Fakten vorlagen, kann schon mit Blick auf die hohen Kosten und den Imageverlust, die mit jeder – vorliegend gar offenbar weltweiten – Rückrufaktion eines Produkts für einen Hersteller verbunden sind, ohne Weiteres unterstellt werden (zu einer vergleichbaren Konstellation: VG Augsburg, Urt. v. 17. Februar 2012 – Au 3 K 11.1708 –, juris). Dass das Kraftfahrzeug des Antragstellers mangelfrei ist, wird von ihm nicht belegt, insbesondere ist auch der Umstand, dass vor Kurzem erfolgreich die Hauptuntersuchung durchgeführt wurde, schon deshalb ohne hinreichende Aussagekraft, weil in deren Rahmen jedenfalls eine Korrosion des Scheibenwischermotors kaum festgestellt werden dürfte.

Der Antragsteller ist auch zutreffend als Halter oder Eigentümer des Fahrzeugs in Anspruch genommen worden. Der Antragsteller stellt die Annahme des Antragsgegners, dieser sei jedenfalls Eigentümer des Kraftfahrzeugs nicht in Frage, und die Behörde dürfte auch zutreffend davon ausgegangen sein, dass der Antragsteller Halter, d.h. derjenige ist, der das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und der die Verfügungsgewalt besitzt (zu diesem Begriff etwa Urt. d. Kammer v. 11. Dezember 2014 – 1 K 118/13 –, Urteilsausfertigung [UA] S. 8 m. w. N.). So wird der Antragsteller nicht nur bei dem Antragsgegner, sondern etwa auch in dem von ihm nachgereichten Bericht des TÜV Rheinland als Halter bezeichnet.

Entgegen des Vorbringens des Antragstellers ist die angeordnete Betriebsuntersagung auch nicht wegen eines Ermessensausfalls rechtswidrig. Ein Entschließungsermessen steht dem Antragsgegner nicht mehr zu, nachdem der Antragsteller nicht an der Rückrufaktion des Fahrzeugherstellers teilgenommen und die ihm mit Schreiben vom 01. Juli 2019 gesetzte Frist, die Beseitigung der Mängel nachzuweisen, ungeachtet der am 16. Juli 2019 gewährten Fristverlängerung hat verstreichen lassen. Auch das Auswahlermessen des Antragsgegners war vorliegend gebunden, insbesondere ist eine praktikable Möglichkeit, den Betrieb des Fahrzeugs lediglich zu beschränken, nicht ersichtlich; die Hinweise des Antragstellers aus dem Schriftsatz vom 05. Oktober 2019 sind jedenfalls nicht geeignet, die naheliegende Annahme einer hohen Selbst- und Fremdgefährdung bei Ausfall des Scheibenwischers in Frage zu stellen.

Die Verpflichtung, das Kraftfahrzeug außer Betrieb zu setzen, ergibt sich aus § 5 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 14 FZV. Die Androhung der Ersatzvornahme findet ihre Rechtsgrundlagen in den §§ 3, 27, 28 und 32 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg); die fehlerhafte Angabe der Rechtsgrundlagen in dem angefochtenen Bescheid ist unschädlich, wenn und soweit – wie vorliegend – tatsächlich die Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage vorliegen.“

Kleine/große Inspektion ist egal, oder: Über eine Rückrufaktion muss sich die „Fachwerkstatt“ schlau machen

Bezeichnet sich eine Werkstatt als Fachwerkstatt für Fahrzeuge einer bestimmten Marke, so trifft sie, auch wenn sie nur mit Wartungsarbeiten im Umfang einer «kleinen Inspektion» beauftragt wurde, die Pflicht, sich zu informieren, ob das Fahrzeug von einer Rückrufaktion wegen sicherheitsrelevanter Mängel betroffen ist. Und das gilt auch bei einem Grauimport.  So das OLG Hamm im OLG Hamm, Urt. v. 08.02.2017 – 12 U 101/16:

„2. Die Beklagte hat eine ihr aus dem Werkvertrag obliegende Pflicht verletzt, indem sie es unstreitig unterlassen hat, die Klägerin – nach Überprüfung der Internetseite des Fahrzeugherstellers auf Hinweise über einen Rückruf begründende Mängel – über das Bestehen des „Safety Recall N08“ zu informieren.

a) Die Beklagte war aufgrund des Wartungsvertrages verpflichtet, sich die zumutbar zu erlangende Kenntnis von derart schwerwiegenden, sicherheitsrelevanten Mängeln zu verschaffen.

Gegenstand des Auftrags vom 31.10.2013 war unstreitig zumindest eine „kleine Inspektion“. Auch wenn der Arbeitsumfang im Verhältnis zu einer „großen Inspektion“ geringer gewesen wäre, hatte aus der berechtigten Sicht des Fahrzeughalters, auf deren Einbeziehung in den Vertrag der Betreiber der Werkstatt sich nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte einlassen musste, eine umfassende Prüfung der Verkehrssicherheit des Fahrzeugs zu erfolgen. Dies beinhaltete auch die Überprüfung zumutbar zur Verfügung stehender Informationsquellen, wie hier die Internetseite des Herstellers, auf verkehrssicherheitsrelevante Rückrufaktionen. Die Klägerin ist nach außen als Fachwerkstatt gerade für Fahrzeuge der Firma E aufgetreten. Die Klägerin konnte daher – wie die übrigen Kunden – in berechtigter Weise annehmen, dass die Beklagte in Bezug auf E-​Fahrzeuge eine vollständige Kenntnis über alles Notwendige für die Verkehrs- und Betriebssicherheit hat oder sich – soweit nicht vorhanden – vor Durchführung entsprechender Inspektionsaufträge besorgt.

b) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass es sich bei dem Fahrzeug der Klägerin um einen sogenannten „Grauimport“ handelt. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, bewirbt die Beklagte ihr Unternehmen als „autorisierte Service-​Vertragswerkstatt“ unter anderem für die Marke E, ohne eine Beschränkung auf in Deutschland vertriebene oder offiziell importierte Fahrzeuge vorzunehmen. Damit war aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers an der Stelle der Klägerin nicht zu erkennen, dass „grau importierte“ Fahrzeuge einer weniger effektiven Fehlerkontrolle unterlagen als regulär vertriebene oder eingeführte Fahrzeuge.

Vielmehr hätte es der Beklagten gerade im Hinblick auf ein „grau importiertes“ Fahrzeug, hinsichtlich dessen die Beklagte nach eigenen Angaben keinen Zugriff auf Computerprogramme des Herstellers haben will, in denen Rückrufaktionen einzusehen gewesen wären, oblegen, sich über andere ihr zugängliche Quellen zu informieren. Hierzu gehört die Internetseite des Herstellers, auf der die Beklagte nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts durch Eingabe der Fahrgestellnummer eine entsprechende Abfrage hätte durchführen können. Der Beklagten war bekannt, dass es sich bei dem Fahrzeug der Klägerin um einen „Grauimport“ handeln musste und die Klägerin vom Hersteller nicht über Rückrufaktionen informiert wird. Auch aus diesem Grund war es deshalb im Rahmen des geschlossenen Werkvertrages ihre Aufgabe als Fachwerkstatt, sich selbst zu informieren.“