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Mehrere Fahrten mit einem fremden Nummernschild, oder: Gesamtvorsatz = Tateinheit

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Auch die zweite Entscheidung des Tages hat mit Verkehrsrecht zu tun. Der BGH behandelt im BGH, Beschl. v. 24.04.2019 – 5 StR 85/18 – eine Urkundenfälschung durch Anbringen eines fremden Fahrzeugkennzeichens.

Das LG hatte den Angeklagten „wegen der Urkundenfälschung in Tateinheit mit dem vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis und einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz in drei Fällen, wegen eines versuchten Totschlags in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung, wegen einer versuchten Nötigung in Tateinheit mit einer Beleidigung und wegen des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer verbotenen Waffe in Gestalt eines Schlagrings“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe“ verurteilt. Dem BGH haben die Konkurrenzen nciht gefallen und er hat daher den Schuldspruch abgeändert, im Übrigen aber die Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen:

„1. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Fälle 1 und 3 der Urteilsgründe (Tatmehrheit) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 13. Dezember 2016 mit seinem nicht zugelassenen und nicht haftpflichtversicherten Pkw öffentliche Straßen in Kiel, obwohl er wusste, dass er nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war und für das Fahrzeug kein Haftpflichtversicherungsschutz bestand. Der Angeklagte hatte zuvor an dem Fahrzeug ein für einen anderen Pkw ausgegebenes Kennzeichen angebracht (Fall 1). Nachdem er sein Auto am Straßenrand abgestellt hatte und ausgestiegen war, um den Zeugen Pe. aufzusuchen, erblickte er auf der Straße den Zeugen A. , über den er verärgert war. Zwischen beiden kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte den Zeugen in den Bauch stach (Fall 2 – versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung). Sodann fuhr der Angeklagte mit seinem Fahrzeug davon. Diese Fahrt hat die Strafkammer als neue, rechtlich selbständige Tat der Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz gewertet (Fall 3).

b) Das Anbringen eines fremden Fahrzeugkennzeichens an dem Auto des Angeklagten ist als Herstellen einer unechten (zusammengesetzten) Urkunde (§ 267 Abs. 1, 1. Variante StGB) zu werten. Auch die Strafkammer geht davon aus, dass der Angeklagte von dieser zudem in den Fällen 1 und 3 Gebrauch machte (§ 267 Abs. 1, 3. Variante StGB), indem er das mit dem fremden Kennzeichen versehene Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr nutzte und dadurch den anderen Verkehrsteilnehmern sowie mit der Verkehrsüberwachung befassten Polizeibeamten die unmittelbare Kenntnisnahme der am Fahrzeug angebrachten Kennzeichen ermöglichte (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 – 4 StR 528/13, NJW 2014, 871). Sie hat allerdings bei der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses zwischen Fall 1 und Fall 3 nicht bedacht, dass nur eine Urkundenfälschung vorliegt, wenn eine gefälschte Urkunde mehrfach gebraucht wird und dieser mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Täters entspricht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 156/08, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Konkurrenzen 3, und vom 16. Juli 2015 – 4 StR 279/15). Von einem solchen konkreten Gesamtvorsatz des Angeklagten ist auf der Grundlage der Feststellungen auszugehen. Das hat zur Folge, dass der mit beiden Fahrten verwirklichte Gebrauch einer unechten Urkunde und deren vorangegangene Herstellung als tatbestandliche Handlungseinheit eine Tat der Urkundenfälschung bilden und damit auch die weiteren während der beiden Fahrten begangenen Delikte hierzu in Tateinheit stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 4 StR 279/15 mwN). Zu dieser Tat steht der im Fall 2 verwirklichte versuchte Totschlag (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) in Tatmehrheit. Denn wie aus den Feststellungen hervorgeht, beging der Angeklagte diese Tat aufgrund eines neuen, spontan gefassten Tatentschlusses, als er nach dem Aussteigen aus seinem Fahrzeug den Geschädigten auf der Straße erblickte.“

Schon wieder: Einen Gesamtvorsatz gibt es nicht mehr….

Wir haben gerade erst am 04.11.2010 (vgl. hier) über eine Entscheidung des 2. Strafsenats des BGH berichtet, in dem dieser deutlich darauf hingewiesen hat, dass es einen „Gesamtvorsatz“ nach Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung nicht mehr gibt. Das scheint aber noch nicht überall bekannt zu sein. Denn nun hat auch der 5. Strafsenat des BGH in seinem Beschl. v. 28.10.2010 – 5 StR 226/10 – das LG Cottbus rügen müssen, das bei einer Betrugsserie von einem „Gesamtvorsatz“ ausgegangen war. Der BGH schreibt:

Für die Annahme eines Gesamtvorsatzes, der durch die Feststellung, der Angeklag-te habe häufig – nicht nur vereinzelt – keine Ware oder nur geringwertigere Ware liefern wollen, ohnehin nicht hinreichend belegt wäre, ist nach Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung (BGHSt – GS – 40, 138) kein Raum mehr. Entgegen der Auffassung des Landgerichts bietet auch das Präsentieren von verschiedenen Waren im Internet keinen Anknüpfungs-punkt für die Annahme eines Gesamtvorsatzes, zumal die fehlende Erfül-lungsbereitschaft des Angeklagten hinsichtlich aller von ihm angebotenen Waren gerade nicht festgestellt ist. Auch unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Handlungseinheit liegt insbesondere angesichts des lang gestreckten Tatzeitraums eine einheitliche Tat nicht vor. Es ist vielmehr von jeweils selb-ständigen Taten auszugehen, die jeweils auf einen neuen Tatentschluss beruhen.“

Dem ist nichts hinzuzufügen, auerß: BGHSt 40 (!!!).

Offensichtlich fehlerhaft – was ist das?

Das Landgericht Frankfurt/Main verurteilt wegen „Fälschung von Zahlungskarten mit Kreditfunktion“ (gemeint war: Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion, § 152b StGB) zu einer Freiheitsstrafe und stellt dabei fest, dass „der Besitz der zahlreichen gefälschten Kreditkarten einen Gesamtvorsatz umfasste, die Karten so oft wie möglich einzusetzen“ (UA S. 12); daher liege nur eine einzige Tat vor. …. „. Der BGH sagt in seinem Beschluss v. 01.09. 2010 – 2 StR 481/10: Nein. Denn:

Diese rechtliche Würdigung war offensichtlich fehlerhaft. Für die Annahme eines „Gesamtvorsatzes“ auf „möglichst häufige“ Begehung selbständiger Taten ist nach Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung im Jahr 1994 (BGHSt 40, 138) kein Raum mehr. Da der Besitz von gefälschten Zahlungskarten als solcher nicht strafbar ist, bildet er entgegen der Ansicht des Landgerichts auch keinen Anknüpfungspunkt für einen solchen „Gesamtvorsatz“. Auch unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Handlungseinheit lag hier keine einheitliche Tat vor; vielmehr handelte es sich bei den 13 im einzelnen festgestellten Taten offensichtlich um jeweils selbständige, auf jeweils neuen Tatentschlüssen und Vorgaben beruhende Taten.“

Man beachte die Formulierung des BGH: „offensichtlich fehlerhaft“. Das ist mehr als fehlerhaft, nämlich. Ganz falsch.