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Menschenunwürdige Unterbringung bei u.a. 23 Stunden Einschluss/Tag

 © jtanki - Fotolia.com

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Das KG, Urt v. 17.02.2015 – 9 U 129/13 – befasst sich mit der Frage einer Geldentschädigung für immaterielle Schäden wegen der nach Ansicht eines Gefangenen menschenunwürdigen Unterbringung in Justizvollzugsanstalten in Berlin: Das Urteil lässt sich auf die kurzen Formel zusammenfassen: Menschenunwürdig war die Unterbringung – zumindest teilweise, aber eine Entschädigung gibt nur in geringem Umfang, das im Übrigen die Regelung in § 839 Abs. 3 BGB entgegensteht.

Zur Unterbringung/Menschenunwürdigkeit führt das KG aus:

„(1) Das folgt allerdings nicht allein aus der Haftraumgröße. Der Kläger war im genannten Zeitraum in einem Einzelhaftraum mit einer Größe von 8,89 Quadratmetern inhaftiert. Der als solchen für sich allein genommenen unproblematischen Haftraumgröße steht aber gegenüber, dass der Kläger täglich bei nur einer Freistunde rund 23 Stunden in dem Haftraum eingesperrt war und sich sein dortiger Aufenthalt ohne klare zeitliche Begrenzung über Monate hinzog. Derart lange tägliche Einschlusszeiten über einen längeren Zeitraum hinweg stellen eine ganz erhebliche Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Lebensbedingungen dar. Im Rahmen der durchzuführenden Gesamtwürdigung liegt es nahe, dass hierbei die Grenze des noch Zumutbaren überschritten wurde und die Haftbedingungen unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen an die Untersuchungshaft einerseits und der Strafhaft andererseits nicht mehr menschenwürdig waren.

Jedenfalls war die Unterbringung des Klägers im Zeitraum vom 11. Juni 2009 bis 6. April 2010, in dem Zeitraum also, da die Verurteilung des Klägers bereits rechtskräftig war, menschenunwürdig, weil die in diesem Zeitraum vollzogene Strafhaft unter den vorgenannten Bedingungen nicht an seiner Resozialisierung als dem nach den §§ 2, 3 StrafVollzG maßgeblichen Ziel des Strafvollzuges ausgerichtet war. Der Einschluss von 23 Stunden ohne Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten, ohne Gruppenangebote im weiteren Sinne und ohne jeden sozialen Austausch widerspricht diesen Vollzugszielen in eklatanter Weise und verhindert jede Form der Resozialisierung. Ein Vollzug von Haft ohne klare Orientierung an diesem Vollzugsziel der Resozialisierung aber regrediert zur bloßen Verwahrung, verletzt den Gefangenen in seiner Menschenwürde und macht ihn zum Objekt staatlichen Handelns. Von besonderer Bedeutung im Rahmen dieser Bewertung einer Verletzung der Menschenwürde des Klägers ist für den Senat auch der Umstand, dass der Beklagte mit Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung des Klägers, also mit Übergang der Untersuchungshaft in Strafhaft erkennbar keine Maßnahmen getroffen hat, um diesem grundsätzlichen Wechsel im Charakter des Haftvollzuges überhaupt gerecht zu werden. Es sind weder Anhaltspunkte vorgetragen noch sonst erkennbar, nach welchen der Beklagte diesem Umstand Rechnung getragen hätte. Wird ein in Haft befindlicher Mensch jedoch in diesem Sinne „vergessen“, so kommt darin eine ganz besondere Missachtung des Kernbereichs der Persönlichkeit, dessen Achtung jeder Mensch verdient hat, zum Ausdruck. ……

(2)  Soweit daneben auch unhygienische und ungesunde Zustände in den Hafträumen, zwar nicht isoliert, wohl aber wenn sie massiv und kumulativ auftreten, eine Verletzung der Menschenwürde begründen können, fallen derartige vom Kläger angeführte Umstände seiner Haft (alte Toilettenschüssel, Fliegengitter, zu hoch angesetzte Fenster, Hafträume zu dunkel, nicht renoviert, verschmutzt, Ausdünstungen, Schimmel, Fäkaliengeruch), wie auch das Landgericht zutreffend dargelegt hat, nicht erheblich ins Gewicht. Der Kläger hat keinen Zustand vorgetragen, der eine Verletzung der Menschenwürde begründen würde. Insoweit mag zwar eine „schäbige“ Ausstattung der Hafträume gegeben sein, jedoch ist insoweit nicht zu erkennen, dass dies Ausdruck von Verachtung oder Missachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, gewesen ist. Nicht jeder im allgemeinen Sprachgebrauch als „unwürdig“ bezeichnete Zustand verletzt die verfassungsrechtlich geschützte Menschenwürde (BerlVerfGH, Beschluss vom 3. November 2009 – 184/07- juris Tz. 25). Die Schwelle zu einer Verletzung der Menschenwürde ist aufgrund der geschilderten baulichen Gegebenheiten noch nicht überschritten.“