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Gegenstandswert I: Gebühren im Adhäsionsverfahren, oder: Wert im Revisionsverfahren

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Und dann am Freitag Gebühren, heute zwei Entscheidungen zum Gegenstandswert.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 12.02.2024 – 5 StR 243/23 – zum Gegenstandswert  für die Rechtsanwaltsgebühren des Verteidigers des Angeklagten im Adhäsionsverfahren in der Revisionsinstanz.

Das LG hat im Adhäsionsverfahren den Angeklagten verurteilt, an den Adhäsionskläger U.L. 9.319,38 EUR „nebst 5 % über Basiszins“ ab dem 30. Dezember 2022 zu zahlen, soweit „diese nicht auf Dritte übergegangen sind“. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass der Angeklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, an die Adhäsionskläger U. und H. L. alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden, die ihnen aus der Tötung des J.L. entstanden sind, zu zahlen, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergegangen ist. Im Übrigen hat es von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge abgesehen.

Der Pflichtverteidiger hat beantragt, den Gegenstandswert des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG). Eine bindende Wertfestsetzung durch das Gericht (§ 32 RVG, § 63 GKG) gibt es bislang nicht.

Der BGh führt aus:

„Der Gegenstandswert im Adhäsionsverfahren bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Antragsteller. Im Rechtsmittelverfahren ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG iVm § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG der Antrag des Rechtsmittelführers maßgeblich, wobei der Wert durch denjenigen des Streitgegenstands im ersten Rechtszug beschränkt ist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 GKG). Insoweit kommt es hier auf die vom Angeklagten im Revisionsverfahren abgewehrten Ansprüche der Adhäsionskläger an, mithin diejenigen wegen derer es zu einer Verurteilung durch das Landgericht gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2023 – 6 StR 198/22).

Danach beträgt der Gegenstandswert des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz 23.319,38 Euro. Dieser Betrag setzt sich aus dem ausgeurteilten Zahlungsbetrag in Höhe von 9.319,38 Euro und dem geschätzten Wert des Gegenstands des Ausspruchs über die Feststellungsanträge, soweit ihnen stattgegeben worden ist, zusammen (6.000 Euro betreffend den Adhäsionskläger U. L, 8.000 Euro betreffend die Adhäsionsklägerin H.L.).“

Einziehung II: „Grünes-Gewölbe-Bruch“ in Dresden, oder: Wer die Musik bestellt, muss sie bezahlen.

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Dresden, Beschl. v. 26.10.2023 – 3 Ws 66/23. Vorab: Der Beschluss ist im „Grünes-Gewölbe-Verfahren“ ergangen. Das OLG Dresden hat in der Entscheidung noch einmal Stellung zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV im Fall der Einziehung, wobei Fragen der Berechnung des Gegenstandswertes im Vordergrund gestanden haben.

In dem Verfahren hatte die StA un der vom LG unverändert zugelassenen Anklageschrift u.a. auch beantragt, gemäß §§ 73, 73 c StGB die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 113.800.000,00 EUR gegen die Angeklagten als Gesamtschuldner anzuordnen. Das LG hat das Verfahren über die Einziehung von Wertersatz abgetrennt, im Übrigen aber die Angeklagten zum Teil zu Haftstrafen verurteilt, ein Angeklagter ist freigesprochen worden. Nach Einreichung eines Kostenfestsetzungsantrages durch die Verteidiger des Freigesprochenen hat der Bezirksrevisor beim LG die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Einziehungsverfahren beantragt. Das LG hat den Gegenstandswert gemäß § 33 RVG auf 113.800.00,00 EUR festgesetzt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Bezirksrevisors. Er ist der Auffassung der Gegenstandswert sei zum einen kopfteilig auf die Angeklagten aufzuteilen. Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass die Angeklagten wirtschaftlich nicht leistungsfähig seien. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Das OLG führt aus:

„Die gemäß § 33 Abs. 3 RVG zulässige und fristgerecht eingelegte Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Nach Nr. 4142 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV) fällt eine besondere Verfahrensgebühr als Wertgebühr an, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen bezogene gerichtliche oder außergerichtliche Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (BGH, Beschluss vom 29. November 2018, 3 StR 625/17 – juris). Die Verfahrensgebühr wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten. Das wird immer der Fall sein, wenn Fragen der Einziehung nahe liegen. Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig -. ist, noch, ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt, noch ist erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist. Es genügt, dass sie nach Lage der Sache ernsthaft in Betracht kommt (OLG Dresden, Beschluss vom 14. Februar 2020, 1 Ws 40/20 – juris).

Der Gegenstandswert bemisst sich dabei nach dem wirtschaftlichen Interesse der Angeklagten auf die Abwehr der Einziehung. Maßgeblich ist – wie bei Festsetzung der Kosten im Zivilprozess – der Nominalwert der titulierten Einziehungsforderung. Eine Verringerung des Gegenstandswertes wegen fehlender Durchsetzbarkeit des Zahlungsanspruches ist generell weder im Streitwert- noch Kostenfestsetzungsverfahren vorgesehen. Es kommt daher nicht darauf an, dass wegen der (vermuteten) Vermögenslosigkeit der Angeklagten erhebliche Zweifel an der Werthaltigkeit der Einziehungsforderung bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22.05.2019, 1 StR 471/18 – juris; BGH, Beschluss vom 29.06.2020, 1 StR 1/20 – juris).

Für eine Festsetzung des Gegenstandswertes nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Angeklagten fehlt es im Übrigen auch an objektiv nachvollziehbaren, allgemein gültigen Kriterien, was letztlich zu willkürlichen Festlegungen führen würde. Das alleinige Abstellen auf den Gegenstandswert für die Berechnung der Gebühr nach Nr. 4142 VV-RVG könne im Einzelfall zu ungerechtfertigt hohen Ansprüchen führen, hier korrigierend einzugreifen bleibe aber dem Gesetzgeber überlassen (so schon BGH NStZ 2007, 341). Bei der Feststellung des Gegenstandswertes kommt es des Weiteren auch nicht auf die Anzahl der Täter und das wirtschaftliche Interesse jedes einzelnen Täters an der Abwendung der Einziehung an. Das subjektive Interesse des Täters bleibt bei der Bestimmung des objektiven Verkehrswertes einer Sache im Rahmen der Nr. 4142 VV-RVG außer Betracht. Deshalb kann bei mehreren Tätern auch nicht der auf einen Täter fallende Anteil an der Beute, bzw. dessen Wert, für die Bestimmung des objektiven Verkehrswertes maßgebend sein (OLG Bamberg, JurBüro 2007, 201). Die Angeklagten haften im Übrigen hinsichtlich der Einziehungsforderung auch gesamtschuldnerisch.“

Anzumerken ist: Das OLG hat die aufgeworfenen Fragen, bei denen es vor allem um die Höhe des Gegenstandswertes ging, zutreffend auf der Grundlage der dazu vorliegenden Rechtsprechung und Literatur gelöst (vgl. die Zusammenstellung bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4142 VV Rn 29 ff.). Dem ist nichts hinzuzufügen, außer:

Aus Sicht der Staatskasse ist das Bemühen, den Gegenstandswert möglichst gering zu halten, nachvollziehbar, wobei mal allerdings nicht verkennen sollte, dass es die Staatsanwaltschaft ist/war, die sich für das Land Sachsen eines Einziehungsanspruchs in Höhe von 113.800.000,00 EUR berühmt hat. Und es gilt nun mal der Grundsatz: Wer die Musik – hier die Einziehung – bestellt, der muss sie auch bezahlen. Und zu bezahlen ist hier ggf. einiges. Nicht unbedingt an gesetzliche Gebühren der Pflichtverteidiger. Denn insoweit „rettet“ die Staatskasse die sich aus § 49 RVG ergebende Beschränkung der Gegenstandswertes auf 50.000 EUR. Aber: Bei dem Freigesprochenen dürfte sich ein weitaus höherer Betrag ergeben. Denn im Rahmen der Kostenerstattung sind auch die Gebühren nach Nr. 4142 VV RVG zu erstatten. Zu erstatten sind die der Höhe nach nach der Tabelle zu 13 RVG, also ohne Beschränkung aus § 49 RVG (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4142 VV Rn 40), aber immerhin mit der aus § 22 Abs. 2 S. 1 RVG auf 30.000.000,00 EUR. Da nach Nr. 4142 Anm. 3 VV RVG zwei Gebühren – erster Rechtszug und im Zweifel Rechtsmittelverfahren -angefallen sein dürften, dürfte es hier um erhebliche Beträge gehen, die das Rechtsmittel der Staatskasse gegen die zutreffende Festsetzung des Gegenstandswertes durch das LG verständlich machen.

Nochmals zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV, oder: Gegenstandswert von 30 Mio EUR ist zu hoch

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Am Gebührenfreitag heute zwei Entscheidungem und zwar eine von einem OLG und eine von einem AG.

Ich starte mit der OLG-Entscheidung. Es handelt sich um den OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.07.2023 – 1 Ws 22/23 – (noch einmal) zum Anfall der Einziehungsgebühr Nr. 4142 VV RVG und zum Gegenstandswert. Folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Verurteilten wegen verschiedener Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz unter dem 12.04.2022 Anklage zum Landgericht erhoben. In der Anklageschrift wird darauf hingewiesen, dass ein Betrag von 660.500,00 EUR gem. §§ 73, 73c, 73d StGB der Einziehung und ein Betrag in Höhe von 31.704.000,00 EUR gem. §§ 73a, 73c, 73d StGB der erweiterten Einziehung unterliege. Unter der Überschrift „Vermögensabschöpfung“ wird dies näher begründet. In der Hauptverhandlung hat der Vertreter der Staatsanwaltschaft dann die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 274.000,00 EUR und den „erweiterten Verfall“ in Höhe von 85.500,00 EUR beantragt. Das Landgericht hat im Urteil die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 101.500,00 EUR angeordnet.

Nach Einreichung des Kostenfestsetzungsantrags durch den Pflichtverteidiger hat die Bezirksrevisorin beim LG die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Einziehungsverfahren beantragt. Das LG hat diesen auf 660.500,00 EUR festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, die erweiterte Einziehung von Taterträgen in Höhe von 31.704.000,00 EUR sei nach Aktenlage niemals ernsthaft in Betracht gekommen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Verteidigers, mit der die Festsetzung eines Gegenstandswertes von 30.000.000,00 EUR angestrebt wird. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der zur Entscheidung berufene Einzelrichter beim OLG hat das Verfahren gem. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen. Dieser hat die Beschwerde zurückgewiesen:

„Das Rechtsmittel bleibt allerdings in der Sache erfolglos.

Nach Nr. 4142 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV) fällt eine besondere Verfahrensgebühr als Wertgebühr an, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen bezogene gerichtlich oder außergerichtliche Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (BGH, Beschluss vom 29.11.2018 – 3 StR 625/17, juris Rn. 4). Die Verfahrensgebühr wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten. Das wird immer der Fall sein, wenn Fragen der Einziehung naheliegen. Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig ist, noch, ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt, noch ist erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist. Es genügt, dass sie nach Lage der Sache ernsthaft in Betracht kommt (OLG Dresden, Beschluss vom 14.02.2020 – 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; OLG Braunschweig, Beschluss vom 01.03.2022 – 1 Ws 38/22; juris Rn. 3).

Der Gegenstandswert für die Einziehung richtet sich nach dem objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Anordnung (BGH, Beschluss vom 30.04.2014 – 1 StR 53/13, juris Rn. 1; Beschluss vom 07.10.2014 – 1 StR 166/07, juris Rn. 1; Beschluss vom 29.11.2018 – 3 StR 625/17, juris Rn. 5; Beschluss vom 22.05.2019 – 1 StR 471/18, juris Rn. 2). Maßgeblich ist – wie bei Festsetzung der Kosten im Zivilprozess – der Nominalwert der titulierten Einziehungsforderung. Eine Verringerung des Gegenstandswerts wegen fehlender Durchsetzbarkeit des Zahlungsanspruchs ist generell weder im Streitwert- noch im Kostenfestsetzungsverfahren vorgesehen. Es kommt daher nicht darauf an, ob wegen einer Vermögenslosigkeit des Angeklagten erhebliche Zweifel an der Werthaltigkeit der Einziehungsforderung bestehen (BGH, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 StR 471/18, a. a. O. für das Revisionsverfahren; anders für den Arrest: BGH, Urteil vom 08.11.2018 – III ZR 191/17, juris Rn. 20). Beanstandet die Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren, das Landgericht habe zu Unrecht davon abgesehen, den Verfall von Wertersatz anzuordnen, bemisst sich der Gegenstandswert im Revisionsverfahren nach dem von der Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision verfolgten Ziel, mithin der von ihr erstrebten Höhe der Anordnung des Verfalls von Wertersatz (BGH, Beschluss vom 24.02.2015 – 1 StR 245/09, juris Rn. 5). Die für die Wertgebühr maßgebende Höhe des Verfalls des Wertersatzes kann sich nur nach den zum Zeitpunkt der anwaltlichen Beratung erkennbaren Anhaltspunkten in der Verfahrensakte, nicht jedoch nach dem in der Hauptverhandlung gestellten Schlussantrag der Staatsanwaltschaft richten. Ob sich später, etwa in der Hauptverhandlung, Anhaltspunkte für einen niedrigeren Wert ergeben haben, ist ebenso unerheblich wie der Umstand, in welcher Höhe letztlich das Gericht die Einziehung von Wertersatz festgesetzt hat. Der in der zugelassenen Anklage enthaltene Hinweis auf die in Betracht kommende Rechtsfolge der Verfallsanordnung ist nicht völlig bedeutungslos; der Hinweis in der Anklageschrift führt immerhin dazu, dass durch sie ein rechtlicher Hinweis des Gerichts in der Hauptverhandlung entbehrlich wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.08.2007 – 3 Ws 267/07, juris Rn. 7; OLG Oldenburg, Beschluss vom 03.12.2009 – 1 Ws 643/09, juris Rn. 8 und Beschluss vom 06.07.2011 – 1 Ws 351/11, juris Rn. 11).

Deshalb ist im vorliegenden Fall das von der Vertreterin der Landeskasse tatsächlich zutreffend herausgestellte „grobe Missverhältnis“ zwischen den von der Staatsanwaltschaft hochgerechneten Einkünften des Verurteilten und dem nach dem Urteil letztlich der Einziehung unterfallenden Betrag für die Festsetzung des Gegenstandswertes ohne Bedeutung. Auch dass – wie die Generalstaatsanwaltschaft in tatsächlicher Hinsicht zutreffend einwendet – eine Anordnung der erweiterten Einziehung von Wertersatz bei dem Verurteilten wirtschaftlich nicht durchsetzbar ist, spielt für die Festsetzung keine Rolle. Schließlich vermögen auch die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung der erweiterten Einziehung hier schon nach Aktenlage nicht vorlagen (BGH, Beschluss vom 04.03.2021 – 5 StR 447/20, juris Rn. 67 f.; ferner: Beschluss vom 03.11.2020 – 6 StR 258/20, juris Rn. 7; Beschluss vom 19.08.2021 – 5 StR 238/21, juris Rn. 4; Beschluss vom 26.10.2021 – 5 StR 327/21, juris Rn. 3), die Wertfestsetzung nicht zu beeinflussen.

Als aus der Akte erkennbarem Anhaltspunkt für das objektive, wirtschaftliche Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Einziehungsanordnung kommt der Anklageschrift, wenn diese sich zur Vermögensabschöpfung äußert, naturgemäß erhebliche Bedeutung zu. Im vorliegenden Fall hat die Staatsanwaltschaft die nach ihrer Auffassung der Einziehung und der erweiterten Einziehung unterliegenden Beträge nicht nur beziffert, sondern deren Berechnung auch noch ausführlich begründet. Nach der Anklageschrift sollte ein Betrag von insgesamt 32.364.500,00 € der Einziehung bzw. der erweiterten Einziehung von Wertersatz unterliegen.

Entsprechenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft grundsätzlich keine Bedeutung für das Interesse des Verurteilten an der Abwehr der Anordnung beizumessen, würde der Bedeutung der Anklageschrift für das Strafverfahren nicht gerecht; steht die Vermögensabschöpfung in der genannten Höhe allerdings ernstlich nicht im Raum und hat die Berechnung deshalb nur fiktiven Charakter, verliert der Inhalt der Anklageschrift seine Bedeutung für die Bestimmung des Gegenstandwertes (zum Verfall und unter Geltung der BRAGO: OLG Köln, Beschluss vom 01.06.2007 – 2 Ws 173-175/07, BeckRS 2007, 16796 = StraFo 2007, 525).

So liegt der Fall hier. Der fiktive Charakter der Berechnung des vermeintlich der erweiterten Einziehung unterliegenden Betrages lässt sich zwar nicht dem Wortlaut der Anklageschrift entnehmen; die Bezifferung dieses Betrages ist aber im Hinblick auf den Ansatzpunkt für deren Berechnung und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten im Tatzeitraum offensichtlich abwegig.

Deshalb hat es mit dem von dem Landgericht für das Einziehungsverfahren festgesetzten Gegenstandwert in Höhe von 660.500,00 € sein Bewenden.“

Dazu ist anzumerken:

1. Vorab: Auf den ersten Blick scheint der Streit des Pflichtverteidigers mit der Landeskasse ein „Streit um Kaisers“ Bart zu sein. Denn selbst, wenn das LG/OLG den Gegenstandswert auf die vom Verteidiger beantragten 30.000.000 EUR – auf § 22 Abs. 2 S. 2 RVG wird hingewiesen – festgesetzt worden wäre – hätte sich für die Pflichtverteidigergebühren nichts geändert. Denn für den Pflichtverteidiger gilt die Beschränkung aus § 49 RVG, die den Gegenstandswert für ihn bei 50.000 EUR kappt. Mehr als 659 EUR entstehen für den Pflichtverteidiger an Gebühren also bei der Nr. 4142 VV RVG nicht.

Der Streit ist aber nur vordergründig überflüssig bzw. hat ggf. Bedeutung in Verfahren, in denen es um Wahlanwaltsgebühren geht, da insoweit eben von einem Gegenstandswert von 30.000.000 EUR ausgegangen werden könnte. Das könnte, was sich aus der Entscheidung allerdings nicht ergibt, im Übrigen auch hier greifen. Wenn nämlich das LG in seinem Urteil oder ggf. der BGH in einer potentiellen Revisionsentscheidung nach den Grundsätzen von BGH (Beschl. v. 25.02.2021 – 1 StR 423/20, AGS 2021, 287) eine Kostenentscheidung teilweise zugunsten des Angeklagten getroffen hätte und wegen der erheblichen Verringerung der Einziehungsbetrages, dessen sich die Staatsanwaltschaft berühmt hat, die Kosten und Auslagen zumindest teilweise der Staatskasse auferlegt hätte. Dann würde im Rahmen der Erstattung für den Angeklagten der höhere Gegenstandswert herangezogen werden müssen.

2. Hinsichtlich der Ausführungen des OLG zur Bemessung des Gegenstandswertes ist gegen die Darlegungen  zum objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten als Grundlage für die Bemessung nichts einzuwenden. Sie sind grundsätzlich zutreffend. Zutreffend sind auch die Anmerkungen des OLG zur Bedeutung der Anklageschrift. Nicht selten wird sie Grundlage der Gegenstandswertbemessung sein, da in ihr die Staatsanwaltschaft, wenn sie eine Einziehung bejaht/ankündigt, auch zu deren Höhe Stellung nehmen muss. Damit ist aber die Grundlage für den Verteidiger gelegt. Der muss/kann aus der Anklageschrift entnehmen, welcher Einziehungsanspruch gegen seinen Mandanten geltend gemacht wird und womit der Mandant schlimmstenfalls rechnen muss. Die Staatsanwaltschaft berühmt sich für den Staat als Rechtsfolge einer Verurteilung eines Anspruchs in dieser Höhe. Gegen den muss sich der Mandant verteidigen, was seinem objektiven wirtschaftlichen Interesse entspricht. M.E. kann man an der Stelle nicht auf einen „fiktive Charakter der Berechnung des vermeintlich der erweiterten Einziehung unterliegenden Betrages“ abstellen, wenn man zuvor die Anklageschrift als das „Maß aller Dinge“ als Grundlage der Bemessung herangezogen hat. Das ist widersprüchlich. Und ob „die die Bezifferung dieses Betrages … im Hinblick auf den Ansatzpunkt für deren Berechnung und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten“ zutreffend ist oder nicht, kann m.E. auch keine Rolle spielen. Die Staatsanwaltschaft hat sich eines solchen Anspruchs berühmt, gegen den muss sich der Angeklagte verteidigen. Auch bei Festsetzung der Kosten im Zivilprozess wird – das OLG sieht selbst die Parallel – ja nicht gegen eine geltend gemachte Klageforderung bei (teilweise) Klageabweisung eingewandt, diese sei fiktiv gewesen. Das durch eine „fiktive“ Forderung entstehende Kostenrisiko ist das Risiko des Klägers, der sich einer solchen „übersetzten“ Forderung berühmt. Im Strafverfahren ist es das Risiko des Staates, der sich, vertreten durch die Staatsanwaltschaft, einer zu hohen/übersetzten Einziehungsforderung berühmt. Da hilft es auch nicht, wenn man mit „offensichtlich abwegig.“ formuliert. Die Formulierung zeigt vielmehr, dass man sich schon darüber bewusst ist, dass die eigene Begründung widersprüchlich ist und den Beschluss nicht trägt.

Einziehung von Btm, eines Mobiltelefons, von Bitcoins, oder: Bitcoins sind mit Kurswert anzusetzen

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Und dann hier noch der AG Langenfeld, Beschl. v. 21.04.2023 – 16 Ls 8/22. Klein, aber fein zum Gegenstandswert für die Einziehungsgebühr Nr. 4142 VV RVG.

Eingezogen worden sind in einem Btm-Verfahren – Betäbungsmittel und ein Mobiltelefon sowie Bargeld. Das Besondere: Auf dem Mobiltelefon war auch die Wallet zu 1,3 Bitcoins vorhanden. Dies  war der einzige Ort, wo der Angeklagte die Wallet gespeichert hat. Geht diese verloren, sind auch die Bitcoins nichts mehr wert. Das AG hat die Bitcoins bei der Wertfestsetzung berücksichtigt:

„Der Gegenstandswert i.S.v. § 33 Abs. 1 RVG war wie tenoriert festzusetzen.

Die streitgegenständlichen Betäubungsmittel waren mit 0 € festzusetzen. Sie haben keinen Verkehrswert. Sie sind nicht verkehrsfähig. Die Herkunft ist unklar. Ein (legaler) Weiterverkauf wäre dem Verurteilten nichtmöglich gewesen. Der Verurteilte hat zudem sein Einverständnis mit einer außergerichtlichen Einziehung erklärt. Daraus ist abzuleiten, dass er den Betäubungsmitteln selbst keinen legalen Wert beimaß.

Das Bargeld war mit 1.700,00 € anzusetzen. Die 1,3 Bitcoins waren mit 33.798,57 € (Kurswert: 25.998,90 €) anzusetzen.

Die Mobiltelefone waren mit 100,00 € anzusetzen. Alter und Zustand führten dazu, dass diesen kein hoher Marktwert zu attestieren war. Der Verurteilte hat sein Einverständnis mit einer außergerichtlichen Einziehung erklärt. Daraus ist abzuleiten, dass er den Mobiltelefonen selbst keinen signifikanten Wert mehr beimaß.“

Anhörungsrüge/Erschöpfung des Rechtsweges, oder: Auslagenerstattung/Gegenstandswert beim BVerfG

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Die zweite Entscheidung kommt vom BVerfG. Der BVerfG, Beschl. v. 03.03.2023 – 2 BvR 1810/22 – behandelt eine ganz interessante Problematik zur Anhörungsrüge und Erschöpfung des Rechtsweges, insoweit also keine gebührenrechtliche Problematik. Er enthält – insoweit dann aber RVG- auch Ausführungen zur Auslagenerstattung und zum Gegenstandswert. Folgener Sachverhalt:

Die durch einen Betrug Geschädigte wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein amtsgerichtliches Strafurteil und rügt, ein von ihr gestellter Adhäsionsantrag sei übergangen worden. Sie macht einen Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot, den Justizgewährungsanspruch und den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend.

Die Geschädigte war im Juni 2020 Opfer eines Betrugs geworden. Sie erlitt einen Vermögensschaden in Höhe von 110 EUR. Die Staatsanwaltschaft erhob im September 2020 Anklage zum AG wegen gewerbsmäßigen Betrugs durch 16 selbständige Handlungen, darunter auch die gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Tat. Die Anklageerhebung wurde der Geschädigten mitgeteilt.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.10.2020 stellte die Geschädigte einen Adhäsionsantrag. Sie sei durch die Straftat geschädigt worden und beantrage, den Angeklagten zu einer Zahlung von 110 EUR nebst Prozesszinsen zu verurteilen. Auf Nachfragen des Prozessbevollmächtigten vom 21.12.2020 und 16.04.2021 nach dem Stand des Verfahrens wurde jeweils geantwortet, ein Termin zur Hauptverhandlung stehe noch nicht fest. Mit dem hier angegriffenen Urteil vom 28.07. 2021 verurteilte dann das AG den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 21 Fällen zu einer Freiheitsstrafe. Zudem ordnete es die Einziehung der Taterträge an. Unter den abgeurteilten Taten befand sich auch die Tat zu Lasten der Geschädigten. Den Adhäsionsantrag der Geschädigten erwähnte und beschied das AG nicht. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Berufung ein.

Mit Schreiben vom 17.08.2021 fragte der Prozessbevollmächtigte der Geschädigten erneut nach dem Sachstand. Das AG antwortete, der Angeklagte sei mit Urteil vom 28.07.2021 verurteilt worden; er habe hiergegen Berufung eingelegt. Ein Adhäsionsantrag sei nicht bekannt. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 03.09.2021 ließ die Geschädigte dann die Verletzung des Justizgewährungsanspruchs und des rechtlichen Gehörs durch das Vorgehen des AG rügen. Ihr Adhäsionsantrag sei zu Unrecht übergangen worden und sie sei entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht zur Hauptverhandlung geladen worden. Eine am 16.09.2021 erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG mit Beschluss vom 22.12.2021 nicht zur Entscheidung angenommen, da die Geschädigte ihren Adhäsionsantrag im Berufungsverfahren noch weiterverfolgen könne. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.10.2021 hat die Geschädigte dann ihren Adhäsionsantrag für das Berufungsverfahren wiederholt. In der Hauptverhandlung am 22.06.2022 hat der der Angeklagte seine Berufung zurückgenommen. Das Protokoll der Hauptverhandlung wurde dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 29.9.2022 übersandt.

Das BVerfG hat die am 07.10.2022 beim BVerfG eingegangene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen:

„Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da sie jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zulässig ist. Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsweg noch nicht erschöpft. Die Anhörungsrüge nach § 33a Satz 1 StPO gehört vorliegend zum Rechtsweg (1.). In ihrem Schreiben vom 3. September 2021 ist eine solche Anhörungsrüge zu sehen, über die das Amtsgericht Montabaur noch zu entscheiden hat (2.). In der Sache spricht viel für einen Verstoß gegen den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (3.).

1. Die Verfassungsbeschwerde genügt dem Gebot der Rechtswegerschöpfung nicht. Die Anhörungsrüge nach § 33a Satz 1 StPO zählt vorliegend zum Rechtsweg.

a) Wird mit der Verfassungsbeschwerde – gegebenenfalls lediglich der Sache nach – eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG regelmäßig abhängig ist. Erheben Beschwerdeführer in einem solchen Fall keine Anhörungsrüge, obwohl sie statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre, hat das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsverstoß (BVerfGE 134, 106 <113 Rn. 22>).

Das Anhörungsrügeverfahren gehört andererseits nicht zum Rechtsweg und wirkt nicht fristbestimmend für die Verfassungsbeschwerde, wenn es offensichtlich aussichtslos ist (vgl. BVerfGE 134, 106 <113 f. Rn. 23>; stRspr). Offensichtlich aussichtslos ist ein Rechtsbehelf, über dessen Unzulässigkeit der Beschwerdeführer bei seiner Einlegung nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Mai 2007 – 1 BvR 730/07 -, Rn. 10; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juni 2009 – 1 BvR 893/09 -, Rn. 16 m.w.N.).

b) Die Beschwerdeführerin ist nach diesem Maßstab darauf zu verweisen, eine Entscheidung über ihre mit Schreiben vom 3. September 2021 erhobene Anhörungsrüge herbeizuführen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist ihre Verfassungsbeschwerde daher nicht zulässig. Die Anhörungsrüge zählt vorliegend zum Rechtsweg, da die Beschwerdeführerin jedenfalls der Sache nach die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht. Die Anhörungsrüge ist auch nicht offensichtlich aussichtslos. Insbesondere ist sie als statthaft anzusehen.

aa) Nach § 33a Satz 1 StPO versetzt ein Gericht, das in einem Beschluss das Recht eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt hat, das Verfahren in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestanden hatte, wenn der Beteiligte noch beschwert ist und wenn ihm kein anderer Rechtsbehelf zusteht. Die Vorschrift dient dem Zweck, dem Gericht die Möglichkeit zu eröffnen, einem Gehörsverstoß selbst abhelfen zu können (vgl. Schneider-Glockzin, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 1; vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 1). Für das Beschwerde- und das Revisionsverfahren stellen § 311a und § 356a StPO vorrangige Sonderregelungen der Anhörungsrüge dar (vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 3).

bb) Tauglicher Gegenstand einer Anhörungsrüge nach § 33a StPO ist grundsätzlich nur ein Beschluss (vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 3). Im vorliegenden Fall jedoch ist die Anhörungsrüge ausnahmsweise auch gegen ein (amtsgerichtliches) Urteil statthaft.

(1) Wird ein Adhäsionsantrag gestellt und erweist sich dieser als zulässig und begründet, so hat das Gericht dem Adhäsionskläger die geltend gemachte Forderung in dem Strafurteil zuzusprechen (§ 406 Abs. 1 Satz 1 StPO). Ist der Antrag unzulässig oder stellt sich das Strafgericht auf den Standpunkt, dass die geltend gemachte Forderung nicht begründet sei, so hat es nach Hinweis und Anhörung des Adhäsionsklägers (§ 406 Abs. 5 Satz 1 StPO) von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abzusehen (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO). Diese Entscheidung ist durch Beschluss zu treffen (§ 406 Abs. 5 Satz 2 StPO). Gegen eine der Form nach korrekte, ausdrückliche Absehensentscheidung durch Beschluss ist sodann, bis zur instanzabschließenden Entscheidung, zunächst die sofortige Beschwerde (vgl. Grau, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2019, § 406, Rn. 17) und im Anschluss die Anhörungsrüge statthaft.

(2) Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts betrachtete eine Anhörungsrüge auch dann als statthaft, wenn das Gericht eine ausdrückliche Absehensentscheidung irrtümlich im Rahmen des Strafurteils, statt, wie vorgesehen, durch Beschluss, trifft. Es hänge nicht von der Bezeichnung ab, ob eine Entscheidung hinsichtlich der statthaften Rechtsbehelfe als Urteil oder als Beschluss anzusehen sei; maßgeblich seien vielmehr der Inhalt der Entscheidung und die Gründe, auf denen sie beruhe (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19 -, Rn. 30).

(3) Die der genannten Entscheidung der 2. Kammer des Zweiten Senats zugrunde liegenden Erwägungen sind übertragbar mit der Folge, dass die Anhörungsrüge auch in der vorliegenden Fallkonstellation statthaft ist. Der hier zur Entscheidung stehende Fall unterscheidet sich von dem Sachverhalt, über den das Bundesverfassungsgericht bereits zu entscheiden hatte, nur dahingehend, als das Amtsgericht vorliegend nicht ausdrücklich von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absah. Es sprach keine explizite Absehensentscheidung aus, sondern überging den Adhäsionsantrag stillschweigend. Dieses Vorgehen hat der Sache nach aber den gleichen Inhalt und die gleiche Wirkung wie eine ausdrücklich durch Urteil ausgesprochene Absehensentscheidung. Das Gericht enthält sich nämlich einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag. Ebenso wie im Falle einer ausdrücklichen Absehensentscheidung im Urteil ist auch die sofortige Beschwerde wegen des Abschlusses der Instanz ausgeschlossen (§ 406a Abs. 1 Satz 1 StPO). In beiden Fallkonstellationen kann der Adhäsionskläger seine Forderung zwar grundsätzlich im Rahmen einer Berufungsinstanz weiterverfolgen. Er kann jedoch eine Entscheidung, etwa wenn die Berufung, wie vorliegend, zurückgenommen wird, nicht erzwingen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19 -, Rn. 27-29). Beide Fallkonstellationen unterscheiden sich daher nicht wesentlich voneinander. Ist die Anhörungsrüge statthaft, wenn das Gericht in seinem Urteil ausdrücklich von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absieht, so muss das erst recht gelten, wenn es dies nur stillschweigend tut.

c) Die sofortige Beschwerde ist demgegenüber nicht mehr Teil des Rechtsweges, da die Instanz mit dem Strafurteil beendet wurde (§ 406a Abs. 1 Satz 1 StPO). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der verfassungsprozessuale Subsidiaritätsgrundsatz nicht dazu führt, dass die Beschwerdeführerin zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19 -, Rn. 27 ff.).

2. Das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 3. September 2021 ist als Anhörungsrüge zu werten. Die Beschwerdeführerin ließ darin sinngemäß rügen, dass ihr Adhäsionsantrag ohne zureichende Gründe übergangen worden sei. Nach der Rücknahme der Berufung durch den Angeklagten hat das Amtsgericht über diese Anhörungsrüge erneut zu entscheiden; die Beschwerdeführerin hat vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde auf eine solche Entscheidung hinzuwirken.

3. In der Sache spricht aufgrund der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen sehr viel dafür, dass das Amtsgericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzte.

a) Art. 103 Abs. 1 GG garantiert die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligten, sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im gerichtlichen Verfahren zu behaupten (vgl. BVerfGE 55, 1 <6>). Zu jeder dem Gericht unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite muss die Gelegenheit zur Äußerung bestehen (vgl. BVerfGE 19, 32 <36>). Das Gericht hat das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Bei seiner Entscheidung darf das Gericht keine Anforderungen an den Sachvortrag stellen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu rechnen braucht. Es darf auch keine Tatsachen zugrunde legen, zu denen nicht Stellung genommen werden konnte (vgl. BVerfGE 7, 275 <278>; 55, 1 <6>). Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine Pflicht der Gerichte, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfGE 149, 86 <109 Rn. 63>). Art. 103 Abs. 1 GG ist daher erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <145 f.>; stRspr).

b) Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen weisen deutlich darauf hin, dass das Amtsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt haben dürfte. Das Amtsgericht Montabaur überging den Adhäsionsantrag vollständig; auch schnitt es der Beschwerdeführerin die Möglichkeit ab, sich im Rahmen der Hauptverhandlung als Adhäsionsklägerin zu äußern. Dies alles ergibt sich schon daraus, dass das Amtsgericht nach Durchführung der Hauptverhandlung erklärte, ein Adhäsionsantrag sei ihm nicht bekannt, obwohl es zuvor auf mehrere Sachstandsanfragen, die einen Verweis auf diesen Antrag enthalten hatten, geantwortet hatte. Selbst wenn die ursprüngliche Antragsschrift nicht bei dem Gericht eingegangen sein sollte – die Beschwerdeführerin legte keinen Zugangsnachweis vor -, hätten die Sachstandsanfragen doch Anlass geben müssen, diesbezüglich nachzufragen und frühzeitig darauf hinzuweisen, dass eine Antragsschrift nicht eingegangen sei, zumal ein Adhäsionsantrag auch noch im Rahmen der Hauptverhandlung gestellt werden kann.“

Und dann zur Auslagenerstattung pp.:

„1. Das Land Rheinland-Pfalz hat die Auslagen der Beschwerdeführerin im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu tragen.

Nach § 34a Abs. 3 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht die volle oder teilweise Erstattung von Auslagen auch dann anordnen, wenn die Verfassungsbeschwerde erfolglos geblieben ist. Dies gilt auch, wenn sie, wie hier, nicht zur Entscheidung angenommen wurde (vgl. BVerfGE 36, 89 <92>; BVerfGK 7, 283 <302 f.>). Die Anordnung der Auslagenerstattung steht im Ermessen des Gerichts und setzt voraus, dass besondere Billigkeitsgründe vorgetragen oder ersichtlich sind (stRspr; vgl. BVerfGE 7, 75 <77>; 20, 119 <133 f.>; 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>; 89, 91 <97>; 133, 37 <38 f. Rn. 2>).

Die Auslagenerstattung wird angeordnet, da in der Sache ein Verfassungsverstoß gegeben sein dürfte und die Verfassungsbeschwerde lediglich aus prozessualen Gründen, die für die Beschwerdeführerin nur schwer antizipierbar waren, nicht zur Entscheidung angenommen werden kann. Ob eine Anhörungsrüge statthaft und als Teil des Rechtsweges anzusehen ist, ist in der vorliegenden Fallkonstellation durchaus problematisch; die Kommentarliteratur schweigt zu dieser Frage.

2. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Festsetzung des Gegenstandswerts wird verworfen, da ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür nicht besteht. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG beträgt der Mindestgegenstandswert im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 5.000 Euro. Ein höherer Gegenstandswert kommt in Fällen, in denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen oder zurückgenommen worden ist, regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 79, 365 <369>). Umstände, die hier ausnahmsweise einen höheren Gegenstandswert rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Ist deshalb vom Mindestgegenstandswert auszugehen, so besteht für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Oktober 2018 – 1 BvR 700/18 -, Rn. 4 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 962/19 -, juris, Rn. 4 f.).