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StPO II: Geschäftsverteilungsplan, oder: Ein besonderes Turnussystem für Anklagen des GBA

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 16.06.2021 – StB 25/21 u.  StB 26/21. Ergangen ist diese Entscheidung in einem Staatschutzverfahren beim OLG Düsseldorf. Die Angeklagten haben die Gerichtsbesetzung in der seit dem 19.05.2021 vor dem OLG gegen sie stattfindenden Hauptverhandlung beanstandet. Den Einwänden liegt folgendes Geschehen zugrunde:

„Der Generalbundesanwalt erhob unter dem 27. Januar 2021 gegen die Beschwerdeführer und drei Mitangeklagte Anklage zum Oberlandesgericht insbesondere wegen Straftaten gemäß §§ 129a, 129b StGB. Die Sache wurde nach Eingang am 1. Februar 2021 dem dortigen 6. Strafsenat zugewiesen.

Nach den Ziffern B.12. a., b. und e. der Geschäftsverteilungspläne für die Jahre 2020 und 2021 ist für die Strafsachen, die aufgrund einer Anklage- oder Antragsschrift des Generalbundesanwalts eingehen, ein gesonderter Turnus maßgeblich. Die Sachen erhalten nach der Reihenfolge ihres Eingangs bei der Eingangsgeschäftsstelle eine fortlaufende, aufsteigende Ordnungsbezeichnung sowie den Zusatz „GBA“. Bei gleichzeitigem Eingang entscheidet das Los. Die Geschäftsverteilungspläne für die Jahre 2020 und 2021 weisen dem 6. Strafsenat jeweils die Sachen mit den „Endziffern 1, 3, 5, 7 und 9 GBA“ zu. Soweit jene die „Endziffern 2, 4, 6, 8 und 0 GBA“ tragen, gelangen sie zum 7. Strafsenat.

Ob der Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2021 eine Regelung dafür trifft, mit welcher Ordnungsnummer zum neuen Geschäftsjahr begonnen wird – der „1“ oder der Zahl, welche an den letzten Eingang des Vorjahres anknüpft -, teilen die Rügeschriften nicht mit. Vorgelegt wird jedoch die handschriftliche Aufzeichnung einer Stationsreferendarin, die für die Verteidigerin des Angeklagten G. Einblick in die Turnuseingänge genommen hat. Die Notiz zeigt eine Tabelle mit der Überschrift „Turnusliste GBA von 2019 bis 2021 [aufgeführt nur 2021]“. Die Tabelle enthält unter den Spaltenüberschriften drei horizontale Zeilen. Die hiesige Sache ist in der ersten Zeile verzeichnet mit „Datum 27.01.21“, „Uhrzeit 12.30“, „Ordnungsnr. 13“. Zwei nachfolgende Verfahren sind mit Daten aus Februar und Mai 2021 und den Ordnungsnummern 14 und 15 aufgeführt.

Weitere Turnusse sieht der Geschäftsverteilungsplan vor für „diejenigen Strafsachen, die aufgrund einer Anklage- oder Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft eingehen“, und für „sonstige Strafsachen, für die das Oberlandesgericht in Staatsschutzsachen im Sinne von §§ 74a , 120 GVG sowie nach § 120b GVG zur Entscheidung berufen ist und die nicht anderweitig zugewiesen sind“. Der 6. und der 7. Strafsenat nehmen an diesen Turnussen teil.“

Der BGH hat den erhobenen Besetzungseinwand verworfen.:

„aa) Die von den Angeklagten beanstandete Regelung im Geschäftsverteilungsplan des Oberlandesgerichts genügt diesen Anforderungen. Sie verknüpft – wie heute für die Verteilung erstinstanzlicher Verfahren in Strafsachen an den Land- und Oberlandesgerichten vielfach üblich – die Zuständigkeit der Spruchkörper mit dem Kriterium der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs beim Gericht (sogenanntes Turnus- oder Rotationsprinzip; vgl. hierzu schon BGH, Urteil vom 17. August 1960 – 2 StR 237/60 , BGHSt 15, 116, 117 f. ; ferner Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 21e Rn. 154 f.). Damit trifft der Geschäftsverteilungsplan im Voraus eine generell-abstrakte Zuständigkeitsregelung der Spruchkörper für alle im Jahr 2021 beim Gericht eingehenden Sachen. Diese werden „blindlings“ auf die am Turnus teilnehmenden Strafsenate verteilt. Der Gefahr der Manipulation durch gerichtsinterne Bedienstete begegnet der Jahresgeschäftsverteilungsplan mit einem Losverfahren für den Fall des zeitgleichen Eingangs.

bb) Zwar ist das Turnussystem nicht völlig frei von der Möglichkeit missbräuchlicher Eingriffe. Da es auf den Zeitpunkt des Eingangs der Verfahren beim Gericht ankommt, steht es theoretisch der Staatsanwaltschaft offen, einzelne Anklagen zurückzuhalten oder vorzuziehen, um so einen bestimmten Spruchkörper bei dem speziellen Verfahren zu umgehen oder die Zuweisung an die bevorzugte Kammer bzw. den gewünschten Senat zu erreichen. Eine Verteilung, die schlechthin jeden potentiellen Einfluss ausschließt und dennoch praktikabel ist, ist allerdings kaum vorstellbar (vgl. MüKoStPO/Schuster, § 21e GVG Rn. 29). Den Erfordernissen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist deshalb Genüge getan, wenn sachfremde Einflüsse der Justizverwaltung oder der Staatsanwaltschaft nach dem Verteilungsmodus nicht ernsthaft zu befürchten sind. Denn allein die abstrakte Möglichkeit eines Missbrauchs macht eine Geschäftsverteilung weder verfassungs- noch gesetzeswidrig ( BVerfG, Beschluss vom 30. März 1965 – 2 BvR 341/60 , BVerfGE 18, 423, 427; BGH, Urteil vom 10. Juli 1963 – VIII ZR 204/61 , BGHZ 40, 91, 98 ; Beschluss vom 2. November 1989 – 1 StR 354/89 , BGHR StPO § 338 Nr. 1 Geschäftsverteilungsplan 1 mwN)……“

Rest der doch recht umfangreichen Begründung dann bitte selbst lesen 🙂 .

Die unzulässige Verfahrensrüge, oder: Auch beim GBA wird nur mit Wasser gekocht….

entnommen wikimedia.org von KapitänZukunft hochgeladen

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Gleiches Recht für alle, auch für die StA/den GBA. Das ist dann das Fazit aus dem BGH, Urt. v. 15.12.2015 – 1 StR 236/15, oder: Die Revisionen der StA/des GBA tragen ja nun nicht den Stempel der Richtigkeit und Vollständigkeit auf der Stirn/dem Deckblatt. Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten vom Vorwurf der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, jeweils als Bandenmitglied handelnd, freigesprochen. Dagegen wendet sich die Revision der StA, die – gestützt auf eine Verfahrensrüge sowie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts – in erster Linie die Beweiswürdigung der Strafkammer angreift. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hatte – hört, hört – keinen Erfolg.

Insoweit an sich noch nichts Besonderes. Aber dann schon etwas außergewöhnlicher, wenn man liest:

„Die Verfahrensrüge, mit der die Staatsanwaltschaft die mangelhafte Ablehnung eines Beweisantrags rügt, dringt nicht durch. Sie ist nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise ausgeführt.

1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt dem zugrunde:

In der Sitzung vom 26. Februar 2015 hatte die Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt, den Vorsitzenden der Strafkammer zu hören, vor welcher das Strafverfahren gegen den Zeugen F. durchgeführt wurde, zum Beweis der Tatsache, dass der Zeuge in seinem Strafverfahren Käufe von Be-täubungsmitteln beim Angeklagten eingeräumt habe. Diesen Beweisantrag hat das Landgericht als für die Entscheidung ohne Bedeutung abgelehnt und sich darauf gestützt, dass aus der unter Beweis gestellten Tatsache mehrere Schlüsse gezogen werden könnten und die Strafkammer nach dem Ergebnis der bislang durchgeführten Beweiserhebungen nicht gewillt sei, den Schluss zu ziehen, der Angeklagte habe dem Zeugen Betäubungsmittel verkauft.

2. Unter den maßgeblichen Umständen des konkreten Einzelfalles ist die erhobene Rüge nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt, weil bei der Begründung der Verfahrensrüge in Bezug genommene Aktenstellen nicht mitgeteilt werden, so dass der Senat allein unter Heranziehung der Revisionsschrift und ohne Rückgriff auf die Akten nicht prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tat-sachen bewiesen werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Januar 2013 – 1 StR 602/12, NStZ 2013, 672 und vom 11. März 2014 – 1 StR 711/13, NStZ 2014, 532 f. jeweils mwN).“

Die Erkenntnis, dass auch beim GBA nur mit Wasser gekocht wird, wird alle Revisionsverteidiger erfreuen/beruhigen, die gegen die hohe Hürde des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO kämpfen und immer wieder darüber klagen, dass man die kaum noch überspringen kann. Jetzt kann man nur noch hoffen, dass beim GBA kein „Hiwi“ für die Begründung verantwortlich war…. das wäre wahrscheinlich für den unschön…

NSU-Verfahren: Muss das eigentlich sein Herr Bundesanwalt?, oder: Keep cool

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Irgendwo hatte ich es gestern gelesen im Netz und es hat mir gestern Abend keine Ruhe gelassen und ich habe es dann auch bei Spiegel.de wieder gefunden (vgl. Spiegel.de). Das Zitat einer „Anmerkung“ des Bundesanwalts Diemer, der die Anklage im NSU-Verfahren vertritt, zu dem Aussetzungsantrag der Verteidigung:

„Vor der Mittagspause sagt Bundesanwalt Herbert Diemer, dessen staubtrockene Anmerkungen gleichwohl unüberhörbar sind: „Da dem Antrag ohnehin nicht stattgegeben wird, muss ich auch nicht gleich Stellung dazu nehmen.“ Nach der Mittagspause befürwortete er erwartungsgemäß die Zurückweisung des Antrags. Und ebenso erwartungsgemäß wurde er abgelehnt.“

Man mag ja von dem gestrigen Antrag denken (vgl. hier) , was man will – ich halte ihn auch nicht unbedingt für gelungen, zumindest das Timing ist in meinen Augen nicht gut, weil dieser Antrag m.E. zu spät kommt – aber: Muss man den Antrag als Bundesanwalt eigentlich so kommentieren? In meinen Augen/Ohren klingt ein gewissen Portion von Überheblichkeit durch, die der GBA bzw. seine Vertreter doch an sich nicht an den Tag legen sollten. Wir haben es doch mit der „berühmten objektivsten Behörde“ des Welt zu tun. Da muss/sollte man doch solche Anträge akzeptieren können. Jedenfalls hätte man sich m.E. eine solche Äußerung – wenn Sie denn so gefallen ist – sparen können/sollen.

„Sine ira et studio“ haben es die alten Römer genannt, Neudeutsch heißt es heute wohl: Keep cool…

Schwere und leichte Kavallerie, oder: Wie schlecht sind GBA/GStA wirklich?

Der Kollege Nebgen hat gestern in seinem Blog unter dem Titel „Hier schreibt die Kavallerie“ zu den Revisionsgegenerklärungen von GBA und GStA in den Revisionsverfahren beim BGH und den OLG gepostet (gilt dann auch für die Rechtsbeschwerdeverfahren=. Diese hat er – aus seiner Sicht – ziemlich verrissen – wenn man es gelinde ausdrückt. Beim Kollegen heißt es nämlich:

Was dabei herauskommt, ist in der Regel unter aller Sau. In den zumeist aus maximal einer DIN A-4-Seite bestehenden Pamphleten wird in 99 % der Fälle die Zurückweisung der Revision als offensichtlich unbegründet beantragt, und zwar völlig unabhängig von den erhobenen Rügen. Die Begründungen bestehen durchweg aus vorgefertigten Textbausteinen, die in der Regel keinerlei Bezug zum konkreten Fall aufweisen. Kollege Hoenig zitiert hier eine solche Antragsschrift. Allerdings würde ich die erbärmliche Qualität weniger auf Ahnungslosigkeit als auf Faulheit (und manchmal auch auf Bösartigkeit) zurückführen wollen.“

Zu dem Beitrag hat sich eine Diskussion entwickelt, die einerseits dem Kollegen Recht gibt, andererseits aber auch sein Urteil als zu pauschal ansieht. Ich hatte beim Kollegen ebenfalls bereits kommentiert. Das will ich hier jetzt noch einmal wiederholen und damit hier eine Lanze für die Revisionsgegenerklärungen brechen. Ich habe beim Kollegen geschrieben:

Ich muss dann aber auch mal eine Lanze für die GStA brechen: Ich habe in den rund 13 Jahren, in denen ich beim OLG Hamm Rechtsbeschwerden und Revisionen bearbeitet habe, auch eine Menge guter Stellungnahmen der GStA gesehen. Und zwar nicht nur von den Hiwis, die schon im eigenen Interesse gute Arbeit abliefern müssen, sondern auch von den alten Hasen. Natürlich gibt es auch die anderen (eine davon hat der Kollege Hoenig ja an den Pranger) gestellt. Aber das ist nun mal wie mit den Revisions- und Rechtsbeschwerdebegründungen der Verteidiger. Es gibt „sone“ und „sone“. Ihre Herr Kollege Nebgen sind sicherlich immer gut 🙂 :-).“ –

Zu der vom Kollegen Hönig, auf den sich der Kollege Nebgen bezieht, angesprochenen Entscheidung des OLG Jena hier (über die Entscheidung hatten wir ja auch schon – allerdings unter einem anderen Blickwinkel – (vgl. hier) – berichtet). Wie „schlecht“ die Stellungnahme in der Sache war, lässt sich übrigens dem OLG Jena, Beschl. v. 16.03.2011 – 1 Ss Bs 17/11 – nicht genau entnehmen, da der Beschluss nur mitteilt, dass die GStA die Verwerfung als offensichtlich unbegründet beantragt hat, nicht aber, warum und mit welcher Begründung. Und ob die GStA „offensichtlich keine Ahnung“ hat – wie der Kollege Honeig meint – lässt sich damit m.E. auch nicht sicher feststellen. Es wird – das räume ich ein – wahrscheinlich keine bahnbrechende Stellungnahme der GStA gewesen sein, die das OLG zu lesen bekommen hat, aber: Wie gut oder wie schlecht sie war, weiß man eben nicht. Zur den Gegenerklärungen des GBA kann man sicherlich mehr sagen. Da hilft die HP des BGH bzw. dessen Beschlüsse, aus denen man das ein oder andere über die Stellungnahmen ablesen kann. Auch da gibt es „sone“ und sone“.

Alles in allem: M.E. schießt der Kollege ein wenig über das Ziel hinaus mit seiner Kritik. Mir ist sie zu pauschal, wenn es heißt „in der Regel unter aller Sau“. Leider habe ich keine Zahlen, die meine Kritik an der Kritik des Kollegen belegen könnten. Die gibt es m.E. auch nicht. Ich kann nur sagen, es ist in vielen Fällen anders (gewesen). Oder: Es gibt eben schwere und leichte Kavallerie 🙂

Ach, übrigens: Auch die Verteidigerin hatte im OLG Jena-Verfahren ihre Rechtsbeschwerde nur „mit der allgemeinen Sachrüge begründet sowie Verfahrensmängel gerügt“. Daraus wird man schließen können, dass von ihr die vom OLG festgestellten Rechtsfehler auch nicht geltend gemacht worden waren. Aber: Ist sie deshalb „faul“ oder gar „bösartig“?