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OWi IV: Wirksamkeit der StVO bzw. Zitiergebot verletzt, oder: BayObLG: BKatVO gilt fort

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Ja, richtig gelesen, heute gibt es OWi IV. Ich mache ja selten vier Postings an einem Tag, aber ich habe gerade einen Beschluss rein bekommen, den ich dann aber doch sofort bekannt machen möchte.

Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 11.11.2020 – 201 ObOWi 1043/20. Das BayObLG nimmt in ihm zur Frage der Fortgeltung der Bußgeldkatalog-Verordnung auch nach Erlass der StVO-Novelle vom 20.04.2020 (BGBl. I, 814) Stellung: Stichwort: StVO-Novelle. Und es bejaht die Fortgeltung.

Hier dann die Begründung des BayObLG:

„b) Der ergänzenden Erörterung bedarf allerdings die von der Rechtsbeschwerde unter Berufung auf die Nichtigkeit der am 28.4.2020 in Kraft getretenen 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.20 [BGBl. I, 814] eingewandte „Ahndungslücke“. Eine solche Ahndungslücke, welche über die Regelung des § 4 Abs. 3 OWiG zur Sanktionslosigkeit der im vorliegenden Fall führen könnte oder zumindest die Verhängung eines Fahrverbotes verbietet, besteht nicht.

aa) Der Senat kann in der hier inmitten stehenden Fallkonstellation (Zeitpunkt der Tat vor In-krafttreten der StVO-Novelle und Zeitpunkt der Urteilsfindung nach Inkrafttreten der StVO-Novelle; keine Änderung der Sanktion durch die Neufassung der BKatV) dahin stehen lassen, ob aufgrund des fehlenden Zitats der Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG in der genannten Verordnung ein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG vorliegt und ob ein solcher mutmaßlich auf einem redaktionellen Versehen beruhender Verstoß zur Nichtigkeit der Regelung führt (vgl. hierzu grundlegend BVerfG NJW 1999, 3253, 3256; jüngst auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 08.10.2020 – 2 Ss [OWi] 230/20 bei juris). Damit kann auch die Frage offen bleiben, ob der genannte Verstoß zur vollständigen Nichtigkeit der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.04.2020 (vgl. Deutscher VRR 2020 Nr. 7, S. 4 – 6) oder nur zur Nichtigkeit der Neuregelung der BKatV oder gar nur von Teilen derselben führt, was insbesondere für Fallkonstellationen der hier vorliegenden Art, die von der StVO-Novelle gar nicht betroffen sind, von Bedeutung wäre (vgl. Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 4 BKatV (Stand: 09.07.2020) Rn. 12.4; grundlegend zur Problematik der Teilnichtigkeit beim Zitat einer unzutreffenden Ermächtigungsgrundlage Schubert NZV 2011, 369, 372 f.).

bb) Selbst wenn anzunehmen wäre, dass sich die Änderung der BKatV in der zuletzt gültigen Fassung vom 06.06.2019 (BGBl. I, 756) durch die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.04.2020 als nichtig erweist, führt dies nicht dazu, dass die BKatV in ihrer bisherigen Form keine Grundlage mehr für die Ahndung darstellt. Die Rechtsbeschwerde verkennt, dass durch Art. 3 der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften die BKatV „wie folgt geändert“ werden sollte. Damit ist die BKatV in ihrer bisherigen Fassung nicht aufgehoben worden, sondern sollte lediglich abgeändert werden. Für Änderungsgesetze ist anerkannt, dass bei deren Verfassungswidrigkeit die ursprüngliche Gesetzesfassung in Kraft bleibt, da eine nichtige Regelung nicht in der Lage ist, ein Gesetz zu ändern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.07.2000 – 1 BvR 539/96 = BeckRS 2000, 22589 Rn. 53, 88; Hömig in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, 59. EL April 2020, BVerfGG § 95 Rn. 39; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 11. Aufl. Rn. 457 f.). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn sich aus dem Reformgesetz ergibt, dass der Gesetzgeber die alte Regelung auf jeden Fall abschaffen wollte (vgl. Schlaich/Korioth a.a.O. Rn. 459).

cc) Diese Grundsätze, die im Falle der Nichtigkeit eines Änderungsgesetzes anzuwenden sind, haben auch im Falle der Nichtigkeit der Änderung einer Rechtsverordnung Geltung zu beanspruchen. Bezogen auf die beabsichtigte Neuregelung der BKatV kann keine Rede davon sein, dass die bisherige BKatV auf jeden Fall oder gar ersatzlos aufgehoben werden sollte. Zum einen ließ der Verordnungsgeber große Teile der bisherigen Regelung unverändert, zum anderen wollte er die Verkehrssicherheit durch die teilweise Erhöhung von Regelgeldbußen und die erleichterte Einführung von Regelfahrverboten erkennbar erhöhen.

c) Folglich steht auch § 4 Abs. 3 OWiG, dessen Regelungsinhalt auf die BKatV einschließlich deren Anlagen anzuwenden ist (vgl. Göhler/Gürtler OWiG 17. Aufl. § 4 Rn. 2a; KK/Rogall OWiG 5. Aufl. § 4 Rn. 8), der hier ausgesprochenen Ahndung nicht entgegen. Anders als in der Fallgestaltung, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.07.1992 zugrunde lag (vgl. BGH, Urt. v. 23.07.1992 – 4 StR 194/92 = NStZ 1992, 535 = wistra 1992, 344 = BGHR StGB § 2 Abs. 3 Gesetzesänderung 8), bestand hier zu keinem Zeitpunkt eine nicht gewollte Ahndungslücke, zumal die gesetzliche Grundlage für die Ahndung von Verkehrsverstößen keine Änderung erfahren hat.

d) Die BKatV verfolgt nämlich gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2 StVG nur den Zweck, unter Berücksichtigung der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit zu bestimmen, in welchen Fällen, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe die Geldbuße festgesetzt und für welche Dauer das Fahrverbot angeordnet werden soll. Sie ist damit lediglich ein Instrument zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung. Die Rechtsgrundlage für die Verhängung von Geldbußen bzw. die Anordnung von Fahrverboten folgt aber weiterhin unmittelbar aus §§ 24, 24a, 25 StVG i.V.m. § 49 StVO, § 17 OWiG. Die Vorschrift des § 25 StVG ist auch nach Inkrafttreten der BKatV alleinige Rechtsgrundlage für die Verhängung des Fahrverbots; sie hat durch die Ermächtigungsnorm des § 26a StVG vom 28.12.1982 und durch die Regelungen der BKatV keine Änderung erfahren. Insbesondere haben § 26a StVG und die BKatV auch die besonderen Voraussetzungen unberührt gelassen, unter denen nach § 25 StVG im Rechtsfolgensystem des Ordnungswidrigkeitenbereichs ein Fahrverbot neben der Geldbuße ausgesprochen werden kann (BGH, Beschl. v. 28.11.1991 – 4 StR 366/91 = BGHSt 38, 125 = zfs 1992, 30 = NJW 1992, 446 = VerkMitt 1992, Nr 11 = NStZ 1992, 135 = DAR 1992, 69 = NZV 1992, 117 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 1 = VRS 82 [1992], 216; OLG Karlsruhe NZV 1991, 278; OLG Düsseldorf NZV 1991, 398 [399]; OLG Saarbrücken NZV 1991, 399 [400]). Grundlage für die Bußgeldbemessung bleiben auch unter dem Regime der BKatV die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG (KG, Beschl. v. 27.04.2020 – 3 Ws [B] 49/20122 Ss 19/20 = BeckRS 2020, 18279 = NZV 2020, 597 [Ls]). Selbst wenn die BKatV unanwendbar wäre, führte dies nicht dazu, dass keine Rechtsgrundlage mehr für die Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten und insbesondere für die Verhängung von Farbverboten bestünde.“

Zu der Problematik hatte ja auch schon das OLG Oldenburg im OLG Oldenburg, Beschl. v. 08.10.2020 – 2 Ss (OWi) 230/20 – Stellung genommen und eine Verletzung des Zitiergebotes verneint (OWi I: Wirksamkeit der StVO 2013?, oder: Zitiergebot bei der StVO-Novelle 2013 nicht verletzt). Die Messe dürfte damit gelesen sein 🙂 .

 

Achtung, oder: Keine Fortgeltung der Bestellung als Pflichtverteidiger im Wiederaufnahmeverfahren

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Und als zweite Entscheidung kommt dann hier der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 06.03.2020 – 1 Ws 29/20 – 1 Ws 30/20. Eine Entscheidung, die nicht unmittelbar etwas mit Gebühren zu tun hat, die aber gebührenrechtliche Auswirkungen haben kann, wenn man als Verteidiger nicht aufpasst.

Ergangen ist die Entscheidung in einem Wiederaufnahmeverfahren. Der Verurteilte war wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und acht Monaten verurteilt. Das landgerichtliche Urteil ist seit dem 13.12.2012 rechtskräftig. Am 15.08.2019 stellte der Verurteilte mit selbst gefertigtem Schriftsatz den Antrag, das Verfahren wieder aufzunehmen und beantragte zugleich, ihm für das Wiederaufnahmeverfahren einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Mit Beschluss vom 16.12.2019 hat das Wiederaufnahmegericht den Antrag gemäß § 368 Abs. 1 StPO wegen Formmangels als unzulässig verworfen. Den Antrag auf Bestellung eines Verteidigers hat es unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des OLG Frankfurt am Main, wonach die frühere Pflichtverteidigerbestellung der Instanzverteidigerin im Wiederaufnahmeverfahren fortgelte, verworfen. Dagegen hat der Verurteilte ohne Erfolg Rechtsmittel eingelegt.

Das OLG führt aus.

Der Sache nach handelt es sich um zwei gesonderte Rechtsmittel. Sowohl die Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag (§ 372 Satz 1 StPO), als auch die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers (§ 142 Abs. 7 Satz 1 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 – BGBl I 2128) sind mit der sofortigen Beschwerde anzufechten. Beide sofortigen Beschwerden sind auch zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt worden.

Die Beschwerdefrist (§ 311 Abs. 2 StPO) wurde durch die Zustellung an die frühere Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin A, nämlich nicht wirksam in Lauf gesetzt. Die Voraussetzungen des § 145a Abs. 1 StPO lagen nicht vor. Weder ist Rechtsanwältin A mit bei den Akten befindlicher Vollmacht gewählte Verteidigerin des Verurteilten für das Wiederaufnahmeverfahren, noch bestand ihre Bestellung zur Pflichtverteidigerin fort. Letzteres ergibt sich aus der am 13. Dezember 2019 in Kraft getretenen Neufassung des § 143 Abs. 1 StPO. Danach endet die Bestellung des Pflichtverteidigers nunmehr mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Ausnahmen sind nur noch für das abgetrennte Einziehungsverfahren (§ 423 StPO) und die nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 460 StPO) vorgesehen. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber erstmals ausdrücklich die Dauer der Bestellung eines Pflichtverteidigers regeln, die nun – von den genannten Ausnahmefällen abgesehen – mit der Rechtskraft der Entscheidung automatisch endet (BT-Drs 19/13829 S. 43 f.).

Angesichts dieser neuen Gesetzeslage ist die frühere Rechtsprechung des Senats überholt. Sie wird ausdrücklich aufgegeben.

In der Sache haben beide Rechtsmittel keinen Erfolg.

Das Landgericht hat den Wiederaufnahmeantrag gemäß § 368 Abs. 1 StPO zu Recht als unzulässig verworfen, weil dieser entgegen § 366 Abs. 2 StPO weder von einem Rechtsanwalt unterschrieben, noch zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht worden ist.

Auch die Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung des Antrags auf Pflichtverteidigerbestellung ist unbegründet. Die Beiordnung eines Verteidigers gemäß § 364a StPO setzt voraus, dass der Wiederaufnahmeantrag bei vorläufiger Bewertung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (ThüringerOLG aaO; KG, Beschluss vom 17. Juni 1998 – 1 AR 624/98, 4 Ws 123/98; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 364a Rn. 5). Dazu sind zumindest in knapper Form substantiiert die Tatsachen darzulegen, die hinreichende Anhaltspunkte für die Erfolgsaussicht des Antrags bieten (OLG Düsseldorf OLGSt StPO § 364b). Daran fehlt es hier. Keiner der in § 359 StPO genannten Wiederaufnahmegründe wird mit der Antragsschrift dargetan. Deren Inhalt erschöpft sich in unbehelflichen Ausführungen zu vermeintlichen Verfahrensfehlern und der Darlegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers. Die ergänzenden und zusammenhanglosen Ausführungen im Schriftsatz vom 1. November 2019 zu einem Alibizeugen und angeblichen Falschaussagen sind nicht nachvollziehbar und versetzen das Wiederaufnahmegericht nicht ansatzweise in die Lage, die Voraussetzungen des Wiedereinsetzungsgrundes § 359 Nr. 5 StPO zu prüfen.“

Gebührenrechtlich können die Ausführungen des OLG zur Zulässigkeit Folgen haben. Zum alten Recht der Pflichtverteidigung war in der Rechtsprechung der OLG zwar umstritten, ob die Bestellung aus dem Erkenntnisverfahren für das Wiederaufnahmeverfahren fort gilt. Das war von der h.M.  – u.a. eben auch vom OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.06.23014 – 1 Ws 3/12; wegen weiterer Nachweise – auch zur a.A. – vgl. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 3291) bejaht worden. Es ist m.E. zutreffend, wenn das OLG diese Auffassung überdenkt und unter Hinweis auf die erfolgte ausdrückliche Regelung des Umfangs/der Dauer der Pflichtverteidigerbestellung zu dem Ergebnis kommt, dass die Bestellung des Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger im Erkenntnisverfahren nicht (mehr) auch für das Wiederaufnahmeverfahren gilt. Wenn der Gesetzgeber das gewollt hätte, hätte er das im Zweifel in § 143 Abs. 1 StPO geregelt.

Und diese Frage hat für das Tätigwerden des Rechtsanwalts im Wiederaufnahmeverfahren nun vor allem auch im Hinblick auf die Frage des Entstehens der gesetzlichen Gebühren Bedeutung. Denn die entstehen (in Zukunft) nur, wenn der Rechtsanwalt ausdrücklich zum Pflichtverteidiger bestellt ist. Das muss also jetzt auf jeden Fall beantragt werden.

Einmal entbunden, immer entbunden….

© kostsov - Fotolia.com

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Die mit den §§ 73, 74 OWiG zusammenhängenden Fragen spielen in der Praxis eine große Rolle. In dem OLG Bamberg, Beschl. v. 30. 3. 2016 – 3 Ss OWi 1502/15 – ging es dazu um die Frage der Fortwirkung einer einmal getroffenen Entbindungsentscheidung. Der Betroffene hatte beantragt, von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung entbunden zu werden (§ 73 Abs. 2 OWiG). Das AG hat den Betroffenen „von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zum Termin am 01.06.2015 entbunden, § 73 II OWiG“. Mit Verfügung vom 11.o5.2015 verlegte das AG den Hauptverhandlungstermin wegen Verhinderung eines Zeugen auf den 18.06.2015. Mit Schriftsatz vom 01.06.2015 gab der Verteidiger eine Erklärung des Betroffenen gegenüber dem AG weiter, in welcher dieser die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Vernehmung eines Zeugen beantragte. Die Erklärung des Betroffenen endete mit folgenden Worten: „Ich wiederhole nochmals meine Erklärungen und sage abschließend, dass ich mich nicht weiter äußern werde“. Eine Reaktion des AG auf das Schreiben erfolgte nicht. Das AG hat in Abwesenheit des Betroffenen zur Sache verhandelt und den Betroffenen verurteilt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg:

„b) Diese Vorgehensweise war nicht rechtfehlerhaft. Der Betr. war auch für den Hauptverhandlungstermin am 18.06.2015 wirksam von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden.

aa) Es ist mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang zu bringen, dass die von einem Gericht einmal ausgesprochene Entbindung eines Betr. auch für einen weiteren Termin fortwirken kann (vgl. KK-Senge OWiG 4. Aufl. § 73 Rn. 15 m.w.N.). Der Wortlaut des § 73 II OWiG normiert die Erscheinenspflicht für die Hauptverhandlung als solche und nicht lediglich für einzelne Hauptverhandlungstermine (vgl. auch Meyer NZV 2010, 496). Für den Fall eines Fortsetzungstermins nach lediglich unterbrochener Hauptverhandlung ist dies in der obergerichtlichen Rspr. anerkannt (vgl. KG, Beschl. v. 09.01.2012 – 2 Ss 366/11 [bei juris]).

bb) Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht ferner der Normzweck des § 73 OWiG. Die in § 73 I OWiG normierte Erscheinenspflicht soll der Sachaufklärung dienen (KK-Senge73 Rn. 28 ff.). Unter diesem Gesichtspunkt ist auch § 73 II OWiG zu sehen. Ist das Erscheinen des Betr. zur Aufklärung des Tatvorwurfs oder sonstiger für die Rechtsfolgenbemessung relevanter Umstände nicht erforderlich, so hat ihn das Gericht nach dieser Vorschrift auf seinen Antrag hin von der Verpflichtung zum Erscheinen zu entbinden (KK-Senge a.a.O.). Wenn aber das persönliche Erscheinen des Betr. zur Sachaufklärung in diesem Sinne nichts beitragen kann, so kann sich die Reichweite der – nicht im Ermessen des Gerichts stehenden (vgl. nur OLG Bamberg, Beschlüsse v. 16.06.2014 – 3 Ss OWi 734/14 = StraFo 2014, 467 = ZfS 2015, 50 und vom 29.08.2012 – 3 Ss OWi 1092/12 = DAR 2013, 90 = NZV 2013, 204, jeweils m.w.N.; KK-Senge a.a.O.) – Entbindung nicht lediglich auf den nächstfolgenden Hauptverhandlungstermin beziehen, sondern hat sich auch auf alle folgenden Termine zu erstrecken, solange und soweit keine relevante Änderung der Sachlage (etwa weil der Betr. plötzlich erklärt, weitere Angaben machen zu wollen) eingetreten ist. Ist dies der Fall, besteht aber ohnehin jederzeit die Möglichkeit und gegebenenfalls sogar die Verpflichtung für das Gericht, die einmal getroffene Entscheidung über die Entbindung wieder aufzuheben (vgl. KK-Senge § 73 Rn. 35). Der Betr. ist durch eine derartige Sichtweise auch keineswegs in seinen Rechten beeinträchtigt. Denn es steht ihm trotz der Fortwirkung der Entbindungsentscheidung selbstverständlich jederzeit frei, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Von daher geht auch das Vorbringen der Rechtsbeschwerde, das „Anwesenheitsrecht“ des Betr. sei durch die Verhandlung in seiner Abwesenheit verletzt worden, gänzlich fehl.

cc) Es würde im Übrigen eine leere Förmelei darstellen, wollte man in der vorliegenden Fallkonstellation eine nochmalige ausdrückliche Entscheidung des AG über die Entbindung des Betr. verlangen. Hierfür ist jedenfalls solange kein sachlicher Grund ersichtlich, als sich die für die Entbindungsentscheidung maßgebliche Grundlage nicht verändert und der Betr. durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, an seinem Entbindungswunsch festhalten zu wollen. So verhält es sich hier….“

Eine Divergenz zur Rechtsprechung anderer OLG sieht das OLG Bamberg nicht. Mal schauen, wie es sich weiter entwickelt.