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AE II: Umfang der Auskunftserteilung an das FA, oder: Wer prüft was und hat Ermessen?

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Die zweite AE-Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 20.12.2021 – 203 VAs 389/21 – dürfte vor allem (auch) die Steuerstrafrechtler interessieren. Es geht nämlich um das Akteneinsichtsrecht des Finanzamtes.

Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung. Das Finanzamt Burgdorf hatte mit Schreiben vom 14.04.2021, weitergeleitet mit Telefax der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes Augsburg-Stadt vom 23.04.2021 an die Staatsanwaltschaft Augsburg, betreffend das Strafverfahren 510 Js 117131/12 Staatsanwaltschaft Augsburg für die Durchführung des Besteuerungsverfahrens beantragt: „Sofern möglich, bitte ich um Übersendung der FN 20-22. Im Bericht wird auf S. 14 und 15 auf die Anpassungen//Gewinnermittlung nach UK GAAP hingewiesen. Gibt es dazu Unterlagen?

Die Staatsanwaltschaft hat dann mit Verfügung vom 24.06.2021 dem Finanzamt Burgdorf auf Grundlage des § 474 Abs. 2 StPO Akteneinsicht in verschiedene Beweismittelordner in teilweise geschwärzter Form gewährt. Diese Unterlagen seien unter Berufung auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 02.10.2013 (Az.: 2 VAs 78/13) für die Steuerprüfung erforderlich; soweit in diesen Beweismittelordnern „Informationen zu anderen Strukturen“ enthalten seien, würden diese aufgrund von § 30 AO geschwärzt.

Gegen diese Verfügung, die im Hinblick auf das Verfahren beim BayObLG bislang nicht ausgeführt worden ist, hat der Antragsteller/Beschildigte Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gestellt. Er beantragt, die Verfügungen der Staatsanwaltschaft Augsburg aufzuheben und die Staatsanwaltschaft Augsburg zu verpflichten, es zu unterlassen, dem Finanzamt Burgdorf Akteneinsicht in die Ermittlungsakte samt Beweismittelordner zu gewähren. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass das gegen ihn gerichtete Strafverfahren 510 Js 117131/12 Staatsanwaltschaft Augsburg mit Beschluss des LG Augsburg vom 26.03.2021 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei und dass sämtliche sichergestellten Unterlagen inzwischen an ihn zurückgegeben worden seien. Das Finanzamt Burgdorf müsse sich deshalb zunächst an ihn wenden, wenn es Unterlagen für das Besteuerungsverfahren benötige; dies sei bis heute nicht erfolgt. Er selbst sei zur Mitwirkung im Besteuerungsverfahren bereit. Die Staatsanwaltschaft Augsburg stütze die Akteneinsichtsgewährung unzutreffend auf § 474 Abs. 2 StPO anstatt auf § 474 Abs. 3 StPO i.V.m. § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO. Eine besondere Vorschrift, aufgrund der personenbezogene Daten aus Strafverfahren übermittelt werden dürften, gebe es nicht; §§ 111 Abs. 1 AO oder § 13 Abs. 1 Nr. 1 EGGVG seien hier nicht einschlägig. Die Staatsanwaltschaft habe darüber hinaus weder ihr Ermessen ausgeübt, anstelle der Erteilung von Auskünften Akteneinsicht zu gewähren, noch (vorliegend ausnahmsweise, § 479 Abs. 4 Satz 3 StPO – in der ab 01.07.2021 gültigen Fassung -) geprüft, ob die Übermittlung weiterer personenbezogener Daten zur Aufgabenerfüllung im Rahmen des Besteuerungsverfahrens erforderlich sei, wobei es der fair-trial-Grundsatz verbiete, dass die Staatsanwaltschaft an das Finanzamt ein verzerrtes und nur unvollständiges Sachverhaltsbild aus den Ermittlungsakten weitergebe.

Das BayObLG hat die Verfügung aufgehoben und die sache zur neuen Bescheidung zurückverwiesen. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den umfangreich begründeten Beschluss. Hier nur die amtlichen Leitsätze:

  1. Die Entscheidung, ob Auskünfte nach § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO zu versagen oder zu erteilen sind, unterliegt unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung.
  2. Für ein Finanzamt ergibt sich gegenüber der Staatsanwaltschaft ein Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO i.V.m. § 13 Abs. 1 Ziffer 1 EGGVG aus § 105 Abs. 1, § 111 Abs. 1 Satz 1, § 393 Abs. 3 AO.
  3. Nach § 479 Abs. 4 Satz 2 StPO trägt die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten, namentlich deren Erforderlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, nicht die übermittelnde Stelle, sondern der Empfänger, der die Notwendigkeit der Auskunftserteilung in seinem Ersuchen auch nicht näher darlegen muss.
  4. Die übermittelnde Stelle prüft nach § 479 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StPO nur, ob das Übermittlungsersuchen abstrakt im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liegt. Nach § 479 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StPO erfolgt eine weitergehende Prüfung der Zulässigkeit der Übermittlung ausnahmsweise bei besonderem Anlass.
  5. In diesem Rahmen sind der Staatsanwaltschaft Erwägungen dahingehend, die Auskunft sei nicht erforderlich, weil das Finanzamt sich die Informationen auch auf anderem Wege beschaffen kann, von Rechts wegen verwehrt.
  6. Bei der Entscheidung, anstelle der beantragten Auskünfte (§ 474 Abs. 2 StPO) gemäß § 474 Abs. 3 StPO Akteneinsicht zu gewähren, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung; insoweit kann der Senat lediglich überprüfen, ob Willkür oder ein Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch vorliegt. Dabei muss die Entscheidung die tatsächliche Ausübung des eingeräumten Ermessens erkennen lassen.
  7. Auch bei Ermessensentscheidungen ist ein Nachschieben von Gründen möglich. Unzulässig ist es dann, wenn der Verwaltungsakt dadurch in seinem Wesen geändert würde. Letzteres ist der Fall, wenn die Verwaltungsbehörde eine zunächst irrig als gebundene Entscheidung getroffene Maßnahme nunmehr als Ermessensentscheidung aufrechterhalten will.

Aufrechnung mit RVG-Forderung gegen Umsatzsteuer – geht das (noch)?

© yvon52 - Fotolia.com

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Heute dann mal eine finanzgerichtliche Entscheidung. Ja, richtig gelesen: Finanzgericht. Die Entscheidung hat allerdings gebührenrechtlichen/RVG-Einschlag. Es handelt sich um das FG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21.06.2016 – 1 K 1368/15, das eine Problematik behandelt, die unter Verteidigern immer wieder diskutiert wird. Nämlich die Frage: Kann der Rechtsanwalt/Verteidiger eigentlich gegen Forderungen gem. 55 RVG gegen Umsatzsteuerforderungen  aufrechnen? Das ist ja ggf. ein Mittel, um schneller an die Vergütung für Pflichtverteidigertätigkeiten zu kommen, wenn die Staatskasse mit der Festsetzung usw. mal wieder nicht „aus den Pötten“ kommt. Im Streit waren im vom FG Sachsen-Anhalt entschiedenen Fall Umsatzsteuervorauszahlung aus 2014 und 2015, mit denen der klagende Rechtsanwalt die Aufrechnung mit gegen die Landeskasse gerichteten Vergütungsforderungen als beigeordneter oder bestellter Rechtsanwalt erklärt hatte. Ds Finanzamt hatte die Aufrechnungserklärungen gestützt auf § 226 Abs. 3 AO als nicht wirksam zurückgewiesen. Der Rechtsanwalt meinte hingegen, aufrechnen zu dürfen, insbesondere könne das Finanzamt die erklärte Aufrechnung nicht durch einfaches, d.h. unsubstantiiertes Bestreiten unzulässig machen.

Das FG hat dem Finanzamt Recht gegeben und verweist dazu auf § 226 Abs. 3 AO.  Gemäß § 226 Abs. 3 AO können Steuerpflichtige gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrech­nen. Dazu gibt es dann folgende Grundsätze:

§ 226 Abs. 3 der Abgabenordnung soll verhindern, dass die Geltendmachung der Ansprü­che aus dem Steuerschuldverhältnis durch Vorschützen von ungewissen oder zweifelhaf­ten, womöglich erst einer längeren Aufklärung und Feststellung bedürftigen Gegenforde­rung aufgehalten wird (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 39; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 3. November 1993 IX 188/88, juris; FG Kassel, Urteil vom 2. September 2009 8 K 2080/08, EFG 2010, 296). Die Finanzbehörde ist überfordert, wenn sie entscheiden soll, ob der Steuerpflichtige einen privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen den Justizfiskus (VGH München, Beschluss vom 4. Februar 2002 23 ZS 01.3171, beck-online) oder gegen den Finanzfiskus (Niedersächsisches Fi­nanzgericht, Urteil vom 3. November 1993 IX 188/88, juris) hat. Soweit es sich jedoch um Ansprüche des Steuerpflichtigen aus dem Steuerschuldverhältnis handelt, ist die Finanz­behörde dagegen von der Sache her nicht überfordert (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 39; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 3. November 1993 IX 188/88, juris).

Rechtskräftig festgestellt wird die Gegenforderung durch Gerichte und Behörden (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 40).

Unbestritten ist die Gegenforderung, wenn sie ausdrücklich anerkannt wird oder wenn keine Einwendungen gegen sie erhoben werden (Rozek in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 70), wobei das Gesetz kein substantiiertes Bestreiten verlangt; es genügt der Hinweis darauf, dass die Gegenforderung noch nicht rechtskräf­tig/bestandskräftig festgestellt oder aus welchen Gründen auch immer fragwürdig sei (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 41, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Substantiierte Einwendungen gegen das Bestehen der Gegenforderung sind aber dann erforderlich, wenn der Schuldner mit einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis aufrechnet, da in einem solchen Fall die Finanzbehörde selbst feststellen kann, ob die Gegenforderung besteht (Loose, a.a.O., m.w.N.).

Soweit für die Feststellung der Gegenforderung und der Hauptforderung verschiedene Behörden zuständig sind, muss der aufrechnende Steuerpflichtige darlegen, dass die Ge­genforderung entweder rechtskräftig festgestellt oder unbestritten ist (vgl. Loose, a.a.O., Rz. 42; Rozek, a.a.O.; BFH-Urteil vom 10. Juli 1979 VI R 114/75, BStBl II 1979, 690).

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die angefochtenen Verwaltungsakte recht­mäßig, denn für die Feststellung der Gegenforderungen ist nicht die Finanz- sondern die Justizbehörde zuständig, so dass die Finanzbehörde darauf abstellen durfte, dass die Gegenforderungen im dafür vorgesehenen Verfahren noch nicht rechtskräftig festgestellt wurden……………

………… Daher kann eine Forderung, die in einem Vergütungsfestsetzungsverfahren geltend ge­macht wird, erst dann als unbestritten gelten, wenn zumindest das Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG durch Beschluss abgeschlossen wurde; rechtskräftig festgestellt ist sie, soweit ein Rechtsmittel nicht mehr erhoben werden kann bzw. eine rechtskräftige Ent­scheidung im Erinnerungs-/Beschwerdeverfahren gemäß § 56 RVG erfolgt ist.

Der Urkundsbeamte hat im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG nämlich das Bestehen des Vergütungsanspruches zu überprüfen, insbesondere ob die entfaltete Tä­tigkeit von zeitlichen und gegenständlichen Umfang der Beiordnung gedeckt ist, ob die Vergütung nach § 49 RVG richtig berechnet ist, ob die angefallenen Kosten notwendig waren, ob von der Staatskasse gemäß § 47 RVG gezahlte Vorschüsse zu verrechnen sind, ob Zahlungen einschließlich Vorschüssen des Mandanten oder Dritten anzurechnen sind (§ 58 RVG) oder ob ein Verzicht des Anwalts vorliegt (Gerold/Schmidt, RVG, § 55 RVG, Rz. 26; Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, § 55 RVG, Rz. 42ff.). Des Weiteren können die Ansprüche auch abgetreten, verwirkt oder verjährt sein.

Demzufolge können die geltend gemachten Vergütungsansprüche solange sie nicht über­prüft wurden, nicht als unbestritten gelten. Der Senat führt hier auch kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal in die Regelung des § 226 Abs. 3 AO ein, sondern legt den Begriff „unbestritten“ entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift aus. Eine insoweit be­hauptete Grundrechtsverletzung (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 GG) ist nicht feststellbar.

Soweit ein Vergütungsfestsetzungsbeschluss vorliegt, wäre eine Aufrechnung nach § 226 Abs. 3 der Abgabenordnung zulässig. Gleichwohl ist fraglich, ob sie dann noch sinnvoll ist, da regelmäßig mit der Festsetzung auch die Auszahlung veranlasst wird. Das kann hier aber letztlich dahinstehen.“

Wird also schwieriger, schnell(er) an das wohl verdiente Geld zu kommen…..

Steuerhinterziehung: Das Finanzamt hat doch alles gewusst…

Mit dieser Einlassung entgeht man einer Verurteilung wegen einer Steuerhinterziehung nicht.

Der für die Steuerstrafsachen zuständige 1. Strafsenat des BGH sagt: Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben entfällt nicht deshalb, weil den zuständigen Finanzbehörden alle für die Steuerfestsetzung bedeutsamen Tatsachen bekannt waren und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt und verfügbar waren (vgl. BGH, Beschl. v. 14.12.2010 – 1 StR 275/10).

Mal was ganz Anderes: Zur Amtspflicht der Finanzbehörden bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Vorauszahlung der Umsatzsteuer

Mal weg von Straf- und OWi-Recht, mal was ganz Anderes: Nämlich der Hinweis auf das Urt. des OLG Naumburg v. 12.05.2010 – 2 U 1/10, das sich mit den Amtspflichten der Finanzbehörden bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Vorauszahlung der Umsatzsteuer beschäftigt und zur Pflichtwidrigkeit der Hinzuschätzung verdeckter Inlandsumsätze Stellung nimmt. Und zwar in einem Amtshaftungsprozess.

Das Finanzamt hatte gegen den Kläger eine um 16.272,78 € höhere Vorauszahlung auf die Umsatzsteuer 2007 festgesetzt, als von diesem selbst errechnet und geleistet worden war. Die Erhöhung der Vorauszahlung beruhte maßgeblich darauf, dass das Finanzamt bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer neben dem aus der Buchhaltung des Einzelunternehmens des Klägers ermittelten Betrag des steuerpflichtigen Umsatzes im Inland in Höhe von 36.406,00 € einen verdeckten Umsatz im Inland in Höhe von weiteren 100.840,34 € hinzuschätzte. Der Kläger hatte einen Rechtsanwalt beauftragt und verlangte jetzt die bei diesem entstandenen Gebühren ersetzt.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das OLG meint, dass auf eine Pflichtwidrigkeit bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Vorauszahlung der Umsatzsteuer nicht allein aus dem Umstand geschlossen werden könne, dass diese von der späteren Bemessungsgrundlage für die endgültige, vorbehaltlose Festsetzung der Jahresumsatzsteuer abweicht. Im Übrigen hielt sich alles noch im Beurteilungsspielraum.

M.E. lesenswert.