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StGB III: Fahrlässige Tötung durch Unterlassen, oder: Übertragung von Verkehrssicherungspflichten

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Und als letzte Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 07.09.2023 – 2 Ws 244/23 – zur (behaupteten) fahrlässigen Tötung durch Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.

Das OLG geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Die Staatsanwaltschaft hat nach mehrjährigen Ermittlungen am 23.02.2023 Anklage gegen den Angeschuldigten S. sowie die Angeklagte L. S. R. wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen am 17. und 18.06.2019 sowie im Zeitraum 12.02.2017 bis 18.06.2019 erhoben. In der Anklageschrift wurde folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

Am 18.06.2020 kam es auf dem Gelände des W. H., zu einem Unglücksfall, bei dem der elfjährige V. F. D. beim Spielen von einer außerhalb des Spielplatzes auf einem ca. 100 m langen Schienenstrang abgestellten, in eine Sitzbank umgebauten, tatsächlich aber durch Schieben beweglichen, ca. 400 kg schweren Lore überrollt und getötet wurde. Die Lore entsprach gem. des Sachverständigengutachtens vom 24.06.2022 nicht den Vorschriften DIN EN 1176 und wäre mithin nicht als Spielgerät zugelassen worden. V. F. D. hatte zusammen mit 10 anderen Kindern auf bzw. mit der Lore gespielt. Die Kinder schoben die Lore in beide Richtungen, wobei stets einige Kinder auf der Lore saßen und einige Kinder sich vor, neben und hinter der Lore aufhielten. Aus ungeklärter Ursache kam V. F. D. vor der Lore zu Fall und wurde von dieser im Bereich der Brust überrollt. Er erlitt mehrere Frakturen im Brustbereich, wodurch Blut in seine Lungen gelangte und er noch am Unfallort gegen 10:55 Uhr verstarb.

Die Angeschuldigte R. war als angestellte Försterin für die Besucher zuständig, die mehrere Tage in dem W. eingebucht waren. Die 5. Klasse des T.-H.-Gymnasiums aus W. reiste am 17.06.2019 mit 28 Schülern und 2 Lehrern am W. an, um dort eine Woche zu verbringen. Die Einweisung der Lehrer und Schüler in das Gelände des W. erfolgte am 17.06.2019 durch die Angeschuldigte, wobei sie nicht auf die Beweglichkeit und die damit verbundene Gefährlichkeit der Lore hingewiesen hat, obwohl sie von der Fahrbereitschaft gewusst hatte. Die Lore war eindeutig erkennbar nicht mit einem irgendwie gearteten Schutz versehen, der es verhindert hätte, dass Gegenstände oder – wie vorliegend geschehen – Personen unmittelbar vor die Räder geraten und bei fahrender Lore von dieser überrollt werden können.

Die Angeschuldigte hätte das Spielen mit der Lore verbieten, jedenfalls die Lehrer und Schüler auf die Gefährlichkeit des Spielens mit der Lore hinweisen müssen. Hätten die Angeschuldigten die nötigen Hinweise an die Lehrer und Schüler erteilt, wäre es mit an der Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Unfall und dem damit verbundenen Tod des V. F. D. gekommen.

Der Angeschuldigte S. war zum Unglückszeitpunkt seit dem 12.02.2017 Leiter des W. und hatte es unterlassen, die Lore, die bereits seit 2013 in der Form auf dem Gelände des W. stand und mindestens seit 2016 als fahrbereites Spielelement genutzt wurde, sicherheitstechnisch überprüfen zu lassen, oder diese Aufsicht an eine andere Person zu übertragen. Das Gelände wurde jährlich durch den Zeugen B. begutachtet, dem jedoch durch den Angeschuldigten in fahrlässiger Weise nicht mitgeteilt worden war, dass die Lore fahrbereit war und in dieser Form zum Spielen von Kindern genutzt wurde.

Hätte der Angeschuldigte die notwendigen Maßnahmen (Überprüfung und Sicherung der Lore) ergriffen oder ergreifen lassen, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Unfall und dem Tod des Kindes gekommen.“

Nach der Durchführung weiterer Ermittlungen hat das LG Verden mit dem angefochtenen Beschluss hinsichtlich der Angeklagten R. die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Hinsichtlich des Angeschuldigten S. hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt, da er der angeklagten Tat nicht hinreichend verdächtig sei.

Gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft  mit dem Ziel, die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens auch hinsichtlich des Angeschuldigten S. zu beschließen.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Ich beschränke mich wegen des Umfangs der Entscheidungsgründe hier auf die Leitsätze. Die lauten:

    1. Bei der Übertragung von Verkehrssicherungspflichten im Rahmen vertikaler Arbeitsteilung hängt der Umfang der verbleibenden Kontrollpflichten für die mit der Überwachung betraute Person davon ab, inwieweit dem Delegaten bei der Ausführung seiner Tätigkeit Eigenverantwortlichkeit zukommt.
    2. Soweit bei komplexen oder besonders gefahrgeneigten Großbauprojekten aufgrund bekannter und besonderer Gefährdungslagen ein strengerer Maßstab an den Umfang der Überwachungs- und Kontrollpflichten angelegt werden kann, ist dieser Maßstab nicht vergleichbar mit Überwachungspflichten, die sich auf die Wahrnehmung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten – wie etwa Streupflichten – durch damit betraute Personen auf einem als nicht außergewöhnlich anzusehenden Außengelände beschränken.
    3. Personen, denen innerhalb des Arbeitsverhältnisses die Verkehrssicherungspflicht für ein Außengelände übertragen worden ist, sind von ihrer Verantwortlichkeit nicht hinsichtlich solcher Gefahrenquellen entbunden, die bereits vor ihrem Eintritt in die Verantwortlichkeit durch andere Personen geschaffen worden sind und sich in der Folgezeit nicht realisiert haben.
    4. Es stellt eine Überspannung der Anforderungen an eine mit Überwachungspflichten betraute Person dar, wenn man von ihr auf Grundlage der allgemeinen Gefahrenabwehrpflicht erwarten würde, eine für sie bis dahin gänzlich unbekannte Gefahrenlage zunächst zu ermitteln. Eine Kontrollpflicht beinhaltet gerade nicht, die übertragene Aufgabe selbständig vorzunehmen. Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

StGB III: Tödlicher Verkehrsunfall auf der Landstraße, oder: Wenn nachts ein Fußgänger auf der Straße liegt

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Das LG Mühlhausen musste jetzt die Frage beantworten, ob ein Kraftfahrzeugführer, der nachts außerorts auf einer unbeleuchteten Landstraße fährt, damit rechnen muss, dass auf der Fahrbahn ein dunkel gekleidete Fußgänger liegt und ob ihm eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) vorgeworfen werden kann, wenn er den Fußgänger überfährt und der an den Folgen des Unfalls verstirbt.

Das LG hat die Frage im Eröffnungsverfahren im LG Mühlhausen, Beschl. v. 28.04.2021 – 3 Qs 43/21 – verneint.

Das LG hat die Vorhersehbarkeit für den Beschuldigten verneint. Zwar sei allgemein anerkannt, dass ein Fahrzeugführer stets mit Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen muss. Er müsse daher auch vor unvermuteten Hindernissen anhalten können. Dies gelte jedoch nicht für solche Hindernisse, mit denen er unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. Nach der Lebenserfahrung müsse sicherlich stets mit (auch besonders grober) Unachtsamkeit von Fußgängern gerechnet werden. Ein in höchstem Maße selbstgefährdendes, sich durch nichts ankündigendes Verhalten eines Fußgängers sei ist hingegen so ungewöhnlich und so selten, dass niemand damit zu rechnen braucht, wenn nicht ausnahmsweise im Einzelfall besondere Umstände Anlass dazu, geben (vgl. OLG Jena VRS 123, 217).

Das hat das LG im entschiedenen Fall bejaht. Der spätere Getötete hatte sich – stark alkoholisiert und unter dem Einfluss von MDMA – nachts bei vollkommener Dunkelheit und schlechten Wetterverhältnissen außerorts auf einer unbeleuchteten Landstraße mittig auf die Fahrbahn gelegt. Zwar müsse man als Autofahrer, insbesondere im ländlichen Raum, durchaus damit rechnen, dass nachts und auch am frühen Morgen – unter Umständen auch alkoholisierte und dunkel gekleidete – Fußgänger an einer Landstraße entlang laufen. Ein solches Verhalten seitens eines Fußgängers liege nicht außerhalb der Lebenserfahrung. Hingegen sei es so ungewöhnlich und gerade nicht zu erwarten, dass im Winter bei Schneefall und kalten Temperaturen eine Person mitten auf der Fahrbahn liegt. Mit einer solchen Verkehrssituation, die sich auch nicht etwa durch mehrere im Bereich der Straße anwesende Personen, angekündigt habe, müsse man als Kraftfahrer nicht rechnen.

Dazu passt dann auch der OLG Hamm, Beschl. v.  18.07.2019 – 4 RVs 65/19. Das OLG hat die Frage anders gesehen (vgl. Verkehrsrecht I: Tödlicher Verkehrsunfall, oder: Welche Auswirkungen hat das Mitverschulden des Geschädigten?)

Strafzumessung III: Fahrlässige Tötung infolge Trunkenheitsfahrt, oder: Generalprävention?

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Und als dritte Entscheidung dann der OLG Dresden, Beschl. v. 07.04.2020 – 1 OLG 23 Ss 218/20, den mir der Kollege Stephan aus Dresden geschickt hat. Thematik: Strafzumessung im Fall der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr infolge einer Trunkenheitsfahrt. Der Angeklagte ist zu einer nicht aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das OLG beanstandet die generalpräventiven Erwägungen des LG:

„2. Allerdings ist ihm im Rahmen der Strafzumessung ein Fehler unterlaufen, als es die Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte für notwendig erachtet hat.

Gemäß § 46 Abs. 1 StGB sind die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, zu berücksichtigen. Zu diesen Strafzwecken gehört auch die Generalprävention (MüKoStGB/Miebach/Maier, 3. Aufl. 2016, StGB § 46 Rn. 38). So ist anerkannt, dass der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung nicht nur des Angeklagten, sondern auch anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher eine schwerere Strafe rechtfertigt als sie sonst angemessen wäre, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2007 – 4 StR 173/07, NStZ 2007, 702 und vom 10. August 2005 – 2 StR 219/05, StraFo 2005, 515; BGH, Beschluss vom 07. März 2018 –1  StR 663/17 —, Rn. 2, juris).

Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch an der Feststellung, dass derartige Straftaten, wie das Fahren unter Alkoholeinfluss, bei dem Menschen zu Tode kommen, zugenommen haben. Da die diesbezüglichen Zahlen seit Jahren rückläufig sind bzw. stagnieren, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um eine allgemein bekannte Tatsache handelt.

Auf die Rüge der Verteidigung, das Gericht habe den Tod des Vaters des Opfers zu Lasten des Angeklagten gewürdigt, kam es daher gar nicht mehr an. Gleichwohl wird darauf hingewiesen, dass sich dies aus dem Wortlaut der Urteilsgründe nicht zwingend ergibt. Nach hiesigem Verständnis wurde nur das Leid der Mutter des Opfers dargestellt, die den Tod zwei ihrer engsten Angehörigen zu verschmerzen hat, ohne den Tod des Vaters des Opfers dem Angeklagten zuzurechnen.

Da nicht auszuschließen ist, dass die Strafe anders ausgefallen wäre, wenn das Gericht die generalpräventiven Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hätte, war das Urteil aufzuheben.“

Dem schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Trinken in Fahrbereitschaft, oder: Strafmaß und Bewährung….

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Heute mache ich dann mal einen Verkehrsrechtstag. Und den eröffne ich mit dem OLG Celle, Urt. v. 09.12.2019 – 3 Ss 48/19. In dem hat sich das OLG mit der Strafzumessung bei einer Trunkenheitsfahrt nach selbst herbeigeführter Trunkenheit befasst.

Der Angeklagte war mit seinem Freund zu einem Fußballspiel gefahren. Nach dem Spiel setze sich der Angeklagte noch auf den Rasen und trank Bier. Welche Menge der Angeklagte trank und ob der Freund ebenfalls dabeisaß und trank, konnte nicht festgestellt werden. Später stiegen die beiden dann in den Pkw des Angeklagten und fuhren davon. Auf dem Heimweg kam es dann infolge überhöhter Geschwindigkeit des Angeklagten zu einem Verkehrsunfall, bei dem der Freund des Angeklagten getötet wurde. Der Angeklagte hatte eine BAK von 0,88 g Promille und war relativ fahruntüchtig, was er bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt auch hätte erkennen können.

Das AG hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, ohne die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen. Das LG hat das Urteil auf die Berufung des Angeklagten aufgehoben und diesen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das OLG hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft dieses Urteil aufgehoben. Es hat Bedenken hinsichtlich des Strafmaßes und auch der Frage der Bewährungsaussetzung.

„2. Die Strafzumessung weist durchgreifende Rechtsfehler auf.

a) Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage seines umfassenden Eindrucks von der Tat und der Persönlichkeit des Täters die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. In die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts kann das Revisionsgericht jedoch eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGH, Urteile vom 27. Januar 2015 – 1 StR 142/14, NStZ 2015, 466 und vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123, 127). So liegt es hier.

b) Die Zumessungserwägungen sind in sich fehlerhaft, weil das Landgericht die alkoholintoxikationsbedingte Enthemmung des Angeklagten als einen bestimmenden Strafmilderungsgrund gewertet hat. Hierin liegt ein durchgreifender Wertungswiderspruch zu den getroffenen Feststellungen. Denn danach hat das Landgericht gerade in der „Alkoholisierung und der dadurch bedingten Enthemmung und Selbstüberschätzung“ die Ursache für das Fahrverhalten des Angeklagten, welches den Unfall und den Tod des Beifahrers zur Folge hatte, mithin einen die Schuld des Angeklagten begründenden Umstand erkannt.

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob mit dieser Strafzumessungserwägung – wie die Generalstaatsanwaltschaft meint – zugleich auch gegen das Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB verstoßen worden ist. Zwar gilt das Doppelverwertungsverbot über seinen Wortlaut hinaus nicht nur für die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale selbst, sondern auch für sonstige unrechts- und schuldbegründende Merkmale (vgl. Miebach/Maier in MüKoStGB 3. Aufl. § 46 Rn. 449). Zweifel an einem Verstoß im vorliegenden Fall könnten sich aber insoweit ergeben, als das Doppelverwertungsverbot nahezu ausschließlich eine den Täter begünstigende Wirkung hat (vgl. Miebach/Maier aaO Rn. 447). Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich offengelassen, ob das Doppelverwertungsverbot in Einzelfällen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 50 StGB auch einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten begründen kann, und dies jedenfalls nur für solche Fälle in Betracht gezogen, in denen Tatbestandsmerkmale „eine mildernde Tendenz“ aufweisen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2016 – 1 StR 414/15, NStZ-RR 2016, 107).

Ob die alkoholintoxikationsbedingte Enthemmung darunter fällt, bedarf hier keiner Klärung. Denn rechtsfehlerhaft ist ihre strafmildernde Berücksichtigung jedenfalls deshalb, weil der Angeklagte diesen Zustand vorwerfbar selbst herbeigeführt hat und dies zudem in dem Bewusstsein, dass er im Anschluss noch sein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führen wird – sog. Trinken in Fahrbereitschaft.

c) Indem das Landgericht dies außer Acht gelassen hat, hat es nicht nur einen schuldbegründenden Umstand in sich widersprüchlich strafmildernd gewertet, sondern zugleich wesentliche schulderhöhende Umstände nicht in seine Strafzumessungserwägungen einbezogen.

Nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2017 – GSSt 3/17 – (BGHSt 62, 247) stellt das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat für sich allein einen schulderhöhenden Umstand dar, der sowohl bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB als auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigt werden darf, ohne dass dies von einzelfallbezogenen Feststellungen dazu abhängig ist, ob sich auf Grund der jeweiligen persönlichen oder situativen Verhältnisse das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung für den Täter vorhersehbar signifikant erhöht hatte. Durch den Alkoholmissbrauch versetzt sich der Sich-Betrinkende in einen Zustand, der durch Enthemmung, Verminderung von Einsichts- und Urteilsvermögen sowie Verschlechterung von Körperbeherrschung und Reaktionsfähigkeit gekennzeichnet ist. Das so beschriebene dem Alkoholkonsum selbst innewohnende Risiko zählt zum Allgemeinwissen und ist selbst Menschen von geringer Lebenserfahrung in aller Regel bekannt. Geht jemand dieses allgemeinkundige Risiko einer Alkoholintoxikation vorwerfbar ein, sind bereits allein dadurch das Handlungsunrecht seiner begangenen Tat sowie die Tatschuld signifikant erhöht (BGH aaO).

Dies greift auch bei Straftaten aufgrund von alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a und 316 StGB. Der Schuldumfang bestimmt sich in derartigen Fällen auch danach, ob der Täter im Zeitpunkt der Alkoholaufnahme wenigstens damit rechnen musste, dass er noch ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führen werde, ob er also in Fahrbereitschaft den Alkohol getrunken hat (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 606). Dies gilt schon im Falle der Verurteilung wegen einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt, ist aber erst recht von Bedeutung, wenn es infolge der trunkenheitsbedingten Fahruntüchtigkeit zu einem Verkehrsunfall gekommen ist (OLG Köln, Beschluss vom 3. Juli 2009 – 83 Ss 51/09, StV 2010, 527).

3. Da die Revision bereits mit dem Angriff gegen den Strafausspruch Erfolg hat, bedarf es eines näheren Eingehens auf die vom Strafausspruch abhängige Bewährungsentscheidung nicht. Auch diese begegnet aber rechtlichen Bedenken.

Bei der Entscheidung über die Strafaussetzung ist dem Tatgericht allerdings ein weiterer Beurteilungsspielraum zuerkannt, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Hat das Tatgericht die für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände gesehen und gewürdigt, ist dessen Entscheidung auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Bewertung denkbar gewesen wäre (BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16, StraFo 2016, 420). Hier beanstandet die Staatsanwaltschaft indes zu Recht, dass nicht alle gegen die Aussetzung sprechenden Umstände gewürdigt worden sind.

a) Insoweit sind zunächst die vorstehend unter 2. aufgezeigten, bereits im Rahmen der Strafzumessung unberücksichtigt gebliebenen schulderhöhenden Umstände anzuführen.

b) Zudem hat das Landgericht ausgeführt, dass gegen den Angeklagten geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren sei für die nach § 56 Abs. 1 StGB anzustellende Prognose „ohne Belang“, weil es gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Dies steht in Widerspruch zu den Strafzumessungserwägungen, in denen das Landgericht noch rechtsfehlerfrei darauf abgestellt hat, dass die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nicht daran hindert, den von diesem Ermittlungsverfahren ausgehenden Warneffekt strafschärfend zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 1987 – 1 StR 698/86, BGHSt 34, 299; BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 472/04, NStZ-RR 2005, 72). Zutreffend hat das Landgericht dabei die erforderliche spezifische Warnfunktion vor allem in der Tatsache gesehen, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis für die Dauer von fast sieben Monaten vorläufig entzogen worden war und dass ihm der Führerschein erst am 30. Januar 2017, mithin nur rund zwei Monate vor der abgeurteilten Tat wieder ausgehändigt worden war. Die Missachtung eines solchen Warneffekts hat aber nicht nur für die Strafzumessung, sondern insbesondere für die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2008 – 5 StR 312/08, Rn. 11, juris). Denn § 56 Abs. 1 StGB erfordert die Prognose, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen wird.

c) Soweit das Landgericht schließlich unter Berufung auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Potsdam (Beschluss vom 23. Dezember 2008 – 1 Ss 85/08, juris) die Auffassung vertritt, dass bei Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB eine Versagung der Strafaussetzung nach § 56 Abs. 3 StGB „in der Regel“ ausscheidet, kann ihm nicht gefolgt werden. Eine solche „Regel“ gibt es nicht (BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16, NJW 2017, 3011). Dem widerstreitet schon die Systematik des § 56 StGB, der in Absatz 3 gerade für den Fall einen Versagungsgrund vorsieht, in dem – neben der günstigen Legalprognose – besondere Umstände für eine Strafaussetzung zur Bewährung sprechen. Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche Gesichtspunkte; die Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung gebietet, ist deshalb unter allseitiger Würdigung von Tat und Täter zu entscheiden, wobei generalpräventiven Erwägungen Bedeutung zukommt (BGH aaO).“

Verkehrsrecht I: Tödlicher Verkehrsunfall, oder: Welche Auswirkungen hat das Mitverschulden des Geschädigten?

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Die 51. KW. eröffne ich dann mit zwei verkehrsrechtlichen Entscheidungen.

Als erstes stelle ich den OLG Hamm, Beschl. v.  18.07.2019 – 4 RVs 65/19 – vor. Er nimmt Stellung zur Frage, welche Auswirkungen beim Vorwurf einer fahrlässigen Tötung ein Mitverschulden des Geschädigten auf die Voraussehbarkeit eines (Verkehrs)Unfalls hat.

Auszugehen ist von etwa folgendem Sachverhalt:

In der Tatnacht führte der Angeklagte einen PKW. Er übersah den auf der Fahrbahn liegenden Geschädigten und überrollte diesen mit dem Fahrzeug. Der Geschädigte verstarb noch an der Unfallstelle an den Folgen seiner durch das Überrollen erlittenen Verletzungen. Der Geschädigte war zum Unfallzeitpunkt volltrunken (Blutalkoholkonzentration zum Todeszeitpunkt von 3,36 Promille). Vermutlich war er beim Überqueren der Straße aufgrund seiner Alkoholisierung gestürzt und auf der Fahrbahn liegen geblieben. Er war zum Unfallzeitpunkt vergleichsweise dunkel gekleidet. Zum Unfallzeitpunkt herrschte Dunkelheit, es regnete nicht, die Straße war trocken. Der auf der Straße liegende Geschädigte war für den Angeklagten aus einer Entfernung von 27 Metern ausreichend erkennbar. Hätte der Angeklagte in diesem Moment die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet und insbesondere den vor seinem PKW befindlichen Straßenbereich aufmerksam beobachtet, so hätte er bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h den Geschädigten so rechtzeitig erkennen können, dass er sein Fahrzeug unter Zubilligung einer Vorbremszeit von 1 Sekunde und einer Vollbremsverzögerung von 7,5 m/s2 noch rechtzeitig vor dem Geschädigten abbremsen können.

Das AG hat den Angeklagten der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und Sanktionen nach dem JGG ausgesprochen. Seine Revision war erfolglos.

Die Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges wird im vorliegenden Fall auch nicht durch ein Mitverschulden des Geschädigten ausgeschlossen. In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass ein Mitverschulden des Geschädigten die Voraussehbarkeit eines Unfalls für den Täter ausschließen kann, sofern es in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegendem Verhalten des Geschädigten liegt (vgl. BGHSt 4, 182, 187; 12, 75, 78; OLG Hamm, NStZ-RR 2016, 27). Ein solcher Fall liegt – entgegen der von der Verteidigung vertretenen Rechtsansicht – nicht vor. Dass sich eine volltrunkene Person – hier: zum Todeszeitpunkt 3,36 ‰ – nach einer Feier zu Fuß auf den Weg macht, sodann beim Überqueren einer Straße stürzt und auf der Fahrbahn liegen bleibt, ist nicht außerhalb allgemeiner Lebenserfahrung. Zwar liegt es nahe, just dieses Verhalten des später tödlich Verletzten als gänzlich vernunftwidrig zu bezeichnen. Jedoch ist auch bei dieser Bewertung – genauso wie für die Annahme einer zurechenbaren Sorgfaltspflichtenverletzung – auf den Zeitpunkt bei Eintritt der kritischen Verkehrssituation (vgl. hierzu BGHSt 33, 61, 66; BGH, VRS 54, 436, 437; OLG Hamm, a.a.O.) abzustellen, d.h. es muss ein enger zeitlich-räumlicher Kontext mit dem Unfall bestehen. Danach kann für die Annahme eines gänzlich vernunftwidrigen Verhaltens weder auf den zurückliegenden übermäßigen Alkoholkonsum noch etwa darauf abgestellt werden, dass sich der Geschädigte gegen den Rat seiner Freunde entschlossen hat, zu Fuß nach Hause bzw. sogar noch zu einer anderen Party zu gehen. Der ungewollte Sturz des Geschädigten vermag den Zurechnungszusammenhang ohnehin nicht zu unterbrechen. Soweit der Geschädigte nach dem Sturz auf der Fahrbahn liegen geblieben ist, war er bei Eintritt der kritischen Verkehrssituation, als sich der Angeklagte mit seinem Fahrzeug dem Unfallort näherte, zu einem vernunftgesteuerten Verhalten offensichtlich nicht mehr in der Lage. Zu diesem Zeitpunkt lag er bereits als hilflose Person iSd § 323c Abs. 1 StGB auf der Fahrbahn. Eine Einschränkung des Sichtfahrgebotes im Hinblick darauf, aus welchem Grund eine Person in eine solche hilflose Lage geraten ist, kann nicht angenommen werden.“