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Straßenbahnsturz: Nicht zu früh aufstehen…sonst Mitverschulden

670px-Kirchner_-_Strassenbahn_in_DresdenIn einer Dresdner Straßenbahn stürzt ein Fahrgast bei Bremsen der Bahn und verletzt sich. Er macht Schadensersatzansprüche gelten, hat damit aber beim LG und OLG Dresden keinen Erfolg. Das OLG Dresden hat ihm im OLG Dresden, Hinweisbeschl. v. 26.03.2014 – 7 U 1506/13 – geraten, seine Berufung gegen die Klageabweisung zurückzunehmen, und zwar u.a. aus folgenden Gründen:

a) Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, muss ein Fahrgast einer Straßenbahn damit rechnen, dass – außerhalb von Fahrfehlern – bei der Fahrt ruckartige Bewegungen des Verkehrsmittels auftreten können, die seine Standsicherheit beeinträchtigen. Er ist deshalb selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen einer Straßenbahn oder eines Linienbusses nicht zu Fall kommt und muss sich Halt auch gegen plötzliche Bewegungen der Straßenbahn verschaffen (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 05.04.1995 – 12 U 63/95, juris; OLG Dresden, Urt. v. 21.02.2006 – 13 U 2195/05, juris; vgl. auch LG Dresden, Urt. v. 12.05.2010 – 4 O 3263/09, NZV 2011, 202). Der Fahrgast muss in diesem Zusammenhang durchaus auch jederzeit mit einem scharfen Bremsen des Verkehrsmittels rechnen (vgl. nur KG, Urt. v. 01.03.2010 – 12 U 95/09, MDR 2010, 1111). Dies gilt, wie der Senat aus eigener Erfahrung weiß, vor allem an Haltestellenbereichen von Großstädten, an denen es oftmals Verstöße gegen § 25 StVO gibt, auf die der Straßenbahnfahrer dann sofort, u.U. auch mit einer Notbremsung reagieren muss. Regelmäßig kann dem der Fahrgast, der mit einem solchen Manöver rechnen muss, dadurch begegnen, dass er sich sicheren Halt verschafft, soweit er nicht ohnehin einen Sitzplatz eingenommen hat. Deshalb neigt der Senat der Auffassung zu, dass in derlei Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass der Beweis des ersten Anscheins für die Annahme spricht, dass der Sturz eines Fahrgastes auf mangelnde Vorsicht zurückzuführen ist (vgl. nur KG, Urt. v. 07.05.2012 – 22 U 251/11, juris; einschränkend: BGH, Urt. v. 11.05.1976 – VI ZR 170/74, VersR 1976, 932). Letztlich kommt es auf diese Frage, auf die auch das Landgericht sein Urteil nicht baut, nicht an, weil bereits nach dem unstreitigen Sachverhalt bzw. nach den vom Senat gem. § 529 ZPO zugrunde zu legenden Feststellungen ein Eigenverschulden der Klägerin hinreichend feststeht. Es ist nicht nachzuvollziehen, weshalb die Klägerin sich im konkreten Fall etwa veranlasst sehen musste, bereits 5 Sekunden vor Erreichen der Haltestelle ihren sicheren Sitzplatz aufzugeben ohne sich ausreichend abzusichern. Bereits nach den Feststellungen des Landgerichts, die die Berufung als solche auch nicht angreift, hat die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt sich nicht angemessen festgehalten, um so auch auf ein plötzliches Abbremsen reagieren zu können. Vielmehr war sie kurz vor dem Unfall dem Sitz zugewandt und abgelenkt. Dass sie sich zumindest mit einer Hand festgehalten hätte, vermag auch die Berufung demgegenüber nicht zu behaupten. Dabei verkennt der Senat nicht, dass es Fahrgästen unbenommen bleibt, von ihren Sitzen aufzustehen und sich in Richtung Ausgang zu begeben. Nur muss der Fahrgast auch in diesem Fall ausreichend Eigenvorsorge betreiben und sich angemessen festhalten, zumal wenn kurz vor Erreichen eines Haltestellenbereichs mit einem u.U. auch drastischen Abbremsen ohne weiteres zu rechnen ist. Dass die Klägerin aufgrund besonderer Umstände etwa nicht in der Lage gewesen wäre sich ausreichend festzuhalten, behauptet sie nicht.

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Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die zulasten der Beklagten zu 1) in die Abwägung einzustellende Betriebsgefahr der Straßenbahn hinter das Eigenverschulden der Klägerin (oder genauer: die Verletzung der eigenen Obliegenheiten) hat zurücktreten lassen. Auch dies entspricht gefestigter Rechtsprechung (vgl. nur OLG Dresden, Urt. v. 21.02.2006 – 13 U 2195/05, juris; ebenso LG Dresden, Urt. v. 12.05.2010, aaO.), wobei die Rechtsprechung durchaus auch in Fällen nur leichter Fahrlässigkeit die Betriebsgefahr zurücktreten lässt (OLG Dresden, Urt. v. 21.02.2006 – 13 U 2195/05, juris). Die Rechtsprechung nimmt regelmäßig nur dann eine Quotierung vor, wenn es sich um einen atypischen Fall handelt (vgl. etwa OLG Dresden, Urt. v. 05.04.1995 – 12 U 63/95, juris: Sturz des Fahrgastes unmittelbar nach Schließen der Wagentür beim Anfahren aufgrund eines ungewöhnlichen, starken Rucks ohne vernünftigen Grund!). Im vorliegenden Fall ist nach Lage der Dinge (vgl. oben) allerdings durchaus von einem groben Eigenverschulden der Klägerin auszugehen, so dass sich ein solches Zurücktreten ohne weiteres ergibt. Dies stimmt nicht zuletzt mit der vom Senat in ständiger Rechtsprechungspraxis vertretenen Auffassung überein, wonach auch in anderen Fällen der Gefährdungshaftung (§§ 17, 7 StVG) die Betriebsgefahr gegenüber grobem Eigenverschulden zurücktreten muss.

Vorbeifahrt am Linienbus – gefährdet muss ein „Fahrgast“ sein

In § 20 Abs. 4 StVO heißt es:

„An Omnibussen des Linienverkehrs und an gekennzeichneten Schulbussen, die an Haltestellen (Zeichen 224) halten und Warnblinklicht eingeschaltet haben, darf nur mit Schrittgeschwindigkeit und nur in einem solchen Abstand vorbeigefahren werden, daß eine Gefährdung von Fahrgästen ausgeschlossen ist. Die Schrittgeschwindigkeit gilt auch für den Gegenverkehr auf derselben Fahrbahn. Die Fahrgäste dürfen auch nicht behindert werden. Wenn nötig, muß der Fahrzeugführer warten.

Wer sich daran nicht hält, muss mit einer Geldbuße rechnen, vgl. Nr. 95 ff. BKat. Und wenn es dabei zu einer Gefährdung eines Fahrgastes kommt, sind nach Nr. 95.2 BKatV 50 € fällig. Was ist nun, wenn nicht mit Schrittgeschwindigkeit gefahren wird, es zu einer Gefährdung kommt,e s sich bei dem Gefährdeten aber nicht um einen „Fahrgast“ gehandelt hat? Nun dann liegt es m.E. auf der Hand, dass dann eine Geldbuße nach Nr. 95.2 BKatV nicht festgesetzt werden kann. Das hatte aber ein AG in Bayern anders gesehen und den Betroffenen dennoch nach § 20 Abs. 4 StVO i.V.m. Nr. 95.2 BKatV verurteilt.

Es musste sich nun vom OLG Bamberg im OLG Bamberg, Beschl. v. 29.01.2013 – 3 Ss OWi 24/13 – eines Besseren belehren lassen.

„Die dem Betroffenen zur Last liegende fahrlässige Ordnungswidrigkeit (Tatzeit: 27.06.2011) liegt jedenfalls in der qualifizierten und für die konkrete Bußgeldbemessung ausschlaggebenden „Gefährdungsvariante“ des § 20 Abs. 4 StVO (i.V.m. Nr. 95.2 BKat) nicht vor, da es sich bei dem Verletzen gerade nicht um einen „Fahrgast“ des Linienomnibusses gehandelt hat. Gerade diese Fahrgasteigenschaft ist überdies zumindest vorrangiger Schutzzweck der Norm, wenn auch die in § 20 StVO genannten erhöhten Sorgfaltspflichten beim Vorbeifahren letztlich dem Schutz aller Fußgänger und nicht nur derjenigen dienen mögen, die im räumlichen Bereich des Verkehrsmittels (unachtsam) die Fahrbahn überqueren (vgl. hierzu z.B. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Aufl. § 20 StVO Rn. 6 m.w.N.).“

Und da aus dem Unfallereignis keine schwerwiegenden Verletzungsfolgen resultierten und der Betroffene als straßenverkehrsrechtlich unbelastet anzusehen war, hat das OLG nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, weil ihm „eine bußgeldrechtliche Ahndung ausnahmsweise nicht geboten“ erschien. Zu denken wäre etwa an § 1 StVO gewesen.