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Klima I: Können Grundrechte das Hausrecht brechen? oder: Rechtfertigung aus Klimaschutzgründen?

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In die 17. Woche starte ich mit Entscheidungen zu „Klimaaktivisten“. Und ich habe dann auch eine neue Zuordnungsrubrik in meiner Entschiedungssammlung eröffnet. Nach „Corona“ und „beA“ nun auch „Klimaaktivisten“. Das hat den Vorteil, dass die Entscheidungen sich nicht über die ganze Sammlung verteilen.

Ich stelle als erstes hier zwei schon etwas ältere Entscheidungen vor. Zunächst also das AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 14.03.2022 – 21 Cs-721 Js 44/22-69/22– und die dazu ergangene Revisionsentscheidung, das OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.2022 – 4 RVs 48/22.

Nach den Feststellungen des AG hatten sich der Angeklagte und weitere Personen als „Aktion Lebenslaute“ zusammengeschlossen, um gemeinsam u.a. für Klimaschutz und gegen den vor diesem Hintergrund abgelehnten Braunkohletagebau zu demonstrieren. In Ausübung dessen betraten der Angeklagte und seine gesondert verfolgten 52 Mittäter(innen) am frühen Morgen eines Tages im Jahr 2021 das Tagebaugelände H der S Q AG, indem sie über die „Rampe X“ den Erdwall, der das Tagebaugelände umgab, überwandten. Auf dem Tagebaugelände musizierten der Angeklagte und seine Mittäter(innen) gemeinsam vor einem mitgeführten „Anti-Kohle“-Banner. Kurz darauf trafen Polizeibeamte ein. Deren Aufforderung, sich auszuweisen und das Tagebaugelände zu verlassen, entsprachen der Angeklagte und seine Mittäter(innen) widerstandslos.

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten einen Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) vorgeworfen.

Das AG hat von dem Vorwurf frei gesprochen: Das Betreten des Tagebaugeländes erfülle zwar im Übrigen den Tatbestand des § 123 Abs. 1 StGB. Das Eindringen sei aber nicht „widerrechtlich“ und „ohne Befugnis“ im Sinne der Norm gewesen. An der Rechtswidrigkeit fehle es hier, weil der Angeklagte durch die Wahrnehmung seiner Grundrechte aus Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 S. 1GG und Art. 4 Abs. 3 GG gerechtfertigt gehandelt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Das OLG Düsseldorf hat dann mit dem OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.2022 – 4 RVs 48/22 – aufgehoben und das wie folgt begründet:

„Das Handeln der Angeklagten war rechtswidrig und schuldhaft. Die Angeklagten können insbesondere aus ihren Grundrechten aus Art. 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 und 4 Abs. 3 GG weder einen Rechtfertigungs- noch einen Entschuldigungsgrund für ihr Handeln herleiten.

In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob überhaupt aus Grundrechten unmittelbar eine Rechtfertigung abgeleitet oder aus der Versammlungsfreiheit im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 3 GG oder der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ein Entschuldigungsgrund hergeleitet werden kann (vgl. dazu Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Auflage 2019, Vorbem. zu §§ 32 ff., Rn. 118 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Februar 2015, Az.: III-5 vRVs 7/15, 5 RVs 7/15, zitiert nach juris). Gegen die Möglichkeit einer Rechtfertigung spricht zum Beispiel der Umstand, dass im Einzelfall unklar bliebe, ob oder ab wann der Inhaber des Hausrechts oder staatliche Organe berechtigt wären, den Hausfrieden wieder herzustellen.

Denn ein strafbarkeitsausschließender Vorrang durch die Betätigung der Grundrechte kann jedenfalls nur dann gegeben sein, wenn für die Angeklagten keine andere effektive Möglichkeit bestanden hätte, ihre Grundrechte straffrei auszuüben. Vorliegend wäre eine effektive Grundrechtsausübung auch bei einem rechtmäßigen Handeln möglich gewesen. Die Angeklagten hätten auch vor dem Gelände von RWE demonstrieren können. Diesbezüglich kann seitens der Angeklagten auch nicht eingewandt werden, dass die Demonstration vor dem Gelände von RWE nicht so effektiv gewesen wäre, wie die Demonstration auf dem Tagebaugelände, da das Grundgesetz keinen Anspruch auf die selbstdefinierte effektivste Grundrechtsausübung gewährleistet.“idung auf§ 354 Abs. 2 S. 1 StPO.

StPO III: Berufungsverwerfung wegen Ausbleibens, oder: Begründung des Wiedereinsetzungsantrags

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas aus dem Rechtsmittelverfahren, und zwar zur Berufungsverwerfung wegen Ausbleiben des Angeklagten. Der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.03.2023 – 1 Ws 51/23 – nimmt Stellung zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages und zur genügenden Entschuldigung. Nichts Neues, aber man muss darauf achten.

Hier die Leitsätze:

    1. Ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs.7 StPO kann nicht auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht in seinem Verwerfungsurteil bereits als zur Entschuldigung nicht geeignet gewürdigt hat.
    2. Ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs. 7 StPO kann nicht auf neue Beweismittel für Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht in seinem Verwerfungsurteil bereits als zur Entschuldigung nicht geeignet gewürdigt hat.
    3. Die Vorlage eines Attestes entschuldigt die Säumnis des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung nur dann in ausreichender Weise, wenn sich aus dem Attest körperliche oder geistige Beeinträchtigungen ergeben, die eine Teilnahme an der Verhandlung unzumutbar machen.

Verwerfung III: „Musst nicht zum Termin kommen“ kann als Entschuldigung reichen…

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In Verwerfung III geht es dann nicht um die Berufungsverwerfung nach § 329 StPO (vgl. dazu den OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2015 – 1 Ss 322/15 und dazu: Verwerfung I: Nachforschen muss das LG, oder: So einfach ist das nicht…. sowie den OLG Köln, Beschl. v. 24.06.2016 – 1 RVs 114/16) sondern um die Verwerfung des Einspruchs im Bußgeldverfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG. Aber die Problematik unterscheidet sich nicht von der des § 329 Abs. 1 StPO, so dass der OLG Frankfurt, Beschl. v. 06.05.2016 – 2 Ss-OWi 222/16 – gut in diese Serie passt. Das OLG beanstandet, dass das AG keinerlei Ausführungen zu den Entschuldigungsgründen gemacht hat:

Da das Rechtsbeschwerdegericht bei einem Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG allein anhand der mitgeteilten Umstände prüft, ob das Amtsgericht den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt hat, müssen darin die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Ausbleiben entschuldigen sollten, ebenso ausführlich und vollständig enthalten sein wie die Erwägungen des Tatrichters, sie nicht als Entschuldigung anzusehen. Diesen Anforderungen genügt das Verwerfungsurteil nicht. Ein damit gegebener Begründungsmangel ist allenfalls dann unschädlich, wenn die von dem Betroffenen vor Erlass des Urteils vorgebrachten Entschuldigungsgründe von vornherein und offensichtlich ungeeignet wären, sein Fernbleiben zu entschuldigen.

Vorliegend sind den Urteilsgründen keinerlei Feststellungen zu den vorgebrachten Entschuldigungsgründen sowie zu den Erwägungen zu entnehmen, aus welchen Gründen das Amtsgericht das Entschuldigungsvorbringen nicht als ausreichend angesehen hat.

Die Ablehnung des Terminverlegungsantrags vom 14.09.2015, der dem Amtsgericht im Termin vorlag, in den Urteilsgründen geht nicht auf die im Schriftsatz enthaltene Mitteilung ein, der Mandant sei darüber informiert worden, dass er nicht zum Termin anreisen müsse. Dieser Begründungsmangel ist nicht deshalb unschädlich, weil das Entschuldigungsvorbringen ohnehin für eine genügende Entschuldigung nicht ausreichend wäre. Die Mitteilung eines Verteidigers, dass eine Pflicht zum Erscheinen vor Gericht zu einem bestimmten Termin nicht bestehe., ist zwar nicht uneingeschränkt geeignet, ein Verschulden des Betroffenen auszuschließen. Sind Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit einer derartigen Mitteilung erkennbar, muss der Betroffene diesen gegebenenfalls durch Nachfrage bei Gericht nachgehen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30.07.2014, VRS 127,164-165(2014)). Da sich das angefochtene Urteil indes zu dem Entschuldigungsvorbringen nicht verhält, kann der Senat nicht überprüfen, ob das Amtsgericht im vorliegenden Fall den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt hat.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Kassel zurückzuverweisen.

Was häufig übersehen wird: Begründung des Rechtmittels beim Verwerfungsurteil

Gegen das die Berufung nach § 329 Abs. 2 StPO verwerfende Prozessurteil kann die Revision nur mit der Verletzung der §§ 329, 412 StPO geltend gemacht werden. Und Die Überprüfung durch das Revisionsgericht setzt hierbei i.d.R. die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge voraus (s. OLG Hamm, Beschl. v. 15.0 7.2010 – III-2 RVs 34/10).

Das gilt übrigens entsprechend für die Rechtsbeschwerde gegen das nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangene Verwerfungsurteil. An die Zulässigkeit der Rüge, das Berufungs- bzw. das Amtsgericht habe die Rechtsbegriffe des Ausbleibens oder der genügenden Entschuldigung verkannt, werden allerdings keine strengen Anforderungen gestellt (vgl. z.B. OLG Köln StV 1989, 53). Der Rüge muss aber jedenfalls zu entnehmen sein, dass der Angeklagte die Verletzung des § 329 StPO bzw. § 7 74 Abs. 2 OWiG rügen will, dass nämlich die Rechtsbegriffe des Ausbleibens oder der genügenden Entschuldigung verkannt worden sind. Im Übrigen kann die Rüge auch in einem gleichzeitig mit der Revision oder Rechtsbeschwerde erhobenen Wiedereinsetzungsantrag (vgl. § 329 Abs. 3 StPO bzw. § 74 Abs. 3 OWiG) enthalten sein. Dann muss sich aus dessen Begründung aber ergeben, dass das das Ausbleiben des Angeklagten/Betroffene  nicht  als unentschuldigt hätte angesehen dürfen.