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Urteil I: Erneut: „es fehlt die Unterschrift der Richter“, oder: Der BGH erklärt es noch einmal…

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Und dann auf in die 12 KW./2024, und zwar mit zwei Entscheidungen, die sich mit Entscheidungen – Beschlüssen und Urteilen – befassen.

Die erste Entscheidung kommt vom BGH; es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 20.02.2024 – 3 StR 428/23. Der behandelt die Anhörungsrüge des Verurteilten gegen einen Beschluss des Senats und den Rechtsbehelf gegen die darin getroffene Kostenentscheidung werden verworfen. Da die Ausführungen des BGH – zumindest teilweise – auch auf Urteile passen, läuft der Beitrag unter dem Stichwort: „Urteil“.

Der 3. Strafsenat hatte die Revision des Verurteilten gegen ein Urteil des LG Koblenz mit Beschluss vom 09.01.2024 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen und ihm die Kosten des Rechtsmittels auferlegt. Mit Schreiben vom 23.01.2024 hat der Verurteilte beantragt, „alle Beschlüsse, die meine grundsätzliche geschützte Freiheit einschränken(,) aufzuheben“. Der Senat habe ihm weder in angemessenem Umfang rechtliches Gehör gewährt noch den Beschluss korrekt unterschrieben. Mit weiterem Schreiben vom 31.01.2024 hat der Verurteilte sein Begehr dahin präzisiert, seine „Beschwerde vom 23.01.2024“ umfasse auch die Entscheidung über die Kosten für das Revisionsverfahren.

Der BGH hat das als Anhörungsrüge gewertet und das Vorbringen zurückgewiesen:

„2. Das erste Schreiben des Verurteilten ist als Anhörungsrüge (§§ 300, 356a StPO) auszulegen. Diese ist zulässig, jedoch unbegründet, weil der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt ist. Der Senat hat zu berücksichtigendes entscheidungserhebliches Vorbringen des Verurteilten im Revisionsverfahren nicht übergangen. Ebenso wenig hat er Verfahrensstoff verwertet, zu dem der Verurteilte nicht gehört worden ist, oder in sonstiger Weise dessen Anspruch auf rechtliches Gehör missachtet. Sollte der Verurteilte eine Auseinandersetzung mit bestimmtem Revisionsvorbringen vermissen, kann daraus nicht auf einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs geschlossen werden, weil § 349 Abs. 2 StPO eine Begründung des die Revision verwerfenden Beschlusses nicht vorsieht. Auch verfassungsrechtlich ist eine solche bei letztinstanzlichen Entscheidungen grundsätzlich nicht erforderlich (s. BVerfG, Beschluss vom 30. September 2022 – 2 BvR 2222/21, NJW 2022, 3413 Rn. 27 mwN; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 3 StR 170/21, juris Rn. 3).

Soweit der Verurteilte bemängelt, dass der ihm übersandte Beschluss lediglich von einer Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnet ist, gilt:

Die von den Richtern unterschriebenen Originale von Urteilen und Beschlüssen verbleiben bei den Akten. An die Verfahrensbeteiligten werden sogenannte Ausfertigungen herausgegeben. Das sind Abschriften oder Ablichtungen des Originals mit dem Ausfertigungsvermerk der Geschäftsstelle, der von einem Urkundsbeamten unterschrieben und mit einem Dienstsiegel versehen wird (§ 169 Abs. 2 ZPO). Nach diesen Vorgaben ist auch im vorliegenden Fall verfahren worden.

3. Die vom Verurteilten jedenfalls mit dem zweiten Schreiben zum Ausdruck gebrachte Beanstandung der Kostenentscheidung im Revisionsverfahren bleibt ebenfalls erfolglos.

a) Als (sofortige) „Beschwerde“ gegen den Kostenausspruch (vgl. § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StPO) verstanden, wäre sie unzulässig. Denn Entscheidungen eines Senats des Bundesgerichtshofs sind nach § 304 Abs. 4 Satz 1 StPO generell nicht beschwerdefähig.

b) Sofern die Schreiben des Verurteilten gemäß § 300 StPO als Gegenvorstellung auszulegen sein sollten, wäre eine solche jedenfalls unbegründet, weil die Kostenentscheidung im Beschluss des Senats vom 9. Januar 2024 der Sach- und Rechtslage entspricht. Deshalb kann dahinstehen, unter welchen Umständen eine Gegenvorstellung zulässig ist, mit der ein Revisionsführer beanstandet, das Revisionsgericht habe ihm zu Unrecht Kosten oder Auslagen auferlegt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2022 – 3 StR 452/20, juris Rn. 6 mwN).“

Ich bitte an alle „Unterzeichnungskritiker“, also alle diejenigen, die immer wieder beanstanden, dass die ihnen zugestellte/übersandte Ausfertigung einer Entscheidung – hier war ein Beschluss, häufig sind es Urteile – nicht unterschrieben ist, die oben – entgegen der sonstigen Übung auch fett formatierte – Passage zu lesen und endlich mit den immer wieder kehrenden Angriffen: „Das Urteil ist nicht unterschrieben, also ist es nicht in der Welt“, aufzuhören. Die Ausfertigungen, die die Partei erhält, ist/wird nicht unterschrieben. Unterschrieben wird das Original, das in der Akte bleibt. Und um einem Einwand vorzubeugen: Ja, das Rechtsmittelgericht, prüft das Urteil/den Beschluss, ob er im Original unterschrieben ist, und zwar von Amts wegen. Davon kann man ausgehen.

Zur Info: Für Kommentare zu diesem Beitrag gilt: Ich habe die Kommentarfunktion offen gelassen. Sollten es allerdings zu viele und zu heftige Kommentare werden, wird sie geschlossen. Und ja, auch wenn das dem ein oder anderen nicht gefällt: was „zu viel“ und „zu heftig“ ist, bestimme ich, da es mein Blog ist. Das kann man nicht gut finden, ist aber so.

BtM III: Beweiswürdigung beim Handeltreiben, oder: Sachverständigengutachten und Entlastendes

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Und die dritte und letzte Entscheidung kommt dann vom OLG Koblenz. das hat im OLG Koblenz, Beschl. v. 11.11.2021 – 2 OLG 32 Ss 184/21 – zur Beweiswürdigung in einem landgerichtlichen Urteil, das den Angeklagten wegen Handeltreibens in zwei Fällen verurteilt hat, Stellung genommen. Das OLG beanstandet die Beweiswürdigung und hat das LG-Urteil aufgehoben:

„Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.

Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht seine Annahme begründet, der Angeklagte habe in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben, ist in beiden Fällen fehlerhaft, so dass das Urteil insgesamt der Aufhebung unterliegt.

Zwar ist die Beweiswürdigung allein Sache des Tatrichters, so dass die revisionsgerichtliche Prüfung sich auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt (§ 337 StPO). Ein sachlich-rechtlicher Fehler kann indes dann vorliegen, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., BGH 2 StR 278/14 v. 18.02.2015, NStZ 2015, 419; 2 StR 552/19 v. 27.05.2020, BeckRS 2020, 23344 Rn. 13; 2 StR 466/18 v. 16.10.2019, BeckRS 2019, 30970 Rn. 6).

Die Beweiswürdigung der Kammer ist lücken- und damit rechtsfehlerhaft.

Die Kammer stützt die Annahme des Handeltreibens im ersten Fall maßgeblich auf die Menge der in Fall 1 bestellten und der zuvor in engem zeitlichem Zusammenhang bestellten und dem Angeklagten auch gelieferten Betäubungsmittel. Zwar lässt sich dem Urteil in seiner Gesamtschau noch der Zeitpunkt der Bestellungen (7. Juli bis 22. August 2017, Seite 5 des Urteils unten) und die Menge (5-mal 25 mg, insgesamt also 125 mg) entnehmen sowie die Konsumeinheit für Butyrfentanyl (0,5 mg, Seite 6 des Urteils oben) und möglicherweise aus dem Gesamtzusammenhang sogar, dass es zu den Auslieferungen in den fünf eingestellten Fällen gekommen ist.

Es wird aber nicht ausreichend dargelegt, wie die Kammer zu der Feststellung gelangt, dass eine Konsumeinheit lediglich 0,5 mg betrage. In den Urteilsgründen findet sich dazu unter IV. 2. b. aa. am Ende des ersten Absatzes lediglich die Bemerkung „Die diesbezüglichen Feststellungen ergeben sich insbesondere aus dem Behördengutachten des Bundeskriminalamtes und den Angaben des Zeugen pp.“.

Nach ständiger obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Tatrichter, der ein Gutachten verwertet, dem er – wie hier – Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich den gutachterlichen Ausführungen anschließt, diese in der Regel in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (OLG Hamm, 4 RBs 216/17 v. 22.06.2017, juris m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil nicht gerecht, so dass sich die Beweiswürdigung als lückenhaft erweist. Die bloße Angabe, dass die Feststellungen sich „insbesondere“ aus dem Behördengutachten und den Angaben des Zeugen pp. ergeben ist unzureichend. Es ist für den Senat nicht nachvollziehbar, wie der Gutachter des Bundeskriminalamtes zu der Annahme einer Konsumeinheit Butyrfentanyl von 0,5 mg gekommen ist und was der Zeuge pp. zu der Frage der Konsumeinheit, auf die es hier ganz maßgeblich ankommt, beigetragen haben kann. Auch wird nicht erkennbar, warum die Kammer dem Behördengutachten und den Bekundungen des Zeugen folgt.

Auch hinsichtlich des zweiten Falles ist die Beweiswürdigung lückenhaft.

Die Beweise sind erschöpfend zu würdigen (BGH, 4 StR 441/78 v. 07.07.1979, BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss insbesondere erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, 4 StR 420/14 v. 12.2.2015, NStZ-RR 2015, 148; 2 StR 78/16 v. 01.02.2017, BeckRS 2017, 107749, Rn. 20; 4 StR 587/17 v. 30.01.2018, NStZ-RR 2018, 120; 1 StR 305/17 v. 11.10.2017, BeckRS 2017, 136085 Rn. 4). Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (BGH, 2 StR 110/17 v. 05.07.2017, juris Rn. 6 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (BGH a.a.O., m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht. Die Strafkammer sieht als wesentliches Indiz für die Annahme eines unerlaubten Handeltreibens des Angeklagten die Diversität der beim Angeklagten sichergestellten Betäubungsmittel, die für einen Konsumenten gänzlich ungewöhnlich sein soll und das Auffinden „diverser Utensilien“ und von Verpackungsmaterial (diverse Griptütchen mit Betäubungsmittelanhaftungen, diverse leere Glasfläschchen und diverse Handelsutensilien). Auf welcher Grundlage die Kammer zu der Erkenntnis gelangt, dass die Diversität der Stoffe für einen Konsumenten gänzlich ungewöhnlich sein soll, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Vor allem aber hat die Kammer zu Lasten des Angeklagten lediglich die Indizien in ihre Erwägungen eingestellt, die ihrer Auffassung nach für ein Handeltreiben sprechen.

Die gegen ein Handeltreiben sprechenden Umstände hat die Kammer gänzlich außer Betracht gelassen. So setzt sie sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass lediglich Kleinstmengen der verschiedenen Betäubungsmittel aufgefunden wurden. Es wurde bei keinem der diversen Betäubungsmittel eine größere Menge sichergestellt. Auch bleibt unberücksichtigt, dass die Griptütchen nach den Feststellungen Betäubungsmittelanhaftungen aufgewiesen haben, was dafür sprechend könnte, dass sie gebraucht waren, was wiederum für Konsum und gegen ein Handeltreiben sprechend könnte. Diese Gesichtspunkte, die gegen ein Handeltreiben sprechen, hätten im Rahmen der Beweiswürdigung erörtert und in eine vorzunehmende Gesamtabwägung eingestellt werden müssen…“

Beweisantrag mit Negativtatsache, oder: Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit

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Heute ist dann Ostermontag, ich denke aber, dass wir es heute hier ganz normal laufen lassen. Vor allem, nachdem mein „Blogbetreuer“ 🙂 auch schon fleißig war und die neuesten Updates aufgespielt hat usw. Das kann ich nicht bzw.: Da mache ich mehr kaputt als heile 🙂 . Daher besten Dank Mirko Laudon für das Osterei, das ich noch nicht einmal suchen musste. Ja, der kann auch so etwas und nicht nur Strafrecht (vgl. zum Strafrecht hier bei „seiner“ Strafakte).

Hier dann heute zunächst zwei BGH-Entscheidungen. Zunächst ein Klassiker aus dem Beweisantragrecht, nämlich der

Heute ist dann Ostermontag, ich denke aber, dass wir es heute hier ganz normal laufen lassen. Vor allem, nachdem mein „Blogbetreuer“ 🙂 auch schon fleißig war und die neuesten Updates aufgespielt hat usw. Das kann ich nicht bzw.: Da mche ich mehr kaputt als heile :_). Daher besten Dank Mirko Laudon. Ja, der kann auch so etwas und nicht nur Strafrecht (vgl. hier bei „seiner“ Strafakte).

Hier dann heute bei mir zunächst zwei BGH-Entscheidungen. Zunächst ein Klassiker aus dem Beweisantragrecht, nämlich der BGH, Beschl. v. 19.12.2018 – 3 StR 516/18, der sich zu Frage der Ablehnung eines Beweisantrages als für die Entscheidung ohne Bedeutung. Das war der Strafkammer nicht rechtsfehlerfrei gelungen:

„b) Der Angeklagte S.    hat in der Hauptverhandlung beantragt, den Zeugen Ke.   zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, der Angeklagte H.   habe nach der Tat nicht jenem gegenüber gesagt, „wenn er (der Angeklagte H.   ) von der Polizei abgeholt werde, würden die anderen beiden ihn (den A.   T.  ) platt machen“. Solches hatte aber der Geschädigte A.   T.   gegenüber einem polizeilichen Vernehmungsbeamten nach dessen Vermerk vom 4. Oktober 2017 geäußert. Damit hat die Verteidigung des Angeklagten S.     – neben weiteren ähnlich gelagerten Beweisanträgen – ersichtlich die Glaubwürdigkeit des Zeugen A.   T.   angreifen wollen. Das Landgericht hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, die Beweistatsache sei aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung ohne Bedeutung. Selbst wenn diese Tatsache erwiesen sei, folge daraus nicht, dass der Zeuge A.   T.   die Unwahrheit gesagt habe. c) Diese Begründung trägt die Zurückweisung des Antrags nicht. aa) Zwar darf das Tatgericht Indiz- oder Hilfstatsachen als für die Entscheidung tatsächlich bedeutungslos erachten (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2 StPO), wenn es aus diesen eine mögliche Schlussfolgerung, die der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Hierzu ist die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie erwiesen, in das aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangte Beweisergebnis einzustellen und im Wege einer prognostischen Betrachtung zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung – gegebenenfalls in Anwendung des Zweifelsatzes – in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220). Diese antizipierende Würdigung ist in dem den Antrag ablehnenden Beschluss (244 Abs. 6 StPO) näher darzulegen. Denn dieser hat zum einen den Antragsteller sowie die weiteren Prozessbeteiligten so weit über die Auffassung des Tatgerichts zu unterrichten („formalisierter Dialog“), dass diese sich auf die neue Verfahrenslage einstellen und das Gericht von der Erheblichkeit der Beweistatsache überzeugen oder aber neue Anträge mit demselben Beweisziel stellen können; zum anderen muss der Ablehnungsbeschluss dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob der Beweisantrag rechtsfehlerfrei zurückgewiesen worden ist sowie ob seine Feststellungen und Schlussfolgerungen mit denjenigen des Urteils übereinstimmen. Deshalb ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserhebliche Schlussfolgerung ziehen will. Nach diesen Maßstäben erweist es sich in aller Regel als rechtsfehlerhaft, wenn die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit allein auf die Aussage gestützt wird, die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ließe keinen zwingenden, sondern lediglich einen möglichen Schluss zu, den das Gericht nicht ziehen wolle (BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 – 3 StR 322/15, NStZ-RR 2016, 117 f.; vom 9. Juli 2015 – 1 StR 141/15, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 29; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 225). bb) An diesen Grundsätzen gemessen hält der Ablehnungsbeschluss der Überprüfung nicht stand. (1) Der Antrag ist seinem Wortlaut nach zwar auf eine sogenannte Negativtatsache gerichtet. Dennoch stellt er eine bestimmte Tatsache unter Beweis, denn er ist bei verständiger Auslegung dahin zu verstehen (vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 117 mwN), der Angeklagte H.   habe nach der Tat nur zu anderen Personen Kontakt aufgenommen oder im Falle eines Zusammentreffens mit Ke.   habe er diesem anderes berichtet. (2) Das Tatgericht hat nicht begründet, warum es dem Zeugen A.   T.   zum Tatgeschehen weiterhin geglaubt hat, auch wenn dieser zum Randgeschehen gelogen haben sollte. Es hätte die für die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen sprechenden Gesichtspunkte und gegebenenfalls die weiteren Umstände, auf die es in den Urteilsgründen rechtsfehlerfrei seine Überzeugungsbildung gestützt hat (§ 261 StPO), bereits in seinem Ablehnungsbeschluss mitteilen müssen. Freilich kann und muss die Beschlussbegründung in der Regel weder die Ausführlichkeit noch die Tiefe der Beweiswürdigung der späteren Urteilsgründe aufweisen; die wesentlichen Hilfstatsachen wären indes jedenfalls in Grundzügen mitzuteilen gewesen. Nur dann hätte sich die Verteidigung auf die Umstände, die nach Ansicht des Landgerichts für die Glaubwürdigkeit des Zeugen A.   T.   sprachen, einstellen und diese gegebenenfalls mit weiteren Beweisanträgen angreifen können.

Wer nicht hören will, muss fühlen, oder: Kostenklatsche für die Staatsanwaltschaft

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Nachdem ich gerade gestern auf den AG Kehl, Beschl. v. 29.04.2016 – 2 Cs 303 Js 19062/15 hingewiesen habe (vgl. Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Durchsuchung, oder: Schöne AG-Entscheidung) nun die nächste Entscheidung vom AG Kehl. Die basiert auf einem weiteren Beschluss des AG Kehl, nämlich den AG Kehl, Beschl. v. 17.06.2015 – 3 Cs 208 Js 18057/14, über den ich auch berichtet habe (vgl. Für eine Zahlungserleichterung muss man nicht in die Hauptverhandlung). Es geht (nochmals) um das Strafbefehlsverfahren. Das AG Kehl geht – m.E. zutreffend – davon aus, dass dann, wenn der Einspruch gegen einen Strafbefehl nur auf die Gewährung einer Zahlungserleichterung, in der Regel Ratenzahlung, nach § 42 StGB gerichtet, gemäß § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entschieden werden kann, wenn die notwendigen Zustimmungen dafür vorliegen. Das Beschlussverfahren nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ist entgegen seinem Wortlaut nicht auf die Entscheidung über die Höhe der Tagessätze beschränkt. Das hat die Staatsanwaltschaft anders gesehen und ihre Zustimmung verweigert mit dem Ergebnis, dass dann eine Hauptverhandlung durchgeführt werden musste. Das Ergebnis war vorhersehbar. Es gab Zahlungserleichterungen und die „Kostenklatsche“ für die Staatskasse. Der wurden nämlich vom AG Kehl im AG Kehl, Urt. v. 11.12.2015 – 2 Cs 206 Js 12132/15 die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt, soweit sie durch die Hauptverhandlung und das Urteil entstanden sind. Begründung des AG:

„Im Rahmen der Kosten- und Auslagenentscheidung war der Angeklagte so zu stellen, als wenn über die Frage von Zahlungserleichterungen ohne Hauptverhandlung durch Beschluss gemäß § 411 Abs. 1 S. 3 StPO entschieden worden wäre. Denn dies wäre ohne Weiteres möglich gewesen (vgl. AG Kehl, Beschluss vom 17. Juni 2015 – 3 Cs 208 Js 18057/14 -, NJW-Spezial 2015, 442), wenn die Staatsanwaltschaft nicht ihre Zustimmung dazu verweigert hätte.

Es kann dabei dahinstehen, ob die Auferlegung der durch die Durchführung der Hauptverhandlung entstandenen Verfahrenskosten und Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse auf eine direkte oder entsprechende Anwendung des § 473 Abs. 3 StPO, § 465 Abs. 2 StPO oder § 21 GKG gestützt wird (vgl. zur dogmatischen Diskussion LG Neuruppin, Beschluss vom 04. Juli 2003 – 11 Qs 95/03 -, juris LG Flensburg NStZ-RR 2005,96; LG Karlsruhe, Beschluss vom 16. August 2006 – 4 Qs 64/06 -, juris LG Ingolstadt, Beschluss vom 27. März 2014 – 2 Qs 32/14 -, juris). Im Ergebnis ist entscheidend, dass der Angeklagte nicht zusätzlich mit Kosten belastet wird, die durch eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung nicht entstanden wären. Denn die Staatsanwaltschaft hat ihre Zustimmung zum Beschlussverfahren nach § 411 Abs. 1 S. 3 StPO allein wegen der nicht haltbaren Rechtsansicht verweigert, dass dieses Beschlussverfahren nur Anwendung findet, wenn der Einspruch gegen Strafbefehl auf die Höhe des Tagessatzes beschränkt ist und nicht nur die Frage von Zahlungserleichterungen betrifft.

Der Kostenteilung steht nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft auch von Anfang an von der Beantragung des Erlasses eines Strafbefehls hätte absehen und Anklage erheben können, wodurch diese Kosten in jedem Fall angefallen und vom Angeklagten zu tragen gewesen wären. Zum einen entspricht die Wahl des Strafbefehlsverfahrens der gängigen, auf entsprechenden allgemeinen Richtlinien beruhenden Praxis der für das Amtsgericht Kehl zuständigen Staatsanwaltschaft Offenburg in ähnlich gelagerten Fällen, weshalb es schon aus Gründen der Gleichbehandlung unbillig wäre, den Angeklagten im Rahmen der Kostengrundentscheidung schlechter zu stellen. Zum anderen hatte sich die Staatsanwaltschaft nun einmal für das Strafbefehlsverfahren entschieden, so dass die Folgen der späteren unrichtigen Sachbehandlung nicht dem Angeklagten aufgebürdet werden darf (vgl. LG Flensburg a.a.O.).“

Tja, wer nicht hören will, muss fühlen. Für die Staatskasse teures „Nein“ der Staatsanwaltschaft.

Revision: Dafür brauche ich eine Beschwer…

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Der BGH, Beschl. v. 09.05.2012 – 4 StR 649/11 – behandelt mal wieder zwei Fragen, die im Revisionsrecht immer wieder eine Rolle spielen. Ausgangspunkt ist ein Urteil des LG, in dem dieses es abgelehnt hat, den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen.  Gegen dieses Urteil hat der Beschuldigte beim LG Revision eingelegt. Mit Beschluss vom 31. 10. 2011 hat das LG die Revision des Beschuldigten als unzulässig verworfen, weil das Rechtsmittel innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nicht in der vorgeschriebenen Form begründet worden ist. Gegen diesen Beschluss hat der Beschuldigte „Einspruch“ eingelegt.

Dazu der BGH:.

1. Frage: LG war zur Verwerfung nicht zuständig

Der als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts auszulegende (§ 300 StPO) „Einspruch“ des Beschuldigten gegen den Beschluss vom 31. Ok-tober 2011 ist zulässig, hat aber im Ergebnis keinen Erfolg.
Allerdings führt er zur Aufhebung des Beschlusses, mit dem das Landgericht die Revision als unzulässig verworfen hat. Zu dieser Entscheidung war das Landgericht nicht befugt. Seine Befugnis zur Verwerfung der Revision ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen der Beschwerdeführer die für die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels vorgeschriebenen Formen und Fristen nicht gewahrt hat (§ 346 Abs. 1 StPO). Kann sich die Unzulässigkeit der Revi-sion aus einem anderen Grund ergeben, so hat allein das Revisionsgericht zu entscheiden, das sich nach § 349 Abs. 1 StPO umfassend mit dem Gesamt-komplex der Zulässigkeit befassen muss. Dies gilt auch dann, wenn ein solcher Grund mit Mängeln der Form- und Fristeinhaltung zusammentrifft (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2006 – 4 StR 375/06, NJW 2007, 165 m.w.N.;BGH, Beschluss vom 31. März 2010 – 2 StR 31/10; Kuckein in KK-StPO, 6. Aufl., § 346 Rn. 3 m.w.N.). Da hier auch eine Verwerfung der Revision man-gels Beschwer des Beschuldigten zu prüfen ist, obliegt die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsmittels dem Revisionsgericht.

2. Frage: In der Sache bringt es aber nichts, denn:

Die Revision ist unzulässig. Da das Landgericht von einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen hat, ist der Beschuldigte durch diese Entscheidung nicht beschwert (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 330 ff.; Beschluss vom 13. Juni 1991 – 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4, 7). Eine Beschwer ist Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 378 f.). Sie muss sich aus dem Urteilsspruch selbst ergeben, nicht aus den Gründen des Urteils (BGH, Urteil vom 18. Januar 1955 – 5 StR 499/54, BGHSt 7, 153; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. vor § 296 Rn. 11 m.w.N.). …