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Der konkrete Verstoß gegen die Richtlinien zur Verkehrsüberwachung ist Einzelfall

Das OLG Stuttgart hat sich gerade in seinem Beschl. v. 03.02.2011 – 2 Ss 8/11 mit den Auswirkungen des Verstoßes gegen die Richtlinien zur Verkehrsüberwachung befasst.  In einem weiteren Beschl. des OLG Stuttgart v. 25.03.2011 – 2 Ss 153/11 behandelt das OLG einen „Nebenkriegsschauplatz“.

Der Betroffene hatte dort im Zulassungsverfahren zur Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) die Wertung des AG angegriffen, das davon ausgegangen war, dass eine konkrete Bushaltestelle eine gefährliche Stelle i.S. von Nr. 4.2 Abs. 5 S. 6 der baden-württembergischen VwV VkSA vom 19.12.2006 darstellt. Das OLG sagt:

„Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob eine bestimmte Stelle (hier: Bushaltestelle) eine gefährliche Stelle im Sinne von Richtlinien zur Verkehrsüberwachung darstellt.“

Indem das OLG davon ausgeht, dass es sich insoweit um eine Frage des Einzelfalls handelt, schied eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Nachprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts aus (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Kinderpornografie und DNA-Feststellung

§ 81g StPO lässt die DNA-Feststellung für zukünftige Verfahren zu. Voraussetzung ist eine Wiederholungsgefahr.

Das LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.2011 – 3 Qs 152/11 geht dazu davon aus, dass eine einmalige Aburteilung wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften nicht Annahme der Wiederholungsgefahr für eine DNA-Feststellung rechtfertig. Für die Anordnung einer Körperzellenentnahme für eine DNA-Untersuchung nach einem Sexualdelikt reiche das Vorliegen einer abstrakten Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit sei aufgrund von Umständen des Einzelfalls, die sich aus der Art oder Ausführung der jeweiligen Taten, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstigen Erkenntnissen ergeben, durch das jeweils befasste Gericht konkret festzustellen. Insofern dürfe eine Negativprognose im Sinne der Rechtmäßigkeit einer solchen Entnahme nicht in abstrakter Weise allein deswegen angenommen werden, weil der Betroffene wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften verurteilt worden sei, wenn weitere Anhaltspunkte für eine Fortschreibung der Anlasstat nicht ersichtlich sind.

Also: Konkrete Einzelfallprüfung ist angesagt.

Strafvollzug und Buchbestellung

Im Beschl. v. 05.08.2010 – 1 Vollz (W) 246/10 hat sich das OLG Hamm mit dem Recht des Strafgefangenen auf Buchbestellung und dessen Einschränkung befasst. Danach darf die JVA Buchbestellungen von Strafgefangenen auf bestimmte Buchhandlungen beschränken und Bestellungen bei anderen Händlern von Einzelfallprüfungen und Genehmigungen abhängig machen. Auch wenn ein Strafgefangener angebe, auf Bücher eines anderen Händlers im Rahmen seiner Ausbildung angewiesen zu sein, dürfe die JVA sein Ersuchen, ihn von dieser Regelung auszunehmen, ablehnen. Denn ein derartiger Antrag ziele in nicht zulässiger Weise auf die Verhinderung einer Einzelfallprüfung und damit einer sachgerechten Ermessensentscheidung der Anstaltsleitung betreffend den Buchbezug des Betroffenen.

Die Deutsche Bundesbahn und der Einzelfall… Hot Summer in the trains :-)

Die Kommentare zu meinem gestrigen Beitrag „Sänk ju vor travelling wis Deutsche Bahn“ aber auch die vielen anderen Beiträge zu der Problematik „Die Deutsche Bahn und die Hitze“ (sehr schön und vor allem auch hier der Kollege Nebgen; nur die Kollegin Braun war offenbar bevorzugt und ist klimatisiert gefahren, vgl. hier) oder „Alle reden vom Wetter, wir nicht“ haben mich zu der Frage getrieben, was ist denn nun ein „Einzelfall“? sehr schön dazu das, was Wikipedia sagt:

Als Einzelfall wird ein konkretes Vorkommnis, in der Regel von Verantwortlichen, bewertet, wenn dieses Vorkommnis besser nicht vorgekommen wäre und die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Vorkommnis wieder auftritt, nach Ansicht des Bewertenden vernachlässigbar gering sei.

Das Wort Einzelfall soll darauf hindeuten, dass das Vorkommnis einzigartig sei. Damit ist auch Verantwortung für dieses Vorkommnis ebenso abzulehnen (»Wer hätte denn dies wissen können?« oder »Jeder macht mal Fehler.«) wie Gegenmaßnahmen für zukünftige solche Vorkommnisse (»Das wird nicht wieder passieren.«

Mehr braucht man m.E. gar nicht zulesen, um zu behaupten :-), dass der Sprecher der DB sicherlich dort erstmal nachgesehen hat, als er zum „Einzelfall“ Evakuierung aus der Bahn Stellung genommen (vgl. hier).

Ich bin jedenfalls froh, dass ich derzeit nicht mit der Bahn fahren muss. Und: Strafverfahren gegen die DB sind eingeleitet, vgl. hier. Sicherlich auch ein „Einzelfall“. 🙂

Das BVerfG zum dritten Mal zu § 81a Abs. 2 StPO: Verschont mich zur Begründung von „Gefahr im Verzug“ mit Allgemeinplätzen

Da kommt doch mal wieder Bewegung ins Spiel :-). Gerade hat das BVerfG in einem Beschluss v. 11.06.2010 –  2 BvR 1046/08 – erneut zum Richtervorbehalt bei § 81a Abs. 1 StPO und zur Annahme von „Gefahr im Verzug“ Stellung genommen. Das heißt es u.a.

Die Fachgerichte haben den Prüfungsauftrag nicht in einer diesen Anforderungen gerecht werdenden Weise wahrgenommen. Insbesondere das Landgericht erschöpft die Prüfung im Wesentlichen mit der Darlegung seiner generalisierenden Rechtsauffassung zur Gefährdung der Beweissicherung bei der Feststellung der Blutalkoholkonzentration. Die weitere Annahme des Landgerichts, dass richterliche Eilentscheidungen generell nur nach Vorlage schriftlicher Unterlagen getroffen werden könnten und dass diese wegen des zur Prüfung des Sachverhalts sowie zur Erstellung des Beschlusses notwendigen Zeitraums zwangsläufig mit der Gefährdung des Untersuchungszwecks einhergingen, würde dazu führen, dass Entscheidungen des Ermittlungsrichters zur Blutentnahme bei Verdacht auf Trunkenheit im Verkehr in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht mehr erholt werden würden. Der Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO würde bei rein abstrakter Bestimmung der Gefährdungslage im Regelfall bedeutungslos werden. Dies wird weder der gesetzlichen Intention noch der Bedeutung des Richtervorbehalts für den Grundrechtsschutz des Einzelnen gerecht…“

Und weiter:

Die Annahme des Landgerichts, dass sich die Notwendigkeit der Blutentnahme erst nach der Zeugenaussage des Ehemannes und dem Eintreffen auf der Polizeiinspektion gegen 18.15 Uhr gezeigt habe, lässt wesentliche Tatsachen außer Acht. Das Gericht prüft nicht, ob von dem Ermittlungsrichter eine kurze schriftliche Entscheidung unter Einschaltung der Staatsanwaltschaft auch ohne schriftliche Antragsunterlagen in einem angemessenen Zeitraum hätte erwartet werden können und abgewartet werden müssen. Die Erforderlichkeit der Blutentnahme stellte sich bereits unmittelbar nach dem Atemalkoholtest gegen 17.55 Uhr heraus. Auf die Zeugenvernehmung des Ehemanns kam es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr entscheidend an, da sich der Tatverdacht bereits aus dessen Anruf bei der Polizeiinspektion und dem Atemalkoholtest ergeben hatte. Von diesem Zeitpunkt an bis zur Anordnung der Blutentnahme gegen 18.30 Uhr und deren Durchführung gegen 18.40 Uhr hätte ausreichend Zeit für den Versuch bestanden, eine richterliche Anordnung oder zumindest eine staatsanwaltschaftliche Weisung zu erhalten, ohne den Ermittlungserfolg zu gefährden.

Das Gericht prüft auch nicht, ob der Zeitraum zwischen 17.55 Uhr und 18.30 Uhr für den Ermittlungsrichter ausgereicht hätte, um eine eigenständige rüfung des Sachverhalts durchzuführen, einen kurzen Beschluss zu verfassen und diesen zu übermitteln. Im Gegensatz zu einer Durchsuchung sind die zu prüfenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen bei § 81a StPO beim Verdacht einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit in der Regel weniger komplex. Im vorliegenden Fall gilt dies insbesondere für die Beurteilung des Tatverdachts, nachdem bereits ein Atemalkoholwert und ein klares Ermittlungsbild vorlag, aber auch für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit. In Ausnahmefällen kann die Anordnung durch den Richter auch lediglich mündlich erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Juli 2007 – 2 BvR 2267/06 -, juris). Ferner dürfte davon auszugehen sein, dass an einem Werktag zur Tagzeit noch ein Ermittlungsrichter, zumindest aber noch ein richterlicher Eil- oder Notdienst im Bezirk des Landgerichts Nürnberg-Fürth zu erreichen gewesen sein wäre (vgl. BVerfGE 103, 142 <156>; BVerfGK 9, 287 <290>). Ob in diesem Einzelfall gleichwohl eine erhebliche Verzögerung durch die Einholung einer richterlichen Anordnung hätte eintreten können (z.B. wegen vorrangiger Eilentscheidungen), kann nicht beurteilt werden, da die Beamten schon keinen Versuch unternommen haben, einen richterlichen Beschluss zu erholen.

In den Entscheidungen wird auch nicht thematisiert, ob die Ermittlungsbehörden sich zunächst um eine richterliche Entscheidung und nachrangig um eine staatsanwaltschaftliche Weisung bemühen mussten. In den Ermittlungsakten, insbesondere in dem Vermerk des Polizeibeamten zur Blutentnahme vom 11. Januar 2008, aber auch in den Vermerken vom 21. und 22. Dezember 2007 finden sich keine Hinweise darauf, dass solche Versuche unternommen worden sind. Von der Evidenz der Gefährdungslage und damit der Entbehrlichkeit der Dokumentation kann anbetracht des zur Verfügung stehenden Zeitrahmens und des ermittelten Atemalkoholwerts, der nicht in der Nähe eines „Grenzwerts“ lag, nicht ausgegangen werden. Ein Nachtrunk war zu diesem Zeitpunkt nicht behauptet und auch nicht mehr zu befürchten, da sich die Beschwerdeführerin bis zur Blutentnahme in der Kontrolle der Ermittlungsbehörden befand (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2008 – 2 BvR 2307/07 -, juris Rn. 6).
 
Von Verfassungs wegen ist sicherzustellen, dass die Fachgerichte den ihnen vorliegenden Einzelfall prüfen und nicht aus generellen Erwägungen den Richtervorbehalt „leer laufen“ lassen. Die Gerichte haben mit der Weigerung, die Anordnungskompetenz der Ermittlungspersonen konkret zu überprüfen, der Beschwerdeführerin den effektiven Rechtsschutz durch eine eigene Sachprüfung versagt. Es kann wegen diesem Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG dahinstehen, ob die Fachgerichte daneben die Bedeutung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verkannt haben (vgl. BVerfGK 10, 270 <274>).“
Also nach em ersten Lesen: Allgemeinplätze reichen nicht, sondern Einzelffalprüfung ist angesagt. Aber das hatte das BVerfG ja auch schon früher betont. Zum Beweisverwertungsverbot allerdings kein Hinweis