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Bewährung I: Erstverbüßerregel beim BtM-Handel, oder: Dann gilt die Regel nur eingeschränkt

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Mit der ersten der drei Bewährungsentscheidungen, die ich heute vorstelle, knüpfe ich an gestrigen BtM-Tag an. Der KG, Beschl. v. 19.05.200 – 2 Ws 60/22 – hat nämlich die Frage zum Gegenstand, ob die sog. Erstverbüßerregel des § 57 Abs. 1 StGB bei BtM-Handel einegschränkt werden kann/ist.

Das KG hat die Frage bejaht:

2. Sie ist jedoch aus den zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, unbegründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel am 24. März 2022 u.a. wie folgt Stellung genommen:

„Zu Recht ist die Strafvollstreckungskammer zu dem Ergebnis gekommen, dass eine günstige Prognose nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB nicht gestellt werden kann.

Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB kommt eine Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Die danach zu treffende Prognoseentscheidung stellt im Gegensatz zu einer Prognoseentscheidung gemäß § 56 Abs. 1 StGB nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die Einwirkung weiteren Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen. Entscheidend ist, ob eine Haftentlassung verantwortet werden kann, wobei eine Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des erlittenen Vollzugs und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit erforderlich ist (vgl. BGH-Beschluss vom 25. April 2003 – StB 4/03 in juris). Bei der Prüfung sind namentlich die Persönlichkeit, das Vorleben, die Umstände der Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten im Vollzug, die Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für den Verurteilten zu erwarten sind. Damit ist den Strafvollstreckungsrichtern eine prognostische Gesamtwürdigung abverlangt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. Januar 2016 – 2 BvR 2961/12 + 2484/13 in juris).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts kann bei einem Erstverbüßer im Rahmen der Zwei-Drittel-Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB im Allgemeinen zwar angenommen werden, dass sich der Verurteilte durch die bisherige Strafvollstreckung hinreichend beeindruckt zeigt und fortan von weiteren Straftaten Abstand nehmen wird. Diese Vermutung gilt jedoch nicht ausnahmslos und besagt insbesondere nicht, dass in den Fällen der Erstverbüßung gleichsam automatisch die für die Reststrafenaussetzung erforderliche günstige Legalprognose bejaht werden kann (vgl. KG, Beschluss vom 12. Oktober 2016 – 5 Ws 159/16 –). Er erfährt wegen der vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine Einschränkung, wenn besondere Umstände vorliegen. So führt die wiederholte Begehung einer weiteren Straftat kurz nach Verhängung richterlicher Sanktionen regelmäßig dazu, dass bei dem Verurteilten an die Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit erhöhte Maßstäbe anzusetzen sind (vgl. KG, Beschlüsse vom 15. März 2006 – 5 Ws 104/06 – und vom 24. August 1993 – 5 Ws 278-279/93 –). Gegenüber Tätern, die mit Rauschgift handeln, erfährt das so genannte Erstverbüßerprivileg ebenfalls eine Einschränkung, weil durch die Beteiligung am Rauschgifthandel – vorliegend in nicht geringer Menge – die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit in hohem Maße berührt sind. Daraus folgt eine besondere Gefährlichkeit, die wegen der Charaktermängel, welche sie offenbart, zu einer strengeren Prüfung zwingt (vgl. KG, Beschlüsse vom    3. Januar 2013 – 2 Ws 520/12 – und 6. Juli 2006 – 5 Ws 273/06 – juris Rn. 4).

Eine Reststrafenaussetzung kann in solchen Fällen nur verantwortet werden, wenn erprobt und durch Tatsachen, die sich nicht nur auf äußere Umstände beziehen dürfen, belegt wäre, dass die charakterlichen Mängel und sonstigen Umstände, die zu den Straftaten geführt haben, soweit behoben sind, dass die Rückfallgefahr nur noch sehr gering ist (vgl. KG, Beschluss vom 29. November 2017 – 5 Ws 230/17 – m.w.N.).

Allein der Wille, sich künftig straffrei zu führen, reicht ebenso wenig aus, wie ein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten. Maßgeblich ist vielmehr eine günstige Entwicklung während des Vollzugs, die von besonderem Gewicht sein muss und sich nicht nur als taktische Anpassungsleistung darstellt, sondern Beleg für einen Wandlungsprozess der Persönlichkeit und Einstellung ist (vgl. KG, Beschluss vom 6. Oktober 2017 – 5 Ws 182-183/17 –). Insbesondere ist erforderlich, dass der Verurteilte sich aktiv und erfolgreich mit seinen Taten auseinandergesetzt hat. Der Beschwerdeführer hätte sich hiernach in einem Erkenntnisprozess erarbeiten müssen, welche Charakterschwächen ihn haben versagen lassen, und er hätte Tatsachen schaffen müssen, die es überwiegend wahrscheinlich machen, dass er die Charaktermängel weitestgehend behoben hat und auch in Freiheit Tatanreizen zu widerstehen vermag. Von einer solchen Aufarbeitung kann nur gesprochen werden, wenn der Verurteilte seine Straftaten als Fehlverhalten erkannt und sie sich in ihrer konkreten Bedeutung, ihren Ursachen und Folgen so bewusstgemacht hat, dass eine Wiederholung dieses oder anderer Gesetzesverstöße wenig wahrscheinlich ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 4. Februar 2005 – 5 Ws 49/04 – und 11. April 2003 – 5 Ws 190/03 –).

Dem Beschwerdeführer kann nach diesen Grundsätzen – auch unter Berücksichtigung der Erstverbüßung – eine günstige Prognose nicht gestellt werden. ….. „

Schon wieder: Familienrecht meets Strafrecht

Ich hatte ja schon vor einigen Tagen in Zusammenhang mit der Unterhaltspflichtverletzung über eine Schnittstelle von Familienrecht und Strafrecht berichtet. Jetzt bin ich auf eine weitere gestoßen.

Das OLG Bamberg hat sich in seinem Beschl. v. 15. 11. 2010 – 1 Ws 621/10 mit der Frage auseinander gesetzt, ob und inwieweit eine Einschränkung des Elternrechts durch Annäherungs- und Kontaktverbote im Rahmen der Führungsaufsicht (§ 68b StGB) zulässig ist. Das OLG sieht ein im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 StGB zur Ver­ringerung des Rückfallrisikos angeordnetes Annäherungs- und Kontaktverbot zur allein alleinerziehenden Kindesmutter als der durch die Tat verletzte Person auch bei fortbestehendem gemeinsamen Sorgerecht nicht allein deshalb unverhältnismäßig oder unzumutbar, weil es mit erheblichen Einschränkungen des Elternrechts des Verurteilten im Hinblick auf die gemein­samen Kinder verbunden ist. Das OLG begründet das damit, dass, da die gemeinsamen Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt so oder so bei der Mutter hatten, diese ohnehin in Angelegenheiten des täglichen Lebens die Befugnis zur alleini­gen Entscheidung im Rahmen der elterlichen Sorge (§ 1687 S. 2 und 3 BGB) zustehe. Lediglich in Angelegenheiten, deren Regelung für die Kinder von erheblicher Be­deutung sind, seiu ein gegenseitiges Einvernehmen der Elternteile erforderlich (§ 1687 S.  BGB). Insoweit müsse aber die Mutter Kontakt zum Vater suchen.