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U-Haft III: Dauerbesuchs- und Telefonerlaubnis, oder: Verdunkelungsgefahr bei der Ehefrau?

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages dann hier noch der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 16.11.2023 – 7 Ws 207/23 – zur Versagung einer Dauerbesuchs- und Telefonerlaubnis in der Untersuchungshaft.

Der Angeklagte befindet sich seit dem 05.10.2022 in Untersuchungshaft. Das AG hat  verschiedene Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 StPO angeordnet, und zwar u.a. dass Besuche und die Telekommunikation der ausdrücklichen Erlaubnis bedürfen.

Vom AG ist der Angeklagte dann am 23.02.2023 wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Ferner wurde ein Betrag in Höhe von 229.087,41 EUR eingezogen. Der Haftbefehl wurde aufrechterhalten. Der Angeklagte hat Berufung eingelegt.

Die Staatsanwaltschaft hat nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wegen des dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalts ein Ermittlungsverfahren gegen die Ehefrau des Angeklagten wegen Betrugs bzw. wegen Beihilfe zum Betrug eingeleitet.

Die Ehefrau des Angeklagten hat dann für Besuche und Telefonate bei bzw. mit ihrem Ehemann bei der nach der Einlegung der Berufung zuständigen Strafkammer mit Schreiben vom 08.05.2023 eine Dauerbesuchserlaubnis und eine Telefonerlaubnis beantragt. Diesen Antrag hat die Strafkammer wegen einer bestehenden Verdunkelungsgefahr abgelehnt. Zur Begründung hat die Kammer darauf abgestellt, dass eine Unterbrechung des Kontakts zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau – mit Ausnahme eines überwachten postalischen Kontakts – angezeigt sei, da eine Gesprächsüberwachung bei Telefonaten und Besuchen nicht ausreichend sei.

Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg:

„Die mit dem angegriffenen Beschluss erfolgte Versagung der Dauerbesuchs- und Telefonerlaubnis für die Ehefrau des Angeklagten ist nach Ausübung des dem Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO zukommenden eigenen Ermessens zur Abwehr der Verdunkelungsgefahr im Sinne von § 119 Abs. 1 S. 1 StPO erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 1964 – AnwSt (B) 4/64 = NJW 1964, 2119; KK-Zabeck StPO, 9. Auflage 2023, § 309 Rn 6; MüKo-Neuheuser StPO, 2016, § 309 Rn 26 ff.).

Gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 StPO können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden, wenn dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr erforderlich ist. Die Beschränkungen zu Lasten eines Untersuchungsgefangenen können dabei nicht nur auf die im Haftbefehl ausdrücklich genannten Haftgründe gestützt werden, sondern sie kommen auch zur Abwehr aller übrigen in § 119 Abs. 1 S. 1 StPO aufgeführten Gefahren in Betracht. Das heißt, es kann – so wie hier geschehen – auch auf im Haftbefehl nicht genannte weitere Haftgründe zur Begründung einer Beschränkungsanordnung zurückgegriffen werden (OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 3. November 2022 – 3 Ws 391/22, vom 16. Februar 2023 – 3 Ws 25/23 sowie vom 11. Februar 2016 – 3 Ws 57/16 = BeckRS 2016, 11581 Rn 2; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Auflage § 119 Rn 5). Für die Annahme einer solchen Gefahr genügt nicht die bloße Möglichkeit der Gefährdung eines Haftzwecks; hierfür sind konkrete Anhaltspunkte erforderlich (allg. Meinung, vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2014 – 2 BvR 1513/14 = NStZ-RR 2015, 79).

Das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte im vorgenannten Sinne erfordert allerdings keine konkreten Vertuschungs- oder Verdunkelungshandlungen (BeckOK-Krauß StPO, Stand: 1. Oktober 2023, § 119 Rn 12). Vielmehr ist angesichts der geringeren Eingriffsintensität solcher Beschränkungen gegenüber der Haft nicht dieselbe tatsächliche Verdichtung im Sinne eines dringenden Tatverdachts nötig (OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 3. November 2022 – 3 Ws 391/22 und vom 16. Februar 2023 – 3 Ws 25/23). Zur Beurteilung der einem Haftzweck zuwiderlaufenden Gefahr kann daher auch auf allgemeine kriminalistische Erfahrungen abgestellt werden (KG, Beschluss vom 7. August 2014 – 1 Ws 52/14 = NStZ-RR 2014, 377 m.w.N.). Insbesondere gilt der Erfahrungssatz, dass Absprachen unter Tatbeteiligten jedenfalls dann naheliegen, wenn diese nicht geständig sind (KG, Beschluss vom 20. Oktober 2022 – 5 Ws 41/22121 AR 50/22 = BeckRS 2022, 38740; OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 3. November 2022 – 3 Ws 391/22 und vom 16. Februar 2023 – 3 Ws 25/23). Dies gilt umso mehr, wenn Angehörige und Freunde involviert sind, da hier nicht nur ein gesteigertes Vertrauensverhältnis besteht, sondern diese sich zudem regelmäßig dem Angeklagten besonders emotional verpflichtet fühlen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16. Februar 2023 – 3 Ws 25/23). Schließlich kann eine entsprechende Gefahr auch konkret-typisierend durch die Art der zu Last gelegten Taten und deren Begehung begründet sein (OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 3. November 2022 – 3 Ws 391/22 und vom 16. Februar 2023 – 3 Ws 25/23; BeckOK-Krauß StPO, a.a.O., § 119 Rn 12).

Daran gemessen liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Verdunkelungsgefahr für den Fall eines persönlichen oder telefonischen Austauschs zwischen den Eheleuten W vor. Bereits die dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten des Betrugs durch das Einmieten in Hotels – im X gar über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren – sprechen für ein manipulatives Geschick des Angeklagten und damit für dessen grundsätzliche Bereitschaft zu aktiven Vertuschungshandlung. Entgegen der Auffassung des (vormaligen) Verteidigers in der Beschwerdeschrift spricht die Tatsache, dass der Angeklagte erstinstanzlich aufgrund von Zeugenaussagen und Urkunden verurteilt wurde, nicht gegen, sondern gerade für das Vorliegen der Verdunkelungsgefahr. Es ist davon auszugehen, dass die Motivation zu Verdunkelungshandlungen des in erster Instanz die Taten auf subjektiver Ebene in Abrede stellenden Angeklagten mit der erstinstanzlichen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten zugenommen hat, muss er doch bei unveränderter Beweislage mit der Verwerfung seiner Berufung rechnen. Dabei spricht auch die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen die Ehefrau für ein gesteigertes Interesse sowohl des Angeklagten als auch seiner Ehefrau, einen Freispruch des Angeklagten im vorliegenden Verfahren zu erreichen, da beide anderenfalls nun mit einer Verurteilung auch von ihr wegen Betrugs bzw. Beihilfe zum Betrug rechnen müssen. Es kommt – abermals entgegen der Beschwerdeschrift – nicht darauf an, ob die Ehefrau des Angeklagten auf die bereits in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen einwirkt. Zu befürchten ist vielmehr eine Absprache zwischen den Eheleuten im Hinblick auf die ursprüngliche Zahlungsbereitschaft und die Zahlungsfähigkeit und nachfolgend eine entsprechend abgestimmte Aussage der – erstinstanzlich nicht vernommenen – Ehefrau als Zeugin in der noch bevorstehenden Berufungshauptverhandlung.

Die Versagung der Dauerbesuchs- und Telefonerlaubnis ist auch nicht unverhältnismäßig. Der Senat verkennt nicht, dass mit Blick auf den verfassungsrechtlich gewährten Schutz der Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) Besuchsanträge und Telefonerlaubnisse von Familienangehörigen nur aus schwerwiegenden Gründen abgelehnt werden dürfen und vorrangig mildere Maßnahmen der Überwachung, namentlich eine akustische Überwachung der Gespräche, zu prüfen sind (vgl. KK-Gericke StPO, 9. Auflage 2023, § 119 Rn 17). Bestehen allerdings – wie hier – konkrete Anhaltspunkte für eine Verdunkelungsgefahr, genügt eine akustische Überwachung in der Regel nicht, besteht bei einem unlauteren Informationsaustausch doch allenfalls die Möglichkeit, das Gespräch abzubrechen, während die einmal gesprochene und wahrgenommene Mitteilung nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 – 2 Ws 246/09 = NStZ-RR 2010, 159, 160; KK-Gericke, a.a.O., § 119 Rn 17). Außerdem ist zu bedenken, dass es aufgrund der langjährigen Ehe der Eheleute naheliegend ist, dass bloße Andeutungen oder vermeintlich unverbindliche Gesprächsinhalte genügen, um tatsächlich wichtige Informationen auszutauschen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 – 2 Ws 246/09, a.a.O.; KK-Gericke, a.a.O., § 119 Rn 17), zumal für den im Raum stehenden Betrugsvorwurf sowie die Einziehungsentscheidung der weite Bereich der Lebensverhältnisse der Eheleute in der Vergangenheit, welche Aufschluss über die wirtschaftliche Situation geben könnten, betroffen ist. Schließlich wird – anders als dies im Rahmen der Beschwerdeschrift vorgetragen wurde – dem Angeklagten nicht der einzige soziale Kontakt in die Freiheit genommen. Die Eheleute haben weiterhin die Möglichkeit des schriftlichen Austauschs, wobei hier die Briefkontrolle durch den mit dem Verfahren vertrauten Vorsitzenden gewährleistet ist.“

Der Besuch der eigenen Ehefrau/Mittäterin im Knast…

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Das OLG Düsseldorf hat sich vor einiger Zeit im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2015 – III-3 Ws 231/15 – mit der Frage des Besuchs der eigenen Ehefrau eine U-Haft-Gefangenen befasst, wenn diese potentielle Mittäterin ist. Das OLG sagt: Ja, sie darf – Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK lassen grüßen -, aber unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen:

„Es müssen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Haftzwecks oder der Anstaltsordnung vorliegen, der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist, reicht nicht aus (BVerfG a.a.O.; OLG Hamm StV 1998, 35). Dabei müssen die Anforderungen um so gewichtiger sein, wenn es sich – wie vorliegend – um den Besuch des Ehepartners handelt (Schultheis, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage 2013, § 119, Rn. 25). Denn Ehe und Familie stehen gem. Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Es müssen deshalb die erforderlichen und zumutbaren Anstrengungen unternommen werden, um in angemessenem Umfang Besuche von – auch möglicherweise als Mittäter verdächtigen und in Haft befindlichen – Ehepartnern zu ermöglichen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 7. Februar 2003, 2 Ws 17/2003, [juris]). Die Zusammenführung darf nur verweigert werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie zum unzulässigen Austausch von verdeckten Informationen missbraucht und diese Gefahr mit den Mitteln der Besuchsüberwachung nicht ausgeräumt werden kann (OLG Stuttgart, a. a. O., Karlsruher Kommentar, a. a. O). Befinden sich inhaftierte Eheleute in verschiedenen Haftanstalten, so kann, wenn der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht gegeben ist, je nach Lage des Falles (Dauer der Haft, Entfernung der Vollzugsanstalt usw.) eine Besuchszusammenführung geboten sein (OLG Stuttgart StV 2003, 628; Karlsruher Kommentar, a. a. O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Juli 1989, 1 Ws 670/89).

Dies ist vorliegend der Fall. Der Angeklagte und seine Ehefrau, die seit dem 5. November 2014 verheiratet sind, befinden sich seit mehr als acht bzw. neun Monaten getrennt voneinander in Haft. Die Vollzugsanstalten Gelsenkirchen und Wuppertal-Vohwinkel liegen nicht derart weit auseinander, dass eine Besuchszusammenführung erhebliche organisatorische oder personelle Schwierigkeiten mit sich bringen würde, so dass gerade im Hinblick auf den Schutz der Ehe der Besuch der Ehefrau bei dem Angeklagten grundsätzlich zu ermöglichen ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte den Besuch seiner Ehefrau zur Verdunkelung missbrauchen würde, liegen entgegen der Ausführungen im angefochtenen Beschluss nicht vor. Soweit die Ehefrau sich an den Taten des Angeklagten beteiligt haben sollte und als Zeugin im vorliegenden Verfahren der Einlassung des Angeklagten teilweise widersprechende Angaben gemacht hat, kann einer möglichen Besorgnis von Absprachen über das Prozessverhalten und Verdunkelungshandlungen anlässlich eines Besuchs durch eine optische und akustische Überwachung der Kommunikation hinreichend begegnet werden. Im Falle einer spontanen Absprache wird es dem überwachenden Beamten möglich sein, sofort in das Gespräch einzugreifen bzw. dieses abzubrechen.

Der Senat hat deshalb entsprechend § 19 UVollzG vorsorglich in Konkretisierung der Anordnung des Landgerichts vom 19. März 2015 gem. § 119 Abs. 1 StPO bestimmt, dass der Besuch optisch und akustisch zu überwachen ist. Da der Schriftverkehr zwischen dem Angeklagten und dessen Ehefrau überwiegend in spanischer und nur vereinzelt in arabischer Sprache geführt wird, stellt die Anordnung der Kommunikation in deutscher oder spanischer Sprache unter Hinzuziehung eines Dolmetschers eine im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK hinzunehmende Einschränkung dar.“

Wenn die Mutti in den Kreißsaal geht, muss der Vati nicht zur Hauptverhandlung kommen.

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Der Kollege Kroll aus Berlin hat mir den KG, Beschl. v. 30.09.2015 – 3 Ws (B) 427/15 – übersandt – besten Dank dann auch von dieser Stelle. Er hat (mal wieder) die Frage der Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) zum Gegenstand. Hauptverhandlung war auf den 07.07.2015 terminiert. Mit Telefax vom 06.07.2015 wird Verlegung beantragt. Der Antrag geht auch am 06.07.2015 auf der Geschäftsstelle ein. Das AG nimmt ihn aber nicht zur Kenntnis und verwirft am 07.07.2015 nach § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen.

Das KG hebt wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs auf:

„Die somit nach. §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassende Rechtsbeschwerde führt gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 353 -Abs. 1 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; weil dieses auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht. Es ist obergerichtlich anerkannt, dass die Niederkunft der Ehefrau, zumal wenn. Komplikationen während der Geburt drohen, einen anzuerkennenden Entschuldigungsgrund darstellen (vgl. OLG Celle, MDR 1966, 949 f.). Jedenfalls ist dem Betroffenen insoweit in subjektiver Hinsicht keine Pflichtverletzung vorzuwerfen (vgl. Senat, Beschluss vom 23, Februar 2012 — (3) 1 Ss 528/11 (168/11).

Also: Wenn die Mutti in den Kreißsaal geht, muss der Vati nicht zur Hauptverhandlung kommen. So das KG, allerdings mit wohl gesetzteren Worten 🙂 .