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Eckpunkte zur Modernisierung des Strafverfahrens, oder: Ab in die Tonne

entnommen wikimedia.org
By HAL-Guandu – Own work

Seit einigen Wochen ist ja mal wieder vermehrt eine „Reform“ des Strafverfahrens in der Diskussion. Die Argumente kennen wir alle: (Alle) Strafverfahren dauern zu lange, (alle) Verteidiger sind nur bestrebt, unzulässige Anträge zu stellen, das ist zu teuer. Das muss schneller und besser gehen.

In der Diskussion hat sich nun auch das BMJV zu Wort gemeldet und sog. „Eckpunkte zur Modernisierung des Strafverfahrens“ im Kabinett vorgelegt, wo sie dann auch – wie nicht anders zu erwarten. Mit den Eckpunkten eröffne ich die 23. KW. Mancher wird sich fragen: Warum ein solcher Opener.? Antwort: Dann haben wir es hinter uns.

Denn: M.E. geht schlimmer nimmer. Denn, wenn ein Gesetz schon heißt oder heißen soll: „… zur Modernisierung des Strafverfahrens“ oder viel die Rede ist von „Vereinfachung“ usw., dann weiß man, was kommt. Nämlich eine weitere Beschneidung der Rechte des Angeklagten. Was daran nun „modern“ sein soll, erschließt sich mir nicht. Außer man empfindet es als modern, wenn viele – wenn nicht sogar alle – Vorschläge des 2. Strafkammertages übernommen worden sind.  Zudem: Die wahre Absicht dieses geplanten Gesetzes erkennt man m.E. auch sehr schnell daran, dass man in diesen „Eckpunkten“ das Wort „Angeklagter“ fast vergeblich sucht. Das taucht nur zweimal auf, und dann auch nur im Zusammenhang mit der Nebenklage.

Das Ganze sind in meinen Augen Horrorvorschläge, die auf dem Altar der vemeintlichen Verfahrensbeschleunigung die Recht des Angeklagten wenn nicht opfern, so aber dann doch kräftig weiter beschneiden. Man kann daher nur hoffen, dass diese „Eckpunkte“ dasselbe Schicksal erleiden wie die Eckpunkte, die vor einigen Jahren durch die Diskussion gegeistert sind – mit dem „Eckpunktepapier“ der damaligen BMJ Herta Däubler-Gmelin hat sich mal ein ganzer StV-Tag befasst: Nämlich in die Tonne klopfen, Deckel drauf und nicht wieder hervorholen.

Viel Hoffnung, dass das passiert habe ich aber nicht. Vor allem nicht, wenn man liest, wie sich die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker dazu bereits geäußert hat: „Es wurde Zeit, dass die Eckpunkte zur Modernisierung des Strafverfahrens endlich ins Kabinett kommen. Ein effizienteres Verfahrensrecht wird von der Union schon lange gefordert. Als eine Säule des Paktes für den Rechtsstaat wurde die Beschleunigung der Strafverfahren im Koalitionsvertrag auf Druck der Union vereinbart. Mit der Reform im Strafprozessrecht werden wir Prozessverschleppungen durch Änderungen im Befangenheits- und Beweisantragsrecht sowie bei den Besetzungsrügen erschweren.….“. Oder vielleicht auch das: „OLG-Präsidentenkonferenz 2019 „Drei Instanzen für den Eier­dieb“, eine in meinen Augen „unheilige Allianz“ das Ganze.

So, und hier sind dann die „Eckpunkte zur Modernisierung des Strafverfahrens“ in Kurzfassung. Wegen der Einzelheiten bitte hier unter: Eckpunkte zur Modernisierung des Strafverfahrens

1. Bündelung der Nebenklagevertretung

Die Bündelung der Nebenklagevertretung soll zum einen die wirksame und nachhaltige Wahrnehmung der Opferinteressen in der Hauptverhandlung ermöglichen. Zum anderen sollen Verfahrensverzögerungen vermieden und die „Waffengleichheit“ als konstituierendes Element einer fairen Verfahrensführung sichergestellt werden.

Die Regelungsziele sollen durch die Änderung der Vorschriften zur Bestellung eines Beistands bzw. über die Prozesskostenhilfe gemäß § 397a der Strafprozessordnung (StPO) erreicht werden.

2. Ausweitung der Nebenklageberechtigung auf alle Vergewaltigungstatbestände

Die Beiordnung eines Opferanwalts ist insbesondere in sämtlichen Vergewaltigungsfällen sachgerecht, und zwar auch, wenn keine Gewalt angewendet und auch nicht mit Gewalt gedroht wird, sondern ein Handeln gegen den erkennbaren Willen vorliegt.

3. Vereinfachung des Befangenheitsrechts

Die Möglichkeiten, Hauptverhandlungen durch – statistisch gesehen – in aller Regel unbegründete Befangenheitsanträge zu obstruieren, sollen verringert werden.

Inhalt der Regelung:

  1. Der bisher geltende, aber mit diversen Ausnahmen versehene Grundsatz der Wartepflicht bei Stellung eines zulässigen Befangenheitsantrags, wonach lediglich unaufschiebbare und im Übrigen keine Verfahrenshandlungen mehr vom abgelehnten Richter vorgenommen werden dürfen, soll abgeschafft werden.
  2. Stattdessen soll für vor oder nach Beginn der Hauptverhandlung gestellte Ablehnungsgesuche eine Fristenregelung eingeführt werden. Danach soll über Befangenheitsgesuche in der Regel innerhalb einer Frist von zwei Wochen oder aber (falls dieser nach Fristablauf liegt) bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstages entschieden werden.
  3. Als absolut spätester Zeitpunkt für die Entscheidung soll der Zeitpunkt vor der Urteilsverkündung bestimmt werden.
  4. Innerhalb dieser Grenzen soll der abgelehnte Richter an der Hauptverhandlung mitwirken dürfen.
  5. Beibehalten werden soll der Grundsatz der Wartefrist hingegen mit Blick auf Entscheidungen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen können (§ 29 Absatz 2 Satz 3 StPO).
  6. Befangenheitsanträge, deren Gründe bis zur Mitteilung über die Besetzung bereits bekannt geworden sind, müssen – gegebenenfalls gemeinsam mit der Besetzungsrüge (vgl. Eckpunkt 5) – innerhalb einer Woche ab Zustellung der Besetzungsmitteilung gestellt werden; anderenfalls präkludieren sie.

4. Vereinfachung des Beweisantragsrechts

Um missbräuchlich gestellte Beweisanträge leichter ablehnen zu können, sollen die Voraussetzungen für die Annahme der Verschleppungsabsicht abgesenkt werden.

Inhalt der Regelung:

  1. Der gesetzliche Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht gemäß § 244 Absatz 3 Satz 2 Variante 6 StPO soll in der Weise präzisiert werden, dass er in objektiver Hinsicht nicht mehr die Eignung der verlangten Beweisaufnahme zu einer „wesentlichen“ Verzögerung des Verfahrens verlangt. Das Erfordernis der „wesentlichen“ oder „erheblichen“ Verzögerung hat bislang maßgeblich dazu beigetragen, dass der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht in der juristischen Praxis lediglich ein Schattendasein fristet.
  2. In § 244 StPO soll klargestellt werden, dass die Frage, ob ein Beweisantrag nur der Prozessverschleppung dient, der Würdigung des Instanzgerichts obliegt. Somit wird deutlich, dass das Tatgericht (und nicht das Revisionsgericht) den Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht selbst zu würdigen hat, was sich auf die Begründungsanforderungen auswirkt.
  3. Im Übrigen soll gesetzlich klargestellt werden, dass es einer Ablehnung nicht entgegensteht, wenn neben der Verzögerung weitere verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden, etwa politische Propaganda, die Diskreditierung Dritter oder eine Nötigung des Gerichts.
  4. Die Anforderungen an das Vorliegen eines Beweisantrags, der – im Gegensatz zu einem Beweisermittlungsantrag – nur unter den strengen Voraussetzungen von § 244 Absatz 3 und 4, § 245 Absatz 2 StPO abgelehnt werden darf, sollen gesetzlich definiert und präzisiert werden. Bislang enthält die StPO hierzu nur rudimentäre Bestimmungen, und auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bietet hier kein vollständig einheitliches Bild. Bei der Legaldefinition soll deshalb das bislang richterrechtlich determinierte Erfordernis der Konnexität von Beweistatsache und Beweismittel im Gesetz verankert werden.

5. Vorabentscheidungsverfahren für Besetzungsrügen

Besetzungsrügen sollen künftig vor oder zu Beginn einer Hauptverhandlung abschließend durch ein höheres Gericht beschieden und auf diese Weise der Revision entzogen werden.

Inhalt der Regelung:

  1. Für Strafverfahren im ersten Rechtszug vor den Land- und Oberlandesgerichten soll für Besetzungsrügen eine Frist von einer Woche ab der Zustellung der Besetzungsmitteilung gelten, die auch bereits mehrere Wochen vor dem Beginn der Hauptverhandlung erfolgen kann.
  2. Wird die Besetzungsrüge fristgerecht erhoben, soll zunächst das Ausgangsgericht über den Einwand vorschriftswidriger Besetzung entscheiden.
  3. Im Fall der Nichtabhilfe soll in landgerichtlichen Verfahren das Oberlandesgericht und in oberlandesgerichtlichen Verfahren der Bundesgerichtshof über die Besetzungsrüge entscheiden.
  4. Diese Entscheidung soll abschließend sein. Die Revision kann darauf nicht mehr gestützt werden.
  5. Wird die Besetzung innerhalb der Frist nicht angegriffen, präkludiert das Rügerecht. Die Rüge kann dann ebenfalls nicht mehr mit der Revision erhoben werden.
  6. Kann das Gericht die Besetzung – etwa aus organisatorischen Gründen – erst zu Beginn der Hauptverhandlung mitteilen, verbleibt es im Ausgangspunkt bei der bisherigen Regelung: Das Gericht kann auf Antrag die Hauptverhandlung unterbrechen (§ 222a Absatz 2 StPO). Auch in diesem Fall soll die einwöchige Rügefrist gelten.
  7. Wird die Besetzung sodann fristgerecht gerügt, entscheidet die nächste Instanz – gegebenenfalls parallel zur laufenden Hauptverhandlung – über den Besetzungseinwand abschließend.

6. Harmonisierung der Unterbrechungsfristen mit Mutterschutz und Elternzeit

Zur Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einerseits sowie zur Verhinderung des „Platzens“ von Prozessen andererseits sollen die Fristen zur Unterbrechung der Hauptverhandlung mit den Schutzfristen des vor- und nachgeburtlichen Mutterschutzes harmonisiert werden. Damit soll zugleich ein Beschluss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 9. November 2017 umgesetzt werden.

7. Erweiterung der DNA-Analyse

Um Anhaltspunkte für das Aussehen eines unbekannten Spurenlegers zu gewinnen, soll durch Änderung von § 81e Absatz 2 StPO ermöglicht werden, dass auch an aufgefundenem, sichergestelltem und beschlagnahmtem Material molekulargenetische Untersuchungen vorgenommen werden können, die die Bestimmung der Haar-, Augen und Hautfarbe sowie des Alters des Spurenlegers mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ermöglichen.

8. Bekämpfung des Einbruchdiebstahls

Bei Verdacht insbesondere eines serienmäßig begangenen Einbruchdiebstahls in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung (§ 244 Absatz 4 StGB) soll den Ermittlungsbehörden die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation ermöglicht werden (TKÜBefugnis).

9. Qualitätsstandards für Gerichtsdolmetscher

Die Standards für die Beeidigung von Gerichtsdolmetschern sind in den Ländern sehr unterschiedlich ausgestaltet. Die Anforderungen sowohl für die persönlichen als auch für die fachlichen Voraussetzungen unterscheiden sich erheblich. Die einheitlichen Standards müssen festgelegt werden. Dabei könnten hohe Standards durch ein auf Grund der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes neu zu erlassendes Gerichtsdolmetschergesetz festgelegt werden. Eine Abweichung der Länder von diesem Standard wäre dann nicht mehr möglich.

 

10. Gesichtsverhüllung vor Gericht

Das Verbot einer Gesichtsverhüllung von Verfahrensbeteiligten in Gerichtsverhandlungen soll gesetzlich geregelt werden.

Es soll gesetzlich normiert werden, dass Verfahrensbeteiligte in Gerichtsverhandlungen ihr Gesicht weder ganz noch teilweise verdecken dürfen. Von dem gesetzlichen Verbot werden Ausnahmen für Fälle, in denen das Verbot zur Identitätsfeststellung oder zur Beurteilung des Aussageverhaltens nicht notwendig ist, sowie zum Schutz einzelner Personengruppen, wie zum Beispiel im Falle des Zeugenschutzes, zugelassen.

11. Informationsbefugnis für Bewährungshilfe/Führungsaufsicht

Im Anschluss an die mit der Reform im Jahr 2017 vorgenommene Änderung des § 481 StPO sollen weitere Klarstellungen erfolgen. Dies entspricht einem Beschluss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 7. Juni 2018.

12. Bild-Ton-Aufzeichnung einer richterlichen Vernehmung

a) Die Möglichkeiten der Aufzeichnung richterlicher Vernehmungen im Ermittlungsverfahren sollen auf zur Tatzeit bereits erwachsene Opfer von Sexualstraftaten ausgeweitet werden. Nach gegenwärtiger Rechtslage soll bei Kindern und Jugendlichen, die Opfer bestimmter schwerer Straftaten (zum Beispiel sexueller Missbrauch) geworden sind, nach § 58a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 StPO eine richterliche Vernehmung eines Zeugen im Ermittlungsverfahren audiovisuell aufgezeichnet werden, wenn dadurch ihre schutzwürdigen Interessen besser gewahrt werden können.

Diese Regelung gilt seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) vom 14. März 2013 auch für erwachsene Opfer der genannten Straftaten, die zur Tatzeit minderjährig waren. Diese Regelung soll auf zur Tatzeit bereits erwachsene Opfer ausgeweitet werden.

b) Darüber hinaus soll die im geltenden Recht vorgesehene Soll-Regelung der Videovernehmung für Opfer von Sexualstraftaten durch eine Muss-Regelung ersetzt werden, die allerdings im Wege einer „doppelten Einverständnislösung“ an die Zustimmung des betroffenen Verletzten gebunden sein soll. Danach hat eine Aufzeichnung der Vernehmung zu erfolgen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen des Opfers besser gewahrt werden können und das Opfer der Aufzeichnung vor der Vernehmung zustimmt. Eine Vorführung der Aufzeichnung in der Hauptverhandlung nach § 255a StPO soll nur ausgeschlossen sein, wenn das Opfer unmittelbar nach der Vernehmung ausdrücklich widerspricht und der Vorführung auch nicht im weiteren Verlauf des Verfahrens zustimmt.

 

„Schnarri“: Neues zur Sicherungsverwahrung

Unsere „Bundes-Schnarri“ hat sich heute zur Sicherungsverwahrung erklärt und die Eckpunkte der geplanten Neuordnung vorgestellt (vgl. dazu die PM hier). Da heißt es:

Ich habe heute Eckpunkte einer Neuordnung der Sicherungsverwahrung den Rechtspolitikern der Koalition vorgestellt. Die Neuordnung der Sicherungsverwahrung ist unabhängig von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte notwendig und in der Koalition verabredet.

Kern der Neuordnung ist die Beschränkung der Sicherungsverwahrung auf schwere Fälle wie Sexual- und Gewalttäter. Sicherheit entsteht dann, wenn man sich auf die wirklich gefährlichen Täter konzentriert. Die unter Rot-Grün eingeführte nachträgliche Sicherungsverwahrung soll künftig nur in absoluten Ausnahmefällen angeordnet werden. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung hat sich als wenig praxistauglich erwiesen, unabhängig von immer wieder zutage getretenen Schutzlücken.

Die Neuordnung der Sicherungsverwahrung beruht auf einem Wechsel hin zu einer möglichst frühzeitigen und verlässlichen Entscheidung über die Gefährlichkeit des Täters. Künftig sollen die Gerichte bei der Verurteilung Sicherungsverwahrung anordnen oder sich in unklaren Fällen die endgültige Gefährlichkeitsprognose vorbehalten.

Seit 1998 ist die Sicherungsverwahrung durch zahlreiche Änderungen erweitert und verschärft worden – häufig in Form von Einzelreparaturen als hektische Reaktion auf spektakuläre Fälle. Ein Ergebnis der Gesetzgebung sind unsystematische Regelungen, die zu einer kaum zu übersehenden Rechtsprechung geführt haben. Gleichzeitig ist die Zahl der Sicherungsverwahrten erheblich gestiegen – allein zwischen 2001 und 2009 von 257 auf 500.

Sicherungsverwahrung ist die schärfste Sanktion, die das deutsche Strafrecht kennt. Sie bedeutet Freiheitsentzug zum Schutz der Allgemeinheit trotz vollständiger Verbüßung der Haftstrafe.

Die Debatte, wie das berechtigte Interesse des Schutzes vor notorisch gefährlichen Straftätern mit dem unbedingten Ausnahmecharakter der Sicherungsverwahrung in Einklang gebracht werden kann, sollte unaufgeregt und sachlich geführt werden. Wer einfache Antworten verspricht, kann diesem Anliegen nicht gerecht werden.“

Hoffentlich liest das auch Herr Busemann. Zu den Eckpunkten (ein Eckpunkte-Papier hatten wir schon mal) hier.