Schlagwort-Archive: Deal

StPO II: Mitteilungspflicht beim „Deal“ verletzt, aber: Kein Beruhen

© FotolEdhar Fotolia.com

In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 16.09.2020 – 5 StR 249/20 – geht es mal wieder um die Mitteilungspflicht (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO):

Der Erörterung bedarf ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts lediglich die Verfahrensrüge der Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.

1. Mit dieser Rüge beanstandet die Revision, die Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer habe drei Gespräche mit einem der Verteidiger des Angeklagten, die sie am 3. Juli und 4. Juli 2018 sowie am 9. Januar 2020 mit dem Ziel der Verständigung geführt habe, in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt.

Der Rüge liegt nach dem – in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft unwidersprochen gebliebenen – Vortrag der Revision folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach Zustellung der Anklageschrift am 29. Juni 2018 rief die Vorsitzende Richterin am 3. Juli 2018 bei dem Verteidiger Rechtsanwalt S. an. In dem Telefonat teilte sie eine Verlängerung der Erklärungsfrist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO bis Ende August 2018 und ihre Einschätzung mit, dass sich die Sache für eine Verständigung eigne und bei streitiger Verhandlung wohl erst ab Januar 2019 terminiert werden könne. Der Verteidiger erklärte, erst mit seinem Mandanten sprechen zu müssen und noch keine belastbare Aussage treffen zu können. Am Folgetag begegneten sich die Vorsitzende Richterin und Rechtsanwalt S. , als dieser auf der Geschäftsstelle des Landgerichts Akteneinsicht nahm. Sie sprach ihn nochmals darauf an, dass er sich melden solle, falls er ein Verständigungsgespräch wünsche. Dabei äußerte sie die Auffassung, dass man die Anklage auf die ersten beiden Anklagepunkte beschränken könne und ein Geständnis aufgrund des Umfanges der Sache außerordentlich strafmildernd sei.

Nach einem Termin zur Verkündung eines gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehls suchte der Verteidiger Rechtsanwalt . S. am 9. Januar 2020 das Dienstzimmer der Vorsitzenden Richterin auf. Sie sprach ihn erneut auf die Möglichkeit einer Verständigung an. Auf seine Erklärung, eine Verständigung käme nur dann in Betracht, wenn der Haftbefehl aufgehoben würde, erwiderte die Vorsitzende, dass sie sich dies vorstellen könne.

Im Hauptverhandlungstermin vom 15. Januar 2020 teilte die Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mit, dass zwischen den Verfahrensbeteiligten keine verständigungsbezogenen Gespräche geführt worden seien. Sie erklärte weiterhin, Rechtsanwalt Sc. in einem Gespräch Ende 2019, in dem dieser angekündigt habe, sich als weiterer Verteidiger bestellen zu lassen, darauf hingewiesen zu haben, dass im Falle eines Geständnisses des Angeklagten eine geringere Strafe in Aussicht gestellt und eventuell das Verfahren gemäß § 154 StPO bezüglich einzelner Anklagefälle eingestellt werden könne.

Am 5. Februar 2020 kam es auf Anregung des Verteidigers Rechtsanwalt S. zwischen den Verfahrensbeteiligten zu einem Verständigungsgespräch außerhalb der Hauptverhandlung, in dem er darauf hinwies, dass für den Angeklagten die Aufhebung des Haftbefehls Hauptbedingung einer Verständigung sei. Diese Voraussetzung wurde von Seiten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft akzeptiert. In der Hauptverhandlung vom 12. Februar 2020 teilte die Vorsitzende den Inhalt des von ihr in der Akte dokumentierten Verständigungsgesprächs mit. Der damit verbundene Verständigungsvorschlag der Wirtschaftsstrafkammer sah unter anderem vor, dass bei einer geständigen Einlassung des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen vier Jahren und vier Jahren und sechs Monaten verhängt, mehrere Anklagepunkte gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und der Haftbefehl (mit der Urteilsverkündung) aufgehoben werden sollte.

Nachdem in der Hauptverhandlung am 19. Februar 2020 die Belehrung des Angeklagten nach § 257c Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 StPO erfolgt und durch seine Zustimmung und die der Vertreterin der Staatsanwaltschaft die vorgeschlagene Verständigung gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zustande gekommen war, ließ sich der Angeklagte am 4. März 2020 geständig ein.

2. Bei dem geschilderten Verfahrensablauf liegt eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vor.

Die Mitteilung der Vorsitzenden der Strafkammer, wonach verständigungsbezogene Erörterungen nicht stattgefunden hätten, war unzutreffend. Sie hätte vielmehr über die vor der Hauptverhandlung stattgefundenen Gespräche berichten müssen, soweit deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist. Dies war – anders als in dem ersten Telefonkontakt vom 3. Juli 2018, der organisatorischen Hintergrund hatte und zur Klärung der Terminierungsfrage nur eine unverbindliche Fühlungsaufnahme darstellte – bei den Gesprächen am 4. Juli 2018 und am 9. Januar 2020 der Fall (vgl. zur Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 StPO bei Sondierungsgesprächen BGH, Urteile vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, NStZ 2015, 537, 538; vom 28. Juli 2016 – 3 StR 153/16, NStZ 2017, 52, 53; Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 StR 571/15, NStZ 2016, 743, 744). Denn insoweit war zwar bei beiden Unterredungen ein möglicher Inhalt einer Verständigung noch wenig konkret. Jedoch war die Ablegung eines Geständnisses mit den einer Verständigung zugänglichen Gesichtspunkten einer Beschränkung der Anklagevorwürfe und der Haftfrage verbunden worden.“

Aber: Kein Beruhen:

„3. Der Senat kann indes ein Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflichten ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO).

Zwar führt ein Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer Verständigung mit der Folge, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß regelmäßig nicht auszuschließen ist (BVerfGE 133, 168, 223). Hier kann aber ausnahmsweise unter Berücksichtigung von Art und Schwere des Verstoßes (BVerfG, NJW 2015, 1235; BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschlüsse vom 5. August 2015 – 5 StR 255/15, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 5; vom 24. Juli 2019 – 1 StR 656/18, NStZ 2020, 93, 94) ein Ausschluss des Beruhens angenommen werden. In die wertende Gesamtbetrachtung war insbesondere einzubeziehen, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 12. Februar 2020 durch die Vorsitzende über den Inhalt und das Ergebnis eines auf Anregung seines Verteidigers geführten Verständigungsgesprächs informiert worden war‘ das schließlich Grundlage der Verfahrensabsprache wurde. Der Inhalt dieses Verständigungsgesprächs vom 5. Februar 2020 umfasste auch die in den zuvor am 4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 geführten Gesprächen angesprochenen Gesichtspunkte einer Beschränkung der Anklagevorwürfe bzw. der Haftfrage. Der Informationsgehalt jener gleichsam überholten Gespräche ging mithin nicht über den der zur Verfahrensabsprache führenden Erörterung hinaus. Hinzu kommt, dass die Vorsitzende mit ihrem zu Beginn der Hauptverhandlung am 15. Januar 2020 gegebenen Hinweis auf das Ende 2019 mit dem weiteren Verteidiger geführte Gespräch die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit über eine mögliche Beschränkung der Anklagevorwürfe im Falle eines Geständnisses unterrichtet hatte. Daher erscheint es ausgeschlossen, dass ein beim Angeklagten bestehendes Informationsdefizit über Inhalt und Verlauf der Gespräche vom 4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 seine Rechtsstellung und seine Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt haben könnte oder sonst der Prozessverlauf aufgrund der stattgefundenen Gespräche beeinflusst worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 StR 571/15, aaO).

Auch eine Beeinflussung der Entscheidungsfindung durch eine unzureichende Unterrichtung der Öffentlichkeit, deren Informationsbedarf die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zugleich schützt, ist auszuschließen. Denn auch nach dem Revisionsvortrag war der Inhalt der am 4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 geführten Gespräche nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet. Eine Beeinträchtigung des Schutzkonzepts der Vorschriften der § 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a und § 257c StPO, durch die sichergestellt werden soll, dass kein informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben wird, drohte nicht (vgl. zu dieser Voraussetzung für einen ausnahmsweise anzunehmenden Beruhensausschluss BVerfGE 133, 168, 223 f.; BVerfG, NJW 2015, 1235, 1237; Beschluss vom 16. Februar 2016 – 2 BvR 107/16; BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 153 f.; vom 10. Dezember 2015 – 3 StR 163/15; vom 24. Juli 2019 – 1 StR 656/18, aaO, mwN). Vielmehr war auch die Öffentlichkeit durch die am 12. Februar 2020 in der Hauptverhandlung vorgenommene vollständige und zutreffende Mitteilung des Inhalts des Vorgesprächs vom 5. Februar 2020 über sämtliche Essentialia für eine Verfahrensabsprache gemäß § 257c StPO unterrichtet und durch diese Mitteilung sowie durch den Hinweis in der Hauptverhandlung vom 15. Januar 2020 auf die Unterredung der Vorsitzenden mit dem weiteren Verteidiger Ende 2019 auch darüber informiert, dass überhaupt außerhalb der Hauptverhandlung Gespräche über mögliche Verfahrensabläufe stattgefunden haben (vgl. zu diesem Aspekt auch BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, aaO, S. 155). Demgemäß hat sich die Verständigung trotz der geringfügigen Mitteilungspflichtverletzung in ihrer entscheidenden Gestalt letztlich doch „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbart“ (vgl. BVerfGE 133, 168, 215; BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO).“

Genauer Hinsehen/Prüfen – so das BVerfG zur Prüfungspflicht beim „behaupteten Deal“…

Ds BVerfG meldet sich gerade mit seiner PM Nr. 19/2012 zum BVerfG, Beschl. v. 05.03.2012 – 2 BvR 1464/11, mit dem eine Entscheidung des OLG Dresden betreffend die Prüfung des Zustandeskommens eines „Deals“ im Strafverfahren durch das Rechtsmittelgericht aufgehoben worden ist.

Hier dann zunächst mal nur der Text der PM – die Entscheidung muss man sich dann mal in Ruhe durchlesen:

„Der Beschwerdeführer wurde auf der Grundlage seines Geständnisses vom Amtsgericht wegen diverser Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Nach der Urteilsverkündung und der Aufhebung des Haftbefehls verzichteten die Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführer auf Rechtsmittel. Der Beschwerdeführer legte später Berufung gegen das Urteil ein und machte die Unwirksamkeit seines Rechtsmittelverzichts geltend, weil die Verurteilung auf einer Absprache zwischen den Verfahrensbeteiligten beruhe. Weder Hauptverhandlungsprotokoll noch Urteil enthalten einen Hinweis auf das Zustandekommen einer Absprache oder die Angabe, dass eine Verständigung nicht erfolgt sei. Im Protokoll ist lediglich vermerkt, dass die Hauptverhandlung vor der Einlassung des Beschwerdeführers für ein „Rechtsgespräch“ unterbrochen wurde, dessen Inhalt und Verlauf von den Verfahrensbeteiligten jedoch unterschiedlich geschildert wird. Während nach der schriftlichen Erklärung der Verteidigerin des Beschwerdeführers im Ergebnis eine Verständigung auf ein Strafmaß von zwei Jahren und zehn Monaten bei gleichzeitiger Aufhebung des Haftbefehls getroffen worden sei, erklärte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in der von ihr eingeholten dienstlichen Stellungnahme, es habe kein regelrechtes Gespräch über ein bestimmtes Strafmaß gegeben; ihr sei es vor allem um die Fortsetzung der Untersuchungshaft gegangen, während der Beschwerdeführer in erster Linie eine Aufhebung des Haftbefehls habe erreichen wollen. Dem Vorsitzenden des Schöffengerichts war nach seiner dienstlichen Erklärung der Vorgang nicht mehr genau erinnerlich.

Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers als unzulässig, weil es das Zustandekommen einer Absprache für nicht erwiesen und deshalb den Rechtsmittelverzicht für wirksam hielt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Die Annahme der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts sei nicht zu beanstanden. Da das Verhandlungsprotokoll die von § 273 Abs. 1a StPO geforderten Angaben nicht enthalte, sei seine Beweiskraft entfallen. Im Freibeweisverfahren habe der Beschwerdeführer aufgrund der sich widersprechenden Erklärungen der Verteidigerin und der Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Nachweis einer Verständigung nicht zur Überzeugung des Senats führen können.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben, weil er den Beschwerdeführer in seinem Prozessgrundrecht auf ein faires Strafverfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt, und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts weicht in einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Weise von den Anforderungen an die richterliche Sachaufklärung ab. Einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte es schon im Hinblick auf die augenfällige Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft bedurft, die einerseits primär das Ziel einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft verfolgt haben will, andererseits aber in der Hauptverhandlung selbst die Aufhebung des Haftbefehls beantragte. Ferner hätte das Oberlandesgericht Stellungnahmen der Schöffen und der Urkundsbeamtin einholen müssen, da nach der widerspruchsfreien Erklärung der Verteidigerin die Gespräche im Sitzungssaal fortgesetzt worden sein sollen.

Darüber hinaus hätten verbleibende Zweifel nicht zulasten des Beschwerdeführers gewertet werden dürfen. Zwar ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der auch im Freibeweisverfahren gebotenen Sachaufklärung nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zulasten des Angeklagten gehen. Dies gilt jedoch dann nicht mehr, wenn die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts auf einem Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht beruht.“

Liest sich aber hier schon „unschön“:

„…auf die augenfällige Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft…“

Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auch beim „Deal“?

Nach der Neuregelung der Absprachepraxis in § 257c StPO wird unterschieden zwischen der Verständigung i.S. der StPO und dem sog. (unzulässigen) Deal. Unter ersterem versteht man eine Verständigung i.S. der StPO, bei der die gesetzlichen Vorgaben und Regeln eingehalten worden sind, unter letzterem eine Verständigung, die den gesetzlichen Vorgaben nicht entspricht. Fraglich und umstritten ist, ob auf den Deal auch die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO  Anwendung findet. Mit der Frage setzt sich der OLG Celle, Beschl. v. 27.19.2011 –1 Ws 381/11 – auseinander. Die Ausführungen des OLG sind zwar „nicht tragend“, lassen aber die Auffassung des Senats deutlich erkennen:

Inwieweit die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Verständigungen „praeter legem“ Anwendung findet, ist umstritten und derzeit obergerichtlich nicht entschieden (ausdrücklich offen gelassen in BGH, Beschl. v. 27. Oktober 2010, 5 StR 419/10, NStZ 2011, 473). Für zulässig erachtet hat der BGH die Rücknahme einer Revision, die am Tage der Verkündung gegen ein auf einer Verständigung beruhendes Urteil eingelegt wurde, binnen einer Stunde nach deren Einlegung (Beschl. vom 14. April 2010, 1 StR 64/10, BGHSt 55, 82). In den Entscheidungsgründen wird allerdings ausdrücklich betont, dass dies keine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften sei, weil für den Angeklagten bei Einlegung und anschließender Rücknahme eines Rechtsmittels eine andere Entscheidungssituation gegeben sei als bei einer in der Hauptverhandlung u.U. vorschnell abgegebenen Verzichtserklärung.

Vereinzelt wird vertreten, dass die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nur auf die Fälle einer Verständigung i. S. d. § 257c StPO bzw. solche Verständigungen, die zumindest die „Essentialia“ der Verständigungsordnung wahren, beschränkt sei, um die Rechtsunsicherheit nicht unnötig zu beeinträchtigen. So seien schon zuvor Verständigungen, die nicht gesetzlichen bzw. höchstrichterlichen Anforderungen genügten, für insgesamt unbeachtlich gehalten worden (Bittmann, wistra 2009, 414; ders. NStZ-RR 2011, 102ff.).

Diese Rechtsauffassung ist jedoch nur schwer mit der Entstehungsgeschichte der Norm des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO in Einklang zu bringen. Noch vor der gesetzlichen Regelung hatte der Große Senat für Strafsachen beim BGH am 3. März 2005 (BGHSt 50, 40) entschieden, dass ein Rechtsmittelverzicht nach unzulässigen Urteilsabsprachen, die eben einen solchen Rechtsmittelverzicht zum Gegenstand haben, unwirksam ist, wenn der Angeklagte zuvor nicht qualifiziert belehrt wurde. Nachdem im Gesetzgebungsverfahren diese qualifizierte Belehrung nach der Vorgabe des BGH als ausreichend erachtet wurde (Regierungsentwurf, BT-Drs 16/12310; Bundesratsentwurf, BT-Drs 16/4197), entschied sich der Gesetzgeber letztlich auf Empfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs 16/13095) für die gänzliche Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts in der Form des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO. Zweck dieser Regelung war eine Ausdehnung der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auf alle Urteile, denen eine Verständigung vorausging, nicht hingegen eine Einschränkung gegenüber der früheren Rechtsprechung.

Deswegen wird mit guter Begründung vertreten, dass die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO erst Recht auf solche Absprachen bzw. Verständigungen Anwendung finden muss, die den gesetzlichen Vorgaben des § 257c StPO nicht entsprechen und die es in dieser Form eigentlich gar nicht geben dürfte (so Kudlich, Gutachten zum 68. DJT, S. C 55f; Jahn/Müller, NJW 2009, 2625, 2630 m.w.N.)

Mich überzeugt es. Mal sehen, was andere Revisionsgerichte mit der Frage machen.

Wochenspiegel für die 39. KW, oder wir blicken man wieder über den Tellerrand

Zu berichten ist über:

1. Die Fahrschülerin und die Unfallflucht, hier und hier.
2. Und immer wieder Kachelmann, hier
3. Bei manchen Gerichten scheint die Zeit noch stehen geblieben zu sein, vgl. hier und hier
4. Wer zu viel quasselt, muss die Folgen (er)tragen, vgl. hier.
5. Die Vollstreckung ausländischer Knöllchen, hier und hier.
6. Deal ist so ein schmutziges Wort; darum heißt es in der StPO ja auch „Verständigung“.
7. Der Gesetzgeber und die Blutprobe war hier das Thema.
8. Passend zum Oktoberfest: Die Taxifahrt des betrunkenen Kunden, hier und hier.
9. Gehören Roller wirklich verboten?, hier
10. Über geplante gesetzliche Neuregelungen konnte man sich hier informieren.

Happige „Strafe“ für Steuerbetrug in Bremen, – da wird hingelangt

In der „Borkumer Zeitung“ – interessantes 🙂 Blättchen 🙂 stoße ich gerade auf eine Nachricht mit der Überschrift: „Happige Strafe für Steuerbetrug“ (vgl. auch hier).  Danach sind gegen einen Bremer Rechtsanwalt und seine Ehefrau wegen gemeinschaftlich versuchter Steuerhinterziehung in zwei besonders schweren Fällen Strafbefehle rechtkräftig geworden über Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr sowie einer Geldstrafe von insgesamt sechs Millionen Euro (!!). Außerdem müssen das Ehepaar noch insgesamt vier Millionen Euro als Geldauflagen an die Staatskasse und gemeinnützige Einrichtungen zahlen.

Na, das ist doch was. Und die Verteidiger – im Bericht heißt es „…nach Informationen dieser Zeitung allesamt Koryphäen des Wirtschafts- und Steuerrechts aus Bremen, Bonn und Hamburg – haben dann mit der Staatsanwaltschaft in mühseligen Verhandlungen einen Deal gemacht…“ – : Sicherlich „Spezialisten für Deal“ :-).