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Verkehrs-Owi sind immer unterdurchschnittlich, oder: Fehlende Ermessensausübung des Verteidigers

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Am letzten Freitag im September dann zwei gebührenrechtliche Entscheidungen zu den Rahmengebühren, also § 14 RVG.

Ich beginne mit dem LG Dresden, Beschl. v. 14.09.2023 – 5 Qs 56/23. Das LG äußert sich noch einmal zu den Rahmengebühren im Bußgeldverfahren. In dem Verfahren ging es um einen Rotlichtverstoß mit einem Bußgeld in Höhe von 90,00 €, verbunden mit der Eintragung von einem Punkt in das Fahreignungsregister. Dagegen der Einspruch des Verteidigers. Die Hauptverhandlung beim AG hat dann 27 Minuten gedauert. Der Betroffene ist frei gesprochen worden.

Der Verteidiger macht dann seine Gebühren geltend, wobei er bezüglich der Grund- und Verfahrensgebühren jeweils 90 % der Mittelgebühr und betreffend der Terminsgebühr 96 % der Mittelgebühr ansetzt. Der Bezirksrevisor hat  die Festsetzung der Gebühren jeweils in Höhe von 70 % der jeweiligen Mittelgebühr beantragt. In der Höhe hat das AG dann festgesetzt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„Nach § 14 RVG bestimmt ein Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände. Solche sind v. a. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Wenn die Gebühr von einem Dritten, mithin auch von der Staatskasse, zu ersetzen ist, ist die anwaltlich getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer sind durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Fahreignungsregister grundsätzlich als unterdurchschnittliche Bußgeldsache anzusehen, (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 29.09.2017, 5 Qs 63/17, im Ergebnis wie hier LG Hanau, Beschluss vom 18. Mai 2020 – 7 Qs 38/20 -, juris; LG Osnabrück, Beschluss vom 25. Februar 2020 – 15 Qs 11/20 -, juris; LG Halle (Saale), Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 3 Qs 117/19 -, juris; LG Kassel, Beschluss vom 20. Mai 2019 – 8 Qs 18/19 -, juris und LG Berlin, Beschluss vom 12. September 2006 – 526 Qs 257/06 -, juris). Als angemessene Vergütung in derlei Fällen kommt grundsätzlich nicht die Mittelgebühr, sondern eine niedrigere Gebühr in Betracht.

Der Verteidiger des Betroffenen hat in Kenntnis dieser ständigen Rechtsprechung der Kammer, die in vergleichbaren Fällen eine Gebührenerstattung in einem Umfang von 70 % der Mittelgebühr vorsieht, 20 % bzw. 26 % hinzuaddiert und vorgetragen, dass bei der Gebührenbemessung das Ermessen in dieser Bußgeldsache berücksichtigt worden sei, indem er gerade nicht die Mittelgebühr in Ansatz gebracht habe.

Der Verteidiger des Betroffenen übersieht dabei, dass der Toleranzrahmen von 20 % bei der anwaltlichen Bestimmung der billigen Gebühr nach § 14 RVG nicht den Zweck hat, die eindeutig angemessene Gebühr einfach um 20 % zu erhöhen. Eine vom Gericht zu tolerierende Gebührenbestimmung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn sie auf Grund der Umstände des Einzelfalls in Verbindung mit den Bemessungskriterien getroffen worden ist, (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, § 14 Rn. 12).

Daran fehlt es vorliegend. Bereits aus dem Verteidigervorbringen ergibt sich, dass sich die Entscheidung nicht mit den Umständen des Einzelfalls, der Bedeutung der Angelegenheit, der Schwierigkeit und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Betroffenen auseinandergesetzt hat, sondern lediglich unter Berufung auf die Toleranzgrenze ein Aufschlag auf die angemessene Gebühr um 20 % bzw. 26 % vorgenommen wurde.

Eine solche ohne das gebotene Ermessen getroffene Bestimmung ist ermessensfehlerhaft und damit unbillig und nicht verbindlich, auch wenn die geltend gemachten Gebühren die Toleranzgrenze von 20 % teilweise nicht überschreiten sollten….“

Dazu nur zwei Punkte:

1. Das, was das LG zur Rahmengebühr und zur Mittelgebühr schreibt, ist falsch und wird auch nicht dadurch richtig(er), dass man auf eine falsche ständige Rechtsprechung verweist. Das ist mal wieder eine der Sachen, bei der ich schreien möchte: Ich mag nicht mehr.

2. Zutreffend ist allerdings dann – blindes Huhn und so 🙂 -, was das LG zur Gebührenbestimmung schreibt. Da muss die Ausübung des Ermessens des Rechtsanwalts erkennbar sein, was hier aber nicht der Fall war. Also: Keine Bindungswirkung.

OWi II: Einsicht in die gesamte Messreihe zur Messung, oder: Einsichtsrecht und Aussetzungsantrag

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann vom OLG Köln. Sie ist schon etwas älter, ich habe sie aber erst vor kurzem übersandt bekommen.

In dem Beschluss geht es um das Einsichtsrecht des Verteidigers in die so. Messreihe. Das OLG Köln begründet im OLG Köln, Beschl. v. 30.05.2023 – 1 RBs 288/22 – eingehend, warum der Verteidiger/Betroffene ein Einsichtsrecht hat und dass die Hauptverhandlung ggf. aus Antrag auszusetzen ist, wenn das Einsichtsrecht nicht beachtet worden ist.

Wegen der Einzelheiten bitte „Selbststudium. Hier nur mein Leitsatz:

Dem Verteidiger des Betroffenen ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG ggf. auf Antrag die vollständige Messreihe zu einer Geschwindigkeitsmessung zur Verfügung zu 72123, BeckRS 2023, 9523).

OWi I: Einsicht in Messunterlagen zur Messung, oder: Alles muss auf den Tisch

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Und heute dann mal – seit längerem – wieder OWi-Entscheidungen. Zwei der vorgestellten OLG-Entscheidungen befassen sich (noch einmal) mit dem Einsichtsrecht des Verteidigers/Betroffenen in Messdaten und Messunterlagen. Zu diesen beiden Entscheidungen stelle ich, da sie umfangreich begründet sind, nur die Leitsätze vor.

Und schon hier der Hinweis: Beide Entscheidungen sind nicht „Mainstream“.

Ich beginne mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.08.2023 – 1 ORbs 34 Ss 468/23 . Dem liegt das übliche „Procedere“ zugrunde“. Der Verteidiger hat beantragt, ihm (Mess)Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Die erhält er nicht. Nach Verurteilung des Mandanten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, die Erfolg hat.

Hier der Leitsatz zur Entscheidung – Rest dann bitte im Volltext lesen:

  1. Die Verwaltungsbehörde hat dem Verteidiger der Betroffenen oder einem von diesem beauftragten Sachverständigen auf seinen Antrag sämtliche auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Messunterlagen zur Verfügung stellen, die erforderlich sind, um der Betroffenen zu ermöglichen, die Berechtigung des auf das Ergebnis eines (standardisierten) Messverfahrens gestützten Tatvorwurfs mit Hilfe eines Sachverständigen selbständig zu überprüfen.

  2. Ein Beweisverwertungsverbot für Messdaten entsteht nicht daraus, dass das verwendete Messgerät sogenannte Rohmessdaten nicht speichert.

Straßenverkehrsrechtliches Bußgeld-Verfahren, oder: Mit drei Sachverständigen „äußerst einfach gelagert“?

Smiley

Am Gebührenfreitag heute zunächst etwas aus Koblenz, und zwar der LG Koblenz, Beschl. v. 22.08.2023 – 6 Qs 38/23 – zu den Rahmengebühren in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren.

Der Sachverhalt (wegen der Einzelheiten bitte dne Volltext lesen): Ausgangspunkt ist ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 22 km/h eine Geldbuße von 120,00 EUR festgesetzt worden, was nach Rechtskraft des Bußgeldbescheides die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister zur Folge gehabt hätte. Der Verteidiger, der Kollege Gratz aus Bous, der mir den Beschluss geschickt hat, hat Einspruch eingelegt und dann „verteidigt“ und dabei  die (erforderlichen) Anträge auf Einsicht in diverse Aufzeichnungen und Unterlagen, u.a. in die Videoaufnahmen der Übersichts- und Identkameras im Originalformat, den öffentlichen Schlüsseln („Public Key“), die Statistikdatei, das Referenzvideo betreffend die Einrichtung der Messstelle, vorhandene Wartungs-. Instandsetzungs- und Eichunterlagen des Messgeräts, die „Lebensakte“, die Gebrauchsanweisung des Messgeräts. Protokolldateien der Wechselverkehrszeichenanlage, die Baumusterprüfbescheinigung, Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung gestellt. Das zieht sich hin und die Bußgeldbehörde mauert.

Im Hauptverhandlungstermin am 9.11.2022 bestreitet die Betroffene dann ihre Fahrereigenschaft. Es wird ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten zur Messung eingeholt. Daraufhin setzte das AG das Verfahren aus und beauftragte sowohl ein anthropologisches als auch ein messtechnisches Sachverständigengutachten und beraumt einen neuen Hauptverhandlungstermin an, in dem die Betroffene dann frei gesprochen wird.

Es wird dann Auslagenerstattung geltend gemacht. Der Kollege setzt an für die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG 211,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 211,00 EUR, Terminsgebühr für Termin am 9.11.2022 Nr. 5110 VV RVG 280,50 EUR, Terminsgebühr für Termin am 16.2.2022 5110 VV RVG 336,00 EUR. Der Bezirksrevisor „mault“. Das AG setzt dann  wie folgt festgesetzt: Gebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG 105,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 136,00 EUR, Terminsgebühr 5110 VV RVG (9.11.2022) 170,00 EUR und Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG (21.3.2023) 225,00 EUR.

Dagegen dann die sofortige Beschwerde. Die hat, was mich in Koblenz nicht überrascht, keinen Erfolg. Die allgemeinen Erwägungen des LG zu § 14 RVG lasse ich mal außen vor. Konkret zur Sache führt das LG aus:

2. In dem vorliegenden Verfahren waren die durch das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler festgesetzten Gebühren angemessen und haben auch den Ermessensspielraum des Verteidigers von 20 % ausreichend inkludiert.

Die auf dieser Grundlage festgesetzten Gebühren bewegen sich durchgehend weit über den Mindestsätzen. Sie tragen auch der Bedeutung der Sache für den Betroffenen hinreichend Rechnung. Dies gilt insbesondere auch mit Rücksicht darauf, dass die angesetzte Geldbuße auf 120,00 € festgesetzt worden war und damit einhergehend die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister im Raum stand, weshalb die Angelegenheit bei den bestehenden Voreintragungen und im Hinblick auf mögliche Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde als nicht ganz unerheblich für den Betroffenen einzustufen ist. In diesem Zusammenhang ist jedoch einschränkend zu berücksichtigen, dass gegen den Betroffenen kein Fahrverbot verhängt wurde, die unmittelbaren Folgen sich als nicht gravierend und möglicherweise berufsbeeinträchtigend darstellen. Auch dass die Regelgeldbuße gemäß § 17 OWiG i.V.m. § 3 BKatV wegen einer oder mehrerer Voreintragungen im Fahreignungsregister auf insgesamt 120,00 erhöht wurde, lässt mangels dahin-gehenden Vortrags eine finanzielle Notlage und dadurch eine gesteigerte Bedeutung für den Betroffenen nicht erkennen. Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse des Betroffenen ergibt sich aus der Akte lediglich, dass dieser als selbstständiger Gastronom tätig ist und in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.

Das Amtsgericht ist bei der Festsetzung der zu erstattenden Gebühren zudem zu Recht davon ausgegangen, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die nach der Sach- und Rechtslage und ihrer Schwierigkeit als deutlich unter dem Durchschnitt der Bußgeldverfahren liegend anzusehen ist. Denn Maßstab für die Beurteilung der Schwierigkeit wie auch des zeitlichen Aufwands sind nicht isoliert Verkehrsordnungswidrigkeiten, sondern es ist das gesamte Spektrum an Ordnungswidrigkeiten zu berücksichtigen, die von den Gebührensätzen, die im Vergütungsverzeichnis vorgesehen sind, abgedeckt werden. Um zu spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen etwa auf dem Gebiet des Umwelt-, Wirtschafts- und Steuerrechts, die einerseits erhebliche Bußgelder vorsehen, andererseits häufig mit rechtlichen Schwierigkeiten sowie umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, eine angemessene Relation herzustellen, können bei Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten daher im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 11.07.2012, 1 Qs 149/12. juris Rdnr. 8).

So liegt der Fall auch hier. Es handelte sich der Sache nach um einen äußerst einfach gelagerten Fall, in dem es um einen Geschwindigkeitsverstoß mit einem Lichtbild als Beweismittel ging. Den Einspruch hat der Verteidiger im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nicht begründet. Den in der Folge entstandenen Besonderheiten – es wurde ein gerichtliches Verfahren nach § 62 OWiG eingeleitet sowie ein zweiter Hauptverhandlungstermin durchgeführt, in dem ein anthropologisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde – ist durch die Erhöhung der Mindestgebühren angemessen Rechnung getragen worden. Ansonsten kann allenfalls von einem für Verkehrsordnungswidrigkeiten durchschnittlichen Aufwand ausgegangen werden. Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft sowie – nach Vorlage eines Privatgutachtens – die Richtigkeit der Messung bestritten.

Darüber hinaus hat der Verteidiger wiederholt die Unvollständigkeit der zur Verfügung gestellten Messdaten und -unterlagen gerügt und die Übersendung diverser Dateien und Dokumente beantragt. Dies erfolgte zunächst jedoch ebenfalls durch pauschale Aufzählung sämtlicher ein Mess-verfahren betreffender Unterlagen. Bei der dann folgenden – auf den ersten Blick umfangreichen – Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG handelt es sich offen-kundig um allgemeine Textbausteine nebst beigefügten gerichtlichen Entscheidungen. Überdies ist in dem gesonderten Verfahren 2 OWi 57/22 eine eigenständige Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen worden, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt keine erhöhten Gebühren wegen der Einleitung eines solchen Verfahrens verlangt werden können, da sich im Falle des dortigen Obsiegens die Auslagen für den konkreten Aufwand des Verfahrens nach § 62 OWiG für die Staatskasse „doppelt“ niederschlagen würden, obgleich diese nur einmal angefallen sind.

Soweit daneben die Einarbeitung in das „neue“ Messgerät VKS 4.5 zu einem überdurchschnittlichen Aufwand geführt haben soll, so ist dies zum einen mit der überdurchschnittlichen und antragsgemäßen Festsetzung der Grundgebühr (Nr. 5100 VV RVG) von 110.00 € hinreichend berücksichtigt. da diese Gebühr gerade für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall gewährt wird. Zum anderen dürfte zweifelhaft sein, ob für den konkret vorliegenden Fall – mit welchem der Verteidiger erstmals im März 2022 befasst war – eine umfassende Einarbeitung in die Funktionsweise des neuen Messgerätes erfolgen musste. So findet sich auf der Internetpräsenz des Verteidigers ein ausführlicher Artikel mit dem Titel „Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen mit VKS 4.5 – neue Verteidigungsansätze“. der auf den 27.01.2022 datiert und sich umfassend mit den Verteidigungsstrategien bei dem genannten Messverfahren beschäftigt.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Akte zum Zeitpunkt des ersten Akteneinsichtsgesuchs am 10.03.2020 einen Umfang von 41 Seiten hatte. Zwar gibt es auch Bußgeldakten, die im Anfangs-stadium noch bei der Bußgeldstelle deutlich weniger Seiten aufweisen. Gleichwohl ist dieser Aktenumfang in Verfahren, die den Tatvorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Form eines Geschwindigkeitsverstoßes zum Gegenstand haben, als durchschnittlich anzusehen. da oftmals -und so auch hier – zunächst Ermittlungen zur Identifizierung des verantwortlichen Betroffenen durch Ausgabe von Zeugenfragenbögen bzw. Halteranhörungen seitens der Bußgeldbehörde anzustellen sind. Der Aktenumfang bis zur Beendigung des Verfahrens stellt sich zwar als überdurchschnittlich dar. Dies resultiert jedoch insbesondere aus einer Vielzahl seitens der Verteidigung schriftlich gestellter und oftmals inhaltsgleicher oder -ähnlicher Anträge.

Neben vorstehenden Erwägungen gilt im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 5103 und 5109 VV RVG zudem ebenfalls, dass die Höhe der Geldbuße im Bußgeldverfahren maßgebliches Kriterium für die Gebührenhöhe ist, was der Gesetzgeber hier durch die Bestimmung eines Wertrahmens zum Ausdruck gebracht hat: anderenfalls hätte es einer Gebührenstaffelung für verschiedene Geldbußen gerade nicht bedurft (LG Koblenz, Beschluss vom 15.09.2010, 4 Qs 53/10). Hier liegt die verhängte Geldbuße mit 120,00 € am untersten Rand der Staffelung (60,- bis 5.000,- €), was den Ansatz von Mittelgebühren ebenfalls nicht zwingend nahelegt. Generell ist auch hier der anzusetzende Vergleichsmaßstab nicht innerhalb verschiedener Verkehrsordnungswidrigkeiten zu suchen, sondern vielmehr im Hinblick auf die Frage, ob es sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Bußgeldverfahren handelt, ein Vergleich zwischen Verkehrsordnungswidrigkeiten einerseits und spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen andererseits anzustellen.

Hinsichtlich der Terminsgebühr (Nr. 5110 VV RVG) für die Termine am 09.11.2022 und am 21.02.2023 ist ebenfalls zunächst auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen. Die Dauer des Hauptverhandlungstermins am 21.02.2023 geht aus dem Protokoll mangels Angabe des Sitzungsendes (vgl. BI. 163) nicht hervor. Der Umstand, dass dieser Termin für Bußgeldangelegenheiten aber offenbar vergleichsweise lange andauerte und ein Zeuge sowie eine Sachverständige gehört worden sind, ist vom Amtsgericht (das sogar von zwei Sachverständigen ausgegangen ist, obwohl der Gutachter pp. im Termin offenbar nicht zu Wort kam) hinreichend berücksichtigt worden. Im Übrigen sind die in den jeweiligen Terminen durch die Unterbevollmächtigten vorgelegten ,.Einsichts- bzw. Aussetzungsanträge“ wortgleich. Der Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung und auf gerichtliche Entscheidung bezieht sich in der knappen Begründung erneut auf die bereits seitens der Vereidigung zuvor dargestellte Problematik der umfassenden Ein-sicht in alle Unterlagen und Dateien der Messung, bedurfte mithin keiner erneuten Einarbeitung…..“

Wenn ich es lese, mag ich kaum glauben, dass ein LG so viel gebührenrechtlich Falsches zusammenschreiben kann. Aber leider ist das der Fall. Und leider scheint das, da das LG an verschiedenen Stellen auf eigene Rechtsprechung – andere kennt man offenbar nicht – Bezug nimmt – „herrschende Meinung“ in der Kammer zu sein.

Der Entscheidung insgesamt ist m.E. anzumerken, dass das LG mit dem Beschluss die Verteidigungsstrategie und das Verteidigungskonzept der Verteidigers abstrafen will, um nicht das Wort „Retourkutsche“ zu gebrauchen. Nur dabei übersieht es, dass der Verteidiger im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG in 2 BvR 1167/20 in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren nicht nur alles beanstanden darf, sondern sogar beanstanden muss, wenn es um das Messverfahren geht. Anders hat er – vor allem auch im Hinblick auf die Rechtsprechung der OLG – kaum eine Chance, die Ordnungsgemäßheit einer Messung zu beanstanden. Und das geht, wenn die Verwaltungsbehörden und zunächst wohl auch das AG „bockig“ sind, eben nur mit ggf. wortgleichen Anträgen und Textbausteinen, die ein Verteidiger ebenso wie ein AG bzw. LG zur Verfügung hat. Das kann man ihm also nicht „vorhalten.

Darüber hinaus ist auf folgende Punkte hinzuweisen: Schon der Ansatz des LG, im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren in der Regel von Gebühren unterhalb der Mittelgebühr auszugehen, ist falsch, wird aber leider – nicht nur vom LG Koblenz – immer wieder gewählt (vgl. zu der Problematik Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 55). Dieser gebührenrechtliche Nonsens, für den sich im RVG kein Anknüpfungspunkt findet, wird leider immer wieder vertreten. Auch spielt die Höhe der Geldbuße bei der Bemessung der Gebühr keine Rolle mehr. Der Bemessungsumstand ist durch die Einordnung der Gebühr in die jeweilige Gebührenstufe verbraucht (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.O., Vorbem. 5 Rn 57 m.w.N.). Es besteht ein gebührenrechtliches Doppelverwertungsverbot. Für die Abweichung bleibt das LG eine nachvollziehbare Begründung schuldig.

Hinzu kommt, dass nicht ganz klar ist, von welcher Bemessungsgrundlage das LG im Nachgang zum AG überhaupt ausgeht. Man hat den Eindruck, dass man von den „Mindestgebühren“ ausgegangen ist und die dann angemessen (?) erhöht und geprüft hat, ob die Mittelgebühr angemessen ist. Das ist jedoch vollkommen falsch, denn Ausgangspunkt für die Gebührenbemessung ist (immer) die Mittelgebühr, die dann unter Berücksichtigung aller gebührenerhöhenden und –ermäßigenden Umstände zu erhöhen oder zu erniedrigen ist (vgl. nur Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O., Teil A Rn 1793 ff.). Das sollte auch in Koblenz bekannt sein.

Zur Wertung der einzelnen Umstände durch das AG ist nur anzumerken, dass diese m.E. – zumindest teilweise – falsch gewichtet werden, war ersichtlich damit zusammenhängt, dass man offensichtlich die Verteidigungsstrategie „nicht mag“ und wohl abstrafen will. In dem Zusammenhang soll nur darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht um einen „äußerst einfach gelagerten Fall“ handelt, wenn Fahrereigenschaft und Ordnungsgemäßheit der Messung im Streit sind. Das zeigt sich allein schon daran, dass im Verfahren insgesamt wohl drei Sachverständigengutachten erstattet worden sind. Man fragt sich, wenn das LG Koblenz von einem „schwierigen Verfahren“ ausgehen will.

Auslagenerstattung nach dem Bußgeldverfahren II, oder: Einstellung wegen Verjährung

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Und die zweite Entscheidung, der LG Berlin, Beschl. v. 20.07.2023 – 510 Qs 60/23, behandelt ebenfalls die Problematik der Auslagenerstattung nach einem für die Betroffene „erfolgreich beendeten“ Bußgeldverfahren.

Gegen die Betroffene war durch Bußgeldbescheid wegen der Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführerin eine Geldbuße festgesetzt worden. Hiergegen hat die Betroffene Einspruch eingelegt. Mit Verfügung vom 24.01.2022 hat die Verwaltungsbehörde das Verfahren an das AG abgegeben worden. Jedoch hat die Amtsanwaltschaft das Verfahren erst mit Verfügung vom 05.12.2022 dem AG erstmals vorlegt. Am 09.12.2022 hat das AG einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Nach Hinweis der Verteidigung auf die Verfolgungsverjährung hat das Amtsgericht das Verfahren mit Beschluss vom 08. 06.2023 nach § 206a StPO eingestellt, weil Verfolgungsverjährung am 19.05.2022) eingetreten ist. Zugleich hat es die Kosten des Verfahrens, nicht aber die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Landeskasse auferlegt.

Gegen die Auslagenentscheidung wendet sich die Betroffene mit ihrer sofortigen Beschwerde. Diese hatte Erfolg:

„Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Wird das Verfahren wie vorliegend wegen eines dauernden Verfahrenshindernisses nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, fallen gemäß § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse zur Last. Abweichungen von dieser Regel lässt das Gesetz nur für wenige Ausnahmefälle zu. So kann das Gericht gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG davon absehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn sie wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Das Ermessen ist dabei jedoch erst dann eröffnet, wenn das Gericht überzeugt ist, dass die Betroffene ohne das Verfahrenshindernis verurteilt worden wäre (vgl. KG, Beschluss vom 26. Oktober 2020 —1 Ws 57/20). Vorliegend hat die Betroffene bereits am Tattag eingeräumt ihr Mobiltelefon genutzt zu haben, wobei sie darauf hinwies, dass sie nicht gewusst habe, dass man das Mobiltelefon während einer Rotphase nicht benutzen dürfe. Die spätere Einlassung, dass sie den Motor ausgeschaltet habe, ist als Schutzbehauptung zu werten. Mithin wäre es zu einer Verurteilung gekommen.

Da das Ermessen allerdings nur dann eröffnet ist, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass die Betroffene ohne das Verfahrenshindernis verurteilt worden wäre, müssen zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem Verurteilungshindernis besondere Umstände hinzutreten, welche es billig erscheinen lassen, der Betroffenen die Auslagenentscheidung zu versagen (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2016, 159f. m.w.N.). Die Umstände dürfen allerdings nicht in der voraussichtlichen Verurteilung der Betroffenen und der ihr zugrundeliegenden Tat oder der Schwere der Schuld gefunden werden. Sondern es müssen andere Gründe — insbesondere ein der Betroffenen vorwerfbares Fehlverhalten — hinzutreten, die eine Abweichung von der Regel des § 467 Abs. 1 StPO unbillig erscheinen lassen (vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 10b m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Auflage 2022, § 467 Rn. 18 m.w.N.). Solche Gründe sind vorliegend nicht gegeben. Insbesondere weist die Kammer darauf hin, dass die Verfolgungsverjährung bereits mehr als sechs Monate vor Abgabe an das Amtsgericht Tiergarten eingetreten ist und der Zeitpunkt des Eintritts der Verfolgungsverjährung durch die Polizei Berlin in der Akte vermerkt worden ist. Für das Amtsgericht war das Verfahrenshindernis daher von vornherein erkennbar. Folglich bleibt es bei der Grundregel des § 467 Abs. 1 StPO (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Auflage 2023, StPO § 467 Rn. 10b m.w.N.).“