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Wurde der Pkw in der Waschstraße beschädigt?, oder: Anscheinsbeweis

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Author Hydro

Und als zweite Entscheidung dann hier das AG Wedding, Urt. v. 31.08.2022 – 20 C 350/20. Es geht um den Schadensersatz nach einem „Waschstraßenunfall“. Dazu meint das AG:

„Dem Kläger steht weder aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 631 BGB noch aus § 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.856,70 € zu.

Voraussetzung hierfür wäre, dass die Beklagte eine ihr obliegende Pflicht verletzt hätte und dass diese Pflichtverletzung zu einem Schaden an dem klägerischen Fahrzeug geführt hätte.

Nach den allgemeinen Grundsätzen ist es an dem Geschädigten als Gläubiger darzulegen und zu beweisen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug in der von der Beklagten betriebenen Waschstraße geschädigt worden ist, diese schuldhaft eine ihr obliegende Pflicht verletzt und diese Pflichtverletzung den Schaden verursacht hat. In Abweichung von dieser grundsätzlichen Beweislastverteilung ist in den sogenannten Waschstraßenfällen darüber hinaus anerkannt, dass von der Schädigung auf die Pflichtverletzung der Betreiberin geschlossen werden kann, wenn der Geschädigte darlegt und beweist, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich der Betreiberin herrührt. Dieser Anscheinsbeweis kommt jedoch nur dann zum Tragen, wenn feststeht, dass der Schaden nur durch den automatisierten Waschvorgang in der Waschstraße selbst verursacht worden sein kann, also keine andere Schadensursache in Betracht kommt (LG Berlin, Urteil vom 23. 12. 2015 – 54 S 32/15; OLG Hamm, Urteil vom 12.4.2002 – 12 U 170/01; LG Essen, Urteil vom 20.11.2008 – 10 S 300/08; LG Bochum, Urteil vom 27.2.2004 – 10 S 48/03). Ist diese Feststellung nicht möglich, liegt das Risiko der Unaufklärbarkeit der Schadensursache beim Fahrzeugeigentümer.

Der Nachweis der objektiven Pflichtverletzung und der Schadensverursachung ist nach den vorgenannten Grundsätzen durch den Geschädigten erst dann erbracht, wenn feststeht, dass ein Fahrzeug beim Durchfahren einer Waschanlage beschädigt worden ist und weder ein Defekt am Fahrzeug noch ein Fehlverhalten des Benutzers vorliegt.

Eine Schadensursächlichkeit allein aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten ist vorliegend jedoch nicht feststellbar. Dem Kläger ist es nicht gelungen den erforderlichen Beweis zu führen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug des Klägers den hier geltend gemachten Schaden nicht bereits bei der Einfahrt in die Waschanlage aufwies.

Gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhaltes der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Eine unumstößliche Gewissheit, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist, ist dabei nicht erforderlich. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad einer Gewissheit, der Zweifeln schweigen gebietet. Entscheidend ist, ob der Richter die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann (BGH, Urteil vom 17.2.1970 – III ZR 139/67; BGH, Urteil vom 14.1.1993 – IX ZR 234/09; BGH, Urteil vom 18.1.2000 – VI ZR 375/98). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

1. Die Aussagen der Zeugin pp. sowie des Zeugen pp. sind unergiebig. Beide Zeugen können sich weder an den Kläger noch an das streitgegenständliche Fahrzeug erinnern. Insbesondere können sie keine Aussage dazu treffen, ob die Kratzer frisch gewesen seien. Beide Zeugen haben vielmehr das allgemeine Procedere bei einer Schadensaufnahme beschrieben, wobei sie übereinstimmend erklärt haben, dass sie die Schäden ohne jegliche Wertung aufnehmen und an den Chef weiterleiten. Überdies hat der Zeuge Richard erklärt, dass er nur die Daten vom Kunden aufgenommen hätte, die Schadensbeschreibung auf dem Schadensprotokoll, Blatt 13 d.A., sei nicht seine Handschrift.

2. Soweit der Kläger die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens als Beweis angeboten hat, so bezieht sich dieses Beweisangebot allein darauf, dass der Schaden durch die Waschanlage entstanden sein soll. Diesem Beweisangebot wäre erst in einem zweiten Schritt nachzugehen gewesen, wenn es dem Kläger gelungen wäre, nachzuweisen, dass das Fahrzeug die streitgegenständlichen Beschädigungen nicht bereits bei der Einfahrt in die Waschstraße aufgewiesen hätte.

3. Dem Beweisantrag des Klägers aus der mündlichen Verhandlung vom 12.7.2022 auf Parteivernehmung war nicht stattzugeben. Die Voraussetzungen des § 447 ZPO liegen nicht vor, da die Beklagte eine Vernehmung des Klägers ausdrücklich widersprochen hat. Auch eine Vernehmung von Amts wegen gemäß § 448 ZPO kommt nicht in Betracht. Voraussetzung hierfür ist, dass alle zuvor angebotenen Beweismittel ausgeschöpft sind und diese keinen vollständigen Beweis erbracht haben (BGH, Urteil vom 12.12.2019 – III ZR 198/18).

Zwar waren die zuvor angebotenen Beweismittel in Form der Vernehmung der genannten Zeugen ausgeschöpft. Da diese jedoch unergiebig waren, fehlt es an der 2. Voraussetzung des § 448 ZPO. Die nach pflichtgemäßem Ermessen vom Gericht anzuordnende Parteivernehmung von Amts wegen setzt grundsätzlich das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der beweisbelasteten Partei aufgrund des bisherigen Verhandlungsergebnisses bei einer non-liquet-Situation im Übrigen voraus. Dieser „Anbeweis“ kann sich aus einer schon durchgeführten Beweisaufnahme oder aus dem sonstigen Verhandlungsinhalt, insbesondere aus einer Anhörung nach § 141 ZPO oder aus Ausführungen der Partei nach § 137 IV ZPO ergeben (stRspr, vgl. zB Senat BGHZ 186, 152 [155] = NJW 2010, 3292 Rn. 15; BGH NJW-RR 2003, 1002 [1003]; BGHZ 150, 334 [342] = NJW 2002, 2247; BGH NJW 1999, 363 [364] mwN; Zöller/Greger, § 448 Rn. 4).

An einem solchen „Anbeweis“ fehlt es hier. Entgegen der Auffassung der Kläger war für die Schaffung eines solchen „Anbeweis“ auch nicht eine Parteianhörung gemäß § 141 ZPO durchzuführen. Eine Parteianhörung dient nicht als Beweismittel, sondern hierdurch soll die Klärung, Konkretisierung oder Ergänzung des Sachverhaltes ermöglicht werden (siehe hierzu Lange: „Parteianhörung und Parteivernehmung“ in NJW 2002, 476). Einer solchen Klärung des Sachverhaltes bedurfte es vorliegend nicht. Hierbei ist folgendes zu berücksichtigen: § 148 ZPO will und darf nicht die beweisbelastet Partei von den Folgen der Beweisfälligkeit befreien. Ihr Zweck besteht vielmehr darin, wenn nach dem Ergebnis der Verhandlung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptung spricht und andere Erkenntnisquellen nicht mehr zur Verfügung stehen, dem Gericht ein Mittel zur Gewinnung der letzten Klarheit an die Hand zu geben (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., 2020, § 448 Rn. 2)

Soweit es an einem solchen „Anbeweis“ fehlt, ist nach der Rechtsprechung des BGH zu prüfen ob eine Vernehmung des Klägers gemäß § 448 ZPO nach Maßgabe der Rechtsprechung zu den sogenannten „Vier-Augen-Gesprächen“ (Waffengleichheit) durchzuführen ist (BGH, Urteil vom 12.12.2019 – III ZR 198/18). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass eine Partei benachteiligt sein kann, wenn ein Gespräch zwischen ihr und dem Zeugen der Gegenpartei stattgefunden hat, sodass aus Gründen der Waffengleichheit eine Parteivernehmung von Amts wegen zu erfolgen hat. Hiermit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Weder unmittelbar vor der Einfahrt in die Waschstraße noch bei der Befahrung der Waschstraße selbst war die Beklagte oder ein Zeuge der Beklagten anwesend. Müsste die Beklagte, die bei dem klägerseits behaupteten Schadensfall weder anwesend war noch diesen wahrgenommen hat, in diesen Fällen stets und immer eine Parteivernehmung der klagenden Seite hinnehmen, so geriete sie ihrerseits regelmäßig in eine zivilprozessual kaum zu rechtfertigenden Beweisnot. Denn Sinn und Zweck des §§ 448 ZPO ist es gerade, die austarierten Regeln über die Darlegungs- und Beweislast über eine gleichsam voraussetzungslose Parteivernehmung von Amts wegen nicht leerlaufen zu lassen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger in Ermangelung eines anderweitig geeigneten Beweismittels von vornherein beweislos gestellt wird, zumal er hier auch bereits Zeugen benannt hatte. Überdies ist es anerkanntes Recht, dass es prozessual grundsätzlich jedermann freisteht, mittels einer Zession sich selbst zum Zeugen in eigener Sache zu machen. Hiervon hat der Kläger aber keinen Gebrauch gemacht.“

Ersatz von Auslagen für Kopien aus der Gerichtakte, oder: Irgendetwas stimmt da mit den Zahlen nicht….

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Und dann als zweite Entscheidung der BGH, Beschl. v. 12.09.1919 – 3 BGs 293/19 – ja das Entscheidungsdatum ist richtig, die Entscheidung ist erst jetzt veröffentlicht worden. Die Entscheidung ist zwar auch nicht schön, aber: Das liegt hier m.E. am Verteidiger.

Der BGH hat in dem Beschluss über den Ersatz von Auslagen für Kopien aus der Gerichtakte, wenn der Mandant inhaftiert ist, entschieden. Grundlage war folgender Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger. Er hat am 06.05.2019 die Erstattung von Kopierkosten in Höhe von 1.785,85 EUR nach Nr. 7000 RVG zzgl. hierauf entfallender Umsatzsteuer nach Nr. 7008 RVG beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sämtliche ihm im März 2019 in Form einer elektronischen Hilfsakte durch den Generalbundesanwalt beim BGH überlassenen Bestandteile der Verfahrensakte bis einschließlich Band 5 durch ihn ausgedruckt worden seien, da die Bundesanwaltschaft erklärte habe, diesem einen Laptop mit der elektronischen Hilfsakte erst nach Anklageerhebung zur Verfügung stellen zu wollen. Nach Anhörung der Kostenprüfungsbeamtin des BGH wies der Rechtspfleger den Rechtsanwalt darauf hin, dass dieser einer Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit eines vollständigen Ausdrucks digitalisierter Verfahrensakten unterliege. Mit Beschluss vom 01.07. 2019 wurde der Antrag des Rechtsanwalts auf „Erstattung umfangreicher Kopierauslagen aus der Bundeskasse“ zurückgewiesen

Hiergegen hat der Rechtsanwalt Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat er abermals die unterbliebene frühzeitige Bereitstellung eines Laptops durch die Anklagebehörde angeführt und ergänzt, dass die Justizvollzugsanstalt es ihm untersagt habe, seinen eigenen Laptop zu Verteidigergesprächen mitzubringen. Dem Gebot eines ressourcenschonenden Umgangs habe er dadurch Rechnung getragen, dass ausschließlich schwarz-weiß-Kopien gefertigt worden seien. Auch habe er die Bundesanwaltschaft bereits im März darauf hingewiesen, dass er im Falle weiterer Verzögerungen bei der Bereitstellung eines Laptops werde. Der GBA hat im Erinnerungsverfahren mitgeteilt, dass dem Beschuldigten entsprechend einer schriftlichen Ankündigung vom 08.05.2019 mit Verfügung vom 09.07.2019 ein Laptop zur Verfügung gestellt wurde; am 12.09.2019 wurde das Passwort für die Dateien übersandt. Die Erinnerung hatte beim BGH keinen Erfolg.

Der BGh nimmt (noch einmal) zu den Grundsätzen für den Ersatz von Auslagen für Kopein aus der Gerichtsakte Stellung. Das lässt sich etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

  1. Der Ersatz von Auslagen für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten kann verlangt werden, soweit diese zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten oder zur notwendigen Unterrichtung des Auftraggebers zu fertigen waren.
  2. Die Darlegungs- und Beweisleist im Auslagenerstattungsverfahren obliegt dem Rechtsanwalt als Antragssteller. Es bedarf für die erforderliche Substantiierung eines konkreten Tatsachenvortrags. Dieser hat namentlich erkennen zu lassen, dass sich der Rechtsanwalt der ihm hierbei eingeräumten Einschätzungsprärogative ebenso bewusst gewesen ist, wie seiner Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung.

Zum konkreten Fall führt er dann aus:

„2. Gemessen an diesen rechtlichen Maßgaben musste dem Rechtsmittel hier der Erfolg versagt werden.

a) Zwar drängt sich angesichts des verstrichenen Zeitraums von März bis Juli 2019 auf, dass für den Erinnerungsführer zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung die Notwendigkeit eines jedenfalls teilweisen Ausdrucks der Ermittlungsakte bestand. Ihm war es eingedenk des erheblichen Verfahrensumfangs und mit Blick auf das in Haftsachen besondere Geltung beanspruchende Gebot zügiger Verfahrensführung nicht zumutbar, von März 2019 bis zur Überlassung des Datenträgers im Juli 2019 zuzuwarten und erst dann in verfahrensvorbereitende Gespräche einzutreten, die sein Mandant in dem hier umfangreichen Verfahren anhand eigener Aktenlektüre vorbereiten konnte.

b) Der Antragssteller begehrt aber weiterhin – trotz wiederholten Hinweises durch den Rechtspfleger – ohne jede Form der Substantiierung die Erstattung eines pauschalen Ausdrucks der gesamten digitalisierten Verfahrensakte zur Verfahrensvorbereitung für seinen inhaftierten Mandanten. Das erweist sich hier als unzureichend. Schon zu dem maßgebenden Umstand, dass er – zumindest – das Gebot kostenschonender Prozessführung durch eine Durchsicht der Verfahrensakten bedacht und selbst differenziert bewertet hat, was konkret als Besprechungsgrundlage erforderlich sein wird, trägt der Erinnerungsführer nicht vor. Es bleibt ferner offen, ob und an wie vielen Tagen in der Zeit nach der Übersendung der digitalisierten Verfahrensakten überhaupt Besprechungstermine stattgefunden haben oder auch nur geplant waren. Überdies ist gerichtsbekannt, dass die Verfahrensakten einen nicht unerheblichen Anteil gerichtlicher Anordnungen nach § 162 StPO sowie anwaltliche Schriftsätze enthalten, bei denen sich die Notwendigkeit einer Erörterung mit dem Mandanten nicht ohne Weiteres erschließt.“

Manch einer wird nun sagen: Mal wieder der böse BGH, der die Rechtsanwälte/Verteidiger nicht mag. Aber das ist hier m.E. nicht richtig. Denn der BGH hat, was seinen Ausführungen deutlich zu entnehmen ist, einen Erstattungsanspruch nicht grundsätzlich verneint, sondern sieht ihn in diesem Fall vielmehr als grundsätzlich gegeben an. Anders ist der Hinweis auf „den verstrichenen Zeitraum von März bis Juli 2019“, bei dem sich „aufdrängt“, dass die Notwendigkeit zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung, die Ermittlungsakten jedenfalls teilweisen auszudrucken, bestanden habe, nicht zu verstehen. Vereinfacht ausgedrückt: Du Pflichtverteidiger hättest hier, weil der Generalbundesanwalt mit dem Zurverfügstellen eines Laptops für den Beschuldigten nicht voran machte, ausdrucken dürfen, wenn ….

Und bei dem „wenn“ liegt dann das Versagen des Verteidigers, denn: Der BGH hält daran fest bzw. bestätigt die OLG-Rechtsprechung, wonach die Beweislast für die Notwendigkeit des Ausdrucks beim Verteidiger/Rechtsanwalt Das mag man für falsch ansehen, ist aber h.M., gegen die ein Anlauf nicht lohnt, sondern auf die man sich einstellen muss. Und es war hier nun wahrlich nicht viel, was der BGH gern vom Pflichtverteidiger gelesen hätte. Die vermissten Angaben sind schnell gemacht und hätten, so verstehe ich den BGH, zur Erstattung geführt. Es bestand m.E. auch kein Problem hinsichtlich der Verschwiegenheitspflicht. (§ 43 a Abs. 2 BRAO bzw. § 2 BORA). Denn bei den vom BGH gewünschten/erwarteten Angaben handelt es sich um solche, die unter § 2 Abs. 3 b BORA fallen dürften. Von daher: Die „Dickfelligkeit“ des Verteidigers ist nicht nachzuvollziehen und stört ersichtlich auch den BGH, der deutlich darauf hinweist, dass der Verteidiger die Angaben noch nicht einmal nach einem Hinweis des Rechtspflegers gemacht hat.

Im Übrigen: Irgendetwas stimmt da nicht. Geltend gemacht worden sind vom Pflichtverteidiger 1.785,85 EUR für die Kopien. Das ist ausweislich der Gründe des BGH-Beschlusses der Nettobetrag. Prüft man diesen an der Vorgaben der Nr. 700 Ziff. 1a VV RVG, dann lässt sich m.E. der Betrag anhand der im Beschluss mitgeteilten Umstände nicht nachvollziehen. Denn:

  • Von den 1.785,85 EUR sind die ersten 50 abzurechnenden Seiten je Seite 0,50 EUR abzuziehen, also 25,00 EUR.
  • Verbleiben also 1.760,85 EUR für die weiteren Seiten. Für die werden ggf. jeweils 01,5 EUR erstattet. D.h., dass der Pflichtverteidiger 11.739 weitere Seiten kopiert haben müsste.
  • Nach den Ausführungen des BGH ist die Verfahrensakte bis „einschließlich Band 5“ kopiert worden, eine genaue Anzahl der Seiten macht der BGH nicht. Geht man davon aus, dass ein Band Akten aus jeweils 400 Blatt besteht und unterstellt man weiter, dass jeweils Vorder- und Rückseite kopiert werden mussten, was m.E. jeweils zu Gunsten des Pflichtverteidigers günstige Annahmen sind, dann waren danach 5 x 800 Blatt = 4.000 Blatt zu kopieren. Das führt aber nur zu einem Betrag von 3.950 Blatt (4000 Blatt – 50 Blatt „erste Seiten“) x 0,15 EUR = 592,50 EUR. Zuzüglich der o.a. 25,00 EUR ergibt sich danach nur ein Erstattungsbetrag von (netto) 617,50 EUR, der dann aber doch im eklatanten Widerspruch zu den geltend gemachten 1.785,85 EUR steht.

Vorschadensproblematik bei der Unfallregulierung, oder: Verschweigen von Vorschäden

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Die zweite Entscheidung kommt heute mit dem OLG Hamm, Urt. v. 25.01.2022 – 9 U 46/21 – vom OLG Hamm. Gegenstand der Entscheidung ist eine Vorschadensproblematik mit folgendem Sachverhalt:

Der Kläger macht gegen die Beklagte aus einem von deren Versicherungsnehmerin allein verursachten Verkehrsunfall vSchadensersatzansprüche geltend. Bei diesem Unfall wurden die linke hintere Seitenwand und die hintere linke Tür seines Kraftfahrzeugs beschädigt.

Der im Dezember 2012 erstmals zugelassene PKW01 Typ01 hatte in der Vorbesitzzeit des Klägers im Jahre 2014 einen Heckschaden mit einem Reparaturaufwand von ca. 3.900,- EUR netto. Im Jahr 2016 erlitt das Fahrzeug bei einem Wildunfall einen Frontschaden und durch einen weiteren Unfall infolge eines Fehlers beim Einparken einen Schaden, durch den das linke Seitenteil betroffen wurde. Das Fahrzeug wurde, wie sich aus der Fahrzeughistorie unter Auflistung der einzelnen Positionen ergibt – jeweils bei einem PKW01 Vertragshändler instandgesetzt. Der Reparaturaufwand für den Seitenteilschaden belief sich ausweislich der vom Kläger vorgelegten und an den Voreigentümer adressierten Rechnung des PKW01 Autohauses C vom 18.01.2017 auf 1.400,57 EUR brutto. Im Zuge der Reparatur wurde das linke Seitenteil ausgebeult und anschließend lackiert. Eine Rechnung über die Instandsetzung des Frontschadens vermochte der Kläger nicht vorzulegen.

In der Besitzzeit des Klägers wurde durch spielende Kinder vor dem 01.11.2018 eine Beule oberhalb des hinteren linken Radkastens verursacht. Dieser Schaden blieb unrepariert.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe den Umfang möglicherweise deckungsgleicher Vorschäden am linken Seitenteil nicht dargelegt und insbesondere nichts zu deren fachgerechter Reparatur vorgetragen, so dass der ihm durch den Unfall vom 01.11.2018 entstandene Schaden nicht ermittelt werden könne. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren fort. Die Berufung des Klägers hatte in dem teilweise Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Wird das Fahrzeug in einem vorgeschädigten Bereich erneut, deckungsgleich beschädigt und ist die Unfallursächlichkeit der geltend gemachten Schäden deshalb streitig, muss der Geschädigte darlegen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit i.S.v. § 287 ZPO nachweisen, dass der geltend gemachte Schaden nach Art und Umfang insgesamt oder ein abgrenzbarer Teil hiervon auf das streitgegenständliche Unfallereignis zurückzuführen ist.
  2. Der Geschädigte muss grundsätzlich darlegen und ggf. nachweisen, welche eingrenzbaren Vorschäden an dem Fahrzeug vorhanden waren und durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen diese zeitlich vor dem streitgegenständlichen Unfall fachgerecht beseitigt worden sind.
  3. Bei der Bemessung der klägerischen Substantiierungslast zu Art und Ausmaß des Vorschadens und zu Umfang und Güte der Vorschadensreparatur dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden; der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG darf nicht verletzt werden.
  4. Das Verschweigen von Vorschäden führt nicht zu einem Anspruchsausschluss nach § 242 BGB. Die Versagung nachweislich bestehender Ansprüche ist in dem gesetzlichen Regime des materiellen Bürgerlichen Rechts quasi als Nebenstrafe nicht vorgesehen.

„Ich will mein Honorar von dir.“, oder: Wer muss was im Fall der Honorarklage beweisen?

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In der zweiten Entscheidung des Tages – der letzten in dieser Woche – geht es um das Honorar nach einem arbeitsrechtlichen Mandat. Die Parteien streiten um das Honorar der klagenden Rechtsanwältin, insbesondere auch um den Umfang der erteilten Auftrags. Das AG hat die Beklagte verurteilt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Hier zunächst die Leitsätze zum LG Offenburg, Urt. v. 15.06.2021 – 2 S 7/20:

  1. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass zwischen den Parteien ein Anwaltsvertrag zustande gekommen ist, trägt im Falle der Honorarklage nach allgemeinen Grundsätzen der klagende Rechtsanwalt. Das gleiche gilt für den Umfang des erteilten Mandats.

  2. Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Hinweispflicht aus § 12a Abs. 1 S. 2 ArbGG scheiden aus, wenn der Mandant vor Abschluss der Vertretungsvereinbarung bereits Kenntnis von dessen Regelungsgehalt hatte.

Und zu den Schadensersatzansprüchen:

„b) Schadensersatzansprüche der Beklagten folgen auch bereits deshalb nicht aus § 628 Abs. 2 BGB, weil die Kündigung der Beklagten nicht durch ein vertragswidriges Verhalten der Klägerin veranlasst wurde.

Das für den Schadensersatz erforderliche Auflösungsverschulden des Vertragspartners muss das Gewicht eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB haben. Nur derjenige kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB fordern, der auch wirksam aus wichtigem Grund hätte fristlos kündigen können, denn aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 ergibt sich die gesetzliche Wertung, dass nicht jede geringfügige schuldhafte Vertragsverletzung, die Anlass für eine Beendigung des Vertragsverhältnisses gewesen ist, die schwerwiegenden Folgen des § 628 Abs. 2 BGB nach sich zieht (BGH, Urt. v. 16.07.2020 – IX ZR 298/19, NJW 2020, 2538 Rn. 13; BeckOGK/Günther, Stand: 1.5.2021, BGB § 628 Rn. 139).

Ein derart wichtiger Grund ist vorliegend nicht ersichtlich. Die beweisbelastete Beklagte hat nicht bewiesen, dass die Klägerin Absprachen gröblich missachtet, insbesondere vorsätzlich „Anträge ohne Sinn“ gestellt hat. Die klägerseits gestellten Anträgen in den Schriftsätzen vom 28.11.2018 knüpften vielmehr an die von der Beklagten erhobenen Kündigungsschutzklagen an, die Anträge wurden de lege artis und rechtzeitig vor der anberaumten Güteverhandlung gestellt und waren im Übrigen taugliche Grundlage für Vergleichsgespräche mit dem seinerzeitigen Arbeitgeber der Beklagten. Die Einlassung der Beklagten, dass die klägerseits für sie gestellten Feststellungsanträge sinnlos seien, da sie im Hinblick auf ihren Strafantrag vom 02.05.2018 gegen Vorgesetzte ihres seinerzeitigen Arbeitgebers kein Interesse mehr am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gehabt habe, passt auch nicht zu der von ihr mehrere Wochen nach ihrer Strafantragsstellung erhobenen Kündigungsschutzklage.“

Entziehung der Fahrerlaubnis I, oder: Beweislast für die Ungeeignetheit hat die Behörde

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Heute köcheln im „Kessel Buntes“ zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis.

Ich beginne mit dem VG Weimar, Beschl. v. 18.01.2021 – 1 E 1532/20 We -, den mir die Kollegin Klein aus Weimar geschickt hat. Der Beschluss enthält nichts weltbewegend Neues, aber er ruft noch einmal in Erinnerung: Die Fahrerlaubnisbehörde muss beweisen, dass der Fahrerlaubnisinhaber „ungeeignet“ ist:

„Vorliegend begegnen der Entziehungsverfügung selbst rechtliche Bedenken.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVO – i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Bereits der Wortlaut dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Ungeeignetheit des Antragstellers erwiesen sein muss. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist daher nur möglich, wenn die Ungeeignetheit oder mangelnde Befähigung des Fahrerlaubnisinhabers aufgrund erwiesener Tatsachen positiv festgestellt werden kann (Bundesverwaltungsgericht NJW 05, 3081). Die insoweit bestehende Beweislast hierfür trägt die Fahrerlaubnisbehörde (vgl. hierzu Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, § 3 StVG Rn. 24 m. w. N. aus der Rechtsprechung). Ein solcher Nachweis der Ungeeignetheit ist dem Antragsgegner nicht gelungen. Insbesondere folgt die Ungeeignetheit des Antragstellers nicht aus dem Gutachten der pp. GmbH vom 18.02.2020. Der Umstand, dass nach dem Gutachten ein aktiver Konsum von Betäubungsmitteln nicht sicher ausgeschlossen werden kann, genügt gerade nicht den Nachweispflichten des Antragsgegners zur Ungeeignetheit des Antragstellers. Denn – anders als der Antragsgegner offensichtlich meint (vgl. den Schriftsatz des Antragsgegners vom 24.11.2020, Bl. 4) – ist nicht der Antragsteller dazu verpflichtet, seine Geeignetheit, sondern der Antragsgegner ist verpflichtet die Ungeeignetheit des Antragstellers nachzuweisen. Soweit das Gutachten trotz der aufgefundenen Menge von Amphetamin (0,10 ng/mg) nicht zu einem eindeutigen Nachweis des Konsums gekommen ist, da aufgrund des geringfügigen Befundes ein aktiver Konsum nicht unterstellt werden konnte (vgl. Bi. 11 des Gutachtens), ergibt das Gutachtenergebnis keine Ungeeignetheit des Antragsstellers.

Auch unabhängig vom erstellten Gutachten kann keine Ungeeignetheit des Antragstellers festgestellt werden. Dies gilt auch in Ansehung des Vorfalls vom 14.01.2016, als der Antragsteller mit einer Methamphetaminkonzentration von 31 ng/ml festgestellt wurde. Denn der Antragsgegner hat, nachdem ihm dies mit am 15.03.2016 bei ihm eingegangenen Schreiben mitgeteilt wurde (vgl. Bl. 112 der Verwaltungsakten), erstmals mit Anordnung vom 21.08.2019 ein Drogenscreening angeordnet. In diesem Fall liegt jedoch keine aktuelle Einnahme von Betäubungsmitteln i. S. v. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV mehr vor, da die Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Anordnung zur Beibringung des Drogenscreenings bereits mehr als 3 Jahre zurücklagen (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 24.11.2010 – 2 B 2190/10 – juris für den Fall eines 2 1/2 Jahre zurückliegenden Konsums von Cannabis).

Da mithin eine Ungeeignetheit des Antragstellers nicht festgestellt werden kann, war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Entziehungsbescheid wiederherzustellen.“