Schlagwort-Archive: Betriebsgefahr

Etwas Verkehrzivilrechtliches „aus der Instanz“, oder: Unklare Verkehrslage, falsches Betanken, USt usw.

Und dann kommt hier ein kleiner Überblick zu verkehrsrechtlichen Entscheidungen, die nicht vom BGH stammen, und zwar auch wieder nur die Leitsätze und: Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

1. Eine unklare Verkehrslage i. S. d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO und damit ein unzulässiges Überholen kommt in Betracht, wenn das vorausfahrende Fahrzeug bei einem ordnungsgemäß angekündigten Rechtsabbiegen in ein Grundstück zunächst erkennbar – unter Verstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 2 StVO – nach links ausholt. In diesem Fall hat der Überholende mit einem weiteren Ausscheren des Vorausfahrenden nach links vor dem eigentlichen Abbiegen zu rechnen.

2. Im Falle einer seitlichen Kollision zwischen einem unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bei unklarer Verkehrslage Überholenden und einem nach rechts in ein Grundstück abbiegenden Vorausfahrenden, der sich entgegen § 9 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 StVO zunächst nach links zur Fahrbahnmitte hin einordnet und unmittelbar vor dem Rechtsabbiegen nach links ausholt, kommt eine Haftungsverteilung von 60 % zu 40 % zulasten des Überholenden in Betracht.

Es ist nicht der Betriebsgefahr i. S. d. § 7 Abs. 1 StVG eines Tanklastwagens zuzurechnen, wenn sich ein eigenständiger Gefahrenkreis aus der Risikosphäre des Bestellers verwirklicht (hier: fehlerhafte Füllstandsanzeige am Tank) und der Schadenseintritt beim Befüllvorgang weder auf ein Verschulden des Tanklastwagenfahrers noch auf einen Defekt des Tanklastwagens oder seiner Einrichtungen zurückzuführen ist.

    1. Nach den AKB 2015 ist eine Mehrwertsteuer in der Kaskoversicherung nur zu erstatten, wenn und soweit diese für den Versicherungsnehmer bei der von ihm gewählten Schadensbeseitigung tatsächlich angefallen ist.
    2. Eine solche Mehrwertsteuer ist nicht angefallen, wenn schon Monate vor dem Unfallereignis ein Nachfolgefahrzeug im Rahmen einer Fahrzeugfinanzierung bestellt worden ist, der Vertrag dann wegen Lieferschwierigkeiten für eine Bereitstellung des Ersatzfahrzeuges verlängert wird und in der Zwischenzeit vor der Lieferung des Ersatzfahrzeuges der Versicherungsfall eintritt.
    1. Es ist anerkannt, dass eine Beschaffenheitsvereinbarung auch konkludent oder stillschweigend zustande kommen kann. Dabei ist für die Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Beschaffenheit als vereinbart gilt, nicht nur auf die Beschreibung der Beschaffenheit im Kaufvertrag abzustellen, sondern es sind auch weitere schriftliche Angaben des Verkäufers an anderer Stelle des Vertragsformulars oder auch sonstiger Erklärungen des Verkäufers außerhalb der Vertragsurkunde in die Bewertung einzubeziehen.
    2. In dem bloßen Bestreiten von Mängeln kann nicht ohne weiteres eine endgültige Nacherfüllungsverweigerung gesehen werden. Etwas anderes gilt aber dann, wenn neben dem Bestreiten des Vorhandenseins von Mängeln weitere Umstände hinzutreten, welche die Annahme rechtfertigen, dass der Schuldner über das Bestreiten der Mängel hinaus bewusst und endgültig die Erfüllung seiner Vertragspflichten ablehnt und es damit ausgeschlossen erscheint, dass er sich von einer ordnungsgemäßen Nacherfüllungsforderung werde umstimmen lassen.

Rechtsprechung zum Verkehrszivilrecht vom BGH, oder: Gebrauch des Kfz, Werkstattrisiko, Betriebsgefahr

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Und heute im „Kessel Buntes“ dann Verkehrszivilrecht. Und da hat sich in der letzten Zeit einiges angesammelt. Ich mache daher zwei (kleine) Rechtsprechungsübersichten, einmal BGH und einmal andere Gerichte. Es gibt aber jeweils nur die Leitsätze.

Ich beginne hier mit dem BGH, und zwar:

Der Entladevorgang gehört zum „Gebrauch“ des Fahrzeugs im Sinne des § 1 PflVG, solange das Kraftfahrzeug oder seine an und auf ihm befindlichen Vorrichtungen daran beteiligt sind. Der Schaden, der beim Hantieren mit Ladegut eintritt, ist dann „durch den Gebrauch“ des Kraftfahrzeugs entstanden, wenn es für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt worden ist. Das Entladen eines Tanklastzugs mittels einer auf ihm befindlichen Pumpe ist danach dem Gebrauch des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, solange der Druck der Pumpe noch auf das abzufüllende Öl einwirkt und die Flüssigkeit durch den Schlauch heraustreibt.

Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen. Lässt sich beim Vorbeifahren an einem Müllabfuhrfahrzeug ein ausreichender Seitenabstand, durch den die Gefährdung eines plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerkers vermieden werden kann, nicht einhalten, so ist die Geschwindigkeit gemäß § 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen kann.

Auch bei unbezahlter Werkstattrechnung kann sich der Geschädigte auf das sogenannte Werkstattrisiko berufen und in dessen Grenzen Zahlung von Reparaturkosten, Zug um Zug gegen Abtretung seiner diesbezüglichen Ansprüche gegen die Werkstatt an den Schädiger, verlangen, allerdings nicht an sich selbst, sondern an die Werkstatt. Tritt der Geschädigte bei unbezahlter Werkstattrechnung seine Forderung gegen den Schädiger ab, trägt der Zessionar das Werkstattrisiko.

Und dann gibt/gab es noch einiges zum Dieselskandal – das sind immer die Entscheidungen mit den „VIa-er-Aktenzeichen“. Dazu muss ich allerdings einräumen, dass ich bei den Fragen inzwischen den Überblick verloren haben. Ich stelle daher dazu nicht mehr vor.

Gefährdungshaftung bei „passiver“ Unfallbeteiligung?, oder: Zweitanstoß im Verlauf eines Schleudervorgangs

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Und als zweite Entscheidung dann das OLG Celle, Urt. v.  10.05.2023 – 14 U 56/21 – zur Gefährdungshaftung von „passiv“ unfallbeteiligten Fahrzeugen.

Der Kläger verlangt in dem Verfahren von der Beklagten die Feststellung der Haftung für einen Verkehrsunfall, der sich am 11.08.2018 auf einer BAB ereignet hate. Der Kläger, ein zum Unfallzeitpunkt gesunder zehnjähriger Junge, saß angeschnallt im Fahrzeug seiner Mutter, die als Halterin ihr Fahrzeug VW Golf  zum Unfallzeitpunkt steuerte, auf einem Kindersitz im linken Bereich der Fahrzeugrückbank. Vor dem klägerischen Fahrzeug fuhr der Beteiligte E. mit seinem Fahrzeug welches bei der Beklagten haftpflichtversichert ist. Beide Fahrzeuge befuhren die rechten Fahrspur und verlangsamten ihre Fahrt, als sich vor ihnen ein Stau aufbaute.

Von hinten kommend auf der Überholspur näherte sich das Fahrzeug Dodge Ram 1500 der Beteiligten B. . Die Beteiligte B., bei der nach dem Unfall eine erhebliche Alkoholisierung festgestellt worden war (AAK von 1,1 Promille), wechselte aus ungeklärtem Grund von der Überholspur mit ca. 120 km/h nach rechts und prallte ungebremst auf das klägerische Fahrzeug. Durch die Wucht des Aufpralls wurde dieses in das vor ihm fahrende Fahrzeug des Beteiligten E. geschleudert. Das Beklagtenfahrzeug wurde seinerseits ebenfalls gegen das voranfahrende Fahrzeug der Beteiligten K. geschoben. Insgesamt waren vier Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt.

Durch den Unfall erlitt der Kläger schwere, lebensgefährliche Verletzungen.

Die klägerische Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und diejenige der Beteiligten B. erklärten eine gesamtschuldnerische Haftung für die Schäden des Klägers. Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine gleichlautende Erklärung von der Beklagten, die dies ablehnt. Die Parteien streiten darum, ob der zweite Aufprall des klägerischen Fahrzeugs auf das Beklagtenfahrzeug zu weiteren Verletzungen beim Kläger geführt hat und ob somit auch die Beklagte für die Unfallfolgen des Klägers einstandspflichtig ist.

Das LG hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Unfall sei für den Beteiligten E. ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG gewesen. Das Fahrzeug sei bei einer wertenden Betrachtung nicht gem. § 7 StVG „bei Betrieb“ gewesen. Allein die Tatsache, dass es ein Hindernis gebildet habe, reiche nicht aus, um eine Gefährdungshaftung anzunehmen. Weder seine Fahrweise noch sein Betriebsvorgang hätten das Unfallgeschehen geprägt.

Dagegen die Berufung des Klägers, die in der Sache überwiegend begründet war:

„Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung gem. § 256 Abs. 1 ZPO, dass die Beklagte als Gesamtschuldnerin neben den im Antrag genannten Gesamtschuldnern für alle Folgen aus dem Verkehrsunfall vom 11. August 2018 gem. § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 421 BGB haftet.

a) Gem. 7 Abs. 1 StVG ist der Halter zum Schadensersatz verpflichtet, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch verletzt wird. Gem. § 7 Abs. 2 StVG ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

aa) Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht durch höhere Gewalt ausgeschlossen. Gem. 7 Abs. 2 StVG beruht auf höherer Gewalt ein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter (betriebsfremder) Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und das auch nicht im Hinblick auf seine Häufigkeit in Kauf genommen zu werden braucht (vgl. Hentschel, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 7 StVG, Rn. 32; Filthaut, Haftpflichtgesetz, 6. Aufl., § 1 Rn. 158; Steffen, DAR 1998, 135; jeweils mwN).

Zusammengefasst muss es sich um eine Einwirkung von außen handeln, die außergewöhnlich und nicht abwendbar ist. Alle drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, wenn höhere Gewalt vorliegen soll (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 2005 – 14 U 231/04, Rn. 13, juris).

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es fehlt bereits an einer von außen kommenden, mithin an einer betriebsfremden Einwirkung auf das Fahrzeug der Beklagten. Zwar kann eine solche Einwirkung grundsätzlich nicht nur in einem Naturereignis, sondern auch in einem menschlichen Verhalten bestehen. Hierunter fallen aber insbesondere vorsätzliche Eingriffe dritter Personen in den Verkehr, z. B. in Selbsttötungsabsicht, durch Sabotageakte oder durch absichtliches Stoßen eines Unbeteiligten vor ein Fahrzeug (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 2005 – 14 U 231/04, Rn. 14f., juris).

Weder bei der Kollision zwischen der Beteiligten B. und dem klägerischen Fahrzeug noch bei der darauffolgenden Kollision zwischen dem Beklagten- und dem Klägerfahrzeug hat es sich um vorsätzliches Dazwischentreten eines Dritten gehandelt, der den Zurechnungszusammenhang zum Beklagtenfahrzeug unterbrechen könnte. Vielmehr hat sich ein typisches Risiko verwirklicht, das auf Autobahnen aufgrund der dort gefahrenen Geschwindigkeiten besteht.

Überdies stellt auch das Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer keine höhere Gewalt dar. Auch grobe Regelverstöße sind bereits wegen ihrer Häufigkeit nicht geeignet, einen Haftungsausschluss zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1966 – VI ZR 280/64, Rn. 13, juris).

Auf die noch vom Landgericht thematisierte Frage, dass der Unfall vom Beteiligten E. nicht hätte verhindert werden können, kommt es nicht an, weil es bereits an den beiden ersten Begriffsmerkmalen der höheren Gewalt fehlt. Nach der Änderung des § 7 Abs. 2 StVG durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I S. 2674) begründet eine mögliche Unvermeidbarkeit des Unfalls für sich allein keinen Haftungsausschluss zugunsten des Fahrzeughalters mehr.

bb) Die Verletzungen des Klägers sind bei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs entstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2019 – VI ZR 236/18, Rn. 8; Urteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19, juris) ist das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen (vgl. die ähnliche Auslegung der „Verwendung eines Fahrzeugs“ im EU-Recht, vgl. EuGH, Urteil vom 20. Juni 2019 – C-100/18, VersR 2019, 1008). Denn die Haftung nach 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Die Vorschrift will alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, Rn. 5; vom 21. Januar 2014 – VI ZR 253/13, Rn. 5; vom 31. Januar 2012 – VI ZR 43/11, Rn. 17; Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19, Rn. 42, alle zitiert nach juris). Erforderlich ist aber, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Kraftfahrzeugs zu dem Unfallgeschehen beigetragen hat (BGH, Urteil vom 21. September 2010 – VI ZR 263/09, Rn. 3, juris).

cc) Die Grenzen einer Haftung aus 7 StVG ergeben sich ebenfalls aus dem Schutzzweck der Vorschrift (BGHZ 79, 259, 263). Die Haftung wird nicht schon durch jede Verursachung eines Schadens begründet, der im weitesten Sinne im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges ausgelöst worden ist. Eine Haftung tritt vielmehr erst dann ein, wenn das Schadensereignis dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden kann.

Gemessen daran befand sich das Fahrzeug des Beteiligten E. im Betrieb als es mit dem klägerischen Fahrzeug kollidierte. Es diente seiner Fortbewegungs- und Transportfunktion als Verkehrsmittel als sich der Unfall ereignete. Es hat insofern im Sinne einer Mitursächlichkeit durch seinen Betrieb („fahren“) zu dem Unfallgeschehen beigetragen. Im Sinne einer conditio sine qua non könnte das fahrende Beklagtenfahrzeugs auf der BAB 20 nicht weggedacht werden, ohne dass der Unfall passiert wäre.

Soweit die Beklagte meint, der Unfall habe nichts mit der spezifischen Gefährdung eines Fahrzeuges zu tun, weswegen es nicht mehr in den Bereich der Gefahren falle, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden sei, folgt der Senat dem nicht.

Die Gefährdungshaftung des § 7 StVG zielt gerade darauf ab, das Gefahrenpotential zu erfassen, das entsteht, wenn sich Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr bewegen. Geradezu typische risikoreiche Situationen entstehen auf Autobahnen, auf denen viele Verkehrsteilnehmer ihre Fahrzeuge mit hohen Geschwindigkeiten fahren. Entsteht sodann – wie hier – am Ende eines plötzlich aufgebauten Staus ein Auffahrunfall, hat sich genau das Risiko verwirklicht, für das § 7 StVG mit der Gefährdungshaftung erlassen wurde. Es geht bei § 7 StVG nicht um den Ausgleich von Verhaltensunrecht, sondern um eine erfolgsbezogene Haftung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1992 – VI ZR 62/91, Rn. 10, juris; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 7 StVG, Rn. 1 mwN).

Erst wenn sich in einem Schadensfall ein Risiko verwirklicht, das aus einem eigenständigen Gefahrenkreis stammt, wird dieser nicht mehr vom Schutzzweck der Norm des § 7 StVG erfasst. Der Bundesgerichtshof geht dabei von einer weiten wertenden Betrachtung aus, die typische Gefahrenquellen des Straßenverkehrs erfassen soll (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19; Urteil vom 7. Februar 2023 – VI ZR 87/22, beide juris, zur Anhängerhaftung).

(a) Ein eigenständiger neuer Gefahrenkreis, der geeignet gewesen wäre, die Gefährdungshaftung entfallen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1991 – VI ZR 6/91, juris [Schweinemast]; Senat, Urteil vom 18. November 2020 – 14 U 84/20, nachgehend BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2021 – VI ZR 1339/20, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen [Laternenmast]) oder eine Selbstgefährdung (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1990 – VI ZR 33/90, juris, Herausforderungsfall), liegen nicht vor, wie ausgeführt.

(b) Soweit die Beklagte meint, der vorliegende Unfall sei mit der Konstellation eines sog. berührungslosen Unfalls vergleichbar, folgt der Senat dem ebenfalls nicht.

Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis ist, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat (vgl. st. Rspr. BGH, Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 533/15, Rn. 14 mwN, juris).

Dies ist vorliegend der Fall. Das Beklagtenfahrzeug war unmittelbar an einem Unfall beteiligt, es handelte sich nicht um einen berührungslosen Unfall oder eine vergleichbare Konstellation. Das Risiko der Gefahrenquelle hat sich – im Gegenteil – realisiert.

dd) Der Unfall stand ferner in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (BGH, Urteil vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, Rn. 5 mwN, juris). Auch dies war der Fall (s.o.).

ee) Die Verletzungen des Klägers sind kausal auf das Unfallereignis mit dem Beklagtenfahrzeug zurückzuführen…..“

Ampelausfall war für den Linksabbieger erkennbar?, oder: Wie verhält sich der „Idealfahrer“?

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Und als zweite „Verkehrsunfallentscheidung“ stelle ich das OLG Schleswig, Urt. v. 20.09.2022 – 7 U 201/21 – vor.

Dem Verfahren liegt ein Verkehrsunfall von Ende Oktober 2020 zugrunde. Die Klägerin befuhr mit ihrem PKW gegen 6:20 Uhr die Kreuzung der S.-Str. /W.-Str. auf der S.-Str. aus B. kommend. Sie wollte an der Kreuzung nach links in die W.-Str. einbiegen. Auf der S.-Str. ist für das Linksabbiegen in die W.-Str. eine eigene Abbiegespur mit „Linksabbieger-Ampel“ eingerichtet. Die Klägerin ordnete sich auf der Linksabbiegerspur in Richtung W.-Str. ein und bog dann ab.

In Gegenrichtung fuhr der Beklagte zu 2) mit einem Omnibus auf der S-Str. aus Richtung L. Innenstadt kommend in Fahrtrichtung B.

Der PKW der Klägerin wurde während des Abbiegevorgangs durch den Omnibus hinten rechts angefahren und beschädigt. Die Ampelanlage war zum Zeitpunkt der Kollision unstreitig ausgefallen, wobei Einzelheiten zwischen den Parteien streitig gewesen sind.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen die Berufung der Beklagten, die teilweise Erfolg hatte. Das OLG ist unter Abwägung der Verursachungsbeiträge „nur“ von einer Haftungsquote von 80 % zu 20 % zu Gunsten der Klägerin ausgegangen:

„1. Die Beklagten haben mit der Berufung die wesentlichen Feststellungen nicht angegriffen, insbesondere die zu Lasten des Beklagten zu 2) festgestellten Verkehrsverstöße nicht beanstandet. Auch die Feststellung, dass alle Kreuzungsampeln, mithin auch die zuvor für die Klägerin grünes Licht anzeigende „Linksabbiegerampel“, erst ausfielen, als die Klägerin die „Linksabbiegerampel“ bereits nicht mehr wahrnehmen konnte, da sie diese bereits bei für sie geltendem Grünlicht passiert hatte, wird mit der Berufung nicht beanstandet.

Gleichwohl rechtfertigen die festgestellten Tatsachen eine andere Entscheidung. Denn das Landgericht hat zu Unrecht für die Klägerin ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG angenommen. Ein unabwendbares Ereignis liegt nur dann vor, wenn der Unfall auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Dies erfordert ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus und damit das Verhalten eines Idealfahrers. Ein unabwendbares Ereignis ist zu verneinen, wenn ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr noch abgewendet hätte (vgl. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.4.2014 – 16 U 213/13, NJOZ 2015, 169).

2. Diesem hohen Maßstab eines Idealfahrers genügt das Verhalten der Klägerin nicht. Ein Idealfahrer hätte aus dem Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel, der für die Linksabbieger erkennbar war, geschlossen, dass es eine Fehlfunktion der Ampelschaltung gibt. Dies wiederum hätte Anlass geben können, den Abbiegevorgang angesichts vorhandenen Gegenverkehrs zunächst abzubrechen um dadurch den Unfall zu vermeiden. Dass die Klägerin, wie das Landgericht angenommen hat, die Fußgängerampel vernachlässigen konnte, weil diese während einem grünen Ampellicht zum Linksabbiegen immer rotes Licht anzeigt, verkennt die besonders hohen Anforderungen an das Verhalten des Idealfahrers, der eine über den gewöhnlichen Fahrdurchschnitt besonders hinausgehende Aufmerksamkeit und Umsicht zeigen muss.

3. Im Rahmen der hiernach bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Abwägung gemäß § 17 Absatz 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Absatz 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (vgl. BGH, NZV 1996, S. 231).

Neben den zu Lasten des Beklagten zu 2) zutreffend festgestellten Verkehrsverstößen ist dem Landgericht insoweit zu folgen, dass der Klägerin kein Verkehrsverstoß vorzuwerfen ist. Denn die Nichtbeachtung der Fußgängerampel genügt zwar, um ihr die Berufung auf ein unabwendbares Ereignis zu versagen, es erreicht aber nicht die Qualität eines Verkehrsverstoßes. Ein Verstoß gegen § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO liegt nicht vor. Denn zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie wies die vorhandene „Linksabbiegerampel“ für die Klägerin grünes Ampellicht auf.

Es liegt auch kein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vor, wonach derjenige, der am Verkehr teilnimmt sich so zu verhalten hat, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Denn derjenige, dem ein grüner Pfeil das Linksabbiegen gestattet, darf darauf vertrauen, dass Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.1991 – VI ZR 98/91, NZV 1992, 108, 109). Dieser Vertrauensgrundsatz wird nicht dadurch beseitigt, dass nach Passieren der Lichtzeichenanlage die Anlage ausfällt.

4. Zu Lasten der Klägerin verbleibt somit die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs, die im vorliegenden Fall nicht zurücktritt. Das Zurücktreten eines Verursachungsbeitrags setzt in der Regel eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr auf der einen Seite und ein grobes Verschulden auf der anderen Seite voraus (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., StVG, § 17, Rn. 16). Hier handelt sich um ein Fehlverhalten leichterer Art in einer Verkehrssituation, die nicht alltäglich ist (Ampelausfall). Dies vermag die Einstufung als grober Verstoß nicht zu tragen.“

Na ja…..

Fußgänger versus Pkw, oder: „alkoholisierte Fußgänger an Karneval nicht gänzlich unwahrscheinlich“

ennommen wikimedia Commons – Author NobbiP

Karneval fällt ja in diesem Jahr weitgehend aus. Ich finde es übrigens wohltuend, im öffentlichen rechtlichen Fernsehen – aber auch bei den Privaten – nicht wochenlang mit irgendwelchen „Karnevalssitzungen“ überschwemmt zu werden. Aber das werden „Karnavalsfans“ sicherlich anders sehen.

Aber ganz ohne Karneval geht dann doch nicht. Und da habe ich dann heute im „Kessel Buntes“ den OLG Köln, Beschl. v. 06.03.2020 – 11 U 274/19 -, der schon etwas länger in meinem Blogordner hängt. Heute passt er dann. Es es ist ein sog. Hinweisbeschluss des OLG. Geklagt hatte ein „Karnevalsjeck“. Der war in der Nacht nach Rosenmontag 2018 zu Fuß auf dem Heimweg nach Hause. Er trug (immer noch) ein dunkelbraunes (Ganzkörper)-Bärenkostüm. Sein Weg führte ihn entlang einer Bundesstraße, an deren Seite sich ein Fuß- und Radweg befindet. Auf der unbeleuchteten Strecke war eine Geschwindigkeit von 70 km/h zulässig. Der mit 1,47 Promille alkoholisierte Kläger geriet auf die Fahrbahn der Bundesstraße. Dort wurde er auf der linken Hälfte der Fahrspur von einem Pkw erfasst und dabei schwer verletzt. Das LG  hat den Kläger zu 75% und den beklagten Fahrer und Haftpflichtversicherung des Pkw zu 25% für die Schäden haften lassen.

Dagegen die Berufung der Beklagten, die nach Auffassung des OLG Köln wegen der Haftungsquote keinen Erfolg haben würde:

„Auf dieser tatsächlichen Grundlage hat das Landgericht zutreffend eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten in Höhe von ¼ angenommen.

Bei einem schuldhaften Fehlverhalten des Fußgängers ist nach §§ 9 StVG, 254 BGB eine Quotenbildung zwischen der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG und der Verschuldenshaftung des Fußgängers aus § 823 Abs. 1 BGB vorzunehmen. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen – wie auch im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG – feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein; nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (BGH, NJW 1995, 1029, 1030). Die Gefährdungshaftung kann dabei ganz zurücktreten, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten ist (BGH, NJW 2014, 217).

Auf Seiten der Beklagten ist die Betriebsgefahr des Fahrzeugs anzusetzen.

Dem Kläger fällt ein ganz erheblicher Sorgfaltspflichtverstoß zur Last. Zu seinen Lasten steht fest, dass er sich nachts mitten auf der Fahrbahn befand, obwohl sich dort ein Fahrzeug näherte. Damit hat er entweder die Fahrbahn zu dem Zeitpunkt betreten, als sich der Beklagte zu 1) näherte, oder er hat die Fahrbahn betreten, als noch kein Fahrzeug in Sicht war, dann aber den Fahrstreifen nicht zügig überquert, sondern sich noch bis zum Unfall dort aufgehalten. In beiden Alternativen hat er sich verkehrswidrig verhalten und gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen. Danach hat ein Fußgänger vor dem Betreten und beim Überschreiten der Fahrbahn besondere Vorsicht walten zu lassen. Er muss dementsprechend auf den fließenden Fahrzeugverkehr achten und auf ihn Rücksicht nehmen. Insbesondere muss er darauf bedacht sein, nicht in die Fahrbahn eines herannahenden Fahrzeugs zu geraten, ansonsten handelt er grob fahrlässig (OLG Hamm, NJW-RR 2012, 1236). Die im Unfallzeitpunkt erhebliche Alkoholisierung von mindestens 1,47 Promille BAK (die Blutentnahme erfolgt etwa 1 ½ Stunden nach dem Unfall und nach Gabe von 1,5 l Infusion (Bl. 142 f. BA)) hat sich – entgegen der Ansicht des Landgerichts – auf den Unfall ausgewirkt. Der Kläger hatte unzweifelhaft erhebliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, als er etwa eine Stunde zuvor – noch in Begleitung der Zeugen C und D E – „kurz auf die Straße (wankte)“ (Bl. 187 BA). Bei diese Sachlage ist davon auszugehen, dass der Verunglückte alkoholbedingt verkehrsunsicher war. Der erste Anschein spricht dann dafür, dass die im Aufenthalt auf der Fahrbahn zum Ausdruck kommende enorme Sorglosigkeit des Klägers auf alkoholbedingte Ausfallerscheinungen beruhte (vgl. BGH, NJW 1976, 897).

Bei Abwägung dieser Umstände ist entgegen der Annahme der Berufung gleichwohl eine Haftungsverteilung ¼ zu ¾ angemessen: Obwohl der Kläger für die Entstehung des Schadens maßgebliche Ursachen grob fahrlässig selbst herbeigeführt hat, hat sich auch die auch mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verbundene Betriebsgefahr in geradezu klassischer Weise verwirklicht. Ihre nicht völlig untergeordnete Bedeutung lässt es nach den Umständen des Streitfalls nicht angemessen erscheinen, die Gefährdungshaftung vollends zurücktreten zu lassen. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 2015, 1056 f.) kommt eine Alleinhaftung im Rahmen von § 254 BGB nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dies gilt insbesondere auch bei einem grob fahrlässigen Verhalten eines nicht motorisierten Unfallopfers, wenn nicht feststeht, dass der Fahrzeugführer sich wie ein Idealfahrer verhalten hat (OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 925, 927). Angesichts der hiesigen Verkehrssituation, die bei Nacht und Feuchtigkeit durchaus besondere Aufmerksamkeit des Beklagten zu 1) erforderte (hierzu OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919), erscheint die durch das Landgericht angenommene maßvolle Mithaftung sachgerecht, zumal alkoholisierte Fußgänger an Karneval nicht gänzlich unwahrscheinlich sind (Freymann, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 27 Rn. 129). Diese Quote bewegt sich auch im Rahmen der üblicherweise angenommenen Haftungsverteilung (etwa Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Aufl. 2017, Rn. 411).

Aber: Aus prozessualen Gründen wollte das OLG dennoch terminieren. Insoweit bitte selbts weiter lesen.