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Pflichti II: Neues zu den Beiordnungsgründen, oder: Strafvollstreckung, Betreuerbestellung, Jugendlicher

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Und dann drei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze vor, und zwar:

1. Folge einer nicht erfolgten, aber möglichen Gesamtstrafenbildung ist, dass bis zur Rechtskraft eines nachträglichen Gesamtstrafenbeschlusses die Vollstreckung der rechtskräftig festgesetzten Einzelstrafen zulässig ist.
2. Dem Verurteilten ist im Strafvollstreckungsverfahren bei einer schwierigen Gesamstrafenbildung ein Pflichtverteidiger in analoger Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen.

Der Angeklagte kann sich nicht selbst verteidigen kann, wenn gegenüber Behörden und somit auch in einem Strafverfahren die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung gegeben sind.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist geboten bei einem gerade 15 Jahre alten Angeklagte, bei dem eine psychische Erkrankung/Verhaltensstörung vorliegt, weswegen er in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht ist.

Pflichti I: 4 x etwas zu den Beiordnungsgründen, oder: Betreuung, Gesamtstrafe, (Schwer)Behinderungen

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Heute ist es dann mal wieder Zeit für einen Pflichtverteidigungstag. Bei der Gelegenheit: Herzlichen Dank allen Kollegen/Kolleginnen, die mir immer wieder Entscheidungen (auch) zu den Fragen schicken.

Ich beginne hier mit Entscheidungen, die mir zu den Beiordnungsgründen vorliegen, und zwar:

Eine Pflichtverteidigerbestellung kommt in Betracht, wenn der Beschuldigte unter Betreuung steht. § 140 Abs. 2 ist dabei schon anwendbar, wenn an der Fähigkeit zur eigenen Verteidigung erhebliche Zweifel bestehen. Das kann der Fall sein, wenn der Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Behörden“ bestellt ist.

Auch bei einer überschaubaren zu erwartenden Rechtsfolge in einem Strafbefehl von 30 Tagessätzen Geldstrafe ist bei Gesamtstrafenfähigkeit die Bestellung eines Verteidigers erforderlich.

Die Verteidigung ist notwendig, wenn zu bezweifeln ist, dass der Beschuldigte seine Interessen selbst wahren und inner- und außerhalb der Hauptverhandlung alle zur Verteidigung erforderlichen Handlungen selbst vornehmen kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn auf der Grundlage ärztlicher Unterlagen beim Angeschuldigten eine Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Grad der Behinderung von 50 festgestellt und diese mit der Gesundheitsstörung „Verhaltensstörungen und Lernbehinderung“ begründet wird.

§ 140 Abs. 1 Nr. 11 StPO sieht einen Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt. Daher ist einem Beschuldigten mit einer Sehbehinderung von 40 % eine Pflichtverteidiger zu bestellen.

 

Pflichti I: 2 x aus Halle zu den Beiordnungsgründen, oder: Gesamtstrafenfähigkeit und Akteneinsicht

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Und heute dann Entscheidungen aus der Ecke „Pflichtverteidigung“. Ein paar habe sich seit dem letzten Pflichti-Tag wieder angesammelt.

Hier zunächst zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

Das LG Halle führt im LG, Beschl. v. 13.06.2023 – 3 Qs 60/23 – noch einmal zur Frage der Beiordnung im Fall der Gesamtstrafenfähigkeit aus:

„Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO sind gegeben, da wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.

Da das Datum sowohl der dem Angeklagten hier vorgeworfenen Tat als auch der ihm im Verfahren 560 Js 205230/21 vor dem Amtsgericht Naumburg vorgeworfenen Taten jeweils nach dem Erlass des zuletzt gegen den Angeklagten ergangenen Strafbefehls des Amtsgerichts Naumburg vom 08.02.2021 liegt, sind die Taten aus dem Verfahren 560 Js 205230/21 mit der dem Angeklagten hier vorgeworfenen Tat gesamtstrafenfähig. Auch wenn die Kammer aufgrund der dortigen Anklage vor dem Schöffengericht davon ausgeht, dass dem Angeklagten in Bezug auf das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ein — aus Sicht der Staatsanwaltschaft – minder schwerer Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG vorgeworfen wird und ihm im Verfahren vor dem Amtsgericht Naumburg daher nicht die nach § 30a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BtMG vorgesehene Mindeststrafe von fünf Jahren droht, so ist doch angesichts der Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe für das dem Angeklagten im Verfahren vor dem Amtsgericht Naumburg ebenfalls vorgeworfene Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG — welches zudem auch für das minder schwere bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Sperrwirkung entfaltet — für den Fall einer Verurteilung insgesamt die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von über einem Jahr zu erwarten. Drohen einem Beschuldigten aber in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche das Merkmal der „Schwere der Rechtsfolge“, also mindestens ein Jahr (Gesamt-)Freiheitsstrafe, im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO begründet, soist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig (vgl. KG Berlin, Beschluss vorn 13. 12. 2018 — 3 Ws 290/18 Rn. 2; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. 05. 2013 – 2 Ss 65/13 -, Rn. 6; jeweils zitiert nach juris).“

Und die zweite Entscheidung kommt auch aus Halle, allerdings vom AG Halle. Es handelt sich um den AG Halle (Saale), Beschl. v. 02.06.2023 – 302 Cs 234 Js 6479/23 (64/23) .

„Es ist ersichtlich, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann (§ 140 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO)).

Dies ergibt sich daraus, dass die Staatsanwaltschaft die Ansicht vertritt, Name und weitere Daten der Anzeigenerstatterin müssten vor dem Beschuldigten geheim gehalten werden. Diese Überlegungen sind durchaus nachvollziehbar. Allerdings entsteht hierdurch für den Beschuldigten ein Informationsdefizit, welches dadurch ausgeglichen werden muss, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger zu bestellen ist, welcher vollumfängliche Akteneinsicht erhält. Die Bitte der Staatsanwaltschaft BI. 46 Band II, dem Verteidiger keine Einsicht in das Sonderheft zu gewähren, ist unzulässig. Der Verteidiger muss, um seine Aufgaben erfüllen zu können, Einsicht in sämtliche dem Gericht zur Entscheidungsfindung vorliegenden Unterlagen haben. Insoweit ist eine Beschränkung seines gesetzlichen Rechts auf Akteneinsicht nicht statthaft. Aufgrund seiner berufsrechtlichen Stellung ist der Verteidiger allerdings vorliegend nicht befugt, dem Beschuldigten die von der Staatsanwaltschaft für geheimhaltungsbedürftig angesehenen Daten der Anzeigenerstatterin mitzuteilen, worauf er im Rahmen der Aktenübersendung ausdrücklich hingewiesen wurde.

Eine Anhörung der Staatsanwaltschaft zu der erfolgten Beiordnung ist nicht geboten. Der Staatsanwaltschaft lag der Beiordnungsantrag des Verteidigers bereits am 19.04.2023 vor. Wenn die Staatsanwaltschaft hierzu nicht inhaltlich Stellung nimmt, sondern lediglich die Akte mit einem Strafbefehlsantrag an das Gericht weiterleitet, hat sie hierdurch in genügendem Maße zu erkennen gegeben, dass sie zum Beiordnungsantrag nicht Stellung nehmen möchte.“

Pflichti II: Aufhebung der „Pflichti-Zweitbestellung“, oder: Auswahlrecht des Beschuldigten

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 01.09.2022 – 4 Ws 268/22, passt ganz gut zu dem vorhin vorgestellten BGH, Beschl. v. 25.08.2022 – StB 35/22 (vgl. dazu Pflichti I: BGH zu Aufhebung der Zweitbestellung, oder: Zweitbestellung nicht zur „Verhinderungsentlastung“). Denn das OLG hat Stellung genommen zum Verfahren bei der Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Gegen den Angeklagten ist bei einer Wirtschaftsstrafkammer des LG ein umfangreiches Verfahren wegen vorsätzlichen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Dopingmitteln in über 1.000 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Inverkehrbringen von bedenklichen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, anhängig. Mit Beschluss vom 13.7.2022 bestellte der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer Rechtsanwalt M. zusätzlich zu dem bereits bestellten Pflichtverteidiger Rechtsanwalt S. als weiteren Pflichtverteidiger, da dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens erforderlich sei, nachdem der bisherige Pflichtverteidiger mitgeteilt hatte, an zwei der anberaumten Hauptbehandlungstermine verhindert zu sein.

Nach Durchführung mehrerer Hauptverhandlungstermine teilte der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft, den beiden Pflichtverteidigern und dem inhaftierten Angeklagten mit, dass das Gericht beabsichtige, die Bestellung von Rechtsanwalt M. als zusätzlichem Verteidiger gemäß § 144 Abs. 2 StPO aufzuheben und räumte eine Frist zur Stellungnahme bis zum 08.08.2022, 12 Uhr ein. Nachdem beide Pflichtverteidiger jeweils mit am 08.08.2022 eingegangenem Schriftsatz Stellung genommen und sich gegen die Entpflichtung ausgesprochen hatten, hob der Vorsitzende die Bestellung von Rechtsanwalt M. als zusätzlichem Pflichtverteidiger mit Beschluss vom 09.08.2022 gemäß § 144 Abs. 2 StPO auf. In dem Beschluss wird insbesondere ausgeführt, dass bei Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers der zuletzt bestellte Rechtsanwalt zu entpflichten sei. Die Stellungnahme des Angeklagten vom 08.08.2022 ging am 09.08.2022 – laut Vermerk des Vorsitzenden erst nach der Entscheidung über die Aufhebung der Bestellung – bei Gericht ein. In der Stellungnahme machte der Angeklagte geltend, dass er von Rechtsanwalt M. erfahren habe, dass dieser entpflichtet werden solle, das Anhörungsschreiben des Gerichts sei ihm selbst erst am Abend des 08.08.2022 zugegangen. Er widersprach der Entpflichtung und begründete dies im Wesentlichen damit, dass Rechtsanwalt S. im Gegensatz zu Rechtsanwalt M. nicht an allen Verhandlungstagen anwesend gewesen sei und dass zwischen ihm und Rechtsanwalt M. ein starkes Vertrauensverhältnis bestünde. Es sei ihm völlig unverständlich, warum er seinen Pflichtverteidiger nicht aussuchen könne. Wenn das Gericht einen der beiden Pflichtverteidiger entpflichten wolle, bitte er um Entpflichtung von Rechtsanwalt S.

Gegen den dem Aufhebungsbeschluss legte der Angeklagte sofortige Beschwerde ein. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

„Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Vorsitzenden.

Gemäß § 144 Abs. 2 S. 1 StPO ist die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers aufzuheben, sobald seine Mitwirkung zur zügigen Durchführung des Verfahrens nicht mehr erforderlich ist. Gemäß § 144 Abs. 2 S. 2 StPO gilt § 142 Abs. 5 bis 7 S.1 StPO entsprechend.

Nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO ist dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. Nach Abs. 5 S. 3 ist der von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichnete Verteidiger zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht, wobei ein wichtiger Grund auch vorliegt, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

Im Fall der Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers nach § 144 Abs. 2 S. 1 StPO kann dies bei entsprechender Anwendung des § 142 Abs. 5 StPO nur bedeuten, dass der Beschuldigte im Hinblick darauf anzuhören ist, welcher der Pflichtverteidiger ihn fortan verteidigen soll, und dass der durch den Beschuldigten bezeichnete Verteidiger gerade nicht entpflichtet werden kann, sofern kein wichtiger Grund dies ausnahmeweise gebietet.

Nach Auffassung des Senats gilt die Verweisungsregelung wegen ihrer eindeutigen systematischen Stellung – jedenfalls auch – für die Fälle des Absatzes 2. Etwas anderes folgt weder aus den Gesetzesmaterialen (BT-Drs. 19/13829, 49 f.) noch aus der durch die Generalstaatsanwaltschaft zitierten Kommentierung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 144 Rn. 10), da beide Quellen sich zu der Frage der in Absatz 2 geregelten Aufhebung der Bestellung nicht verhalten. Soweit der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer II ausweislich der Beschlussbegründung aus dem Wortlaut des § 144 Abs. 2 S. 1 StPO schlussfolgert, dass der zuletzt bestellte Pflichtverteidiger zu entpflichten ist, steht dies im Widerspruch zu der Regelung der §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 StPO, die dem Angeklagten ein Bezeichnungsrecht einräumt. Auch in der Sache ist kein Grund ersichtlich, weshalb zwingend der zuletzt bestellte Pflichtverteidiger entpflichtet werden muss, wenn das besondere Bedürfnis für die Mitwirkung eines weiteren Verteidigers zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens nachträglich weggefallen ist, insbesondere ist die Aufgabe eines zweiten Pflichtverteidigers nicht allein auf die Verfahrenssicherung beschränkt. Vielmehr muss er in gleicher Weise die sachgerechte Verteidigung des Angeklagten gewährleisten, wie der zuerst bestellte Pflichtverteidiger (OLG Hamm, NStZ 2011, 235, m. w. N.).

Die Entscheidung des Vorsitzenden entspricht daher nicht den Vorgaben der §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 und S. 3 StPO hinsichtlich des vor der Entscheidung einzuhaltenden Verfahrens. Zwar hat der Vorsitzende veranlasst, dass sich der Angeklagte zur beabsichtigten Entpflichtung von Rechtsanwalt M. äußern kann, faktisch hatte der Angeklagte jedoch keine Möglichkeit hierzu, da ihn das Schreiben des Gerichts erst am Abend des 08. August 2022 – also nach Fristablauf – erreicht hatte und seine Stellungahme dem Vorsitzenden nicht im Zeitpunkt der Entscheidung über die Entpflichtung vorlag. Darüber hinaus wurde dem Angeklagten auch nicht die Gelegenheit gegeben, von seinem Bezeichnungsrecht nach §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 StPO Gebrauch zu machen und den Pflichtverteidiger zu benennen, von dem er weiterhin verteidigt werden möchte. Anders als nach früherer Rechtslage hat die Anhörung zur Bezeichnung des Verteidigers grundsätzlich zwingend zu erfolgen (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 142 Rn. 32; BeckOK-StPO, 44. Edition, Stand: 01. Juli 2022, § 142 Rn. 17)….. „

Pflichti I: BGH zu Aufhebung der Zweitbestellung, oder: Zweitbestellung nicht zur „Verhinderungsentlastung“

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Es haben sich mal wieder Entscheidungen zu Pflichtverteidigungsfragen (§§ 140 ff. StPO) angesammelt. Also gibt es heute einen Pflichti-Tag.

In den starte ich mit dem BGH, Beschl. v. 25.08.2022 – StB 35/22 – zur Aufhebung der Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers und Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers.

Folgender Sachverhalt: Beim OLG Düsseldorf ist gegen den Angeklagten ein Verfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland und der Begehung weiterer Delikte anhängig. Zum Pflichtverteidiger des seit dem 12.04.2022 in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten hatte der Ermittlungsrichter des BGH Rechtsanwalt K. bestimmt. Nachdem sich im Rahmen der Terminierung herausgestellt hatte, dass Rechtsanwalt K. lediglich an sieben der vom OLG vorgesehenen fünfzehn Hauptverhandlungstermine verfügbar ist, hat der Vorsitzende Rechtsanwalt K. entpflichtet und Rechtsanwalt Ka. zum Pflichtverteidiger bestellt. Zugleich hat er es abgelehnt, dem Angeklagten einen weiteren Pflichtverteidiger beizuordnen. Gegen diese Entscheidungen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten. Sie hatte keinen Erfolg:

„1. Der Vorsitzende des Strafsenats hat Rechtsanwalt K. zu Recht entpflichtet.

a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers unter anderem dann aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Der Gesetzgeber hat damit einen in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Fall des Verteidigerwechsels normiert, der auf dem Gedanken der Sicherung einer sachgerechten Verteidigung beruht und bei dem es auf den Willen des Beschuldigten nicht ankommt (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 48; LR/Jahn, StPO, 27. Aufl., § 143a Rn. 38 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 143a Rn. 24; krit. BeckOK StPO/Krawczyk, 44. Ed., § 143a Rn. 34; abl. Böhm, StV 2021, 196, 198 ff.). Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen das Fehlen einer angemessenen Verteidigung zu besorgen ist, auf die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 2 Rn. 6, 7 unter Verweis auf BT-Drucks. 19/13829 S. 48). Danach kommt nicht nur bei groben Pflichtverletzungen die Auswechslung eines beigeordneten Pflichtverteidigers in Betracht, sondern auch, wenn dieser aufgrund äußerlich veranlasster, von seinem Willen unabhängigen Umständen außerstande ist, eine angemessene Verteidigung des Angeklagten zu gewährleisten (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 29. April 2021 – 2 Ws 36/21, juris Rn. 23). Denn der Zweck der Pflichtverteidigung besteht sowohl darin, dem Angeklagten (soweit gemäß § 140 StPO notwendig) rechtskundigen Beistand zu gewährleisten, als auch den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu sichern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 242).

In diesem Sinne steht die Verhinderung des Verteidigers an einem erheblichen Teil der (anberaumten oder anvisierten) Hauptverhandlungstermine einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf entgegen, wobei das Interesse des Angeklagten an einer Beibehaltung des bisherigen Pflichtverteidigers gegenüber dem insbesondere in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebot unter Umständen zurücktreten muss, sodass eine Auswechslung eines bestellten, terminlich verhinderten Pflichtverteidigers im Einzelfall geboten sein kann. Auch wenn der Angeklagte in bestimmten Grenzen auf eine Verfahrensbeschleunigung verzichten können mag, darf der Fortgang einer Haftsache jedenfalls nicht erheblich verzögert werden (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 29. April 2021 – 2 Ws 36/21, juris Rn. 25; OLG Hamm, Beschluss vom 2. März 2006 – 2 Ws 56/06, juris Rn. 10; OLG Koblenz, Beschluss vom 25. November 2014 – 2 Ws 614/14, juris Rn. 2 ff.; PfOLG Zweibrücken, Beschluss vom 31. Mai 2021 – 1 Ws 132/21, juris Rn. 16 ff.).

Dem zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden des zuständigen Spruchkörpers kommt insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Die Auswechslung eines Pflichtverteidigers aufgrund terminlicher Verhinderung setzt allerdings stets voraus, dass der Vorsitzende sich mit diesem in Verbindung setzt und ernsthaft versucht, dem Anspruch des jeweiligen Angeklagten, sich von dem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen, Rechnung zu tragen. Überdies darf kein gegenüber der Entpflichtung des Verteidigers milderes Mittel zur Verfügung stehen (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 29. April 2021 – 2 Ws 36/21, juris Rn. 26 ff.).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die Entpflichtung von Rechtsanwalt K. nicht zu beanstanden.

Diesem wäre eine Teilnahme lediglich an sieben der fünfzehn vom Oberlandesgericht in Aussicht genommenen Hauptverhandlungstermine zwischen August und November 2022 möglich. Auch die von Rechtsanwalt K.  angebotenen 37 Ausweichtermine in diesem Zeitraum eignen sich nicht, seine Verhinderung an einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung zu beseitigen. Denn zum einen ist er bereits an sechs dieser Termine in anderer Sache als Pflichtverteidiger geladen. Zum anderen sind in einer weiteren laufenden Sache, in der Rechtsanwalt K.  ebenfalls zum Pflichtverteidiger bestellt ist, zusätzliche Terminierungen im in Rede stehenden Zeitraum zu erwarten. Schließlich steht der Durchführung der Hauptverhandlung an einer Vielzahl der angebotenen Ausweichtermine eine Verhinderung des mit der Sache befassten Strafsenats, etwa durch notwendige Vorbereitungszeiten, langfristig vorgeplante Erholungsurlaube, Fortbildungsteilnahmen oder ein anderweitiges Staatsschutzverfahren entgegen.

c) Keine abweichende Beurteilung gebietet § 144 Abs. 1 StPO nF, demzufolge zur Verfahrenssicherung bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger bestellt werden können (aA KMR/Staudinger, StPO, 98. EL, § 143a Rn. 17). Denn eine Beiordnung nach § 144 StPO hat eigenständige, in den Umständen des Falles (Schwierigkeit oder Umfang des Prozessstoffes; außergewöhnlich lange Hauptverhandlungsdauer) selbst liegende, sachliche Voraussetzungen (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 29. April 2021 – 2 Ws 36/21, juris Rn. 36); sie dient nicht der Entlastung des weitgehend verhinderten Pflichtverteidigers, zumal – von eng begrenzten Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich jeder Pflichtverteidiger in der Hauptverhandlung anwesend zu sein hat (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2015 – 2 Ws 203/15, NStZ 2016, 436, 437).

2. Der Vorsitzende des Strafsenats hat es auch zu Recht abgelehnt, gemäß § 144 Abs. 1 StPO einen weiteren Pflichtverteidiger zu bestellen.

Auf die sofortige Beschwerde gegen diese Ablehnung prüft das Beschwerdegericht, ob der Vorsitzende die Grenzen seines Beurteilungsspielraums hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm eingehalten und sein Entscheidungsermessen („können“) fehlerfrei ausgeübt hat (BGH, Beschlüsse vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 15; vom 13. April 2021 – StB 12/21, NStZ-RR 2021, 179).

Daran gemessen ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden. Der Vorsitzende des Oberlandesgerichts hat unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen angenommen, dass zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Hinzuziehung eines weiteren Verteidigers nicht erforderlich sei. Es handele sich um einen überschaubaren Verfahrensgegenstand, dessen Bearbeitung durch einen Pflichtverteidiger gewährleistet werden könne (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2021 – StB 12/21, NStZ-RR 2021, 179). Dieser Einschätzung schließt sich der Senat an.

Dies gilt auch eingedenk des Umstandes, dass das Oberlandesgericht bei Verfahrenseröffnung seine Besetzung mit fünf Richtern gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG beschlossen hat. Denn während die genannte Vorschrift für das Erfordernis der Mitwirkung zweier weiterer Richter allein auf „Umfang oder Schwierigkeit der Sache“ abstellt, setzt § 144 Abs. 1 StPO für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers zusätzlich voraus, dass „Umfang oder Schwierigkeit“ die „zügige Durchführung des Verfahrens“ zu beeinträchtigen drohen.“