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StPO II: War (Revisionssenats)Vorsitzende befangen?, oder: Abgelehnte Verlängerung der Begründungfrist

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In dem zweiten Beschluss, den ich heute vorstelle, dem BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 4 StR 239/23, geht es um die Frage der Befangenheit im Revisionsverfahren.

Der Angeklagte ist om LG u.a. wegen Betruges in 64 Fällen zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt worden. Im Revisionsverfahren hat der GBA beantragt, das Rechtsmittel nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Der Antrag wurde einem der beiden Pflichtverteidiger ordnungsgemäß zugestellt; die so in Lauf gesetzte Frist zur Stellungnahme endete am 15.08.2023.

Nach der Zustellung des Antrags beantragte der Angeklagte, die Frist zur Abgabe der Gegenerklärung zu verlängern, woraufhin ihm der Vorsitzende mitteilte, dass der Senat nicht vor dem 02.09.2023 entscheiden werde. Mit Schriftsatz vom 23.08.2023 legitimierte sich ein weiterer Rechtsanwalt für den Angeklagten, ersuchte um Akteneinsicht und beantragte „zur Begründung der Revision“ eine Fristverlängerung bis mindestens zum 26.09.2023. Der Vorsitzende veranlasste daraufhin die Übersendung der Akten und teilte dem neu eingetretenen Verteidiger zugleich mit, dass die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO nicht verlängerbar sei.

Kurz darauf wandte sich der Angeklagte nochmals selbst an den BGH und beantragte erneut Fristverlängerung, nunmehr bis zum 28.09.2023 und „zur Stellungnahme auf den Antrag des Generalbundesanwalts“, woraufhin der Vorsitzende ihm mitteilte, dass eine Fristverlängerung nicht möglich sei.

Hierauf reagierte der Angeklagte mit insgesamt fünf jeweils gleichlautend begründeten Befangenheitsanträgen gegen den Senatsvorsitzenden, in denen er jeweils ausführte, dass durch die Vorgehensweise des Vorsitzenden sowohl seinem neuen Verteidiger als auch ihm selbst verwehrt werde, zum Verwerfungsantrag des GBA Stellung zu nehmen. Außerdem hätten seine „Pflichtanwälte“ keine umfassende Stellungnahme abgegeben. Hieraus resultiere ein „Rechtsanspruch auf neue Verteidiger“, von dem der Vorsitzende „keinen Gebrauch gemacht“ habe.

Der BGH hat den ersten Befangenheitsantrag als unbegründet und die weiteren Ablehnungsgesuche jeweils als unzulässig verworfen. Tags darauf verwarf der Senat die Revision größtenteils nach § 349 Abs. 2 StPO (vgl. hier: BGH, Beschl. v. 15.11.2023 – 4 StR 239/23).

Der BGH hat die Ablehnungsanträge zurückgewiesen:

„1. Sämtliche Ablehnungsgesuche des Angeklagten richten sich ausschließlich gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin. Soweit der Befangenheitsantrag vom 8. Oktober 2023 mit „Befangenheitsantrag gegen erkennende Richter des 4. Strafsenats des BGH“ überschrieben ist, ergibt sich aufgrund seines ausschließlich auf prozessleitende Anordnungen des Vorsitzenden rekurrierenden Inhalts und der in der Begründung des Gesuchs mehrfach gebrauchten Singularform („des Richters“) eindeutig, dass auch dieser Ablehnungsantrag ausschließlich gegen den Vorsitzenden gerichtet ist. Weitere Mitglieder des Senats werden hingegen weder namentlich noch in sonst eindeutig bestimmbarer Weise bezeichnet.

2. Die Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin vom 11. September, 18. September, 8. Oktober und 21. Oktober 2023 sind bereits unzulässig.

Denn diesen Ablehnungsgesuchen ist – auch eingedenk der gebotenen engen Auslegung des § 26a StPO (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 16; Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, juris Rn. 9) – kein tauglicher Grund zur Ablehnung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu entnehmen. Bei dem Vorbringen handelt es sich ausschließlich um Wiederholungen der bereits im Gesuch vom 5. September 2023 ausgeführten eigenen Bewertung der Verfahrenslage durch den Angeklagten. Dies steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung dieser Ablehnungsgesuche gleich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2020 – 4 StR 654/19, juris Rn. 1; Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 12).

3. Der Senat kann offenlassen, ob das Ablehnungsgesuch vom 5. September 2023 zulässig ist und ihm die Behauptung eines konkreten Verhaltens des Vorsitzenden als Anknüpfungspunkt der Ablehnung sowie die Voraussetzungen der Rechtzeitigkeit des Vorbringens und deren Glaubhaftmachung (§§ 26 Abs. 2 Satz 1, 25 Abs. 2 StPO) noch hinreichend zu entnehmen sind. Der Ablehnungsantrag ist jedenfalls unbegründet.

a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist nur gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. September 2020 – 5 StR 630/19, juris Rn. 18; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 21; Urteil vom 10. November 1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341). Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen sind dabei der Standpunkt eines besonnenen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 24; Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209; Beschluss vom 8. März 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 69, 71). Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2023 – 4 StR 67/22, juris Rn. 10; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Auch Rechtsfehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im Allgemeinen nicht begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und der damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerung hinausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 348 f. mwN).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben begründet weder die Ablehnung einer Fristverlängerung durch den Vorsitzenden noch die unterlassene Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers die Besorgnis der Befangenheit.

Die in den Ablehnungsgesuchen thematisierten Mitteilungen des Vorsitzenden an den Angeklagten und an seinen Verteidiger Rechtsanwalt S., wonach eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme, entsprechen – sowohl im Hinblick auf die Frist des § 345 Abs. 1 StPO als auch des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO – der Gesetzeslage (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 4; Beschluss vom 24. Januar 2017 – 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; Beschluss vom 13. Dezember 2007 – 1 StR 497/07, juris Rn. 4). Zudem entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 3; Beschluss vom 30. Juli 2008 – 2 StR 234/08, NStZ-RR 2008, 352). Dies gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig um Überlassung der Akten bittet (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1990 – 4 StR 263/90, juris Rn. 4; Löwe-Rosenberg/Franke, 26. Aufl., § 349 Rn. 20). Die Ablehnung eines weiteren Entscheidungsaufschubs durch den Vorsitzenden war – zumal nach anfänglichem Zuwarten mit einer Entscheidung auf eine entsprechende Eingabe des Angeklagten hin – in Ermangelung eines sachlichen Grundes hierfür unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes sachgerecht.

Gleiches gilt für die von dem Angeklagten angeführten Erwägungen, der Vorsitzende habe ihm einen oder mehrere weitere Pflichtverteidiger beiordnen und für die Übermittlung des Antrags des Generalbundesanwalts an ihn persönlich Sorge tragen müssen. Der Angeklagte ist durch zwei Pflichtverteidiger vertreten. Anhaltspunkte dafür, dass durch diese eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleistet ist, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Angeklagten noch sind solche Umstände sonst ersichtlich. Ob ein Verteidiger von der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundesanwalts Gebrauch macht, obliegt allein seiner Verantwortung (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 349 Rn. 20 mwN). Eine Pflicht des Revisionsgerichts oder des Vorsitzenden, auf die Abgabe einer Stellungnahme nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO hinzuwirken, existiert ebenso wenig wie eine solche zur zusätzlichen Übermittlung der Antragsschrift nach § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO an den verteidigten Beschwerdeführer persönlich (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2001 – 5 StR 278/01, juris Rn. 1 mwN).

Angesichts dieser Sachlage besteht für den Angeklagten bei vernünftiger Würdigung kein Grund zu der Annahme, der Senatsvorsitzende habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.“

Und wer gedacht hat, dass die Sache damit ihr Ende gefunden hat. Nein, es gibt noch Anhörungsrügen. Auf die komme ich noch zurück.

StPO I: Ablehnung einer Schöffin durch die StA, oder: Persönliche Beziehungen allein reichen nicht, aber ….

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Und heute dann mal wieder Verfahrensrecht, also ein wenig StPO, und zwar zweimal BGH, einmal AG.

Ich starte mit dem BGH, Urt. v. 25.10.2023 – 2 StR 195/23 – zur Ablehnung einer Schöffin durch die Staatsanwaltschaft, das zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist.

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zu Einfuhr von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Nach den Feststellungen des LG war der Angeklagte von einem gesondert verfolgten B. beauftragt, von diesem in den Niederlanden bestelltes zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmtes Marihuana abzuholen. Zur Verbringung der Betäubungsmittel nach Deutschland hatte der Angeklagte den Opel Corsa seiner damaligen Lebensgefährtin organisiert. Der Angeklagte fuhr in dem Opel Corsa und B. in seinem SUV Seat nach E. Dort tauschten sie die Fahrzeuge und B. lud das Rauschgift in Abwesenheit des Angeklagten in den Opel Corsa, mit dem er das Marihuana über die Grenze nach Deutschland verbrachte. Der Angeklagte fuhr mit dem Seat voraus, um bei eventuellen Kontrollen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein bis zwei Tage nach ihrer Rückkehr tauschten sie die Fahrzeuge zurück und der Angeklagte erhielt eine Entlohnung von 500 EUR.

Die Staatsanwaltschaft hat Revision zu Lasten des Angeklagten eingelegt. Ihre Verfahrensrüge  hat sie damit begründet, dass bei dem Urteil eine Schöffin mitgewirkt habe, nachdem sie wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei (§ 338 Nr. 3, § 24 Abs. 2, § 28 Abs. 2 Satz 2, § 31 Abs. 1 StPO). Dieser Rüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die an dem angefochtenen Urteil mitwirkende Schöffin J. teilte dem Vorsitzenden am ersten Hauptverhandlungstag nach Verlesung der Anklage mit, dass es sich bei dem Angeklagten um den ehemaligen Partner ihrer „angeheirateten Nichte“ handele, den sie auf Familienfeiern fünf- bis sechsmal getroffen und mit dem sie sich auch unterhalten habe. Die Beziehung zwischen der „Nichte“ und dem Angeklagten sei beendet, ihr letzter persönlicher Kontakt zum Angeklagten sei über drei Jahre her. Nach Bekanntgabe dieser Umstände durch den Vorsitzenden gegenüber den Verfahrensbeteiligten erklärte der Verteidiger des Angeklagten, dass das im Anklagesatz erwähnte Tatfahrzeug, der Opel Corsa, der „Nichte“ gehöre, diese aber nicht gewusst habe, wofür der Angeklagte sich das Fahrzeug geliehen habe.

Nach einer circa fünfundvierzigminütigen Sitzungsunterbrechung verlas die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ein gegen die Schöffin gerichtetes Ablehnungsgesuch und begründete dieses mit deren „Verwandtschaftsverhältnis“ zur Eigentümerin des mutmaßlichen Tatfahrzeugs. In ihrer sich anschließenden dienstlichen Äußerung bestätigte die abgelehnte Schöffin, dass die durch den Vorsitzenden vorgetragenen Tatsachen zu ihrer Bekanntschaft zum Angeklagten zutreffend seien. Die Strafkammer hat den Ablehnungsantrag zurückgewiesen und zugleich die Selbstanzeige der Schöffin als unbegründet erachtet. Sie hat ausgeführt, dass mangels enger persönlicher Beziehung der Schöffin zum Angeklagten eine Besorgnis der Befangenheit nicht bestehe.

Nach Auffassung des BGH beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht die Mitwirkung der Schöffin als erkennende Richterin.

Zunächst hier die Leitsätze, die sich mit der Frage befassen, ob auch die StA die Besorgnis der Befangenheit geltend machen kann, und zwar:

  1. Bei den gesetzlichen Vorschriften, nach denen ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (§ 24 Abs. 1 und 2, § 31 StPO), handelt es sich nicht um Rechtsnormen, die im Sinne des § 339 StPO lediglich zugunsten des Angeklagten wirken.
  2. Die Staatsanwaltschaft kann in Ausübung ihrer Rolle als „Wächterin des Gesetzes“ Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Entscheidung über von ihr gestellte Ablehnungsgesuche ungeachtet von deren Angriffsrichtung mit der Revision rügen.
  3. Ein Ablehnungsgesuch der Staatsanwaltschaft ist gerechtfertigt, wenn sie bei verständiger Würdigung der ihr bekannten Umstände Grund zu der Besorgnis hat, dass der Richter gegenüber dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt oder den daran Beteiligten nicht unvoreingenommen und unparteilich ist.

Zum Befangenheitsgrund führt der BGH dann aus:

„c) Der Zurückweisungsbeschluss hält rechtlicher Überprüfung am Maßstab der § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 1 StPO nicht stand. Das feststehende Verfahrensgeschehen, auf dessen Grundlage der Senat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hat, ob das Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, Rn. 4; vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ 2023, 168, 170 Rn. 47), ist geeignet, die Besorgnis der Befangenheit gegen die abgelehnte Schöffin zu begründen.

aa) Die Ablehnung eines (Berufs-)Richters ist nach § 24 Abs. 2 StPO, der nach § 31 Abs. 1 StPO für einen Schöffen entsprechend gilt, gerechtfertigt, wenn die ablehnende Staatsanwaltschaft bei verständiger Würdigung der ihr bekannten Umstände Grund zu der Besorgnis hat, dass der Richter gegenüber dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt oder den daran Beteiligten nicht unvoreingenommen und unparteilich ist (vgl. allgemein zu § 24 StPO BGH, Urteil vom 28. Januar 1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4, 7). Nicht erheblich ist, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209).

bb) Dabei ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass die §§ 22, 23 StPO Ausschlussgründe aufgrund typisierter Verhältnisse oder Beziehungen erschöpfend regeln. Sie sind eng auszulegen und dürfen nicht dadurch erweitert werden, dass für bestimmte Fälle § 24 StPO allgemein „zur Lückenfüllung“ herangezogen wird (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 Ws 156/16, Rn. 8; KK-StPO/Heil, 9. Aufl., § 24 Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 22 Rn. 3).

Grundsätzlich gilt daher, dass, soweit nicht die im Gesetz aufgeführten persönlichen Verhältnisse oder Beziehungen vorliegen, von der Fähigkeit des Richters auszugehen ist, sich von Befangenheit frei zu halten (vgl. Löwe/Rosenberg/Siolek, StPO, 27. Aufl., § 24 Rn. 30; SSW-StPO/Kudlich/Noltensmeier-von-Osten, 5. Aufl., § 24 StPO, Rn. 9). Gleichwohl vermögen persönliche Beziehungen des Richters zu Angeklagten, Verletzten oder Zeugen je nach Intensität und konkreter Sachlage die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. KK-StPO/Heil, 9. Aufl., § 24 Rn. 12). Sie lassen eine Ablehnung aber nur dann als begründet erscheinen, wenn eine besonders enge Beziehung vorliegt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 24 Rn. 11 („eng befreundet“); SK-StPO/Wolter, 5. Aufl., § 24 StPO Rn. 18, 20; weitgehender wohl MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, 2. Aufl., § 24 Rn. 28 („freundnachbarschaftliche Verhältnisse“ reichen teilweise aus)) oder ein besonderer Zusammenhang mit der Strafsache besteht, der besorgen lässt, dass der Richter der Sache nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit gegenübersteht (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 48. Ed., § 24 Rn. 10; SSW-StPO/Kudlich/Noltensmeier-von-Osten, 5. Aufl., § 24 StPO, Rn. 9; Temming in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., § 24 Rn. 13; Fischer/Kudlich, JA 2020, 641, 646).

cc) Hiervon ausgehend ist es zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht allein in der persönlichen Bekanntschaft der Schöffin zum Angeklagten keinen Befangenheitsgrund gesehen hat. Es fehlt an einer persönlichen Beziehung mit der für die Begründung einer Besorgnis der Befangenheit erforderlichen Intensität zwischen den beiden Personen. So kam es bis zur Hauptverhandlung zu lediglich fünf oder sechs Begegnungen mit nur kurzen Unterhaltungen. Hinzu tritt, dass seit dem letzten persönlichen Kontakt mehr als drei Jahre vergangen sind und auch eine indirekte persönliche Beziehung zum Angeklagten aufgrund der – zwischenzeitlich beendeten – Partnerschaft zu der „Nichte“ der Schöffin nicht (mehr) existiert.

dd) Allerdings hat es das Landgericht versäumt, die persönlichen Beziehungen der Schöffin in eine Gesamtschau einzuordnen, was hier zur Annahme der Besorgnis der Befangenheit führt.

Besondere Umstände ergeben sich vorliegend daraus, dass die fortbestehende persönliche Beziehung der Schöffin zu ihrer „Nichte“, der ehemaligen Lebensgefährtin des Angeklagten, einen Zusammenhang zu der Strafsache aufweist. Diese war die Eigentümerin des für die Einfuhrtaten (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) genutzten Tatfahrzeugs. Zwar würde eine etwaige Verfahrensbeteiligung der „Nichte“ als Zeugin eine Besorgnis der Befangenheit noch nicht ohne weiteres begründen. Dem steht bei der anzunehmenden Schwägerschaft dritten Grades (§ 1590 BGB) die gesetzgeberische Wertung des § 22 Nr. 3 StPO entgegen. Der durch den PKW als Tatmittel begründete enge Sachbezug zu der Strafsache berührt aber das Verhältnis der Schöffin zum Angeklagten dergestalt, dass diese ein Interesse daran haben könnte, dass zwischen der Betäubungsmitteleinfuhr und ihrer „Nichte“ keine Verbindung hergestellt und diese nicht zu einer potentiell Tatbeteiligten wird und so, je nach Einlassung des Angeklagten, diesem wohlwollend oder ablehnend gegenüberzustehen.

Aus Sicht der ablehnenden Staatsanwaltschaft war damit bei verständiger Würdigung dieser Gesamtumstände die Besorgnis gerechtfertigt, der Schöffin fehle die erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit. Die zu einer möglichen Befangenheit unergiebige dienstliche Äußerung der Schöffin vermag diese Wertung nicht auszuräumen, erschöpft sie sich doch allein darin, die Bekanntschaft zum Angeklagten zu bestätigen.“

StPO II: Augenscheinseinnahme ohne Beteiligte, oder: Besorgnis der Befangenheit

Und als zweite Entscheidung dann der AG Schwerin, Beschl. v. 25.10.2023 – 259 Js 17643/23 OWi. Er stammt zwar aus dem Bußgeldverfahren, aber in der Entscheidung geht es um eine StPO-Frage. Nämlich. Besorgnis der Befangenheit (§ 24 StPO).

Das AG geht von Befangenheit des entscheidenden Richters aus – der Sachverhalt ergibt sich aus den Beschlussgründen:

„Der Befangenheitsantrag gegen den abgelehnten Richter vom 11.10.2023 ist zulässig, insbesondere unverzüglich gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 25 Abs. 2 StPO gestellt.

Zwar hat der Verteidiger des Betroffenen das Ablehnungsgesuch nicht unmittelbar nach dem Hinweis des abgelehnten Richters im Hauptverhandlungstermin am 11.10.2023, dass er sich am Vortag zur Vorbereitung auf die Hauptverhandlung zur Messstelle begeben, ein Foto von der Messstelle gefertigt und von den zufällig dort anwesenden Messbeamten pp. und pp. den genauen Aufstellungsort des Messgerätes erfahren habe, sondern erst nach Durchführung der zeugenschaftlichen Vernehmung der Zeugen pp. und sowie Inaugenscheinsnahme des vom abgelehnten Richter am Vorabend von der Messstelle gefertigten Fotos gestellt. Gleichwohl geht das Gericht von der Rechtzeitigkeit des Antrags aus, da dieser noch innerhalb des Hauptverhandlungstermins am 11.10.2023 unmittelbar nach Erörterung der Sach- und Rechtslage gestellt worden ist, zu einem Zeitpunkt als, wie sich aus der Erklärung des Verteidigers vom 17.10.2023 zur Stellungnahme des abgelehnten Richters vorn 11.10.2023 ergibt, gerade mit Blick auf die Erklärungen des Zeugen pp.. zur Messskizze und den „neuen“ örtlichen Gegebenheiten – jedenfalls für diesen Zweifel an einem Tatnachweis ergeben hatten.

Der Ablehnungsantrag ist auch begründet.

Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes gem. § 24 Abs. 1 und 2 StPO ist grundsätzlich vom Standpunkt eines vernünftigen bzw. verständigen Ablehnenden aus zu beurteilen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Richter tatsächlich parteiisch oder befangen ist. Solcherlei ist anzunehmen, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dass dies vorliegend anzunehmen ist, ergibt sich aus Folgendem:

Der abgelehnte Richter hat hier zwischen zwei Sitzungstagen die Örtlichkeit einer Geschwindigkeitsmessung in Augenschein genommen und die zufällig dort anwesenden Zeugen des Verfahrens pp. und pp. 1 (jedenfalls) zum Standort des Messgerätes befragt. Diese Verhaltensweise lässt den Schluss zu, der abgelehnte Richter halte eine solche Ortsbesichtigung/ Befragung von Zeugen im Rahmen seiner Aufklärungspflicht für seine Entscheidungsfindung für erforderlich. In einem solchen Fall, gleich ob innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung wäre es strafprozessual jedoch erforderlich gewesen, die lnaugenscheinsnahme/ Ortsbesichtigung und Vernehmung/Befragung von Zeugen vorab sämtlichen Prozessbeteiligten mitzuteilen (vgl. da-zu die Regelungen der §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 86, 162, 165, 168 d Abs. 1 i.V.m § 168 c Abs. 5 S. 1, 225, 224 StPO). Im konkreten Fall hat der abgelehnte Richter ohne Rücksicht auf die vorgenannten strafprozessualen Regelungen allein für sich die Möglichkeit eröffnet, unter Ausschluss des Betroffenen und seines Verteidigers die Messörtlichkeit in Augenschein zu nehmen und die Vernehmung/Befragung von Zeugen des Verfahrens durchzuführen. Dieses prozessuale Vorgehen kann für eine Prozesspartei bei vernünftiger Würdigung den Eindruck einseitiger Verfahrensführung erzeugen und begründen.

Die nachträgliche dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters entkräftet nach Wertung des Gerichts den Anschein der Voreingenommenheit nicht. Diese lässt nicht erkennen, dass sich der abgelehnte Richter mit der zentralen Frage der Anwesenheitsrechte von Prozessbeteiligten bei richterlichen „Ermittlungshandlungen“ inhaltlich auseinandergesetzt hat. Die Äußerung, er habe – auch ohne Mitteilung an die Prozessbeteiligten – ein „Recht“… „ im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes die Örtlichkeit einer Messung vor Durchführung einer Hauptverhandlung anzuschauen“, und der (erneute) Hinweis darauf, dass er die Zeugen zufällig dort angetroffen habe, wodurch offensichtlich die Befragung der Messbeamten gerechtfertigt werden soll, geben vielmehr auch weiterhin für eine Prozesspartei bei vernünftiger Würdigung ausreichend Anlass, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu zweifeln.

StPO III: Schoko-Marienkäfer für den Staatsanwalt, oder: Glück gehabt, nicht befangen

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Und als dritte Entscheidung dann der LG Oldenburg, Beschl. v. 24.04.2023 – 12 Ns 380 Js 80809/21 (299/22). Es geht um die Besorgnis der Befangenheit bei einer Schöffin, die vor der Hauptverhandlung Süßigkeiten verteilt hat, und zwar nur an den Staatsanwalt, der sie allerdings nicht angenommen hat.

Ja, das hatten wir schon mal. Na ja, nicht ganz. In der Fällen, die mir bekannt sind, ging es immer um Schokoladen-Nikoläuse, hier waren es aber Marienkäfer aus Schokolade. Nichts desto trotz: Es passt „Alle Jahre wieder“. 🙂

Hier hatte die „Großzügigkeit“ der Schöffin allerdings nicht deren Ausschluss wegen besorgnis der Befangenheit (§ 24 StPO) zur Folge. Sie hat – wohl so gerade noch – die Kurve bekommen und in ihrer dienstlichen Äußerung den Faux pas „repariert“. Das LG hat es damit dann gut sein lassen. Ich wage die Behauptung, dass der Angeklagte das sicherlich mit der Revision überprüfen lassen wird.

Das LG hat ausgeführt:

„Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn aus Sicht eines vernünftigen Ablehnungsberechtigten Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit des Richters bestehen (MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, 1. Aufl., StPO § 24 Rn. 15 m.w.N.). Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist demnach gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 24 Rn. 8 m.w.N.). Bei der Ablehnung von Schöffen gilt das Gleiche; die Befangenheitsgründe gehen nicht weiter als bei den Berufsrichtern (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 31 Rn. 2).

Die beanstandete Verteilung von Schokoladen-Marienkäfern durch die Schöffin pp. vor Beginn der Hauptverhandlung am 03.04.2023 begründet jedenfalls in der konkreten Situation und unter Berücksichtigung der dienstlichen Äußerung der Schöffin aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten keine Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit. Zwar erscheint die Verteilung von Süßigkeiten in einem Strafverfahren grundsätzlich unangemessen (vgl. LG Flensburg, Beschl. vom 20.01.2021 — V KLs 2/19, juris). Doch lässt dies in der konkreten Situation gerade nicht den Schluss zu, dass die Schöffin dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft eher gewogen ist als dem Angeklagten oder seinem Verteidiger.

Unabhängig davon, dass der Angeklagte sich zum Zeitpunkt der Verteilung der Süßigkeiten nicht im Saal befand, hat der Erste Staatsanwalt pp. in der Hauptverhandlung erklärt, er habe den Vorgang bereits als unangemessen empfunden, der Schöffin dies mitgeteilt und das Schokoladenpräsent auch nicht angenommen. Die Schöffin hat im Rahmen ihrer dienstlichen Äußerung erklärt, dass sie durchaus vorgehabt habe, dem Verteidiger auch ein Schokoladenpräsent zu übergeben, dies aber angesichts der Zurückweisung durch den Staatsanwalt nicht mehr getan habe. Die Äußerung lässt darauf schließen, dass der Schöffin die Unangemessenheit ihres Verhaltens erst anschließend klargeworden ist.

Es bestehen keine Gründe, die Glaubhaftigkeit der dienstlichen Äußerung der Schöffin in Zweifel zu ziehen. Die Stellungnahme des Verteidigers vom 06.04.2023 begründet solche Zweifel ebenfalls nicht — im Gegenteil: Seine Ausführungen zeigen vielmehr, dass die Schöffin ihm gegenüber ausgesprochen freundlich und zugewandt gefragt habe, ob der Sitzungssaal bereits offen sei, oder ob sie ihm die Saaltür öffnen solle. Dass sie bei dieser Gelegenheit oder anschließend, als sie offenbar der Protokollführerin ebenfalls ein Stück Schokolade auf den Tisch gelegt hat, nicht daran gedacht hat, dies bereits diesem Zeitpunkt auch dem Verteidiger anzubieten, stellt daher keinen Befangenheitsgrund dar. Denn die Schöffin hat durch ihr Gesamtverhalten und — spätestens durch die Klarstellung im Rahmen ihrer dienstlichen Äußerung — nachvollziehbar kein Verhalten zum Ausdruck gebracht, dass darauf schließen lässt, dass sie der Seite des Angeklagten, insbesondere dem Verteidiger, weniger gewogen ist, als der Staatsanwaltschaft.

Die Besorgnis der Befangenheit der Schöffin pp. ist nach alledem nicht gerechtfertigt.“

Als Vorsitzender steht man wahrscheinlich in solchen Fällen kurz vor einem Infarkt 🙂 .

Befangenheit III: Reicht Arzt-Patienten-Verhältnis?, oder: Reicht auch in „Nichtarzthaftungssachen“

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Die dritte Entscheidung stammt dann auch aus dem Zivilrecht, und zwar aus einem familiengerichtlichen Verfahren.

Gestritten wird im Unterhalt für ein aus einer außerehelichen Beziehung hervorgegangenes Kind. Der Antragsgegner ist Zahnarzt. Der Richter teilte am 11.11.2022 den Beteiligten mit, dass er selbst Patient beim Antragsgegner ist und forderte die Beteiligten zur Stellungnahme auf. Mit Schriftsatz vom 18.11.2022 erklärte die Antragstellervertreterin, dass sie beantrage, dass der Richter für befangen erklärt werde und die Zuständigkeit wechsle. Mit Vermerk vom 09.01.2023 leitete der Abteilungsrichter die Akte weiter zur Prüfung des Antrags „im Hinblick auf die bedenkliche Gemengelage im Hinblick auf das vertrauliche Arzt-Patient-Verhältnis“.

Das AG hat im AG Schwetzingen, Beschl. v. 23.01.2023 – 1 F 228/22 – die Besorgnis der Befangenheit bejaht:

„Auch inhaltlich ist die Ablehnung gerechtfertigt. Es liegt ein Grund vor, der im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG iVm § 42 Abs. 2 ZPO geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

Dabei muss es sich um einen objektiven Grund handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus die Befürchtung erwecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Richter tatsächlich befangen ist oder sich selbst befangen fühlt. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (BGH, Beschluss vom 14. März 2003 – IXa ZB 27/03 –, Rn. 6, juris).

Das Arzt-Patient-Verhältnis zwischen dem Richter und dem Antragsgegner ist als eine persönliche und rechtliche Beziehung zu qualifizieren, welche im Ergebnis ausreichend ist, für einen objektiven Beobachter Anlass zu Zweifeln zu geben.

Die Rechtsprechung sieht die Besorgnis der Befangenheit beispielsweise in Arzthaftungsprozessen in der Regel als berechtigt, wenn der Richter selbst Patient des Arztes war oder ist (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 12. Januar 2012 – 5 W 36/11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Juni 2019 – 13 W 22/19; OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Februar 2012 – 5 U 1011/11). Der Grund hierfür wird darin gesehen, dass zwischen dem Arzt und seinem Patienten immer ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht, nicht nur in Einzelfällen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 12. Januar 2012 – 5 W 36/11 –, Rn. 6, juris). Dies sei nur bei einmaligen, lange zurückliegenden oder weniger bedeutenden Maßnahmen nicht der Fall (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Juni 2019 – 13 W 22/19, Rn. 15, juris). Außerdem sei es nicht abwegig, wenn ein Beteiligter befürchte, der Richter könne Angst haben, ein negativer Ausgang des Prozesses für den Arzt könnte seine zukünftige Behandlung beeinflussen (OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Februar 2012 – 5 U 1011/11 –, Rn. 3, juris).

All diese Überlegungen sind nicht nur im Arzthaftungsprozess von Bedeutung, sondern auch in sonstigen Rechtsstreitigkeiten, zumindest solchen mit erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Für die Frage, ob zwischen dem Arzt und dem Richter ein besonderes Verhältnis besteht, ist es allenfalls am Rande erheblich, ob Gegenstand des Verfahrens die ärztliche Tätigkeit ist oder nicht. Die Tatsache, dass der Patient seine gesundheitlichen Belange dem Arzt anvertraut und sich mit diesen in die Hände des Arztes begibt, ist in jedem Fall gegeben. Ebenso ist die Befürchtung, der Richter könne Folgen für seine eigene Behandlung besorgen, im Unterhaltsverfahren nicht weniger berechtigt.

Daher kann auch außerhalb des Arzthaftungsprozesses davon ausgegangen werden, dass ein Arzt-Patienten-Verhältnis zwischen einem Verfahrensbeteiligten und dem Richter eine Besorgnis der Befangenheit regelmäßig begründet.

Aus den Umständen des Einzelfalles ergibt sich nichts anderes. Der Richter hat angegeben, dass er seit etlichen Jahren regelmäßig zu Untersuchungen und Zahnreinigung in die Praxis des Antragsgegners geht. Auch wurde über vertrauliche gesundheitliche Belange gesprochen. Es besteht also eindeutig ein Vertrauensverhältnis. Auch hat der Rechtstreit für den Antragsgegner erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Die Unterhaltspflicht für ein Kind belastet ihn in erheblichem Umfang von langer Dauer.“