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Strafaussetzung zur Bewährung – so wird es (richtig) gemacht

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Nun zum Abschluss des heutigen Tages einen versöhnlich stimmenden –  das Weihnachtsfest naht 🙂 –  Beschluss des BGH. Man liest ja nicht so oft, dass der BGH wegen Fehler bei der Strafzumessung im Bereich der Bewährung aufhebt – und dann auch noch der 1. Strafsenat bei einer Steuerhinterziehung. Im BGH, Beschl. v. 13.10.2015 – 1 StR 416/15 – war es dann aber mal wieder so weit. Der BGH moniert die Versagung von Strafaussetzung von Bewährung einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe. Das LG war bei der Anwendung von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen, zudem war die von ihm vorgenommene Gesamtwürdigung lückenhaft.

a) Besteht – wie hier – beim Angeklagten eine günstige Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB, kann das Tatgericht unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen. Erforderlich ist, dass nach einer Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.

b) Besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als den allgemeinen vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1980 – 3 StR 376/80, BGHSt 29, 370; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 56 Rn. 20 mwN). Aus der Anforderung, dass Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB besondere sein müssen, ergibt sich, dass einzelne durchschnittliche Gründe eine Aussetzung nicht rechtfertigten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es, dass Umstände, die bei ihrer Einzelbewertung nur durchschnittliche oder einfache Milderungsgründe wären, durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1988 – 4 StR 25/88, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 2; BGH, Beschluss vom 1. Sep-tember 1989 – 2 StR 387/89, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 7; BGH, Beschluss vom 18. August 2009 – 5 StR 257/09, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 9).

Das Landgericht hat hier zwar berücksichtigt, dass die gegen den nicht vorbestraften Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten der Schwelle von einem Jahr (§ 56 Abs. 1 StGB) angenähert ist. Es konnte allerdings keine besonderen Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB erkennen. Hierbei hat das Landgericht die Anforderungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 2 StGB zu hoch angesetzt. Das Landgericht hält es für erforderlich, dass Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, wobei es nicht erforderlich sei, dass diese Milderungsgründe der Tat Ausnahmecharakter verliehen. Ob Milderungsgründe gegeben sind, die durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen, hat das Landgericht jedoch nicht erörtert. Es hat zwar das „Zusammenspiel“ der Milderungsgründe in den Blick genommen, dabei aber weiterhin auf das Gewicht der einzelnen Umstände und nicht auf das Gesamtgewicht aller Milderungsgründe abgestellt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

c) Auch die bei der Prüfung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, vorzunehmende Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten ist hier lückenhaft.

Zwar hat das Landgericht berücksichtigt, dass der Angeklagte „seit der Begehung der Taten, die bereits einige Jahre zurückliegen, nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten“ ist (UA S. 17). Den hier ebenfalls erörterungsbedürftigen Umstand der den Angeklagten belastenden (UA S. 19) langen Verfahrensdauer hat das Landgericht hingegen rechtsfehlerhaft nicht in seine Gesamtwürdigung einbezogen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Berücksichtigung dieses Umstands eine Strafaussetzung zur Bewährung vorgenommen hätte.

Auf ein Neues dann beim LG.

Die positiven Folgen einer Meldung bei der Polizei…

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Ich hatte gerade erst bei der Recherche für einen Aufsatz zu den Fragen des Regelbesipiels i.S. des § 69 Abs. 2 StGB festgestellt, dass man bei genauer Suche und genauem Hinsehen doch eine ganze Menge Entscheidungen findet, in denen von der „Regelentziehung“ nach § 69 StGB absieht. Das passte es ganz gut, dass mit gestern – quasi als Beweis für diese „These“ der LG Aurich, Beschl. v. 06.07.2012 – 12 Qs 81/12 – auf den Schreibtisch – na ja, ins Email-Postfach – flatterte.

Das LG hat darin die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bei einem Beschuldigten, der sich zwar zunächst von der Unfallstelle entfernt hatte, dann aber 40 Minuten später den Unfall persönlich bei der Polizei meldete, abgesehen:

„Gleichwohl fällt die vorliegende Tat selbst trotz Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale so sehr aus dem Rahmen der typischen Begehungsweises heraus, dass sie nicht mehr als der Regelfall anzusehen ist, dem der Gesetzgeber durch Vorwegnahme der Prognose eine den Eignungsmangel indizierende Wirkung im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB beilegen wollte (vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, § 69 Rz. 42). Der einzige, dem Beschuldigten im vorliegenden Verfahren zu machende Vorwurf ist – wie schon die vorstehenden Ausführungen zeigen – lediglich darin begründet, dass er sich nicht unverzüglich, sondern erst mit 40 minütiger Verzögerung bei der Polizei gemeldet hat. Mit anderen Worten: Das Verhalten des Beschuldigten erfüllt „gerade noch“ den Tatbestand der Verkehrsunfallflucht; sein Verhalten bewegt sich am untersten Rand der Strafwürdigkeit. Dem Feststellungsinteresse der geschädigten Deutschen Bahn AG ist nicht zuletzt auch durch seine nachträglichen Aufklärungsbemühungen hinreichend Rechnung getragen worden, sodass der Schutzzweck, um dessentwillen § 142 StGB normiert worden ist, hinreichend Rechnung getragen wurde. So lässt der Umstand, dass der Täter entschlossen war, sich beim Geschädigten zu melden und den Schaden zu ersetzen, regelmäßig die Indizwirkung im Rahmen des § 69 StGB entfallen (ausdrücklich Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, § 69 Rz. 42 m.w.N.). Auch in der Person des Beschuldigten selbst – sein Verkehrszentralregisterauszug weist keine Eintragungen auf – ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, den Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB als erfüllt anzusehen. Vor dem Hintergrund der geringen Strafwürdigkeit des Verhaltens des Beschuldigten mag nach derzeitigem Erkenntnis- und Verfahrensstand allenfalls ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB in Betracht kommen.“

Es kann sich also lohnen, mal genauer hinzusehen und die Umstände, die den eigenen Fall vom „Normalfall“ unterscheiden, herauszustellen.