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Warum braucht die StA 7 Monate, um sich nicht zu erklären? oder: Schon unfassbar….

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Beginnen wir die neue Woche mit Haftrecht. Und dazu macht der OLG Köln, Beschl. v. 29.02.2016 – 2 Ws 60/16, den (unschönen) Auftakt. Es geht um die Verletzungs des Beschleunigungsgrundsatzes im Rechtsmittelverfahren. Und der war hier „so „dicke“ verletzt, dass das OLG den gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehl wegen gemeinschaftlichen versuchten Totschlags aufgehoben hat. Dem lag folgender Verfahrensablauf zugrunde:

  • Urteil des LG Köln 05.12.2014; Freiheitsstrafe  wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung  7 Jahre und 9 Monate.
  • Nach Revisionseinlegung aller Angeklagten, Fertigstellung des Urteils am letzten Tag der Urteilsabsetzungsfrist, dem 06.02.2015, Fertigstellung des Sitzungsprotokolls am 16.03.2015 sowie Zustellungsverfügung der Vorsitzenden vom 17.03.2015, Zustellung des Urteils den Verteidigern, dem letzten am 13.04.2015.
  • Die Verteidiger haben bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt und die allgemeine Sachrüge auch teilweise ausgeführt. Die letzte Revisionsschrift, die die Verletzung formellen Rechts rügt, ist am 13.05.2015 beim LG eingegangen.
  • Mit Verfügung der Vorsitzenden vom 26.05.2015 sind die Akten der StA, Eingang dort am 28.05.2015, zwecks Abgabe der Revisionsgegenerklärung übersandt worden.
  • Der zuständige Staatsanwalt vermerkt unter dem 17.07.2015, dass er aufgrund der unvorhersehbaren Abordnung eines Kollegen zur Erprobung und weiterer, im Einzelnen näher aufgeführter dringlicher Amtsgeschäfte bisher nicht in der Lage gewesen sei, eine Revisionsgegenerklärung abzugeben. Er werde sich nach seiner Urlaubsrückkehr am 10.08.2015 umgehend dem Verfahren zuwenden. Der Behördenleitung sei diese Situation bekannt; sie sehe sich jedoch aufgrund der angespannten Personalsituation nicht in der Lage, die Stelle des zur Erprobung abgeordneten Kollegen neu zu besetzen.
  • Nach insgesamt neun Sachstandsanfragen des Landgerichts im Zeitraum vom 23.07.2015 bis zum 03.12.2015 hat der zuständige Staatsanwalt am 09.12.2015 die Übersendung der Akten an die Generalbundesanwaltschaft verfügt, eine Revisionsgegenerklärung wurde nicht abgegeben. Im Hinblick auf den erneuten Zeitablauf hat er vermerkt, dass die Prüfung des Revisionsvorbringens erst zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen werden konnte. Vorher sei er hierzu aufgrund vordringlicher Amtsgeschäfte, die er wiederum im Einzelnen aufgeführt hat, nicht in der Lage gewesen.
  • Und dann noch: Die Akten sind aufgrund eines justizinternen Versehens von der StA zunächst wieder an das LG und zurück an die StA übersandt worden. Der für die Übersendung zuständige Rechtspfleger hatte am 16.12.2015 festgestellt, dass das Urteil nicht an alle im Revisionsverfahren tätigen Verteidiger förmlich zugestellt worden war. Er übersandt die Akte deshalb zunächst erneut der Strafkammer. Deren Vorsitzende vermerkte am 22.12.2015, dass infolge der förmlichen Zustellung an jeweils einen Verteidiger eine weitere förmliche Zustellung nicht erforderlich sei, gleichwohl verfügte sie die formlose Übersendung des Urteils an die Rechtsanwälte W und Q. Nach Ausführung dieser Verfügung wurden die Akten zunächst an die StA versandt, wo sie mit Verfügung vom 30.12.2015, die am 14.01.2016 ausgeführt wurde, an die Generalbundesanwaltschaft abgesandt wurden. Eine Antragsschrift der Generalbundesanwaltschaft liegt noch nicht vor. Die Akten wurden am 16.01.2016 dem BGH zur Kenntnisnahme vorgelegt.

Da kann man nur sagen: Noch Fragen zur Beschleunigung? Ich habe sie nicht. Und das OLG Köln hatte sie auch nicht und meint – zutreffend: Die nach Urteilserlass entstandenen Verfahrensverzögerungen gegen das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen. Begründung:

  • Die erste vermeidbare Verfahrensverzögerung liegt bereits darin begründet, dass das Protokoll erst am 16.03.2015, mithin über 5 Wochen nach Ablauf  der Urteilsabsetzungsfrist am 06.02.2015, fertiggestellt worden ist. Diese Verzögerung ist als solche auch von Belang, da nach § 273 Abs. 4 StPO das Urteil zuvor nicht zugestellt werden darf und sie sich daher auf die zügige Durchführung des Revisionsverfahrens auswirkt.
  • War bereits diese vermeidbare Verzögerung des Verfahrens im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot bedenklich, ist dies jedenfalls in Zusammenschau mit dem Zeitablauf von über 6 Monaten, den die Staatsanwaltschaft für die Prüfung benötigt hat, dass keine Revisionsgegenerklärung abgegeben wird, und den unter II.3.b.cc. ausgeführten Verzögerungen mit dem Grundrecht des Angeklagten auf die Freiheit seiner Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, nicht mehr vereinbar.
  • Die Akten sind nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist bei der StA am 28.05.2015 eingegangen. Gemäß § 347 Abs. 1 S. 2 StPO hatte die StA Gelegenheit, binnen einer Woche eine schriftliche Gegenerklärung abzugeben. Tatsächlich hat die StA erst mit Verfügung vom 09.12.2015 die Akten der Generalbundesanwaltschaft übersandt, ohne Revisionsgegenklärung. „….Es kann dahingestellt bleiben, ob die Zeit, die die Staatsanwaltschaft zur Überprüfung des Revisionsvorbringens der Angeklagten benötigen durfte, der in § 347 Abs. 1 S. 2 StPO aufgeführte Wochenfrist entsprochen hat. Jedenfalls genügt eine Sachbehandlung, die einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten für die Überprüfung beinhaltet, nicht mehr dem in Haftsachen zu beachtenden Beschleunigungsgebot….“ und: ….Eine Stellungnahme zu den teilweise auf wenigen Seiten ausgeführten Sachrügen war nach Maßgabe der in Nr. 162 (1) der Richtlinien für das Straf- und das Bußgeldverfahren gegebenen Empfehlung nicht erforderlich…..“ und: „…..Ebenso wie sich aus dem Beschleunigungsgebot die Pflicht des Gerichtspräsidenten ableitet, durch Ergreifen geeigneter organisatorischer Maßnahmen die beschleunigte Bearbeitung von Haftsachen sicher zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 – 2 BvR 558/73 –, zitiert nach juris, Rz. 27), folgt daraus zugleich die Verpflichtung, solche gerichtsorganisatorische Maßnahmen zu unterlassen, die einer beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen zuwiderlaufen (vgl. BVerfGE Beschluss vom 29. Dezember 2005 – 2 BvR 2057/05 –, zitiert nach juris, Rz. 69). Dass diese Verpflichtung in gleicher Weise auch für die Staatsanwaltschaft gilt, bedarf nach Auffassung des Senats keiner näheren Darlegung. Die Abordnung eines Kollegen an eine andere Behörde ist daher generell ungeeignet eine Verletzung des Beschleunigungsgebots zu rechtfertigen (BVerfG, a.a.O., Rz 69).“

Fazit des OLG:

„Vorliegend ist insgesamt eine vermeidbare, auf justizinterne Ursachen zurückzuführende Verfahrensverzögerung von über 8 Monaten zu verzeichnen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Angeklagte bereits 2 Jahre und 4 Monate in Untersuchungshaft befindet und die Akten erst 1 Jahr und 1 Monat nach Urteilsverkündung der Generalbundesanwaltschaft übersandt worden sind, die naturgemäß noch keine Antragsschrift gefertigt hat, so dass eine Revisionsentscheidung nach den Erfahrungen des Senats frühestens nach mehreren weiteren Monaten zu erwarten sein dürfte, zwingen die aufgezeigten vermeidbaren Verfahrensverzögerungen zur Aufhebung des Haftbefehls und des Haftfortdauerbeschlusses. Auch die – noch nicht rechtskräftige – Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten rechtfertigt aufgrund der massiven Verfahrensverzögerungen keine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05. Dezember 2005 – 2 BvR 1964/05 –, zitiert nach juris, Rz. 106).

Wenn man es liest, denkt man Freiheitsberaubung im Amt durch Unterlassen…. ich weiß, ich weiß, ich brauche dazu keine Kommentare. Aber man ist fassunglos. Vor allem darüber, dass die Akten – es handelt sich um eine Haftssache (!!!!!!!!) – erst mal zwei Monate beim zuständigen StA liegen, der dann mitteilt, dass er jetzt erst mal für mehr als drei Wochen in Uralub fährt und sich dann der Sache widmen wird. Und dann dauert es immer noch bis Weihnachten…..

U-Haft als Sanktion? Nein!

© chris52 - Fotolia.com

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Vom KG habe ich vor einiger Zeit mal wieder einige Haft-Beschlüsse erhalten, von denen ich heute den KG, Beschl. v. 06.08.2013 – (4) 141 HEs 41/13 (19-21/13) – vorstellen möchte, allerdings nur mit den Leitsätzen und ansonsten mit der Bitte, die umfassend begründete Entscheidung dann als Volltext im „Selbststudium“ zu lesen. Die (amtlichen) Leitsätze fassen aber sehr schön die mit der besonderen Haftprüfung nach sechs Monaten gem. § 121 StPO zusammenhängenden Fragen zusammen. Sie lauten:

1. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO liegt vor, wenn das Verfahren durch Umstände verzögert wird, denen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte durch geeignete Maßnahmen nicht haben entgegen wirken können.

2. Der in Art. 2 Abs. 2 GG verankerte Beschleunigungsgrundsatz verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte von Anfang an alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfene Tat herbeizuführen. Die in § 121 Abs. 1 StPO bestimmte Frist stellt eine Höchstgrenze dar.

3. Im Jugendstrafverfahren findet das Beschleunigungsgebot eine noch einmal gesteigerte Ausprägung.

4. Auf die bloße Wahrnehmung prozessualer Rechte darf, auch wenn sie ihrerseits das Verfahren verzögert, in keinem Fall – schon gar nicht im Sinne einer offenen Sanktionierung – mit einer Verlängerung der Untersuchungshaft reagiert werden.

5. Das in Haftsachen zu beachtende Gebot einer bestmöglichen Verfahrensförderung verlangt eine möglichst frühzeitige Planung und Vorbereitung der Hauptverhandlung, die bei voraussichtlich umfangreichen Sachen je nach Fallgestaltung eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umfassende Hauptverhandlungsplanung mit effizienten Ladungen und Festlegung eines straffen Verhandlungsplans sowie mehr als einen (voll auszuschöpfenden) Hauptverhandlungstag pro Woche erfordert.

6. Bei einer Aussetzung der Hauptverhandlung kommt die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft nur in Betracht, wenn jene aus sachlichen Gründen zwingend geboten bzw. unumgänglich war. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die Aussetzung nicht durch Fehler und/oder Versäumnisse im Ermittlungsverfahren oder bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung verursacht worden ist.

Sehr schön der Leitsatz unter Ziffer 4. Manchmal hat man allerdings den Eindruck, dass das in der Praxis anders gesehen und auch anders verfahren wird.