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StGB II: Richterbeleidigung durch Freislervergleich?, oder: Meinungsfreiheit?

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Im zweiten Beitrag geht es um einen Beschluss des AG Brühl. Das hat die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen Rechtsanwalt abgelehnt, Der war wegen Beleidigung eines Richters (§ 185 StGB) angeklagt. Es hat in einem zivilrechtlichen Verfahren Streit um die Höhe des Streitwertes gegeben.

Der Richter hatte den Streitwert heruntergesetzt. Darauf hatte der Rechtsanwalt mit einem Schriftsatz reagiert, in dem es hieß – so die Anklage:

„Der Angeschuldigte übersandte am 28.04.2023 per beA einen Schriftsatz an das Landgericht pp., Az: pp..

In diesem Schriftsatz führte er auf der ersten Seite aus:

„Wahrscheinlich hat Herr pp. auch seine netten Seiten, und nur Schwierigkeiten damit, sie zu zeigen, da aus dem kollektiven Unbewusstsein der deutschen Richterschaft hier und da „dunkle Momente“ in ihm durchbrechen, eine Art „Schatten“:

Auf der Folgeseite platzierte der Angeschuldigte zwei Schwarz-Weiß-Photos des Präsidenten des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler, sitzend, in Richterrobe, neben denen er zwei Textfelder wie Sprechblasen positionierte.

lm ersten Textfeld schrieb er

„Es gibt hier immer wieder sog. Anwälte, die meinen, sich mit dem RVG wegen PKH an der deutschen Staatskasse bereichern zu können.“

lm zweiten Textfeld schrieb er

„Die Schlange des Bolschewismus lauert überall.

Meine Ermittlungen haben ergeben, was sich hinter RVG und PKH tatsächlich verbirgt:

RechtsVerhinderungsGesinnung und

ProzessKommunismusHeuchelei.

Das internationale Finanzanwaltstum sabotiert darüber lediglich die Rechtsfindung.“

Auf der dritten und letzten Seite seines Schriftsatzes warum wiederum zwei Lichtbilder platziert.

Bei dem ersten Lichtbild ist der vorgenannte Freisler in Uniform stehen offensichtlich bei einer Tischrede zu sehen. ln dem neben seinem Kopf befindlichen Textfeld schrieb der Angeschuldigte

„Daher frage ich euch:

Wollt ihr den totalen Rechtsstaat? Wollt ihr ihn, wenn notwendig, totaler und radikaler, als ihr ihn euch heute auch nur vorstellen könnt? Seid ihr für die Abschaffung von RVG und PKH?“

Neben die Köpfe der weiteren auf dem Bild sichtbaren Personen platzierte der An geschuldigte als Denkblasen erkenntliche Textfelder.

ln dem einen schrieb er

„Nehmt ihnen alles. Lasst den Anwälten nur noch hineinweinen können.“

ln einem weiteren schrieb er:

„Anwälte… Volksschädlinge“

und direkt daneben in einem weiteren ein Taschentuch, in das sie

„Ja.Ja.“

Auf dem zweiten Lichtbild ist wiederum der vorgenannte Freisler in Richterrobe sitzend zu sehen.

Über seinem Kopf befindet sich eine Denkblase mit dem Text

„Wenn man ihnen nicht mehr als 800kcal/d gibt, verschwindet das Anwaltsproblem von alleine.“

Rechts vom Kopf des Freisler befindet sich ein weiteres Textfeld mit dem lnhalt

„Streitwert?

Nicht mehr als 6.000 €. Alles andere erschiene völlig willkürlich.“

Die letzte Seite des Schriftsatzes ist rechts unten mit Name und Berufsbezeichnung des Angeschuldigten versehen.“

Der Angeschuldigte beabsichtigte mit diesem Schriftsatz, den Zeugen pp., der als Vorsitzender Richter am Landgericht pp. mit dem unter dem o.g. Aktenzeichen geführten Rechtsstreit befasst war, durch den Vergleich mit dem als lnbegriff des nationalsozialistischen „Blutrichters“ geltenden Freisler in dem ihm zustehenden Ehranspruch herabzusetzen.

Vergehen der Beleidigung nach §§ 185, 194 StGB

Das AG hat im AG Brühl, Beschl. v. 27.02.2024 – 51 Ds-74 Js 273/23-280/23 – die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt:

„Nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens erscheint der Angeschuldigte einer Straftat nicht hinreichend verdächtig. Hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung wahrscheinlich ist.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die sich aus der Anklageschrift vom 20.10.2023 ergebenen Äußerungen des Angeschuldigten, die er auch nach eigener Einlassung im Rahmen eines zivilgerichtlichen Verfahrens schriftsätzlich vor dem pp. getätigt hat, erfüllen nicht den Straftatbestand des § 185 StGB, da diese nach § 193 StGB noch gerechtfertigt sind.

Die gegenständlichen Äußerungen fallen in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Sie sind durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt und deshalb als Werturteil anzusehen. Die polemische oder verletzende Formulierung einer Äußerung entzieht diese grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 — 1 BvR 1476/91 —, BVerfGE 93, 266-319).

Art. 5 Abs. 2 GG gewährt das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die Vorschrift des § 185 StGB gehört. Steht ein Äußerungsdelikt in Frage, so ist daher grundsätzlich eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits droht, vorzunehmen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Juni 2019 —1 BvR 2433/17 —, Rn. 17, juris). Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 — 1 BvR 1476/91. —, BVerfGE 93, 266-319). Dies gilt insbesondere auch für die Kritik an richterlichen Entscheidungen. Im Rahmen einer Gesamtabwägung muss berücksichtigt werden, dass ein Richter schon von Berufs wegen in der Lage und auch gehalten ist, überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim „Kampf um das Recht“ auszuhalten (so auch OLG München, Beschluss vom 31. Mai 2017 — 5 OLG 13 Ss 81/17 —, Rn. 12, juris).

Eine Abwägung findet nur dann nicht statt, wenn die herabsetzende Äußerung eine Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Merkmal der Schmähung ist die das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Von ihr ist lediglich dann auszugehen, wenn sich der ehrbeeinträchtigende Gehalt der Äußerung von vorneherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes bewegt (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Juni 2019 —1 BvR 2433/17 —, Rn. 18, juris).

Von einer reinen Schmähkritik ist bei Anlegung dieser Maßstäbe für den Streitfall nicht auszugehen. Die gegenüber dem Vorsitzenden Richter am Landgericht pp. getätigten Äußerungen stehen thematisch in Zusammenhang mit einem (vorläufigen) Streitwertbeschluss der Kammer vom 27.01.2023, der wiederum im zeitlichen Zusammenhang mit einer Kostenfestsetzung für die PKH-Vergütung stand. Die bildliche Darstellung samt textlicher Begleitung setzt sich thematisch in polemischer und überspitzter Weise mit der rechtsanwaltlichen Vergütung im Rahmen von gerichtlichen Prozessen, insbesondere in Zusammenhang mit Prozesskostenhilfe auseinander, wobei Bezug zu nationalsozialistischem Gedankengut hergestellt wird.

Sodann nimmt der Angeschuldigte auf Seite 3 des streitgegenständlichen Schriftsatzes Bezug auf die konkrete Streitwertentscheidung. Es erfolgt also eine Auseinandersetzung mit der Sache, sodass die Diffamierung der Person nicht im Vordergrund steht. Die Äußerungen und bildlichen Darstellungen entbehren insofern nicht jedwedem sachlichen Bezug.

Im Rahmen der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und der persönlichen Ehre sind die Äußerungen und bildlichen Darstellungen noch gemäß § 193 StGB gerechtfertigt.

Der Angeschuldigte vergleicht die Streitwertentscheidung der Kammer, wobei er seine „Kritik“ an der nach seiner Meinung niedrigem Streitwertfestsetzung hauptsächlich gegenüber dem Vorsitzenden äußert, mit dem Vorgehen von Roland Freisler während der NS-Zeit. Dabei lässt die gesamte Darstellung jedoch nicht ohne Weiteres den Schluss zu, der Angeschuldigte unterstelle dem Richter eine nationalsozialistische Gesinnung.. Im Vordergrund steht der Vorwurf der vermeintlichen Fehlerhaftigkeit und Willkür der gerichtlichen Entscheidung, dem durch den Vergleich mit der Person Freislers in seiner Funktion als Richter während der nationalsozialistischen Willkürherrschaft, Ausdruck verliehen werden sollte.

Die Darstellung als Comic lässt den Schluss zu, dass wie es der Angeschuldigte behauptet, eine satirische Auseinandersetzung mit der gerichtlichen Streitwertentwicklung im gesamten Verfahren, erfolgen sollte.

Die Äußerungen des Angeschuldigten erfolgten im Rahmen eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens, dem ein selbstständiges Beweisverfahren vorausging, bereits einige Jahre andauerte und das Thema Streitwert und die Vergütungsfestsetzung schon mehrfach Streitpunkt war. Die Entscheidung über den Streitwert betrifft den Rechtsanwalt außerdem jedenfalls mittelbar persönlich im Rahmen der Vergütung, was für diesen gerade in langjährigen Verfahren von Bedeutung ist.

Die streitgegenständlichen Darstellungen erfolgten außerdem ausschließlich schriftlich im Rahmen des zivilgerichtlichen Verfahrens, ohne dass sie anderen, nicht am Verfahren beteiligten Personen zur Kenntnis gelangen konnten.

Der Schutz der persönlichen Ehre tritt daher in diesem Fall aufgrund der Umstände nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen noch hinter der Meinungsfreiheit zurück.“

Mal unabhängig von der Frage, ob das nun wirklich noch von der Rechtsprechung des BVerfG und der OLG gedeckt ist: Ich habe den Kollegen, der mir den Beschluss geschickt hat, gefragt, was man eigentlich mit solchen Schriftsätzen erreicht? M.E. nichts. Und bei allem Verständnis über die Verärgerung über das richterliche Vorgehen, ich würde es lassen. Es bringt nichts – schon gar nicht für den Mandanten und für einen selbst nur Ärger und kostet Nerven. Der Kollege hat es anders gesehen. Nun ja, das ist sein gutes Recht.

Ich bin gespannt, ob die Angelegenheit mit der Nichteröffnung erledigt ist. Wahrscheinlich nicht.

StGB II: „Ich mache Euch fertig, Ihr Schlampen“, oder: Keine Meinungsäußerung, sondern Formalbeleidigung,

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt auch aus dem Komplex „Äußerungsdelikte“. Und zwar hat das BayObLG im BayObLG, Beschl. v. 06.11.2023 – 202 StRR 80/23 – zur Strafbarkeit der Bezeichnung einer Frau als „Schlampe“ als Beleidigung Stellung genommen.

Der Angeklagte ist vom AG/LG wegen Beleidigung (§ 185 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Berufungskammer hatte dazu  im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„Der vielfach vorbestrafte Angeklagte war bis Ende März 2022 mit der Mutter der Verletzten liiert. Weil die Mutter dem Angeklagten nach der Trennung für einen Antrag beim Arbeitsamt benötigte Unterlagen nicht zur Verfügung stellte, wollte der Angeklagte diese unter Druck setzen und zur Herausgabe der Unterlagen bewegen. Zu diesem Zweck veröffentlichte er auf Facebook eine Fotocollage verschiedener von der Verletzten gefertigter Torten und bewarb den Verkauf von Torten, wobei er deren Namen nannte. Nachdem die Verletzte am 04.04.2022 gegen 9.00 Uhr in einem Telefonat von dem Angeklagten verlangt hatte, den Beitrag bei Facebook zu löschen, äußerte der Angeklagte ihr gegenüber: „Ich mach euch fertig, ihr Schlampen!“.

Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„2. Der Schuldspruch wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB hält im Ergebnis der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts weist keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere wird diese den gesteigerten Anforderungen bei einer hier gegebenen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation noch hinreichend gerecht (vgl. hierzu nur BayObLG, Beschl. v. 12.07.2021 – 202 StRR 76/21 = OLGSt StPO § 261 Nr 31 m.w.N.). Soweit der Beschwerdeführer auf eine Beweisaufnahme in der Revisionsinstanz drängt, verkennt er das Wesen der Revision, die darauf gerichtet ist, das angefochtene Urteil auf Rechtsfehler zu überprüfen (§ 337 Abs. 1 StPO), sodass eine Beweisaufnahme, die allein dem Tatrichter obliegt, durch das Revisionsgericht von vornherein nicht in Betracht kommt.

b) Im Ergebnis zu Recht ist die Berufungskammer von der Erfüllung des Beleidigungstatbestands nach § 185 Var. 1 StGB ausgegangen.

aa) Die Bezeichnung der Gesprächspartnerin durch den Angeklagten als „Schlampe“ stellt zweifelsfrei durch die darin zum Ausdruck gekommene Missachtung einen Angriff auf die persönliche Ehre der Verletzten dar.

bb) Zwar ist es rechtsfehlerhaft, soweit das Berufungsgericht lapidar ausführt, es seien „keinerlei“ Anhaltspunkte für das Vorliegen berechtigter Interessen des Angeklagten ersichtlich. Denn das Landgericht hat dabei außer Acht gelassen, dass die Äußerung selbstverständlich am Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen ist. Indessen beruht das Urteil nicht auf diesem Rechtsfehler im Sinne des § 337 Abs. 1 StGB, weil die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter das Recht der Verletzten auf Achtung ihrer persönlichen Ehre wegen der Besonderheiten des Tatgeschehens zurücktritt.

(1) Nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB regelmäßig auf der Grundlage der konkreten Umstände einer Äußerung und ihrer Bedeutung eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Nur in Ausnahmefällen tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschl. – jeweils – v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 = NJW 2020, 2622 = EuGRZ 2020, 589; 1 BvR 2459/19 = NJW 2020, 2629; 1 BvR 1094/19 = NJW 2020, 2631 = EuGRZ 2020, 595; 1 BvR 362/18 = NJW 2020, 2636 = DVBl 2020, 1279; vgl. hierzu auch BayObLG, Beschl. v. 04.07.2022 – 202 StRR 61/22 = NJW 2022, 3236 m.w.N.).

(2) Die inkriminierte Äußerung des Angeklagten ist nach den vom Tatgericht getroffenen Feststellungen sowohl als Schmähkritik als auch als Formalbeleidigung einzustufen, was eine Abwägung der gegenseitigen Rechte des Angeklagten einerseits und der Verletzten andererseits entbehrlich macht.

(a) Allerdings rechtfertigt nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts selbst eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik noch nicht die Einschätzung als Schmähung (BVerfG, Beschl. v. 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20 = StV 2022, 380 = NJW 2022, 1523 = NVwZ-RR 2022, 441 = BeckRS 2022, 6210). Eine solche ist erst dann anzunehmen, wenn die Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht (BVerfG, Beschl. – jeweils – v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19; 1 BvR 1094/19; 1 BvR 362/18 [a.a.O.]; BayObLG a.a.O.). Dies war hier indes der Fall. Der Beschimpfung ging ein Anruf der Verletzten voraus, die den Angeklagten aufforderte, die Veröffentlichung ihres Namens im Internet zu löschen. Auf dieses Verlangen reagierte der Angeklagte mit den Worten: „Ich mach euch fertig, ihr Schlampen“, ohne dass auch nur im Ansatz der an ihn herangetragene Wunsch bei verständiger Würdigung einen Anlass bieten würde, mit einer derartigen Verunglimpfung zu reagieren. Ein Sachzusammenhang zwischen der Titulierung als „Schlampe“, die in gewissen Kreisen verwendet wird gegenüber einer Person, der in sexual-ethischer Hinsicht tatsächliche oder vermeintliche Verfehlungen nachgesagt werden oder deren Lebensführung nicht den von der Gesellschaft an Minimalanforderungen gestellten sozial-adäquaten Verhaltens gerecht wird, und deren vorher geäußerten Anliegen bestand nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht. Eine Auseinandersetzung in der Sache ist in der Verbalinjurie in Anbetracht des von der Verletzten vorher geäußerten Anliegens nicht zu finden. Es ging dem Angeklagten ersichtlich nur darum, seiner Gesprächspartnerin und deren Mutter, mit der er vorher liiert war, mit der Bezeichnung den persönlichen Achtungsanspruch, der jeder Person kraft ihres Menschseins zukommt, von vornherein abzusprechen. Ihm kam es ersichtlich allein darauf an, seine Gesprächspartnerin „niederzumachen“ (vgl. hierzu BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 = NJW 2019, 2600 = NStZ-RR 2019, 277 = K&R 2019, 582 = EuGRZ 2019, 431 = MMR 2019, 668 = BayVBl 2019, 742 = JR 2020, 28 = DVBl 2020, 43 = BeckRS 2019, 15126; 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20 = StV 2022, 380 = NJW 2022, 1523 = NVwZ-RR 2022, 441 = BeckRS 2022, 6210).

(b) Überdies ist die inkriminierte Äußerung auch als Formalbeleidigung zu werten. Hiervon ist bei der Verwendung besonders krasser, aus sich heraus herabwürdigender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – auszugehen, bei denen die gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit dazu führt, dass sie in aller Regel von vornherein nicht dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit unterliegt (BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschl. v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 [a.a.O.]; BVerfGE 82, 43, 51 = NJW 1990, 1980; BVerfGE 93, 266, 294 = NJW 1995, 3303; BVerfG, Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 [a.a.O.]; BayObLG a.a.O.). Die Bezeichnung einer Gesprächspartnerin als „Schlampe“ erfüllt diese Anforderungen, zumal – wie bereits dargelegt – nicht ansatzweise eine Konnexität zwischen dem vorangegangenen Verhalten der Verletzten und deren Verunglimpfung durch den Angeklagten bestand.

(3) Ungeachtet dessen tritt aber selbst bei Vornahme einer Abwägung der widerstreitenden Interessen die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles hinter den Schutz der persönlichen Ehre der Verletzten zurück. Zwar spricht einerseits zugunsten des Angeklagten, dass die Äußerung anlässlich eines Telefonats mit der Verletzten gefallen ist, sodass keine Wahrnehmung durch Dritte erfolgte und deshalb der Integritätsangriff keine erhebliche Wirkung entfalten konnte (vgl. hierzu BayObLG a.a.O.). Auch handelte es sich um eine spontane Entgleisung des Angeklagten, der aufgrund der vorangegangenen Trennung von der Mutter der Verletzten offensichtlich aufgebracht war. Dagegen ist andererseits auf Seiten der Verletzten aber zu berücksichtigen, dass es bei dem Gespräch nicht etwa um eine die Öffentlichkeit berührende Angelegenheit oder dergleichen ging, bei welcher der Meinungsäußerungsfreiheit ein besonderes Gewicht zukäme. Vielmehr handelt es sich um eine reine Privatfehde, bei der es dem Angeklagten darauf ankam, seine Gesprächspartnerin, deren Verhalten nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht im Geringsten einen Anlass für die Äußerung des Angeklagten geboten hat, ohne jeden Kontext zu der vorangegangenen Unterhaltung in übler Art zu beschimpfen. Bei einer wertenden Gegenüberstellung und Abwägung der genannten Gesichtspunkte hat aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter das Persönlichkeitsrecht des Verletzten zurückzutreten, sodass sein Verhalten nicht nach § 193 StGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerechtfertigt ist…..“

StGB I: „…Sie „fetter Anwalt“ und „Rumpelstilzchen, oder: Ist das noch „Kampf ums Recht“?

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Und heute dann StGB-Delikte, und zwar zwei Mal etwas zu „Äußerungsdelikten“ und einmal Brandstiftung.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BVerfG, Beschl. v. 24.11.2023 – 1 BvR 1962/23 -, der gestern ja schon an verschiedenen Stellen über die „Ticker gelaufen“ ist.

Es geht um ein einstweiliges Verfügungsverfahren. In dem ist die Antragstellerin, eine Rechtsanwältin (?), vom AG/LG Dresden verurteilt worden, „es zu unterlassen, auf ihrer Internetseite „(…)“ über die Inhalte der nichtöffentlichen Sitzung eines Familiengerichts zu berichten, für die sie am 16. November 2021 als Verfahrensbeistand zugelassen worden war, und einen darin auftretenden Rechtsanwalt – den Verfügungskläger des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Verfügungskläger) – als „fetten Anwalt“ und „Rumpelstilzchen“ zu bezeichnen. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist darüber hinaus eine weitere Verurteilung der Beschwerdeführerin, es zu unterlassen, Schriftstücke aus dem familiengerichtlichen Verfahren zu verbreiten sowie Dritte im Internet dazu anzustiften, dem Verfügungskläger – unter anderem durch Abgabe negativer Bewertungen im Internet ohne bestehendes Mandatsverhältnis – zu schaden.“

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung genommen, da sie wohl nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1, § 92 BVerfGG genügt und deshalb unzulässig ist. Das BVerfG bemängelt. dass sie „nicht dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität gerecht wird.“

Aber: Das BVerfG hat dennoch etwas zur Sache gesagt, und m.E. recht deutlich und recht viel. Nämlich:

„1. Allerdings lässt die Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar erkennen, soweit sie beanstandet, das Amtsgericht und ebenso das Landgericht hätten für ihre Annahme einer Beleidigung des Verfügungsklägers durch die Worte „fetter Anwalt“ und „Rumpelstilzchen“ den Kontext dieser Äußerungen nicht erörtert, zudem fehle es an einer Abwägung zwischen der persönlichen Ehre des Verfügungsklägers und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Maßgeblich ist hierfür der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Urteile, die den Sinn der umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>; 124, 300 <345>; stRspr). Diese Anforderungen verfehlen die Ausgangsgerichte bereits insoweit, als es den angegriffenen Entscheidungen sowohl an einer Betrachtung des Kontextes der auf der Internetseite „(…)“ veröffentlichten Äußerungen ermangelt, wie schon an jeglichen kontextbezogenen Feststellungen.

b) Ebensowenig in Einklang zu bringen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es überdies, wenn das Amtsgericht seine Annahme einer Beleidigung nach § 185 StGB allein darauf stützt, die Bezeichnungen „fetter Anwalt“ und „Rumpelstilzchen“ seien „ein Werturteil, welches ehrverletzenden Charakter“ habe, und das Landgericht ausführt, das Verhalten der Beschwerdeführerin verletze den Verfügungskläger „wie zutreffend erstinstanzlich ausgeführt“ in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Damit lassen die Ausgangsgerichte jede Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen vermissen, die aber nur ausnahmsweise entbehrlich ist, wenn sich eine Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinne, als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung darstellt (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; 93, 266 <293 f.>; 99, 185 <196>; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19 -, Rn. 14 ff.; vom 21. März 2022 – 1 BvR 2650/19 -, Rn. 26 ff.). Einen solchen Fall haben die Ausgangsgerichte indes nicht angenommen.

c) Aus dem Blick verloren haben die Ausgangsgerichte zudem, dass die untersagten Äußerungen im Kontext eines gerichtlichen Verfahrens gefallen sind, in dem die Beschwerdeführerin als Verfahrensbeistand bestellt worden war. Den Ausgangsgerichten war es daher verwehrt, eine Ehrverletzung des Verfügungsklägers anzunehmen, ohne zuvor auch nur in Erwägung zu ziehen, dass es unter dem Gesichtspunkt des sogenannten „Kampfs um das Recht“ im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt ist, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen (vgl. BVerfGE 76, 171 <192>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Juli 2014 – 1 BvR 482/13 -, Rn. 13; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19 -, Rn. 33; vom 16. Oktober 2020 – 1 BvR 1024/19-, Rn. 20).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist aber dennoch unzulässig, da sie nicht dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität gerecht wird…..“

Nun ja. Polmeik hin, Polmeik her. Aber ich „fetter Anwalt“ und „Rumpelstilzchen“ ist mir dann doch ein wenig viel. Ich weiß auch nicht, welche „widerstreitenden grundrechtlichen Interessen“ vorliegen sollen, um jemanden so zu bezeichnen. Aber ich bin ja auch nicht beim BVerfG.

Beleidigung II: OGV ist ein(e) „Schwuchtel/“Wichser“, oder: Angeklagte raucht beim StA-Plädoyer Cannabis

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Und das zweite Posting kommt dann auch zu einem BayObLG-Beschluss. Das AG hat den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Das LG hat die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision, die beim BayObLG wegen des Schuldspruchs keinen Erfolg hatte. Insoweit hatte ich den BayObLG, Beschl. v. 15.08.2023 – 204 StRR 292/23 – schon vorgestellt (vgl. Beleidigung II: Sie „Schwuchtel“ und „Wichser“, oder: Schmähkritik, Schmähung, Formalbeleidigung?).

Zur Strafzumessung führt das BayObLG in dem Fall betreffend die verhängte Freiheitsstrafe von (nur) drei Monaten aus:

2. Die Revision des Angeklagten hat aber mit der erhobenen Sachrüge in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch Erfolg.

a) Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Strafzumessung die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe als unerlässlich angesehen, weil nur durch diese Strafe die Einwirkung auf den Täter erreicht werden könne (§ 47 Abs. 1 StGB). Dies hat es unter anderem damit begründet, dass der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung mehr als deutlich gemacht habe, dass er sich keiner Schuld bewusst sei und sich zu Unrecht verfolgt fühle, jegliche Verantwortung für sein eigenes Verhalten ablehne und die Schuld für den Vorfall allein beim Geschädigten sehe. Aus dieser Einstellung des Angeklagten sei der Schluss zu ziehen gewesen, dass er auch in der Zukunft nicht bereit sein werde, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich vor allem regelkonform zu verhalten. Dies zeige letztlich auch sein Verhalten während des Plädoyers der Staatsanwältin, als er im Sitzungssaal anfing, Cannabis zu inhalieren, und sich auch von der Vorsitzenden hiervon – mit dem Argument, dass ihm das ärztlich verordnet sei, er es jederzeit und überall tun dürfe und man ihm nichts vorschreiben könne – nicht habe abhalten lassen.

b) Diese Strafzumessungserwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.

aa) Eine kurze Freiheitsstrafe kann u.a. verhängt werden, wenn dies zur Einwirkung auf den Täter unerlässlich ist, weil nur durch diese Strafe die Einwirkung auf den Täter erreicht werden kann (§ 47 Abs. 1 StGB). Damit ist die spezialpräventive Funktion der Strafe gemeint, so dass der Richter zu klären hat, ob eine täterungünstige Prognose (drohende weitere Straftaten) die Freiheitsstrafe erfordert (Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 47 Rn. 11).

bb) Bei den zu berücksichtigenden besonderen Umständen in der Persönlichkeit des Täters darf zwar sein Nachtatverhalten, wie etwa ein Geständnis oder die Tatreue, berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.1996 – 3 StR 133/96 –, NStZ 1996, 429, juris Rn. 3). Soweit auf die mangelnde Schuldeinsicht abgestellt wird, verkennt das Berufungsgericht aber, dass das Bestreiten der Tat dem Angeklagten nicht als Uneinsichtigkeit angelastet werden darf, solange er die Grenzen zulässiger Verteidigung nicht überschreitet [vgl. zur Strafzumessung allgemein BGH, Beschluss vom 07.11.1986 – 2 StR 563/86 –, NStZ 1987, 171, juris Rn. 5; zu § 47 Abs. 1 StGB im besonderen BayObLG, Beschluss vom 11.01.1996 – 3St RR 105/95 –, wistra 1996, 236, juris Rn. 29 f.; KG, Beschluss vom 28.02.2001 – (4) 1 Ss 22/01 (23/01) –, juris Rn. 6 m.w.N.]. Der Vorwurf mangelnder Schuldeinsicht und Reue lässt somit besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten sein Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet hat (vgl. BGH, Urteil vom 24.07.1985 – 3 StR 127/85 –, NStZ 1985, 545, juris Rn. 8 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2005 – 2 Ss 78/05 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Eine andere Bewertung ist nur zulässig, wenn der Angeklagte bei seiner Verteidigung ein Verhalten an den Tag legt, das im Hinblick auf die Art der Tat und die Persönlichkeit des Täters auf besondere Rechtsfeindschaft und Gefährlichkeit schließen lässt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.11.1986 – 2 StR 563/86 –, NStZ 1987, 171, juris Rn. 5, und vom 24.07.1985 – 3 StR 127/85 –, NStZ 1985, 545, juris Rn. 9). Ob die richterliche Überzeugung dahin geht, muss das Urteil deutlich erkennen lassen [vgl. KG, Beschluss vom 28.02.2001 – (4) 1 Ss 22/01 (23/01) –, juris Rn. 6 m.w.N.].

Das Berufungsgericht geht zwar davon aus, dass der Angeklagte auch künftig nicht bereit sein wird, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich regelkonform zu verhalten. Hierbei übersieht es aber, dass es sich vorliegend um die erste Verurteilung wegen eines Äußerungsdelikts handelt und diese letztlich auf einer umfangreichen Abwägung der Umstände des Einzelfalles beruht, die das Berufungsgericht selbst nur unzureichend vorgenommen hat. Unter diesen Umständen können aus der fehlenden Schuldeinsicht keinesfalls Schlüsse auf besondere Umstände in der Täterpersönlichkeit gezogen werden, die die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich machen.

cc) Darüber hinaus durfte das Berufungsgericht das Verhalten des Angeklagten – Inhalieren von Cannabis während des Plädoyers der Staatsanwältin – nicht ohne weitere Aufklärung bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigen. Bei den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Angeklagte Cannabispatient ist. Hierauf hat dieser – so die Urteilsfeststellungen – auch hingewiesen, als er von der Vorsitzenden aufgefordert wurde, das Inhalieren von Cannabis während des Plädoyers der Staatsanwältin zu unterlassen. Das Berufungsgericht war demgemäß – wollte es den Umstand des Inhalierens von Cannabis während der Hauptverhandlung zu Lasten des Angeklagten verwerten – gehalten, aufzuklären, ob und unter welchen Voraussetzungen bzw. in welchen zeitlichen Abständen es medizinisch indiziert war, Cannabis zu inhalieren, oder ob der Angeklagte Cannabis während der Hauptverhandlung nur deshalb inhaliert hatte, um das Gericht zu provozieren.“

Beleidigung I: Zur Kontrolle:“Ihr seid korrupte Beamte“, oder: Keine freie Meinungsäußerung

Und dann geht es in die 48. KW.. Allmählich beginnt der Jahresendspurt. Und den läute ich heute ein mit zwei Entscheidungen des BayObLG zur Beleidigung.

Hier dann zunächst noch einmal der BayObLG, Beschl. v. 10.06.2023 – 203 StRR 204/23, den ich ja letzte Woche schon vorgestellt hatte (s. StGB I: Zielrichtung bei der Widerstandshandlung, oder: Auf den Körper zielende Einwirkung reicht). Das BayObLG hat in der Entscheidung aber nicht nur zum Begriff des „tätlichen Angriffs“ Stellung genommen, sondern eben auch zur Beleidigung, und zwar wie folgt:

„3. Der Angeklagte hat sich auch der Beleidigung gemäß § 185 StGB schuldig gemacht.

a) Nach den Feststellungen, die insoweit von der Revision nicht angegriffen werden, betitelte der Angeklagte die drei Polizeibeamten in einer Alkoholverbotszone anlässlich einer Polizeikontrolle aus der Situation heraus als „korrupte Beamte“, um seine Missachtung der Ehre der Geschädigten kund zu tun. Ein Video zeigt den Angeklagten, wie er sich den Beamten gegenüber in überheblicher und provozierender Gestik mit einer Flasche mit alkoholischem Inhalt in der Hand in Szene setzte (Urteil S. 16, 30 und 32).

b) Der ersichtlich von Tatsachen losgelöste Vorwurf der Korruptheit ist geeignet, die Integrität und den Achtungsanspruch eines Beamten anzugreifen. Nach den Urteilsfeststellungen stellte die Formulierung eine dem Tatbestand des § 185 StGB unterfallende ehrverletzende Meinungsäußerung dar.

c) Das Verhalten des Angeklagten ist nicht nach § 193 StGB unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG gerechtfertigt.

aa) Nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB regelmäßig auf der Grundlage der konkreten Umstände einer Äußerung und ihrer Bedeutung eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Nur in Ausnahmefällen tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19.Mai 2020 – 1 BvR 2397/19-, juris Rn. 17).

bb) Das Landgericht hat, obwohl die Feststellungen keinen der von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle belegen (zu den Ausnahmen BayObLG, Beschluss vom 4. Juli 2022 – 202 StRR 61/22 –, juris Rn. 10 ff.), ohne weitere Begründung von einer wertenden Abwägung der betroffenen Rechtsgüter abgesehen.

cc) Der Senat kann eine vom Tatgericht rechtsfehlerhaft unterlassene Abwägung der Rechtsgüter der Meinungsfreiheit und des Ehrenschutzes nachholen und auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts die gebotene wertende Gegenüberstellung der konkreten Umstände selbst vornehmen, da sich den Urteilsgründen die Situation und die Motivation des Angeklagten hinreichend entnehmen lassen (zur Nachholung vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. Dezember 2022 – 206 StRR 296/22 –, juris Rn. 23; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 2. März 2020 – (1) 53 Ss 3/20 (5/20) –, juris Rn. 21; OLG Stuttgart, Urteil vom 7. Februar 2014 – 1 Ss 599/13 -, juris). Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (siehe näher dazu BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 1094/19 -, juris Rn. 21 ff.). In die Abwägung ist einzustellen, ob die Privatsphäre des Betroffenen oder sein öffentliches Wirken Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1999 – 1 BvR 2126/93 -, juris Rn. 31; BVerfG, Beschlüsse vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 1094/19 -, juris Rn. 23, und vom 16. Oktober 2020 – 1 BvR 1024/19 -, juris Rn. 18).

dd) Der Senat ist zu der Entscheidung gelangt, dass im vorliegenden Fall dem Schutz der personalen Würde des einzelnen Polizeibeamten der Vorrang gegenüber der Meinungsfreiheit des Angeklagten gebührt und dass der Schuldspruch wegen Beleidigung im Ergebnis zu Recht erfolgt ist. Der Senat hat bei der Abwägung berücksichtigt, dass die Äußerung spontan und in einer für den Angeklagten unangenehmen Situation einer Polizeikontrolle erfolgte. Der Senat hat in seine Erwägungen mit eingestellt, dass das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf und sogar in polemischer Zuspitzung zu kritisieren, zum Kernbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung gehört, weshalb deren Gewicht in diesen Fällen besonders hoch zu veranschlagen ist (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2019 – 1 BvR 2433/17-, juris, Rn. 17). Andererseits ist zu bedenken, dass auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und des „Kampfs ums Recht“ in eine Abwägung eingebunden bleiben und nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern erlauben. Gegenüber einer auf die Person abzielenden Verächtlichmachung setzt die Verfassung allen Personen gegenüber verfassungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon auch Amtsträger nicht aus (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19 –, juris Rn. 32). Ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern liegt im öffentlichen Interesse, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann (BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 1 BvR 2588/20-, juris Rn. 27). Eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (vgl. BVerfGE 152, 152 <199>; BVerfG, Beschlüsse vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19 -, juris Rn. 32, und vom 19. Dezember 2021 – 1 BvR 1073/20 -, juris Rn. 34 f.). Im Rahmen dieser Abwägung fällt besonders ins Gewicht, dass es sich bei dem vom Angeklagten verwendeten Ausdruck um einen strafrechtlich relevanten Vorwurf der Bestechlichkeit handelt und die Beamten nach den Feststellungen durch ihr Verhalten während der Kontrolle keinen Anlass zu einer Eskalation gaben. Es ist auch zu bedenken, dass der Angeklagte die – rechtmäßige – Kontrolle selbst veranlasst hatte, indem er die Flasche mit Alkohol provokativ in der Hand hielt und zur Schau stellte. Der Angriff gegen den Achtungsanspruch des betroffenen Beamten wies keinen Sachbezug auf, erfolgte nicht in einem vertraulichen Raum und ging über eine auch überspitzte oder polemische Machtkritik in einem der Situation unangemessenen Maße hinaus. Die Gewichtung dieser festgestellten Umstände ergibt, dass das Recht des Angeklagten auf freie Meinungsäußerung hinter dem personalen Achtungsanspruch der Polizeibeamten zurücktritt und dem Schuldspruch keine rechtlichen Bedenken entgegen stehen.“