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BVerfG: Einmal darf man, oder: Beinahetreffer (war) verwertbar

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Zur Abrundung und zum Abschluss an dieser Stelle dann der Hinweis auf die „Beinahetreffer-Entscheidung“ des BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 13.05.2015 – 2 BvR 616/13. Die mit dem sog. Beinahetreffer zusammenhängenden Fragen haben hier ja schon zweimal eine Rolle gespielt (vgl. Der Beinahetreffer (demnächst) beim BVerfG und zuvor: Massengentest – was darf man mit den Ergebnissen anstellen? Dazu jetzt der BGH). Der BVerfG, Beschl. v. 13.05.2015 – 2 BvR 616/13 ist nun die angekündigte Entscheidung zu der BGH-Entscheidung.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es hat sie als unzulässig, weil nicht ausreichend begründet, im Übrigen aber auch als unbegründet angesehen. Dabei lesen wir (weider) viel zu Beweisverwertungsverboten und zur Abwägungslehre des BVerfG/BGH. Zudem obliege die Frage eines Beweisverwertungsverbots den Fachgerichten und sei einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Das BVerfG billigt  die Abwägungs-Rechtsprechung des BGH. In diesem Fall hat der BGH nach Auffassung der BVerfG keine grundgesetzlich geschützten Rechte verletzt, zwar sei § 81h Abs. 1 StPO klar formuliert, der Gesetzgeber habe aber die Behandlung der sog. „Beinahetreffer“ überhaupt nicht im Auge gehabt. Daher soll für diesen ersten Fall die Rechtslage unklar gewesen sein, künftig soll dies aber eben wegen dieser Entscheidung nicht mehr gelten. Einen expliziten Hinweis an den Gesetzgeber, die Vorschrift entsprechend anzupassen, sofern er künftig die Verwertbarkeit von über sog. „Beinahetreffer“ gewonnenen Erkenntnissen zum Zwecke einer effektiven Strafverfolgen sicherstellen will, enthält die Entscheidung aber nicht.

Man kann es m.E. auch anders zusammenfassen, und zwar: Einmal darf man! Irgendwie unschön….

Der Beinahetreffer (demnächst) beim BVerfG

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M.E. ist es immer interessant zu wissen/zu erfahren, ob und wie sich Verfahren weiterentwickeln, ob sie also z.B. nach einer Verwerfungsentscheidung des BGH rechtskräftig abgeschlossen sind oder ob es ggf. doch noch an anderer Stelle ein Nachspiel gibt. Und da bietet sich nicht selten die Frage der Verfassungs- oder sogar der Menschenrechtsbeschwerde zum EGMR an. Es gibt Strafverfahren, die sind für solche „Nachverfahren“ geradezu prädestiniert. Dazu gehört dann sicherlich auch das Verfahren BGH  mit dem BGH, Urt. v. 20. 12. 2012 – 3 StR 117/12 (vgl. dazu auch Massengentest – was darf man mit den Ergebnissen anstellen? Dazu jetzt der BGH).

Ich erinnere: In dem Verfahren ging es um die Zulässigkeit der Verwendung von so „Beinahetreffern“ bei Massengentests. Im Verfahren wurde dem Angeklagten Vergewaltigung vorgeworfen. Bei der Geschädigten war DNA-Material sichergestellt worden, dessen Untersuchung zwar einen bestimmten Spurenverursacher, aber keine Hinweise auf einen polizeilich bekannten Täter ergab. Nachdem weitere Ermittlungen eine örtliche Verwurzelung des Täters nahegelegt hatten, ordnete der Ermittlungsrichter einen Reihengentest an, bei dem im Landkreis von 2.406 Männern Speichelproben genommen wurden. An diesem nahmen auch der Vater des Angeklagten und zwei seiner Onkel teil; er selbst war davon aufgrund seines geringen Alters nicht betroffen. Im Rahmen der Analyse wurde bei zwei anonymisierten Proben aufgrund des Vorkommens eines sehr seltenen Allels eine hohe Übereinstimmung zwischen diesen und der des mutmaßlichen Täters festgestellt. Der Sachverständige teilte diesen Befund dem ermittelnden Polizeibeamten mit und wies darauf hin, dass diese beiden Probengeber zwar nicht als Täter in Betracht kämen, aber Verwandte des Spurenlegers sein könnten. Die beiden Proben wurden daraufhin von der Polizei entanonymisiert und es wurde festgestellt, dass sie von untereinander Verwandten – dem Vater des Angeklagten und seinem Onkel – stammten. Ein alsdann durchgeführter Melderegisterabgleich erbrachte das Ergebnis, dass einer der Probengeber einen Sohn – den Angeklagten – hat, der aufgrund seines jugendlichen Alters nicht in das Raster für den Reihengentest gefallen war, der aber gleichwohl die Tat begangen haben könnte. Daraufhin erließ der Ermittlungsrichter einen Beschluss auf Entnahme von Körperzellen bei dem Angeklagten und deren Untersuchung zur Bestimmung des DNA-Identifizierungsmusters. Diese Untersuchung ergab eine Übereinstimmung mit der Tatspur und führte schließlich zur Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren.

Der BGH hat die Revision gegen das Urteil des LG Osnabrück verworfen und ausgeführt: Die Vorschrift über die molekulargenetische Reihenuntersuchung (§ 81h StPO) ermächtige die Ermittler nicht zu einem Verwandtschaftsabgleich bei sog. „Beinahetreffern“. Die Vorschrift des § 81h StPO erlaube den Abgleich von DNA-Proben ihrem Wortlaut nach nur, soweit er erforderlich ist, um festzustellen, ob die Spuren am Tatort von einem der Teilnehmer der Reihenuntersuchung stammen. Das Vorgehen der Ermittlungsbeamten sei also rechtswidrig. Ein Beweisverwertungsverbot hat der BGH dann aber verneint. Der Gesetzgeber habe Regelungen für den Umgang mit solchen sog. Beinahetreffern nicht getroffen . Die Rechtslage sei für die Ermittlungsbehörden im Zeitpunkt der weiteren Verwendung ungeklärt gewesen. Angesichts dieser Umstände sei die Annahme der Ermittlungsbeamten nicht völlig unvertretbar gewesen, dass die Erkenntnis der möglichen Verwandtschaft zwischen dem mutmaßlichen Täter und dem Vater und dem Onkel des Angeklagten als Ermittlungsansatz verwertet werden konnte. Jedenfalls stelle sich diese Annahme nicht als eine bewusste oder gar willkürliche Umgehung des Gesetzes oder grundrechtlich geschützter Positionen des – zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannten – Angeklagten oder seiner Verwandten dar.

Ob dieses Auffassung richtig ist (der damalige niedersächsische Justizminister hat sie natürlich als richtig angesehen und die Entscheidung begrüßt; vgl. hier). wird nun demnächst das BVerfG prüfen. Denn der Angeklagte hat, wie u.a. LTO meldet Verfassungsbeschwerde eingelegt (vgl. hier):

„Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof aus unserer Sicht gegen das Rechtsstaatsgebot verstoßen“, sagte Anwalt Rüther. Wenn der BGH festgestellt habe, dass das Vorgehen der Ermittler rechtswidrig war, müsse diese Einschätzung auch für den Fall seines Mandanten gelten.