Schlagwort-Archive: Begründung

Revision III: Rechtsbeschwerde gegen Verwerfung, oder: Hatte der Vertreter Vertretungsvollmacht?

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und als letzte Entscheidung dann noch der OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.04.2023 – 2 ORbs 54/23. Es handelt sich zwar nicht um eine Revisionsentscheidung, also passt „Revision III“ nicht ganz, aber Rechtsbeschwerde ist ja fast dasselbe 🙂

Hier ist dann aber mal eine Verfahrensrüge ausreichend begründet. Gerügt worden ist gegen ein Verwerfungsurteil, dass das Amtsgericht entgegen einer diesbezüglichen Zusage und Absprache in einem früheren Hauptverhandlungstermin einen durch die Verteidigung zu Beginn der (neuen) Hauptverhandlung nun gestellten Antrag, ihn von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, rechtswidrig abgelehnt habe.

Dazu das OLG:

„1. Die Verfahrensrüge, mit der die Verteidigung im Einzelnen darlegt, aufgrund welcher Umstände das Amtsgericht den Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 2 OWiG antragsgemäß hätte entbinden müssen, genügt den Begründungsanforderungen; die zugrunde liegenden Verfahrenstatsachen sind hinreichend vollständig mitgeteilt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Dies gilt auch insoweit, als sich das Beschwerdevorbringen nicht ausdrücklich darauf bezieht, dass die Verteidigerin, deren Unterbevollmächtigte für den Betroffenen zu Beginn der Hauptverhandlung den Entbindungsantrag gestellt hat, über die hierfür erforderliche besondere Vertretungsvollmacht (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 18. Aufl. § 73 Rn. 4) verfügte. Zwar hat sich die Rüge, das Gericht habe zu Unrecht ein Entbindungsantrag des Betroffenen abgelehnt, grundsätzlich auch dazu zu verhalten, dass der Vertreter, der den Entpflichtungsantrag gestellt hat, auch insoweit Vertretungsvollmacht hatte (vgl. Göhler aaO., § 74 Rn. 48b), wobei die Vertretungsvollmacht des Verteidigers ausreicht, wenn für diesen wie hier ein in Untervollmacht auftretender Verteidiger den Antrag stellt (Göhler aaO. § 73 Rn. 4). Das Rügevorbringen genügt gleichwohl auch im Hinblick darauf den Begründungsanforderungen, weil das Amtsgericht nicht nur die Ablehnung einer Entpflichtung nicht begründet hat (vgl. hierzu OLG Köln NZV 2005, 331, 332), sondern die Verteidigung auch substantiiert vorgetragen hat, dass mit dem Betroffenen die Antragstellung und Vertretung ausdrücklich abgesprochen war. Angesichts dieser Sachlage war ein näheres Eingehen auf das Vorliegen einer nachgewiesenen besonderen Vertretungsvollmacht ausnahmsweise entbehrlich.“

Und erfolgreich war das Rechtsmittel dann auch:

„2. Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 73 Abs. 2 OWiG hat in der Sache bereits deshalb Erfolg, weil das Amtsgericht weder in seinem in der Hauptverhandlung ergangenen Beschluss noch in den Urteilsgründen dargelegt hat, warum es den Antrag des Betroffenen auf Entbindung abgelehnt hat.

Urteile, durch die ein Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verworfen wird, sind so zu begründen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen kann (ständige Rechtsprechung der Senate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. Beschl. v. 20. Februar 2007 – 1 Ss (OWi) 45/07; Beschl. v. 26. März 2012 – 2 Ss (OWi) 24/12; Beschl. v. 17. April 2014 – [2 B] 53 Ss-OWi 176/14 [92/14]; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 74, 284, 285 m. w. N.). Dies gilt auch insoweit, als das Amtsgericht einen Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Erscheinenspflicht abgelehnt hat; im Falle der Ablehnung eines Antrags ohne nähere Begründung hat sich das Tatgericht jedenfalls im Urteil mit der Frage auseinanderzusetzen, warum dem Antrag nicht zu entsprechen war, weil anderenfalls das Rechtsbeschwerdegericht nicht in der Lage ist, zu prüfen, ob das Amtsgericht in rechtsfehlerfreier Weise den Entbindungsantrag des Betroffenen abgelehnt hat (OLG Dresden, Beschl. v. 8. März 2005 – Ss [OWi] 141/05, zit. nach Juris mwN.).

Auf die Gründe der Ablehnung des Entpflichtungsantrages ist das Amtsgericht jedoch weder bei der Beschlussfassung noch in den Urteilsgründen eingegangen. Auch lag es hier ausweislich der mit der Beschwerdebegründung dargelegten Umstände keinesfalls offensichtlich und eindeutig auf der Hand, dass die Voraussetzungen von § 73 Abs. 2 OWiG nicht vorlagen, so dass es einer näheren, der Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz zugänglichen Begründung insbesondere dazu bedurft hätte, warum das Amtsgericht die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes für erforderlich erachtet hat.“

Revision I: Zur Begründung von Verfahrensrügen, oder: Unzulässige Rüge, da nicht alle Unterlagen vorgelegt

© eyetronic Fotolia.com

Am „Fast-Wochenende“ heute – morgen am Freitag gibt es dann ja „nur“ noch gebührenrechtliche Entscheidungen – drei Entscheidungen zu Rechtsmitteln bzw. zur Rechtsmittelbegründung, Und das ist „natürlich“ die Revision.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BGH, Beschl. v. 01.03.2023 – 5 StR 455/22.

Erhoben worden sind in einem Verfahren, das (wohl) mit einer Verurteilung wegen Vergewaltigung u.a. geendet hat, zwei Verfahrensrügen, die der BGH als nicht ausreichend begründet angesehen hat:

„Die Revision wendet sich mit zwei Verfahrensrügen gegen die Ablehnung von Beweisanträgen auf Einholung eines aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachtens; geltend gemacht wird jeweils ein Verstoß gegen § 244 Abs. 4 StPO.

Beide Rügen erweisen sich bereits als unzulässig, weil das Rügevorbringen auf diverse Aktenbestandteile wie Vernehmungsprotokolle Bezug nimmt, welche die Revision aber entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht vorgelegt hat. Dass entsprechende Unterlagen – ohne dass hierauf im Einzelnen verwiesen worden wäre – in einer Zusammenstellung von Aktenteilen enthalten sind, die einer anderen, mit gesondertem Schriftsatz erhobenen Verfahrensrüge beigefügt ist, entlastet den Revisionsführer nicht (vgl. nur BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 1 StR 75/14). Soweit eine der Rügen zugleich § 244 Abs. 2 StPO als verletzt
ansieht, ist sie aus denselben Gründen nicht zulässig ausgeführt.

Die von einem anderen Verteidiger ebenfalls auf die unterbliebene Einholung eines aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachtens gestützte, aber eigenständig begründete Aufklärungsrüge erweist sich dagegen als unbegründet: Regelmäßig ist davon auszugehen, dass Berufsrichter – hier zumal die Mitglieder einer Jugendschutzkammer – über die erforderliche Sachkunde bei der Anwendung der maßgeblichen aussagepsychologischen Kriterien verfügen, um auch Aussagen von Zeugen kindlichen oder jugendlichen Alters sachgerecht würdigen zu können (vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 – 5 StR 12/22). Besonderheiten, welche die eigene Sachkunde des Tatgerichts als nicht ausreichend erscheinen lassen könnten, zeigt die Revision für den vorliegenden Fall nicht auf; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

Nicht zulässig erhoben ist schließlich die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen § 244 Abs. 4 StPO durch Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines sexualmedizinischen Gutachtens geltend gemacht wird. Denn entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist der mit der Rüge in Bezug genommene ärztliche Befundbericht der gynäkologischen Untersuchung der Nebenklägerin nicht vorgelegt worden.“

Solche Entscheidungen sind nicht „schön“, sie helfen aber, in anderen Fällen die Revison ausreichend zu begründen.

OWi III: „Sinnfreies“ Einkopieren des Akteninhalts, oder: Rechtlicher Hinweis nach Zurückverweisung?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann noch der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.02.2023 – IV – 2 RBs 18/23 –, der u.a. zwei Fragen behandelt, nämlich zunächst die zutreffende Begründung der Verfahrensrüge einer Rechtsbeschwerde und dann die Frage nach der Erforderlichkeit eines rechtlichen Hinweises (§ 265 StPO) nach Zurückverweisung:

„Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 10. Februar 2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 38 km/h zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat über dieses Urteil mit Beschluss vom 30. Mai 2022 wie folgt entschieden:

  1. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen aufrechterhalten.
  2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
  3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Duisburg zurückverwiesen.

Am 8. November 2022 hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erneut zu eine Geldbuße von 320 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde, die sich auf Verfahrensrügen und die Sachrüge stützt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Die von dem Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen erweisen sich als unzulässig, weil sie nicht in der nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form angebracht worden sind.

Die Rüge wegen Verletzung der Hinweispflicht umfasst 154 Seiten, wobei sinnfrei nahezu der gesamte Akteninhalt einkopiert worden ist. Von den 16 Seiten, die keine Aktenkopien darstellen, entfallen 13 Seiten auf jeweils wenige Zeilen umfassende Trennblätter, mit denen die nachgeheftete Ablichtung bezeichnet wird.

Bei der Rüge wegen Verletzung der Aufklärungspflicht wurde derselbe Akteninhalt mit denselben Trennblättern sinnfrei erneut in die Begründungsschrift eingefügt, so dass sich deren Papierumfang ohne Erkenntnisgewinn verdoppelt hat. Lediglich die Eingangsseite mit dem Obersatz und die beiden letzten Seiten unterscheiden sich inhaltlich von der vorherigen Verfahrensrüge.

Die mangelnde Eignung der gewählten „Gestaltung“ lässt sich exemplarisch daran ablesen, dass zu den beiden nunmehr erhobenen Verfahrensrügen jeweils die vollständige Begründungsschrift (83 Seiten) aus dem ersten Rechtsbeschwerdeverfahren einkopiert worden ist. Die dortigen Verfahrensrügen, die sich insbesondere gegen die Richtigkeit der Messung und die Verwertbarkeit des Messergebnisses richteten, sind für das zweite Rechtsbeschwerdeverfahren indes nicht relevant. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 30. Mai 2022 mit eingehender Begründung die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen aufrechterhalten.

Das zweimalige Einkopieren der ihrerseits (teils doppelte) Aktenauszüge enthaltenden Begründungsschrift aus dem ersten Rechtsbeschwerdeverfahren hat im Übrigen zur Folge, dass sich in der vorliegenden Begründungsschrift nunmehr einige Akteninhalte in vierfacher oder gar sechsfacher Anzahl befinden.

Die unübersichtliche Begründungsschrift lässt einen Zusammenhang zwischen der jeweiligen Verfahrensrüge und den zweimal identisch einkopierten Akteninhalten weitgehend vermissen. Es ist nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts, sich die wenigen relevanten Unterlagen aus dem ca. 300 Seiten umfassenden Konvolut herauszusuchen und den Sachzusammenhang selbst herzustellen. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, bezogen auf die konkrete Verfahrensrüge (lediglich) den insoweit relevanten Verfahrensstoff mitzuteilen (vgl. zur Revision: BGH NStZ 2020, 625; NStZ 2023, 127). Daran fehlt es hier.

2. Ungeachtet dessen hätte die Rüge, dass nach der Zurückverweisung der Sache kein (erneuter) Hinweis auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt ist, auch bei zulässiger Erhebung keinen Erfolg gehabt.

Das Amtsgericht hatte dem Betroffenen bereits im „ersten Durchgang“ mit der Ladung zu der Hauptverhandlung vom 10. Februar 2022 einen solchen Hinweis erteilt, da nach dem Bußgeldbescheid mangels Bezeichnung der Schuldform von dem Vorwurf fahrlässigen Handelns auszugehen war (vgl. OLG Bamberg DAR 2017, 383). Zudem ist der Betroffene am 10. Februar 2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt worden. Bei dieser Sachlage bedurfte es nach der Zurückverweisung der Sache keiner Wiederholung des Hinweises auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1971, 363; OLG Köln NJW 1957, 473; OLG Stuttgart MDR 1967, 233; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 265 Rdn. 14). Die Verurteilung wegen einer Vorsatztat beinhaltet den unmissverständlichen und fortwirkenden Hinweis, dass der Betroffene auch im weiteren Verfahren – sei es nach Zurückverweisung der Sache, sei es in einer höheren Instanz – mit einer solchen rechtlichen Bewertung seiner Tat rechnen muss…..“

StPO I: Zwangsmaßnahmen ohne Begründung?, oder: Dem EuGH reicht ein ausführlich begründeter Antrag

Bild von Laurent Verdier auf Pixabay

Heute stelle ich drei Entscheidungen vor, in der StPO-Fragen eine Rolle spielen. Zunächst hier das EuGH, Urt. v. 16.02.2023 – C-349/21. Es geht um die Erfordernisse an die Begründung der richterlichen Anordnung von Telefonüberwachungsmaßnahmen.

Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt kommt aus Bulgarien. Dort hat die Staatsanwaltschaft gegen mehrere Beschuldigte ermittelt, u.a. gegen drei Beamte der Grenzpolizei am Flughafen Sofia. Ermittelt wurde wegen des Verdachts, Mitglied in einer kriminellen Vereinigung zu sein, deren der Bereicherung dienendes Ziel es sei, Drittstaatsangehörige über die bulgarischen Grenzen einzuschleusen und in diesem Zusammenhang Bestechungsgelder anzunehmen oder zu zahlen.

In diesem Verfahren stellte die Strafverfolgungsbehörde beim Präsidenten des Spezialisierten Strafgerichts Bulgarien jeweils detailliert begründete Anträge auf Telefonüberwachung, denen noch am Tag ihrer Einreichung stattgegeben wurde. Die richterlichen Genehmigungen beschränkten sich auf den Hinweis, dass die in den Anträgen angeführten Rechtsvorschriften eingehalten würden, Informationen zu den Tatvorwürfen enthielten sie dagegen nicht. Auch verhielten sich die Genehmigungen nicht dazu, aufgrund welcher Verdachtsumstände die Tatvorwürfe erhoben werden. Die antragstellende Behörde wurde ebenfalls nicht genannt.

In der Folge wurde die Telekommunikation der Beschuldigten überwacht und schließlich Anklage erhoben. Das mit der Sache befasste Gericht hat das Verfahren dann dem EuGH vorgelegt mit der Frage, ob Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die dahin ausgelegt wird, dass Aufzeichnungen von Telefongesprächen, die durch eine nicht mit Gründen versehene gerichtliche Entscheidung genehmigt wurden, als Beweismittel im Strafprozess verwendet werden dürfen.

Der EuGH hat nun in dem o.a. Urteil geantwortet. Seine Antwort lässt sich in folgendem Leitsatz zusammen fassen:

Eine richterliche Entscheidung, mit der eine Telefonüberwachung genehmigt wird, muss keine individualisierte Begründung enthalten, wenn ihr ein ausführlich begründeter Antrag der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zugrunde liegt und sich die für die Anordnung der Maßnahme ausschlaggebenden Gründe leicht und eindeutig erschließen, wenn die Entscheidung und der Genehmigungsantrag nebeneinander gelesen werden.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf das – wie immer ein wenig schwer lesbare – Urteil des EuGH, das ich verlinkt habe.

Ich denke, wir werden von der Entscheidung noch einiges lesen bzw. sie wird noch in der innerstaatlichen Rechtsprechung auftauchen. Denn auch hier haben wir ja Fälle, in denen nur auf Begründungen Bezug genommen wird. Das ist neben dem allseits beliebten § 349 Abs. 2 StPO die häufig in Ermittlungsverfahren festzustellende Praxis von Ermittlungsrichtern, ihre Entscheidungen nicht selbst zu verfassen, sondern letztlich nur von der StA aus- bzw vorformulierte Entwürfe zu unterschreiben. Ich bin gespannt, wie die Gerichte nun mit den Fragen umgehen werden.

Rechtsbeschwerde III: Zunächst Entbindung von der HV, oder: Gesinnungswandel – ich will doch, bin aber krank

© psdesign1 – Fotolia.com

Und als dritte Entscheidung dann noch ein Beschluss, der vom KG stammt. Da hatte dann aber die Rechtsbeschwerde mal Erfolg.

Das AG hatte nach Einspruch der Betroffenen Termin zur Hazptverhandlung auf den 21.09.2021 anberaumt. Zu dem Termin waren der Betroffene und sein Verteidiger erschienen . Während der Hauptverhandlung ist der Betroffene dann durch Beschluss des AG auf seinen Antrag von der (weiteren) Anwesenheit in der Hauptverhandlung entbunden worden. In deren weiteren Verlauf wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und für den 30.09.2021 Termin zur Fortsetzung anberaumt. Bei Wideraufruf der Sache erklärte der Verteidiger dem AG, der Betroffene wolle nun doch zur Hauptverhandlung erscheinen und sich zum Sachverhalt persönlich äußern, sei daran jedoch wegen einer akuten Erkrankung gehindert. Nach einer kurzen Unterbrechung der Hauptverhandlung hat der Verteidiger dem Gericht ein am 30.09.2021 von einer Fachärztin für Allgemeinmedizin erstelltes Attest überreicht, das folgenden Inhalt hat:

“Herr D. ist am heutigen Tage bei mir in der Praxis erschienen und hat folgende Beschwerden mitgeteilt: Husten, Kopf- und Gliederschmerzen, Brustschmerzen bei Atmung und Fieber. Nach einer umfangreichen Untersuchung wurde folgende Diagnose gestellt: akute spastische Bronchitis. Aus ärztlicher Sicht und Beurteilung ist Herr D. vom 30.09.21 bis voraussichtlich zum 06.10.21 verhandlungsunfähig erkrankt.”

Zugleich hat der Verteidiger den Antrag gestellt, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen, da der erkrankte Betroffene an der Hauptverhandlung teilnehmen wolle. Daraufhin hat das AG auf § 74 Abs. 1 OWiG verwiesen, weil der Betroffene von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden worden sei. Es hat die Hauptverhandlung fortgesetzt und den Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 240,- EUR verurteilt.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg. Das KG hat im KG, Beschl. v. 17.03.2022 – 3 Ws (B) 37/22 – das AG-Urteil aufgehoben:

„Der Zulassungsantrag und die Rechtsbeschwerde haben Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzuheben.

a) Die Rüge ist zulässig, insbesondere entspricht sie den Darlegungsanforderungen von §§ 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 StPO. Danach müssen die den Mangel begründenden Tatsachen so genau bezeichnet und vollständig angegeben werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein auf Grund der Begründungsschrift ohne Rückgriff auf die Akte erschöpfend prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen – ihre Erweisbarkeit vorausgesetzt – zutreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2013 – 2 StR 34/13 – juris; Senat, Beschlüsse vom 27. Januar 2021 – 3 Ws (B) 7/21 – und 5. Februar 2019 – 3 Ws (B) 3/19 – m.w.N.).

aa) Das Anwesenheitsrecht des Betroffenen wird durch die in § 73 Abs. 2 OWiG geregelte Möglichkeit, den Betroffenen von seiner Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 1 OWiG zu entbinden, nicht berührt (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 73 Rdn. 17 m.w.N.). Ebenso wenig wie ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG bei entschuldigtem Ausbleiben ergehen darf, darf in Abwesenheit des Betroffenen eine Hauptverhandlung durchgeführt werden, wenn er teilnehmen will und ihm ein Erscheinen unmöglich oder unzumutbar ist und er deshalb Terminsverlegung beantragt hat (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 20. September 1999 – Ss 452/99 -, juris m.w.N.; BayObLG VRS 50, 224; NStZ 1995, 39; OLG Karlsruhe VRS 59, 450 u. 91, 193; Senge in KK-OWiG 5. Aufl., § 73 Rdn. 9 m.w.N.). Das gilt selbst dann, wenn der Betroffene durch einen Verteidiger vertreten ist, es sei denn, dass dieser sich gleichwohl mit einer Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen einverstanden erklärt (vgl. OLG Köln a.a.O.). Gibt der Betroffene trotz antragsgemäßer Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen zu erkennen, dass er von seinem Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung Gebrauch machen will und ist er dazu ohne eigenes Verschulden außerstande, darf in seiner Abwesenheit nicht nach § 74 Abs. 1 OWiG verhandelt werden (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1998, 516; Senge a.a.O. m.w.N.). Krankheit entschuldigt auch in so gelagerten Fällen das Ausbleiben, wenn sie nach Art und Auswirkung eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar macht; eine Verhandlungsunfähigkeit muss nicht vorliegen (vgl. OLG Köln a.a.O. und VRS 72, 442, 444; 75, 113; 83, 444, 446; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 281).

bb) Dem folgend muss das Beschwerdevorbringen Angaben dazu enthalten, dass der Betroffene in einer anberaumten Hauptverhandlung nicht anwesend war, das Gericht aber gleichwohl zur Sache verhandelt hat, obwohl der vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundene Betroffene dem Gericht seinen Willen, an dieser teilzunehmen, mitgeteilt hat. Daneben muss der Betroffene mitteilen, auf Grund welcher konkreten Tatsachen, die dem Gericht bekannt waren oder zumindest hätten bekannt sein müssen, es für ihn unzumutbar oder unmöglich war, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, sowie ob und gegebenenfalls wie er sich in der versäumten Hauptverhandlung verteidigt hätte.

cc) Macht der vom persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene geltend, er sei krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, kann für die Anforderungen an das Rügevorbringen nichts Anderes gelten als in Fällen von Verwerfungsurteilen nach § 74 Abs. 2 OWiG. Deswegen sind vom Betroffenen die jedenfalls nach allgemeinem Sprachgebrauch zu benennende Art der Erkrankung, die konkrete Symptomatik und die daraus zur Terminszeit resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen vorzutragen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. Februar 2022 – 3 Ws (B) 328/21 -, juris, 24. Juli 2020 – 3 Ws (B) 166/20 -, 5. Juni 2018 – 3 Ws (B) 161/18 – m.w.N., 24. Oktober 2016 – 3 Ws (B) 504/16 – und 16. Februar 2015 – 3 Ws (B) 80/15 -; OLG Hamm NZV 2014, 140 sowie NZV 2009, 158). Des Weiteren hat der Betroffene bei dieser Rüge vorzutragen, ob das Tatgericht vom Entschuldigungsgrund Kenntnis hatte oder hätte haben müssen oder das Vorbringen rechtsfehlerhaft bewertet hat. Nur wenn die eine dieser Möglichkeiten belegenden tatsächlichen Umstände dargelegt sind, kann das Rechtsbeschwerdegericht beurteilen, ob das Fernbleiben des Betroffenen unverschuldet war (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Juni 2018 a.a.O.).

dd) Das Antragsvorbringen erfüllt die dargelegten Voraussetzungen. Insbesondere hat der Betroffene hinreichend dargelegt, wegen seiner dem Amtsgericht bekannten Erkrankung am beabsichtigten Erscheinen im Fortsetzungstermin verhindert gewesen zu sein. Dass der Betroffene den auf seinen Entbindungsantrag erlassenen stattgebenden Beschluss nicht wörtlich wiedergegeben hat, steht der Zulässigkeit seiner Rüge nicht entgegen. Denn zum einen hat das Amtsgericht, wie in der Antragsschrift mitgeteilt, in einem offenkundig vor dem Fortsetzungstermin vom 30. September 2021 verfassten Schreiben an den Betroffenen ausdrücklich auf den am 21. September 2021 erlassenen Entbindungsbeschluss und die dadurch für den Betroffenen entfallene Erscheinenspflicht hingewiesen. Zum anderen ist in den Blick zu nehmen, dass im vorliegenden Fall nicht der Erlass eines Verwerfungsurteils trotz Entbindung des Betroffenen von seiner Erscheinenspflicht gerügt wird, sondern die Verletzung seines Anwesenheitsrechts, die auch dann – und gerade dann – gegeben wäre, wenn das Gericht keinen Entbindungsbeschluss nach § 73 Abs. 2 OWiG erlassen hätte und eine Abwesenheitsentscheidung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG ohnehin ausgeschlossen wäre. Der Mitteilung des Wortlauts der Entbindungsentscheidung bedurfte es daher im vorliegenden Fall nicht.

b) Die Rüge ist auch begründet. Zwar ist der Vortrag des Betroffenen, er sei akut erkrankt gewesen, für sich genommen ohne Aussagekraft. Hinzu tritt jedoch, dass die von der Ärztin mitgeteilte Diagnose akute spastische Bronchitis einen durch die internationale Krankheitsklassifizierung unter ICD-10 J.20 erfassten Krankheitszustand beschreibt, der regelmäßig mit erschwerter Atmung, Kurzatmigkeit, krampfartigem Husten und in der Folge schneller Erschöpfung einhergeht. Bei etwa 90% der Fälle ist die Bronchitis viralen Ursprungs, weswegen erhöhte Ansteckungsgefahr besteht (vgl. Helmholtz Munich in https://www.lungeninformationsdienst.de/krankheiten/virale-infekte/akute-und-chronische-bronchitis/grundlagen/index.html). Hinzu tritt, dass der Betroffene nach der – auch zur Zeit des Fortsetzungstermins gültigen – Verfügung des Präsidenten des Amtsgerichts Tiergarten in Verbindung mit § 12 Abs. 2 der vierten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung des Landes Berlin – vorbehaltlich abweichender sitzungspolizeilicher Anordnungen nach § 176 GVG oder sonstiger verfahrensleitender Maßnahmen des Vorsitzenden – verpflichtet war, im Gerichtsgebäude eine geeignete medizinische Schutzmaske zu tragen, was ihm das Atmen zusätzlich erschwert hätte. Bei einer derartigen Erkrankung war es dem Betroffenen deshalb nicht zuzumuten, zum Fortsetzungstermin zu erscheinen. Das Amtsgericht hätte folglich ohne ihn nicht weiterverhandeln dürfen, sondern wäre stattdessen verpflichtet gewesen, die Hauptverhandlung zumindest (erneut) zu unterbrechen. Dass es dies nicht getan, sondern gleichwohl in Abwesenheit des Betroffenen in der Sache weiterverhandelt hat, erweist sich als Verletzung des dem Betroffenen zustehenden Anwesenheitsrechts und seines damit verknüpften Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör.

c) Zu keinem anderen Ergebnis käme man, wenn man dem Vortrag des Verteidigers, der Betroffene wolle nun doch an der Hauptverhandlung teilnehmen, den Erklärungswert eines konkludenten Verzichts auf die Entbindung vom persönlichen Erscheinen beimisst (so Seitz/Bauer a.a.O. Rdn. 19). Denn auch dann wäre dem Gericht die Befugnis zur Abwesenheitsverhandlung nach § 74 Abs. 1 OWiG genommen (vgl. Senge a.a.O. Rdn. 21). Das Tatgericht muss in Fällen der Rücknahme des Entbindungsantrags den Entbindungsbeschluss aufheben und ohne (weitere) Verhandlung zur Sache ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG erlassen (zur Anwendbarkeit von § 74 Abs. 2 OWiG auf Fortsetzungstermine vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. März 2017 – 3 Ws (B) 68/17 – und 5. November 2014 – 3 Ws (B) 575/14 – m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. August 2020 – 6 Kart 10/19 (OWi) -; alle juris), wofür aber im vorliegenden Fall – wie bereits dargelegt – mangels unentschuldigten Fernbleibens des Betroffenen kein Raum war. Dass das Amtsgericht gleichwohl weiterverhandelt und ein Sachurteil erlassen hat, erweist sich – wie dargelegt – als rechtswidriger Eingriff in den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör.“