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StPO I: Nichtöffentliche Belehrung von Zeugen, oder: „Beruhen“ denkgesetzlich ausgeschlossen

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Es ist (immer) noch warm, aber lamentiert wird nicht. Es ist ja schließlich Sommer 🙂 . Und auch im Sommer wird gearbeitet. Hier heute mit drei StPO-Entscheidungen.

Zunächst gibt es – zum Warmwerden 🙂 – das BGH, Urt. v. 22.03.2023 – 1 StR 243/22 -, das sich mal wieder mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit befasst.

Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Dagegen die Revision, mit der die Rüge der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erhoben worden ist. Beanstandet worden ist die Belehrung mehrerer Zeugen während des Ausschlusses der Öffentlichkeit. Im Ergebnis ohne Erfolg:.

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Der Nebenklagevertreter beantragte in der Hauptverhandlung vom 28. März 2022, für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin die Öffentlichkeit auszuschließen. Diesem Antrag gab das Landgericht mit Beschluss vom selben Tag statt. Zur Begründung stützte es sich auf § 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GVG und führte aus, die Nebenklägerin sei Geschädigte einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sodass schutzwürdige Umstände aus ihrem privaten Lebensbereich zur Sprache kämen; angesichts ihres Antrages sei der Ausschluss zwingend.

Nachdem die Nebenklägerin anschließend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt hatte und als Zeugin entlassen worden war, wurden vier weitere Zeugen in den Sitzungssaal gebeten und gemäß § 57 StPO belehrt. Anschließend verließen die Zeugen mit Ausnahme des Zeugen W.    den Sitzungssaal; dann wurde die Sitzung in öffentlicher Hauptverhandlung fortgesetzt.

2. a) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben.

Der Beschwerdeführer war nicht gehalten, sich im Rahmen seines Rügevortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es den Zeugen trotz Ausschlusses der Öffentlichkeit gelingen konnte, den Sitzungssaal zu betreten. Da die Öffentlichkeit erst mit entsprechender Anordnung des Vorsitzenden wiederhergestellt wird, was nach dem Protokoll (§ 272 Nr. 5, § 274 StPO) erst nach der Zeugenbelehrung geschah (Bd. III, Bl. 313), kommt dem Umstand, ob die Tür(en) zum Sitzungssaal nicht versperrt waren, keine Bedeutung zu.

b) Die auf § 338 Nr. 6 StPO gestützte Rüge ist unbegründet. Der von der Revision geltend gemachte Verstoß liegt zwar vor; ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil ist aber „denkgesetzlich“ ausgeschlossen.

aa) Der Ausschluss der Öffentlichkeit während der Belehrung der vier Zeugen verstößt gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 57 Satz 1, 2 StPO; denn er war nicht durch den Beschluss des Landgerichts nach § 171b GVG gedeckt. Zwar umfasst der Ausschluss der Öffentlichkeit, der sich auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt wie die Dauer der Vernehmung einer Beweisperson beschränkt, nach ständiger Rechtsprechung alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2017 – 2 StR 428/16 Rn. 6 und vom 12. November 2015 – 5 StR 467/15, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 6 Rn. 6; jeweils mwN). Die Belehrung der Zeugen stand jedoch ersichtlich in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Vernehmung der Nebenklägerin.

bb) Dieser Verfahrensverstoß führt jedoch ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des Urteils.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Verstoß gegen die Regeln der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht zur Aufhebung des Urteils, wenn ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil „denkgesetzlich“ ausgeschlossen ist (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 1995 – 1 StR 342/95 Rn. 8 f., BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 3; vom 21. März 2012 – 1 StR 34/12, BGHR StPO § 54 Abs. 1 Aussagegenehmigung 1; vom 19. Juli 2007 – 3 StR 163/07 Rn. 5, BGHR StPO § 338 Beruhen 2 und vom 2. Februar 1999 – 1 StR 636/98; Urteil vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 404/07 Rn. 12, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 5).

So liegt der Fall hier: Das Gericht hat seiner Entscheidung allein die Angaben der Zeugen zugrunde gelegt, die sie in öffentlicher Hauptverhandlung getätigt haben. Dass das Urteil auf der unter Verstoß gegen die Vorschriften der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erfolgten Zeugenbelehrung beruht, ist unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen, da die Zeugen tatsächlich belehrt wurden, sodass der Aussageinhalt davon nicht beeinflusst worden sein kann. Zudem handelt es sich bei § 57 StPO lediglich um eine Ordnungsvorschrift, die dem Schutz des Zeugen dient und den Rechtskreis des Angeklagten nicht berührt, sodass auf das Unterbleiben der Belehrung eine Revision nicht gestützt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2021 – 5 StR 329/21 Rn. 15 und vom 19. Dezember 2001 – 3 StR 427/01 Rn. 4; Urteile vom 27. November 1968 – 3 StR 282/68 Rn. 4 und vom 7. Juli 1997 – 5 StR 17/97 Rn. 18; je mwN). Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, muss dies erst recht gelten, wenn Zeugen lediglich unter Verstoß gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG belehrt worden sind.2

Na ja.

StPO I: Ist der Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt? oder: Zentraler Aushang im Eingangsbereich reicht

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Am letzten Arbeitstag dieser (Kar)Woche bringe ich heute StPO-Entscheidungen, und zwar jeweils von OLGs.

Den Opener macht das KG, Urt. v. 21.12.2022 – (3) 121 Ss 165/22 (67/22) – zum Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 GVG). Der Angeklagte hatte gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt und die Verfahrensrüge erhoben.  Mit der hatte er geltend gemacht, das LG habe nach Maßgabe von § 338 Nr. 6 StPO gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen, weil die Berufungshauptverhandlung am Sitzungstag in einen anderen Saal verlegt worden und am ursprünglichen Sitzungssaal kein entsprechender Hinweis angebracht gewesen sei.

Dazu das KG:

„1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe wegen eines vor dem ursprünglichen Sitzungssaal nicht angebrachten Hinweises auf den geänderten Sitzungsort den Grundsatz der Öffentlichkeit nach Maßgabe von § 338 Nr. 6 StPO verletzt, ist jedenfalls unbegründet.

a) Der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 Abs. 1 Satz 1 GVG) erfordert es, dass jedermann die Möglichkeit hat, sich ohne besondere Schwierigkeiten davon Kenntnis zu verschaffen, wann und wo ein erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhält (vgl. BGH NStZ 1982, 476; OLG Schleswig, Beschluss vom 31. März 2022 – II OLG 15/22 -, juris). Der Hinweis auf eine bestimmte Verhandlung hat grundsätzlich in Form eines Aushangs zu erfolgen, damit jeder interessierte Zuschauer die Möglichkeit erhält, die gewünschte Verhandlung zu verfolgen (vgl. OLG Koblenz NZV 2011, 266; OLG Zweibrücken NJW 1995, 333; Kissel/Mayer, GVG 10. Aufl., § 169 GVG Rdn. 47).

Entgegen der missverständlichen – vom Wortlaut der Entscheidungsgründe abweichenden – Formulierung des Leitsatzes zum Beschluss des OLG Schleswig vom 31. März 2022 (a.a.O.) bedarf es nicht stets eines zusätzlichen Aushangs vor dem Sitzungssaal (so aber – ohne Begründung – Kissel/Mayer a.a.O.), wenn Zuschauer auf andere Weise zumutbar in Erfahrung bringen können, wann und wo eine bestimmte Hauptverhandlung stattfindet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 169 Rdn. 4a), namentlich dann, wenn dies aus einem im Eingangsbereich des Gerichts angebrachten Aushang unzweifelhaft hervorgeht. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass gerade in großen und unübersichtlichen Gerichtsgebäuden (wofür das Kriminalgericht Moabit exemplarisch ist) die Möglichkeit für die Öffentlichkeit, sich ohne besondere Schwierigkeiten über Ort und Zeit einer Hauptverhandlung zu informieren, in zumutbarer Weise nicht durch Aushänge an den Sälen eröffnet wird, sondern vielmehr durch einen zentralen Aushang im Eingangsbereich des Gerichts. Andernfalls wären Besucher gezwungen, das Gerichtsgebäude nach einer bestimmten Sitzung “abzusuchen”. Zugleich wären sie damit dem Risiko ausgesetzt, zu spät zur Sitzung zu erscheinen.

b) Den dargelegten Anforderungen zur Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist die von der Strafkammer durchgeführte Berufungshauptverhandlung gerecht geworden. Ausweislich der dienstlichen Äußerung der Kammervorsitzenden vom 31. Oktober 2022 befanden sich an den Gerichtstafeln der beiden dem Publikumsverkehr zugänglichen Eingänge (Wilsnacker Straße und Turmstraße) Aushänge, die am Sitzungstag auf den (korrekten) Saal und den Sitzungsbeginn der anberaumten Berufungshauptverhandlung hinwiesen. Dass vor dem Saal, in dem die Sitzung ursprünglich stattfinden sollte, kein Hinweis auf die in einen anderen Saal verlegte Hauptverhandlung angebracht war, hatte keinen Einfluss auf die bestehenden Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit über Ort und Zeit der Sitzung, mag der fehlende Verlegungshinweis auch wegen der davon abweichenden Ladung von Verfahrensbeteiligten zu einer vermeidbaren Verzögerung der Berufungshauptverhandlung geführt haben.“

Corona I: Begrenzung der Zuhörerzahl wegen Covid-19, oder: Ausschluss der Öffentlichkeit?

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Ich hatte neulich ja schon über den BGH, Beschl. v. 11.05.2022 – 5 StR 306/21 berichtet (vgl. StPO I: Strengbeweisverfahren/Gerichtskundigkeit, oder: Kein Hinweis auf “Gerichtskundigkeit”). 

Auf den komme ich jetzt wegen einer vom BGH im Zusammenhang mit Covid 19 angesprochenen Frage betreffend den Ausschluss der Öffentlichkeit zurück. Es war (auch) eine unzulässige Begrenzung der Zuhörerzahl geltend gemacht worden. Dazu der BGH:

„1. Die Rüge einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes (§ 338 Nr. 6 StPO) durch eine Begrenzung der Zuhörerzahl ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Revisionen hat die Strafkammervorsitzende die Entscheidung, die Zuhörerzahl aufgrund der COVID-19-Pandemie zu beschränken, in ihrer sitzungspolizeilichen Anordnung nach eigenem Ermessen getroffen und sich nicht an die – eine Höchstzahl an Zuhörern vorgebende – Hausordnung des Gerichtspräsidenten gebunden gesehen. Daraus, dass die Vorsitzende die zulässige Zuhörerzahl im Wege der Verweisung auf die jeweils geltende Hausordnung bestimmt hat, ergibt sich nichts anderes. Die Strafkammervorsitzende hat die „hier getroffenen Maßnahmen“ lediglich „vor dem Hintergrund“ der Hausordnung des Gerichtspräsidenten ergriffen, sie eigenständig begründet und nur ergänzend auf die Begründung des Landgerichtspräsidenten Bezug genommen. Inhaltlich war die Beschränkung der Zuhörerzahl aus den vom Generalbundesanwalt ausgeführten Gründen nicht zu beanstanden.

Da die Vorsitzende eine eigene Entscheidung getroffen hat, kommt es nicht darauf an, dass der grundsätzliche Vorrang der sitzungspolizeilichen Befugnisse gegenüber dem Hausrecht des Gerichtspräsidenten (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 1972 – 4 StR 71/72, BGHSt 24, 329; Beschluss vom 19. Januar 1982 – 5 StR 166/81; auf diese Entscheidungen Bezug nehmend BVerfG, Beschluss vom 14. März 2012, 2 BvR 2405/11, NJW 2012, 1863) bindende Regelungen der Justizverwaltung zur Kapazität eines Sitzungssaals nicht in jeglicher Hinsicht ausschließt. Derartige Anordnungen können die Sitzungsgewalt des Vorsitzenden im Einzelfall durchaus einschränken, um etwa bau- oder gesundheitspolizeilichen Anforderungen, Erfordernissen des Brandschutzes oder Verkehrssicherungspflichten Rechnung zu tragen (vgl. bereits BGH, Urteil vom 10. Juni 1966 – 4 StR 72/66, BGHSt 21, 72 zur Einhaltung gesundheits- oder gewerbepolizeilicher Sicherungsvorschriften bei einer Augenscheinseinnahme). Die in der Sitzungspolizei zum Ausdruck gelangende unabhängige richterliche Gewalt wird hierdurch regelmäßig nicht in Frage gestellt, insbesondere wenn Gefahren für gewichtige Rechtsgüter abzuwehren sind, die auf vom Prozessgegenstand unabhängigen Gründen beruhen, und zugleich die getroffenen Maßgaben das richterliche Handeln in der Verhandlung nicht spezifisch tangieren.“

StPO I: Ausschluss der Öffentlichkeit, oder: Das muss das Gericht beschließen, nicht der Vorsitzende allein

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Heute stelle ich drei BGH-Entscheidungen zur StPO vor.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 21.01.2021 – 2 StR 188/20. Es geht um eine Problemtaik in Zusammenhang mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Widerstandsunfähigen Der Angeklagte hatte mit seiner Revision u.a. gerügt, § 338 Nr. 6 StPO sei verletzt, weil die Öffentlichkeit während der Vernehmung einer Zeugin lediglich auf Anordnung des Vorsitzenden ausgeschlossen worden sei. Die Rüge hatte Erfolg:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am Hauptverhandlungstermin vom 4. September 2019 beantragte die Zeugin P. , während ihrer Vernehmung die Öffentlichkeit auszuschließen. Die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger traten dem nicht entgegen. Daraufhin erging eine Anordnung des Vorsitzenden, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen werde. Sodann wurde sie ausgeführt und die Zeugin in nicht öffentlicher Sitzung zur Sache vernommen. Sie blieb unvereidigt und wurde sodann entlassen. Anschließend wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt.

2. Die Rüge ist zulässig und begründet.

a) Der Zulässigkeit der Rüge steht nicht entgegen, dass der Angeklagte oder sein Verteidiger die Anordnung des Vorsitzenden nicht gemäß § 238 Abs. 2 StPO beanstandet haben. Bedarf eine Maßnahme in der Hauptverhandlung von vornherein eines Gerichtsbeschlusses (s. unten I. 2. b), so ist der Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 StPO nicht eröffnet. Anlass für ein Verfahren nach § 238 Abs. 2 StPO besteht deshalb nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 315/11, NStZ 2012, 585).

b) Die Rüge ist auch begründet. Das durch das Protokoll bewiesene Vorgehen steht nicht im Einklang mit § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG. Danach ist vorgesehen, dass ein Beschluss, der die Öffentlichkeit ausschließt, grundsätzlich öffentlich verkündet werden muss. Vorausgesetzt ist ein Gerichtsbeschluss, nicht ausreichend ist eine Anordnung des Vorsitzenden. Damit liegt ein durchgreifender Verfahrensverstoß nach § 338 Nr. 6 StPO vor (BGH, Beschluss vom 29. Juni 1984 – 2 StR 170/84, StV 1984, 499; Beschluss vom 1. Dezember 1998 – 4 StR 585/98, NStZ 1999, 371).

Für eine einschränkende Auslegung von § 338 Nr. 6 StPO dahin, dass bei einem Antrag einer schützenswerten Person auf Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 1 StPO eine Verletzung des Beschlusserfordernisses von ihr nicht erfasst sein soll, ist nach Auffassung des Senats kein Raum. Der Generalbundesanwalt stützt seine diesbezüglichen Erwägungen auf den Beschluss des 4. Strafsenats vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18 (BGHSt 64, 64), wonach das Fehlen eines den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge anordnenden Gerichtsbeschlusses dann keinen absoluten Revisionsgrund darstellt, wenn die Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vorliegen. § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG betrifft jedoch einen Fall, in dem das Vorliegen der Voraussetzungen nach dieser Vorschrift zwingend und ohne weitere Prüfung zum Ausschluss der Öffentlichkeit führt und auch der Ausschlussumfang abschließend gesetzlich geregelt ist (SSW-StPO/Quentin, 4. Aufl., § 174 GVG Rn. 17). Dem Verfahrensmangel eines Gerichtsbeschlusses kommt dann geringeres Gewicht zu, weil auf der Grundlage eines sicher feststehenden Ver- fahrensablaufs eine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit auszuschlie-

ßen und der Ausschlussgrund für alle Verfahrensbeteiligten sowie die Öffentlichkeit eindeutig erkennbar ist (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 aaO, S. 67). So liegt der Fall hier nicht. Stellt eine schützenswerte Person einen Antrag nach § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG, muss ihm (nur) stattgegeben werden, wenn die vom Gericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die Voraussetzungen von § 171b Abs. 1 oder 2 vorliegen. Ist das nicht der Fall, erfolgt eine Ablehnung ebenfalls durch Beschluss (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 171b GVG Rn. 10; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 171b Rn. 14).

c) Der dargelegte Verfahrensverstoß führt zur Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II. 2 bis 4 der Urteilsgründe, im Gesamtstrafenausspruch sowie im Maßregelausspruch.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Verstoß gegen die Regeln der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht notwendig zur Aufhebung des gesamten Urteils. Bezieht sich der Vorgang, während dessen die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen war, nur auf einen abtrennbaren Teil des Urteils, so ist auch nur dieser Teil des Urteils aufzuheben (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 StR 342/95, NJW 1996, 138 mwN). So liegt es hier. Der fehlerhaft angeordnete Ausschluss der Öffentlichkeit betrifft lediglich die Straftaten zum Nachteil der Zeugin P. (Fälle II. 2 bis 4 der Urteilsgründe) sowie auch den auch auf diese Taten gestützten Maßregelausspruch. Zudem entzieht die Aufhebung von Einzelstrafen dem Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage. Im Übrigen ist ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf die angefochtene Entscheidung denkgesetzlich ausgeschlossen.

Corona II: Öffentlichkeitsgrundsatz versus Kontaktdatenerfassung, oder: Verhandlung bleibt öffentlich

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um eine verwaltungsgerichtliche, und zwar um OVG Lüneburg, Beschl. v. 05.11.2020 – 9 LA 115/20. Er steht in Zusammenhang mit Gerichtsverhandlungen bei den VG, hat aber m.E. ggf. Bedeutung darüber hinaus.

Entschieden worden ist über die Frage, ob die Kontaktdatenerfassung von Besuchern einer Gerichstverhandlung gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstößt. Das OVG hat die Frage verneint:

„Der Kläger hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 5 VwGO) nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.

Gemäß § 55 VwGO i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht öffentlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Verhandlung öffentlich, wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der Verhandlung grundsätzlich jedermann zugänglich sind (siehe nur BVerwG, Beschluss vom 20.7.2016 – 8 B 1.15 – juris Rn. 12). Der Kläger meint, dieser Grundsatz sei vorliegend verletzt worden, da das Verwaltungsgericht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen habe, es sei angewiesen, die Kontaktdaten der Gerichtsbesucher aus Gründen des Infektionsschutzes zu erfassen. Dies und die Umsetzung dieser Praxis seien geeignet gewesen, potentielle Zuhörer von dem Besuch einer mündlichen Verhandlung abzuhalten. Es könne „verfassungsrechtlich geschützte Bedürfnisse von Personen geben, bei einem Termin zuhören zu wollen, aber nicht angeben zu wollen, wer sie sind und wo sie wohnen.“ Die derzeitige Corona-Pandemie könne diese Maßnahme nicht rechtfertigen. Sie sei auch durch die niedersächsischen Corona-Verordnungen nicht gedeckt.

Mit diesem Vorbringen dringt der Kläger, der einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gerügt hat (§ 173 VwGO i. V. m. § 295 Abs. 1 ZPO; vgl. zur Rügenotwendigkeit etwa OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 26.3.2010 – OVG 3 N 33.10 – juris Rn. 4), nicht durch.

Soweit er auf Regelungen der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblichen Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Mai 2020 (GVBl. S. 97) Bezug nimmt, ist dem Kläger zwar darin zuzustimmen, dass diese den Gerichten keine Pflicht zur Erfassung der Kontaktdaten ihrer Besucher auferlegt. Nach § 3 Nr. 15 der Verordnung ist der Besuch von Gerichten unter den Voraussetzungen des § 2 – zu denen die Erfassung von Kontaktdaten nicht zählt – ausdrücklich zulässig. Dies schließt eine solche Erfassung jedoch – anders als der Kläger meint – nicht aus. § 11 der Verordnung erlaubt es den örtlich zuständigen Behörden, weitergehende Anordnungen zu treffen, soweit es im Interesse des Gesundheitsschutzes zwingend erforderlich ist und den sonstigen Regelungen der Verordnung nicht widerspricht. Der Kläger hat weder nachvollziehbar dargelegt noch ist es sonst offensichtlich, dass die Erfassung von Kontaktdaten in weiteren als in der Verordnung bereits vorgesehenen Bereichen mit den Regelungen dieser Verordnung nicht in Einklang zu bringen wäre. Hiergegen spricht vor allem, dass die Gerichte kraft ihres Hausrechts gemäß § 16 des Niedersächsischen Justizgesetzes ohnehin die Befugnis besitzen, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der (auch gesundheitlichen) Sicherheit im Dienstgebäude zu treffen (vgl. für die vergleichbare Rechtslage in Schleswig-Holstein OVG SH, Beschluss vom 22.7.2020 – 5 LA 223/20 – juris Rn. 20). Dass auch Gerichte zur Erfassung der Kontaktdaten befugt sind, ist in § 5 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 7. Oktober 2020 (GVBl. S. 346) klargestellt worden. Die Regelung befindet sich inhaltsgleich auch in § 5 Abs. 2 Satz 1 der aktuell gültigen Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 30. Oktober 2020 (GVBl. S. 368).

Unabhängig von der Frage nach der Rechtsgrundlage einer Kontaktdatenerfassung hat der Kläger nicht nachvollziehbar dargelegt, dass eine solche den Öffentlichkeitsgrundsatz in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigte. Sein pauschaler Hinweis auf entgegenstehende „verfassungsrechtlich geschützte Bedürfnisse“ wird auch nicht durch seinen ebenfalls nur allgemeinen Verweis auf religiöse Gründe oder auf das Interesse, von Strafverfolgung verschont zu bleiben, hinreichend spezifiziert. Gerade im letztgenannten Fall erschließt sich die Schutzbedürftigkeit nicht. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes wird auch nicht durch die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung angeblich niedrigen Infektionszahlen im Landkreis Stade oder den Umstand begründet, dass die Angabe von Kontaktdaten etwa bei dem Besuch eines Supermarktes nicht erforderlich sei. Letzteres ist mit dem Besuch einer Gerichtsverhandlung schon deshalb nicht vergleichbar, weil hier eine ungleich längere gemeinsame Verweilzeit in einem kleineren Raum (Gerichtssaal) gegeben ist. Ersteres rechtfertigt die Kontaktdatenerfassung umso mehr, da bei geringen Fallzahlen die mit der Erfassung beabsichtigte Ermöglichung einer Nachverfolgung von Kontaktpersonen erfolgversprechender ist als im Falle eines unübersichtlichen Infektionsgeschehens. Die Datenerfassung stellt somit letztlich eine für Besucher einer Gerichtsverhandlung im Interesse des Gesundheitsschutzes hinzunehmende Beeinträchtigung dar, die den Zugang zum Gerichtssaal für die jeweils Betroffenen obendrein allenfalls psychisch, nicht aber physisch hemmt. Dies steht einer verfassungsrechtlich unzulässigen Verweigerung des Zutritts nicht gleich (so auch OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 27.5.2020 – OVG 11 S 43/20 – juris Rn. 24 unter Verweis auf Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 169 Rn. 40 m. w. N.).“