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Welche Auslagenerstattung nach Zurückverweisung?, oder: Auslegung von „Die Kosten des Termins….“

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Wird ein Urteil im Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren aufgehoben, stellt sich ggf. nach der abschließenden Entscheidung im neuen Erkenntnisverfahren die Frage, welche Gebühren die Staatskasse ggf. als notwendige Auslagen des Beschuldigten/Betroffenen tragen muss. Das LG Magdeburg befasst sich in LG Magdeburg, Beschl. v. 14.2.2024 – 26 Qs 6/24 mit einer amtsgerichtlichen Kostenentscheidung in einem Verfahren, in dem zunächst ein Verwerfungsurteil ergangen war. Zudem nimmt es zur Verfahrensgebühr Stellung.

Das AG hatte im Hauptverhandlungstermin am 15.08.2022 den Einspruch des Betroffenen gegen einen gegen ihn wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassenen Bußgeldbescheid verworfen, weil der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung ohne Entschuldigung ferngeblieben sei  (§§ 73, 74 Abs. 2 OWiG). Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das OLG das AG-Urteil mit Beschluss vom 06.03.2023 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des AG zurückverwiesen. Das AG hat den Betroffenen dann mit Urteil vom 04.09.2023 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt. Die Kostenentscheidung lautete wie folgt: „„Die Kosten des Termins vom 15.08.2022 und des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die insoweit notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last. Im Übrigen trägt der Betroffene die Kosten des Verfahrens.”

Der Verteidiger des Betroffenen hat die Festsetzung der von der Staatskasse zu erstattenden Auslagen des Betroffenen beantragt. Dabei hat er für den Hauptverhandlungstermin vom 15.08.2022 eine Verfahrensgebühr Nr 5109 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG nebst Abwesenheitsgeldern und Postpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie die Verfahrensgebühr Nr. 5113 VV nebst einer weiteren Pauschale Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht.

Die Bezirksrevisorin beim LG hat Einwendungen gegen die Geltendmachung der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5109 VV RVG sowie der Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG für das erstinstanzliche Verfahren erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Staatskasse neben den notwendigen Auslagen des Betroffenen für das Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch die notwendigen Auslagen für den Termin am 15.08.2022 auferlegt worden seien. Die Verfahrensgebühr und auch die Pauschale seien jedoch nicht für den Termin selbst, sondern für das „übrige” Verfahren entstanden. Diese Auslagen seien nicht ausscheidbar und daher nicht zu erstatten.

Das AG hat das anders gesehen und ist dem Kostenfestsetzungsantrag des Betroffenen gefolgt. Die Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG und der Postpauschale Nr. 7002 VV RVG hat es damit begründet, dass das Verfahren vom OLG an das AG zurückverwiesen worden sei. Damit sei § 21 Abs.1 RVG einschlägig.

Dagegen hat die Bezirksrevisorin sofortige Beschwerde eingelegt, der das AG nicht abgeholfen und die Sache dem LG zur Entscheidung vorgelegt hat. Dort hatte die sofortige Beschwerde Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde der Landeskasse hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Unrecht die Festsetzung der dem Betroffenen aufgrund der Kostengrundentscheidung des Urteils des Amtsgerichts Wernigerode vom 04.09.2023 zu erstattenden notwendigen Auslagen auch auf die beantragte Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG sowie die Postpauschale, jeweils nebst 19 % Umsatzsteuer, erstreckt. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 18.10.2023 sowie in ihrer Beschwerdebegründung vom 04.12.2023, denen sich die Kammer nach kritischer Prüfung vollinhaltlich anschließt, Bezug genommen. Die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG entsteht unabhängig von der Durchführung eines Hauptverhandlungstermins und kann daher nicht – wie die Verteidigung meint – untrennbar mit einem solchen verbunden sein. Ebenso wenig ergibt sich vorliegend aus der Regelung des § 21 Abs. 1 RVG eine Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr Nr. 5109 und der Postpauschale im Wege der Festsetzung der dem Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen. Es mag nach dieser Vorschrift eine weitere Verfahrensgebühr angefallen sein, allerdings ist diese nach der Kostengrundentscheidung des Urteils vom 04.09.2023 nicht von der Landeskasse, sondern vom Betroffenen zu tragen.“

Die Entscheidung ist zutreffend. M.E. kommt es bei der Bewertung der Entscheidung zunächst auf die vom LG angesprochenen Fragen des Entstehens der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühr sowie die der Frage der Zurückverweisung (§ 21 Abs. 1 RVG) an. Insoweit stellt das LG zutreffend dar, dass die Terminsgebühr nach Vorbem. 5. Abs. 3 VV RVG und auch Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem Termin entsteht. Es handelt sich um eine der in den Vorbem. 5 Abs. 2 VV RVG bzw. Nr. 4 Abs. 2 VV RVG erwähnten besonderen Gebühren. Die durch sie abgegoltene Teilnahme wird nicht von einer Verfahrensgebühr (für das gerichtliche Verfahren) erfasst. Die erfasst nur das (allgemeine) Betreiben des Geschäfts (zum Abgeltungsbereich der Gebühren Burhoff AGS 2022, 1 und 97). Und man muss auch nicht darüber streiten, dass durch die Zurückverweisung der Sache gem. § 21 Abs. 1 RVG alle Gebühren – mit Ausnahme der Grundgebühr – noch einmal entstehen, da es sich nach Zurückverweisung um eine neue Angelegenheit i.S. von § 15 RVG handelt (vgl. dazu Burhoff AGS 2023, 102; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Teil A Rn 2690 ff.). Damit hat das LG Recht, wenn es – unter Bezugnahme auf die Bezirksrevisorin ausführt -, dass durch den Termin vom 15.8.2022 eine Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG nicht mehr entstehen konnte. Denn die war bereits durch die sonstigen Tätigkeiten des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren – unabhängig von der Hauptverhandlung entstanden. Es handelt sich nicht (mehr) um „die Kosten des Termins ….“.

Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens, oder: Wie oft denn noch?

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Und dann heute der letzte Gebührenfreitag. Heute zum Jahresabschluss noch einmal mit zwei kostenrechtlichen Entscheidungen. Beide stammen aus dem Bußgeldverfahren.

Ich beginne mit dem LG Meiningen, Beschl. v. 06.10.2023 – 6 Qs 122/23 – noch einmal bzw. mal wieder zur Frage der Auslagenerstattung, wenn das Verfahren gegen den Betroffenen eingestellt worden ist. Das AG hatte die Auslagenerstattung abgelehnt, das LG sieht das anders und hat den AG-Beschluss aufgehoben und die Erstattung angeordnet:

„Die Auferlegung der Auslagen der Beschwerdeführerin zum Nachteil derselben hat auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO keinen Bestand. So schließt sich die Kammer zunächst der Auffassung an, wonach die Vorschrift auch dann anwendbar ist, wenn die Verfahrenseinstellung vor oder außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt. (Dazu: Mey-er-Goßnerischmitt,64. Aufl. 2021, § 467, Rdn. 16 ff. m.w.N. und BeckOK, StPO, 48. Ed. 1.7.2023, § 467, Rdn. 13 m.w.N.) Es berücksichtigt dabei insbesondere den Umstand, dass die eng auszulegende Ausnahmevorschrift keine strafähnlich wirkende Schuldfeststellung trifft und daher keinen Verstoß gegen die.in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung darstellt. (MüKo, StPO, 1. Aufl. 2019, StPO § 467, Rdn. 2 m.w.N.) Nach der Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann zwar grundsätzlich von der Kostenauferlegung abgesehen werden, wenn das Gericht das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses — hier der Verfolgungsverjährung — einstellt, es aber bei Hinwegdenken dieses Hindernisses mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH NStZ 1995, S. 406). Dabei handelt es sich jedoch um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist, daher muss ein „erheblicher Tatverdacht“ bestehen (OLG Jena Beschl. v. 11.01.2007 — 1 Ws 195/05 = NStZ-RR 2007, S. 254). Hinsichtlich der insoweit zu treffenden Prognose über den mutmaßlichen Verfahrensausgang ohne Schuldfeststellung ist auf die bisherige Beweisaufnahme, notfalls auch auf die reine Aktenlage zurückzugreifen. Da das Ermessen („kann davon absehen“) jedoch erst dann und nur dann eröffnet ist, wenn das Gericht (bereits) davon überzeugt ist, dass der Betroffene, ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde, müssen zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehendem Umstand demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG [3. Kammer des 2. Senats] Beschl. v. 26.05.2017 — 2 BvR 1821/16 = NJW 2017, S. 2459).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorliegend gerade nicht vor. Die gilt auch unabhängig davon, ob hinsichtlich der Beschwerdeführerin ein hinreichender und erheblicher Tatverdacht für die ihr vorgeworfene Tat bestand, worauf zumindest — im Einklang mit den Ausführungen des Amtsgerichts — sämtlich in der Akte befindlichen Unterlagen, die nach der einschlägigen obergerichtlichen eine tragfähige Verurteilung ermöglichen würden (Annahme der Fahrereigenschaft (Lichtbildvergleich), den Tatvorwurf stützendes Messprotokoll sowie Geschwindigkeitsmessblatt nebst Schulungsnachweis und Eichurkunde), hinweisen. Dies begründet sich damit, dass es vorliegend jedenfalls an dem Hinzutreten weiterer besonderer Umstände (sowie entsprechenden diesbezüglichen Ausführungen des Amtsgerichts dazu) fehlt, da das Verfahrenshindernis schon vor Erlass des Bußgeldbescheides und damit auch schon vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bestand. So war vorliegend —entsprechend der polizeilichen Stellungnahme — gerade keine verjährungshemmende Anhörung der Beschwerdeführerin am 22.12.2022 erfolgt, sodass die Verjährung noch Ende Dezember 2022 eintrat. Gleichwohl erging unter dem 16.01.2023 der streitgegenständliche Bußgeldbescheid. Damit lag der Eintritt des Verfahrenshindernisses noch weit vor Eröffnung des Hauptverfahrens, sodass eine Auslagenaufbürdung auf den Betroffenen grundsätzlich auszuscheiden hat. (Dazu: Meyer-Goßner/schmitt,64. Aufl. 2021, §.467, Rdn. 18 m.w.N. und Gercke/Temming/Zöller, StPO; 7. Auflage 2023, § 467 StPO, Rdn. 10 f. m.w.N.) Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine andere Einschätzung ermöglichen würden, sind hingegen weder aus der Akte, noch aus dem angegriffenen Beschlusses ersichtlich. Dies gilt umso mehr; da der Umstand des Verjährungseintritts auch von vornherein für alle erkennbar und der Eintritt des Verfahrenshindernisses vorhersehbar war, sodass die entstandenen Kosten vorliegend vielmehr der staatlichen Sphäre zuzurechnen sind und es somit bei der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO verbleibt.“

Dass man als Verteidiger für den Mandanten in der Frage immer wieder „kämpfen“ muss.

Keine Auslagenerstattung wegen „Rechtsmissbrauch“?, oder: LG Baden-Baden irrt gewaltig/hat keine Ahnung

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Und dann noch der Gebührentag. Heute zunächst der Aufreger des Tages – jedenfalls für mich. Es handelt sich um den LG Baden-Baden, Beschl. v. 04.10.2023 – 2 Qs 93/23. In ihm zeigt mal wieder ein LG (!!), dass es nicht weiß, was ein Verteidiger nicht tun darf und auch nicht tun muss.

Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung anhängig. Das ist dann vom AG wegen Eintritt der Verfolgungsverjährung – nicht ordnungsgemäße Zustellung des Bußgeldbescheides  – eingestellt worden. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen werde nicht der Staatskasse auferlegt. Und das hält beim LG – mit einer m.E. in „eilen abenteuerlichen Begründung:

„……

Die insoweit in der angefochtenen Entscheidung unter Berücksichtigung des Akteninhalts vorgenommene, tatrichterliche Bewertung des Amtsgerichts ist tragfähig und aus Sicht der Beschwerdekammer nach eigener Prüfung mit Blick auf das vom Fahrzeuglenker gefertigten Foto nach Ab-gleich mit dem Lichtbild des Betroffenen nicht zu beanstanden. Soweit der Beschwerdeführer behauptet, die Verteidigung habe _Fragen an einer ordnungsgemäßen Messung aufgeworfen“, trifft dies nicht zu; mit Verteidigerschriftsatz vom 11.01.2023 (AS. 49) wurde lediglich Einsicht in Wartungs- und Eichnachweise des Messgeräts, in die digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe u. s. w. beantragt, ohne zu diesem Zeitpunkt oder später Einwendungen gegen den Messungsvorgang geltend zu machen.

Wegen dieses verbleibenden Tatverdachts. mit dem in Ansehung der Unschuldsvermutung keine Schuldzuweisung verbunden ist, kann vier demnach ein Auslagenersatz versagt werden.

Auch sonstige Ermessensgesichtspunkte geben keinen Anlass zu einer gegenteiligen Entscheidung. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte „Ermessensfehler“ der Bußgeldbehörde. die trotz seiner telefonischen Mitteilung vom 1 4 04.2023. dass die Angelegenheit wegen einer fehlerhaften Zustellung verjährt sei, dennoch das Verfahren nicht eingestellt. sondern an das Gericht weitergegeben und damit Kosten „mutwillig provoziert“ habe, dringt nicht entscheidend durch. Unabhängig vom Bestand einer gesetzlichen Zustellungsvollmacht im Sinne von § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG, die, wovon das Amtsgericht hier ausgegangen ist, mangels Aktenkundigkeit der Verteidigerstellung durch eine sich in den Akten befindliche Vollmachtsurkunde zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides nicht vorgelegen nat. und unter Verneinung einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht (a.A im Hinblick auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens -KK-OWiG/Lampe, 5. Aufl. 2018. § 51 Rn 85a) ist durch die Verteidigung des Betroffenen indes der Anschein einer solchen rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung gesetzt worden. Der Verteidiger hat nämlich nicht nur mit Schriftsatz vom 11 01 2023 (AS 49) die „anwaltliche Verteidigung“ des Betroffenen angezeigt, seine „ordnungsgemäße Beauftragung“ zur Verteidigung anwaltlich versichert und vollständige Akteneinsicht beantragt, sondern sich den Bußgeldbescheid der Stadt Rastatt vom 01.02.2023 (AS. 57) unbeanstandet zustellen lassen und gegen diesen auch noch mit Schriftsatz vom 10.02.2023 (AS 77) Einspruch eingelegt ohne eine vermeintlich fehlerhafte bzw. unwirksame Zustellung zu erwähnen. und. nachdem ausreichend verjährungsrelevante Zeit verstrichen war den Verjährungseinwand unter Berufung auf eine fehlerhafte Zustellung erhoben Auch wenn sich dieses Verhalten des Verteidigers noch im Rahmen einer zulässigen Verteidigung bewegt haben sollte, ist jedenfalls zu konstatieren. dass er der Bußgeldbehörde erfolgreich diese – seit langem bekannte – „Verjährungsfalle“ gestellt und bei ihr eine irrige Annahme über das Vorliegen seiner Zustellungsvollmacht hat fortbestehen lassen, ohne eine in diesem Punkt erkannte Unwirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheides bis zu dem vom Amtsgericht Rastatt schließlich festgestellten Verjährungseintritt zu offenbaren.

Unter diesen Umständen ist es auch unter Billigkeitsgesichtspunkten nach pflichtgemäßem richterlichen Ermessen sachgerecht, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen gemäß der genannten Regelung des § 467 Abs 3 S 2 Nr. 2 StPO selbst zu tragen hat.“

Ich kann nur ärgerlich den Kopf schütteln, wenn ich so etwas lese. Denn Bedenken kann man schon wegen des (angeblich) fortbestehenden hinreichenden Tatverdachts haben. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Ausführungen des LG zur Billigkeit sicherlich falsch.

1. Zum hinreichenden Tatverdacht kann man schon Bedenken haben, ob die von obergerichtlichen Rechtsprechung geforderte „Schuldspruchreife“ (vgl. dazu Burhoff in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 779 ff. mit weiteren Nachweisen) vorgelegen hat. Denn mehr als das vom Vorfall gefertigte Lichtbild hat zur „Überführung“ des Betroffenen nicht vorlegen (vgl. jüngst LG Trier, Beschl. v. 30.5.2023 – 1 Qs 24/23, AGS 2023, 364; AG Büdingen, Beschl. v. 30.5.2023 – 60 OWi 48/23, AGS 2023, 362). Hier scheint dann doch das “Regle-Ausnahme-Verhältnis” verkannt worden zu sein.

2. Falsch ist m.E. die Entscheidung aber auf jeden Fall hinsichtlich der „Verjährungsfalle“. Das LG argumentiert hier widersprüchlich. Denn einerseits geht es davon aus, dass sich das „Verhalten des Verteidigers noch im Rahmen einer zulässigen Verteidigung bewegt haben soll(te)“, andererseits nimmt es aber Rechtmissbrauch an, weil der Verteidiger eine „Verjährungsfalle“ aufgebaut habe. Das ist nicht nachvollziehbar. Denn „Rechtsmissbrauch“ liegt – entgegen der Auffassung des LG – nicht vor. Ich habe bereits in der Anmerkung zum AG Freiburg, Beschl. v. 10.5.2023 – 76 OWi 48/23 darauf hingewiesen, dass der Verteidiger nicht verpflichtet ist, den Eintritt der Verfolgungsverjährung zu verhindern, sondern er grundsätzlich alles tun darf, was zu einem für seinen Mandanten günstigen Ergebnis führt (so auch LG Freiburg im das AG Freiburg aufhebenden LG Freiburg, Beschl. v. 21.8.2023 – 16 Qs 30/23. Und dazu gehört auch, dass eben eine Vollmacht nicht vorgelegt wird, weil sie nicht vorgelegt werden muss (zur Vollmacht Burhoff, a.a.O., Rn 5026 ff.). Wenn dann die Verwaltungsbehörde trotz nicht geklärter Vollmachtsfragen dann dennoch beim Verteidiger zustellt, ist das „Dummheit“ der Verwaltungsbehörde und kein Rechtsmissbrauch des Verteidigers, der dann mit der Versagung der Auslagenerstattung zu Lasten des Betroffenen sanktioniert wird. Wobei sich dann noch zusätzlich die Frage stellt, inwieweit dieses (angebliche) Fehlverhalten des Verteidigers überhaupt dem Betroffenen zugerechnet werden kann. Denn es handelt sich bei dem Anspruch um einen Auslagenerstattungsanspruch des Betroffenen, nicht um einen des Verteidigers. Aber das hat man beim LG dann lieber doch übersehen.

 

Einstellung wegen Todes im Berufungsverfahren, oder: Mit endgültiger Verurteilung war zu rechnen

Ich komme dann heute im zweiten Posting noch einmal auf den OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.09.2023 – 1 Ws 96/23 – zurück. Über den hatte ich ja gestern schon berichtet (siehe hier:  Pflichti III: Rechtsmittel nach dem Tod des Angeklagten, oder: „Pflichti“-Bestellung“ gilt über den Tod hinaus). Heute geht eum die Erstattungsproblematik.

Das AG hatte den Angeklagten verurteilt. Zu den Tatvorwürfen hatte sich der Angeklagte teilweise geständig eingelassen. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Berufung ein. Nach Ladung des Angeklagten durch das LG meldete sich ein Rechtsanwalt als Verteidiger, beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 2 StPO und gab an, dass der Angeklagte an einer Depression sowie einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung leide. Zudem teilte der Verteidiger telefonisch mit, dass sich der Angeklagte in einem Klinikum befände und bei ihm eine schizophrene Erkrankung wohl diagnostiziert werden würde. Es stelle sich möglicherweise die Frage der verminderten Schuldfähigkeit.

Der Rechtsanwalt beantragte sodann, den terminierten Hauptverhandlungstermin aufzuheben und das Verfahren nach § 153a StPO einzustellen. Es bestünden Zweifel an der Verhandlungs- und möglicherweise der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit. Ein ärztliches Attest, ausgestellt durch das Klinikum zur Verhandlungsunfähigkeit wurde beigefügt. Eine Diagnose beinhaltete die ärztliche Bescheinigung nicht. Das LG hat dann Begutachtung des Angeklagten auf seine Verhandlungs- und Reisefähigkeit in Auftrag gegeben.

Nachdem der Angeklagte im Anschluss daran verstorben war, hat das LG das Verfahren auf Kosten der Landeskasse gemäß § 206a StPO eingestellt. Es hat ausdrücklich von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers war zwar zulaässig – siehe das gestrige Posting – hatte aber in der Sache keinen Erfolg:

„2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 13. Juli 2023 Folgendes ausgeführt:

„Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen.

Wann die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. dazu Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.). Die Frage kann jedoch offen gelassen werden, da auch nach der engen Auffassung, welche die Durchführung der Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife verlangt, der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet ist. Das Amtsgericht ist hier nach durchgeführter Hauptverhandlung bereits erstinstanzlich zu einem Schuldspruch des Angeklagten gekommen.

Im Falle der Fortsetzung des Berufungsverfahrens hätte der frühere Angeklagte damit rechnen müssen, dass sein Rechtsmittel verworfen worden wäre. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils bilden eine tragfähige Grundlage für den Schuldspruch und die Rechtsfolgenentscheidung. Rechtsfehler, die zu einer anderen Entscheidung und letztlich zum Freispruch des Angeklagten insgesamt oder einer erheblich milderen Bestrafung und damit zu einer für ihn ganz oder teilweise günstigen Auslagenentscheidung hätten führen können, sind nicht ersichtlich.

Die lediglich ohne ärztliche Unterlagen behauptete psychische Erkrankung des Angeklagten, nämlich einer Depression und einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung, würden nach Aktenlage nicht zu einer Aufhebung oder Verminderung der Schuldfähigkeit führen. Es fehlt auch an hinreichenden Anknüpfungstatsachen dafür, dass der Angeklagte bereits zur Tatzeit im August 2020 und Januar 2021 derart krankheitsbedingt eingeschränkt war, dass die Anwendung der §§ 20, 21 StGB in Betracht käme. Erstmalig vorgetragen wurden die Krankheitsanzeichen mit Schreiben vom 16.05.2022. Das vom Amtsgericht festgestellte Tatgeschehen und das Einlassungsverhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung sprechen ebenfalls gegen eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit.

Das Landgericht hätte die Anwendung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO im Beschluss begründen müssen (§ 34 StPO).

Eine Zurückverweisung der Sache an das untere Gericht ist trotz der fehlenden Begründung jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 17.04.1996 – 2 Ws 50/96), welche hier nicht ersichtlich sind. Weitere Sachaufklärung ist durch den Tod des Angeklagten nicht möglich.“

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen, die der Sach- und Rechtslage entsprechen, an.“

Auslagenerstattung im Vollstreckungsverfahren, oder: Keine Rechtsgrundlage, sondern ggf. Amtshaftung

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Und am Gebührenfreitag heute zunächst dann wieder/noch einmal ein „Nachschlag“, und zwar zur Gebührenfrage vom vergangenen Freitag. Die hatte gelautet: Ich habe da mal eine Frage: Auslagenerstattung nach Einstellung der Vollstreckung?. Und meine Lösung dazu war: Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Auslagenerstattung nach Einstellung der Vollstreckung?

Inzwischen liegt mir die in der Frage ergangene amtsgerichtliche Entscheidung vor. Das AG Friedberg hat im AG Friedberg, Beschl. 29.09.2023 – 47a OWi 179/23 – den Antrag zurückgewiesen, also so entschieden, wie ich dem Kollege geantwortet hatte:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gem. § 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 62 OWiG statthaft. Dass das Regierungspräsidium den Bescheid, mit selbstständigen Kostenbescheid nach dem RVG überschrieben hat, führt zu keiner Anwendung des § 57 RVG, da mit dem Rechtsbehelf des § 57 RVG nur Entscheidungen nach. den Vorschriften des RVG angefochten werden können. Diese betreffen aber nur die Höhe der Gebühren bzw. deren Anfall, nicht aber die Kostengrundentscheidung selbst (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG § 57 Rn. 1-6.). Hier hat das Regierungspräsidiurn Kassel aber eine Entscheidung über die Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse, mithin eine Kostengrundentscheidung, getroffen.

Zugunsten des Betroffenen ist davon auszugehen, dass die Frist des § 108 Abs. 1 S. 2 OWiG eingehalten wurde. Eine Zustellung des Bescheids ist nicht erfolgt, so dass eine weitere Fristprüfung nicht möglich ist.

Der Antrag ist indes unbegründet. Die Entscheidung des Regierungspräsidiums ist nicht zu beanstanden.

Es besteht keine Rechtsgrundlage für eine neuerliche Kostengrundentscheidung.

Eine solche wurde bereits in dem Einstellungsbeschluss vom 15.03.2021 getroffen. Nach dieser Entscheidung wurden die notwendigen Auslagen, nicht der Staatskasse auferlegt, womit sie beim Betroffenen verblieben sind.

Eine weitere Kostengrundentscheidung für die Tätigkeit des Verteidigers bzgl. der Vollstreckungsandrohung nach der Einstellung ist nicht möglich. Für eine solche Kostengrundentscheidung besteht keine Rechtsgrundlage. Vielmehr ergibt sich aus § 464a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StPO, dass die Kosten des Vollstreckungsverfahren von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren umfasst werden (KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464 Rn. 3.).

Auch wenn man die hiesige Vollstreckungsankündigung mangels rechtskräftiger vollstreckbarer Entscheidung nicht unter § 465a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StPO subsumieren will, ergäbe sich nichts anderes. Denn in diesem Fall würde es an einer Rechtsgrundlage für eine weitere Kostengrundentscheidung fehlen. In keiner der in § 105 OWiG zitierten Vorschriften findet sich eine Rechtsgrundlage für eine entsprechende Kostengrundentscheidung. Für eine analoge Anwendung des § 464 StPO bleibt kein Raum, da es angesichts der detaillierten Regelegungen im Kostenrecht an einer Analogiefähigkeit des § 464 StPO fehlt. Für eine solche Analogie besteht auch kein Bedürfnis, da es dem Betroffenen möglich und zumutbar ist die von ihm verauslagten Rechtsanwaltsgebühren im Wege der Amtshaftung geltend zu machen. Die Vollstreckungsankündigung des Regierungspräsidiums beruht letztlich auf einer fehlerhaften Auskunft der Staatsanwaltschaft Gießen.“

Unschön, ist aber leider so.