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Vollzug II: Anspruch auf Eigengeldauszahlung, oder: Wenn das gesamte Vermögen bar verwahrt wird

entnommen openclipart.org

Die zweite Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 03.01.2023 – 203 StObWs 412/22 – gehört für mich in die Rubrik: Was es nicht alles gibt. Denn der Beschluss hat einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt, und zwarI.

„Der im April 2021 verstorbene, von den drei Antragstellerinnen beerbte Erblasser war in den Jahren 2013 und 2019 bis 2020 mehrmals kurzzeitig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bamberg inhaftiert. Beim Zugang am 4. März 2013 zahlte der Erblasser, der nach dem Vortrag der Antragstellerinnen über kein Konto verfügte und sein gesamtes Vermögen in bar verwahrte, nach der von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellten Darstellung des Antragsgegners bei der JVA Bamberg einen Betrag von 10.465,75 Euro in bar ein; das Guthaben wurde einen Tag später auf dem Gefangenengeldkonto gutgeschrieben. Nach seiner Entlassung verweigerte er es, den Empfang des verbleibenden Betrages von 8.557,25 Euro zu quittieren, woraufhin ihm der Geldbetrag nicht ausgehändigt wurde (Anlage B 4). Einer anschließenden schriftlichen Aufforderung, ein Konto zu benennen oder das Geld abzuholen, kam er nicht nach (Anlage B 5). Anlässlich des Zugangs am 1. August 2013 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlte er bei der JVA Bamberg auf das Gefangenengeldkonto einen Bargeldbetrag in Höhe von 125.105,13 Euro ein, der am Folgetag als Guthaben des Strafgefangenen gebucht wurde. Nach seiner Entlassung am 7. August 2013 nahm der Gefangene das verbleibende Geld in Höhe von 121.781,63 Euro nicht an sich, woraufhin ein Mitarbeiter der JVA unterschriftlich auf einem Ausdruck mit der Bezeichnung „Kontenabschluss“ vermerkte: „Geld wurde von Herrn A… nicht mitgenommen. Geld wieder auf Konto gutgeschrieben“ (Anlage B 8). Am 28. Oktober 2013 löste die JVA ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Erblasser das interne Gefangenenkonto auf und zahlte das Eigengeld des Erblassers in Höhe von 130.338.88 Euro bei der Landesjustizkasse Bamberg zur Verwahrung ein (Anlagen B 7, B 9). Anlässlich eines Zugangs am 13. Mai 2019 zahlte der Erblasser bei der JVA Bamberg einen Betrag von 22,70 Euro ein, nach der Unterbrechung der Vollstreckung wurde das Guthaben am 4. November 2019 ebenfalls bei der Landesjustizkasse gebucht. Das bei einer weiteren Inhaftierung im Jahr 2019 einbezahlte Gefangenengeld wurde dem Erblasser bei seiner Entlassung am 10. Januar 2020 in bar ausgehändigt, bei seiner letzten Inhaftierung im Jahr 2020 zahlte er kein Bargeld ein.

Nach dem Tod ihres Vaters baten die drei mit Erbschein ausgewiesenen Miterbinnen in einem an die JVA Bamberg gerichteten Schreiben vom 15. Juni 2021 um Prüfung, ob noch Forderungen gegen den Freistaat bestünden. Daraufhin teilte die JVA Bamberg den drei Miterbinnen mit Schreiben vom 7. September 2021 mit, dass aus den Inhaftierungen des Erblassers im Jahre 2013 resultierend aus Bargeldeinzahlungen auf das Gefangenengeldkonto ursprünglich ein Betrag von 130.338,88 Euro offen gewesen, der Rückforderungsanspruch jedoch mittlerweile verjährt wäre; aus der Inhaftierung im Jahr 2019 bestünde noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 22,70 Euro. Die drei Miterbinnen traten dem entgegen und verlangten unter Vollmachtsanzeige mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2021 von der JVA nähere Auskünfte zu den Einzahlungen, den Verfügungen und dem Verbleib des Geldes sowie Einsicht in den Vollzugsplan. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 erteilte die JVA weitere Auskünfte zu den Vollzugszeiten, den Einzahlungen, den Buchungsvorgängen und den jeweiligen Guthaben des Erblassers und wiederholte ihre Rechtsansicht, dass bezüglich eines Betrages von 130.338,88 Euro zum Ende des Jahres 2016 Verjährung eingetreten sei. Daraufhin widersprach der anwaltliche Vertreter der Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf das Schreiben der JVA vom 25. Oktober 2021 mit Schreiben vom 2. November 2021 den Ausführungen zur Verjährung und forderte von der JVA Bamberg die Auszahlung des „Restbetrags“ unter Fristsetzung bis zum 15. November 2021. Nachdem die JVA auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, reichten die Miterbinnen mit anwaltlichem Schriftsatz am 21. Dezember 2021 Klage auf Zahlung von 130.338,88 Euro nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Landgericht Bamberg ein.

Das Landgericht Bamberg – 4. Zivilkammer – hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 12. August 2022 „den Antrag“ auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2021 wegen der Versäumung der Frist von § 112 StVollzG als unzulässig verworfen. Mit der Frage der Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befasst.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Rechtsbeschwerde und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von 130.338,88 Euro zu verpflichten, hilfsweise die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Zur Begründung führen sie an, dass §§ 109, 112 StVollzG nicht anwendbar und der auf sie übergegangene Anspruch auf die Zahlung des Eigengelds nicht verjährt sei. Zu den ursprünglich in der Klageschrift geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verhalten sie sich nicht ausdrücklich. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.“

Und: Die drei Damen hatten beim BayObLG Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Hat die Justizvollzugsanstalt auf eine Aufforderung des Berechtigten auf Auskunft über Eigengeld hin den Einwand der Verjährung erhoben, steht die Regelung von § 112 StVollzG einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs nicht entgegen.
  2. Dem Strafgefangenen steht ab dem Zeitpunkt der Gutschrift von Eigengeld gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu.
  3. Der Lauf der Fristen nach Art. 71 BayAGBGB und §§ 195, 199 BGB wird weder mit der Einzahlung noch mit der Entlassung aus der Haft, sondern gemäß § 695 S. 2 BGB analog mit einem Zahlungsverlangen des Berechtigten ausgelöst.

Wie gesagt: Was es nicht alles gibt. Und: Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

Die „Künastentscheidung“ zur Auskunft bei Facebook, oder: Grenzüberschreitung

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Im Kessel Buntes dann heute zunächst eine Entscheidung, die von (besonderem) Interesse sein dürfte, und zwar der LG Berlin, Beschl. v. 09.09.2019 – 27 AR 17/19 – in Sachen „Künast“. Ja, es handelt sich um „die“ Entscheidung,  mit der der Antrag von Renate Künast, die Auskunft über Daten mehrerer Nutzer auf Facebook, die sie nach Auffassung von Frau Künast beleidigt hatten, verlangt hatte, zurückgewiesen worden ist.

Begründung des LG in Kurzform: Das waren bei einem Politiker keine Beleidigungen – es handelte sich um Äußerungen wie z.B.:  „Stück Scheisse“, „Krank im Kopf“, „altes grünes Drecksschwein“, „Geisteskrank“, „kranke Frau“, „Schlampe“, „Gehirn Amputiert“, „Drecks Fotze“, „Sondermüll“, „Alte perverse Dreckssau“ , – der muss das ertragen (können).

Und hier dann die Langform:

„….Der Einfluss des Grundrechts der Meinungsfreiheit wird verkannt, wenn der Verurteilung eine Äußerung zugrundegelegt wird, die so nicht gefallen ist, wenn ihr ein Sinn gegeben wird, den sie nach dem festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat oder wenn ihr unter mehreren objektiv möglichen Deutungen eine Auslegung gegeben wird, ohne die anderen unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind ferner verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft ist mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfG NJW 1992, 1439, 1440 m.w.Nachw.). Von einer Schmähung kann nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerung in dem Kontext einer Sachauseinandersetzung steht. Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht erfordern damit regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (vgl. BVerfGE 93, 266 <303>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2005 – 1 BvR 1917/04 -, juris, Rn. 22). Hiervon kann allenfalls ausnahmsweise abgesehen werden, wenn es sich um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von ihrem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein kann (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. Dezember 2008 – 1 BvR 1318/07 -, juris, Rn. 16). Bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liegt Schmähkritik nur ausnahmsweise vor; sie bleibt grundsätzlich auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <294>; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Februar 2019 – 1 BvR 1954/17 -, Rn. 11, juris). Der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen endet erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist unrichtige Information kein schützenswertes Gut. Die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung wird nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst (BVerfG a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen gilt hier folgendes:

Die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen sind sämtlichst Reaktionen auf den Post, den ein Dritter auf der von der Antragsgegnerin betriebenen Social-Media-Plattform eingestellt hat. Dieser Post zitiert einen von der Antragstellerin getätigten Einwurf und würdigt diesen so, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Auch wenn die Antragstellerin ihren Einwurf anders verstanden wissen will, wird der knappe, die Zwischenfrage des CDU-Abgeordneten korrigierende Einwurf, wie dies der Online-Artikel der Welt vom 24.05.2015 zeigt, von der Öffentlichkeit als Zustimmung zu dem Gesetzesentwurf der Landtagsfraktion der Grünen in NRW wahrgenommen. Soll aber die Ausübung von Sex mit Kindern nur noch dann unter Strafe gestellt werden, wenn Gewalt im Spiel ist, heißt dies zum einen, dass es gewaltfreien Sex mit Kindern gibt und, dass er ohne Ausübung von körperlicher und psychischer Gewalt toleriert wird. Nichts anderes drückt der zweite Halbsatz in dem Post „ist der Sex mit Kindern doch ganz ok“ aus. Die Antragstellerin muss sich daher die gesamte Äußerung des ersten Satzes des Post zurechnen lassen.

Bei den Reaktionen hierauf handelt es sich sämtlichst um zulässige Meinungsäußerungen. Sie sind zwar teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch. Die Antragstellerin selbst hat sich aber mit ihrem Zwischenruf, den sie bislang nicht öffentlich revidiert oder klargestellt hat, zu einer die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit Widerstand aus der Bevölkerung provoziert. Zudem muss sie als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 09. Dezember 2014 – I-15 U 148/14 -, Rn. 33, juris).

Da alle Kommentare einen Sachbezug haben, stellen sie keine Diffamierungen der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen nach § 185 StGB dar.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

(1) Die in ein Bild von Starwars eingefügte Äußerung „Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!“ ist eine sicherlich geschmacklose Kritik, die mit dem Stimittel der Polemitik sachliche Kritik übt. Es geht dem Äußernden erkennbar nicht darum, die Antragstellerin als Person zu diffamieren, sondern an der von ihr getätigten Äußerung Kritik zu üben. Es liegt daher keine Beledigung nach § 185 StGB vor. Die Antragstellerin wird nicht, wie sie dies meint, zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht.

(2) Die Äußerung „Wurde diese „Dame“ vielleicht als Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihren Verstand eingebüßt. …“ stellt wiederum eine polemische und überspitze, aber nicht unzulässige Kritik dar. Denn wie sich aus dem nachfolgenden Satz ergibt, geht es um eine auf die Äußerung der Antragstellerin bezogene Kritik. Dass die Äußerung sexualisiert ist, ist das Spiegelbild der Sexualisiertheit des Themas. Eine Diffamierung und damit eine Beleidigung nach § 185 StGB der Antragstellerin lässt sich hieraus nicht ableiten.

(3) Soweit die Antragstellerin geltend macht, es liege mit „Stück Scheisse“ und „Geisteskranke“ eine Formalbeleidigung vor, steht dem entgegen, dass wie sich aus dem zweiten Satz ergibt eine Auseinandersetzung in der Sache erfolgte, so dass eine Formalbeleidigung ausscheidet (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 11. Mai 2017 – 324 O 217/17 -, Rn. 17, juris).

(4) In der Bezeichnung „Pädophilen-Trulla“ kann eine Beleidigung nach § 185 StGB nicht erblickt werden.

(5) Die Äußerung „Die alte hat doch einen Dachschaden die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch “ steht ebenfalls im Kontext der im Post wiedergegebenen Äußerung. Sie stellt eine Kritik an der Äußerung der Antragstellerin dar und nicht losgelöst von der Äußerung an der Person der Antragstellerin selbst. Daher stellt sich auch diese Äußerung nicht als eine Diffamierung der Antragstellerin und damit als Beleidigung der Antragstellerin gemäß § 185 StGB dar.

(6) In der auf den Post und damit auf die dort wiedergegebene Äußerung der Antragstellerin bezogene Äußerung „Mensch … was bis Du Krank im Kopf!!!“ kann eine Beleidgung nach § 185 StGB nicht erblickt werden.

(7) Auch der Kommentar „Pfui du altes grünes Dreckschwein …“ steht in unmittelbaren Zusammenhang zu dem Post und nimmt Bezug auf ein Zwischenruf der Antragstellerin. In diesem Zusammenhang stellt die Bezeichnung „Dreckschwein“ keine Beleidigung dar.

(8) Der geschmacklose, polemische und überspitzte Kommentar „Der würde in den Kopf geschi … War genug Platz da kein Hirn vorhanden war/ist“ bezieht sich erkennbar auf die von der Antragstellerin getätigte Äußerung. Auch er stellt sich daher als sachbezogene Kritik und nicht als Diffamierung und Beleidigung nach § 185 StGB dar.

(9) Die auf den Post erfolgte Äußerung „Die ist Geisteskrank“ ist eine auf die Äußerung bezogene Kritik und keine Diffamierung der Antragstellerin. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt nicht vor.

(10) Wie aus den Worten „bei solchen Aussagen“ deutlich wird, handelt es sich bei der Aussage „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren“ um eine auf die im Post bezogene Äußerung bezogene und damit sachgebzogene Kritik. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt damit nicht vor.

(11) Die Bezeichnung der Antragstellerin als krank stellt keine Beleidigung, sondern eine zulässige Meinungsäußerung dar. Der Sachbezug des Kommentars wird durch die Worte „sie weiß nicht mehr was sie redet“ ohne weiteres verdeutlicht.

(12) Die Äußerung, die sind alle so krank im Kopf, stellt sich ebenfalls als Kritik an ihrer im Post wiedergegebenen Äußerung wieder, auf die dieser Kommentar erfolgte. Eine Beleidigung der Antragstellerin nach § 185 StGB kann hierin nicht erblickt werden.

(13) Auch in dem Kommentar „Schlampe“ kann eine von der Äußerung im kommentierten Post losgelöste primär auf eine Diffamierung der Person der Antragstellerin und nicht auf eine Auseinandersetzung in der Sache abzielende Äußerung nicht gesehen werden. Vielmehr ist auch dieser Kommentar ein Beitrag in einer Sachauseinandersetzung.

(14) Gleiches gilt für den Kommentar „Gehirn Amputiert“. Auch dieser stellt sich als Beitrag im Rahmen einer Sachauseinandersetzung dar und zielt nicht primär auf die Diffamierung der Antragstellerin. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt nicht vor.

(15) Für den Kommentar „Kranke Frau“ gilt das zuvor unter (13) und (14) gesagte.

(16) Der Kommentar „Drecks Fotze“ bewegt sich haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch hinnehmbaren. Weil das Thema, mit dem sie vor vielen Jahren durch ihren Zwischenruf an die Öffentlichkeit gegangen ist sich ebenfalls im sexuellen Bereich befindet und die damals von ihr durch den Zwischenruf aus der Sicht der Öffentlichkeit zumindest nicht kritisierte Forderung der Entpönalisierung des gewaltfreien Geschlechtsverkehrs mit Kindern erhebliches Empörungspotential in der Gesellschaft hat, ist die Kammer jedoch der Ansicht, dass die Antragstellerin als Politikerin sich auch sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen muss. Dass mit der Aussage allein eine Diffamierung der Antragstellerin beabsichtigt ist, ohne Sachbezug zu der im kommentierten Post wiedergegebenen Äußerung ist nicht feststellbar.

Das Bild verdeutlicht die Aussage, ich muss mich gleich übergeben, was der Ausdruck von Ablehnung ist, und sich klar auf die Äußerung bezieht. Eine Beleidigung liegt hier nicht vor.

(17) Die Äußerung „Die will auch nochmal Kind sein weil sonst keiner an die Eule ran geht!“ ist eine mit dem Stilmittel der Ironie ausgedrückte Kritik an der im kommentierten Post wiedergegebenen Äußerung der Antragstellerin. Die Antragstellerin wird entgegen ihrer Meinung in dem Kommentar nicht wirklich zum Objekt sexueller Vorstellungen gemacht. Sicherlich macht sich der Kommentar ein wenig über die Antragstellerin lustig, eine Beleidigung liegt aber nicht vor.

(18) Die Bezeichnung der Antragstellerin als hohle Nuß, die entsorgt gehört und als Scndermüll, stellt sich als überspitzte Kritik dar. Da sich der Kommentar erkennbar auf die im Post wiedergegebene Äußerung bezieht und damit Sachbezug hat, stellt er sich nicht als diffamierend dar. Eine Beleidigung nach § 185 StGB ist nicht gegeben.

(19) Der Kommentar „Schlamper“ stellt keine Beleidigung dar. Auf die Ausführungen unter (13) und (14) wird verwiesen.

(20) Der Kommentar „Ferck du Drecksau“ steht in unmittelbaren Zusammenhang zu dem Post und nimmt Bezug auf den dort wiedergegebenen Zwischenruf der Antragstellerin. In diesem Zusammenhang stellt die Äußerung „Ferck du Drecksau“ keine Beleidigung dar, wobei der unbefangene Durchschnittsleser nicht erkennen kann, was der Verfasser mit „Farck“ hat schreiben wollen. Es kann „verrecke“ sein, wie dies die Antragstellerin meint, zwingend ist dies aber nicht, es kann ebenso gut auch „Ferckel“ sein.

(21) Der Kommentar „Sie alte perverse Drecksau!!!!! Schon bei dem Gedanken an sex mit Kindern muss das Hirn weglaufen !!!!! Ich glaube, das ist bei den Grünen auch so !!!!!“ nimmt Bezug auf die im kommentierten Post wiedergegebene Äußerung der Antragstellerin, an der er Kritik übt. Daher stellt sich die Äußerung Drecksau als ausfallende Kritik dar, jedoch nicht als diffamierend und beleidigend i.S.d. § 185 StGB.

(22) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin versteht der unbefangene Durchschnittsleser den Kommentar „Sie wollte auch Mal die hellste Kerze sein, Pädodreck.“ nicht dahingehend, dass mit „Pädodreck“ die Antragstellerin bezeichnet wird. Vielmehr bezeichnet dies ihre Äußerung. Die Antragstellerin war diejenige, die sich mit dem Zwischenruft hervortun wollte, eben auch einmal die hellste Kerze sein wollte. Heraus kam „Pädodreck“. Die Bezeichnung „Pädodreck“ stellt sich hiermit als Kritik zu der im Post wiedergegebenen Äußerung dar. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt nicht vor.“

Zunächst: Ich weiß, ist schwere Kost für einen Samstag, gehört aber schon in den „Kessel Buntes“, schon wegen der „Verfahrensart. Andererseits hat es dann doch auch mit Strafrecht/StGB zu tun. Und darum habe ich es bei den Volltextentscheidungen dort eingestellt.

Ich denke, das Verfahren wird, wenn denn das KG keine andere Entscheidung trifft, wahrscheinlich erst beim BVerfG enden. So oder so.

Und: Ich meine, die Äußerungen überschreiten die Grenze. Das muss ein Politiker m.E. nicht hinnehmen.

Alles auf den Tisch? Wirklich alles?

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Es sind ja schon an verschiedenen Stellen Postings zum BVerwG, Urt. v. 01.10.2014 – 6 C 35.13 gelaufen, in dem das BVerwG zum Anspruch der Presse auf Kenntnis der Namen von Personen, die an Gerichtsverfahren mitgewirkt haben, Stellung genommen hat (vgl. z.B. hier bei LTO). Ausgangspunkt der Streits war ein AG in Baden-Württemberg. Dort hatte der AG-Direktor auf eine Anfrage eines Redakteurs der Zeitschrift „Anwaltsnachrichten Ausländer- und Asylrecht“ nur eine anonymisierte Kopie des Urteils, in der die Namen der Personen geschwärzt waren, die an dem Verfahren mitgewirkt hatten (Berufsrichterin und Schöffen, Vertreter der Staatsanwaltschaft, Verteidiger, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle) herausgegeben, allerdings dann später den Namen der Berufsrichterin mitgeteilt, weitere Angaben abgelehnt.

Das BVerwG hat im verwaltungserichtlichen Verfahren nun der Revision hinsichtlich des Anspruchs auf Auskunftserteilung über die Namen des Staatsanwalts und des Verteidigers stattgegeben. Mehr als die PM des BVerwG liegt noch nicht vor. In der heißt es:

„Das Persönlichkeitsrecht dieser Personen muss hinter dem grundrechtlich geschützten Auskunftsinteresse der Presse zurückstehen. Sie stehen kraft des ihnen übertragenen Amtes bzw. ihrer Stellung als Organ der Rechtspflege hinsichtlich ihrer Mitwirkung an Gerichtsverfahren im Blickfeld der Öffentlichkeit. Ein berechtigtes Interesse, ihre Identität nicht gegenüber der Presse preiszugeben, ist angesichts der hohen Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren nur dann anzunehmen, wenn sie erhebliche Belästigungen oder eine Gefährdung ihrer Sicherheit zu befürchten haben. Letzteres war nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs hier nicht der Fall.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs lässt sich ein Vorrang ihres Persönlichkeitsrechts nicht mit der Erwägung begründen, sie trügen keine unmittelbare Verantwortung für ein Strafurteil, so dass die Kenntnis ihrer Namen keinen hinreichenden Informationswert für die Presse besitze. Unabhängig davon, dass Verteidiger und Staatsanwalt auf den gerichtlichen Verfahrensgang Einfluss nehmen können, ist es nicht Sache staatlicher Stellen, sondern Sache der Presse selbst, darüber zu bestimmen, welche Informationen unter welchen Aspekten vonnöten sind, um ein bestimmtes Thema zum Zweck einer möglichen Berichterstattung über Gerichtsverfahren im Recherchewege aufzubereiten. Der Staat hat nicht in eine journalistische Relevanzprüfung einzutreten.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Presse im Rahmen der Recherche zu Gerichtsverfahren auch solche personenbezogenen Informationen herausverlangen dürfte, denen selbst bei Anlegung eines großzügigen, den besonderen Funktionsbedürfnissen und Arbeitsgewohnheiten der Presse vollauf Rechnung tragenden Maßstabs jede erkennbare materielle Bedeutung im Zusammenhang mit dem Thema der Recherche bzw. der ins Auge gefassten Berichterstattung abgeht. Das Persönlichkeitsrecht betroffener Personen hat keinen Nachrang gegenüber dem Auskunftsinteresse der Presse, wenn letzteres in Bezug auf diese Person im Dunkeln bleibt und so die Vermutung naheliegt, das Informationsverlangen erfolge insoweit „ins Blaue“ hinein oder besitze jedenfalls keinen ernsthaften sachlichen Hintergrund. Verweigert eine staatliche Stelle aus diesen Gründen die Herausgabe einer personenbezogenen Information und erläutert die Presse daraufhin nicht zumindest ansatzweise den von ihr zugrunde gelegten Wert dieser Information für ihre Recherche bzw. die ins Auge gefasste Berichterstattung, muss die staatliche Stelle davon ausgehen, dass dem Informationsverlangen ein ernsthafter Hintergrund fehlt, und ist daher ausnahmsweise nicht zur Informationsherausgabe verpflichtet. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die Revision des Klägers zurückgewiesen, soweit sie das Verlangen nach Bekanntgabe des Namens der Urkundsbeamtin betraf.“

Also: Es muss dann doch nicht alles auf den Tisch, sondern „nur“ die Namen des/der Richter und des/der Staatanwaltes/Staatanwälte. Und wenn ich „Organ der Rechtspflege“ lese, wahrscheinlich auch die des Verteidigers usw. Aber eben wohl nicht grundsätzlich die Namen der Urkundsbeamten/Protokollführer. Die dürfen „geschwärzt“ werden. Man muss mal sehen, ob das so stimmt, wenn das vollständige Urteil vorliegt und wie im Einzelnen das BVerwG das begründet hat. Mit den PM ist das ja manchmal so eine Sache.

Die Auskunft des Betroffenen aus dem BZR – eigentlich eine Selbstverständlichkeit

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Manchmal müssen die OLG/Gerichte auch Selbstverständlichkeiten entscheiden, so vor kurzem das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2013, 1 VAs 145/12. Da hatte der Betroffene Auskunft verlangt, welche Eintragungen über ihn im BZR enthalten sind. Die Auskunft war ihm vom Bundesamt für Justiz verweigert worden. Gegen diese Verweigerung war der Betroffene gerichtlich vorgegangen. Im Verfahren kommt es dann zur Erledigung des Auskunftsbegehrens. Gestritten wird nun noch über die außergerichtlichen Kosten. Die hat das OLG Hamm der Staatskasse auferlegt. Denn:

„Nach § 30 Abs. 2 EGGVG kann das Oberlandesgericht nach billigem Ermessen bestimmen, dass die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen aus der Staatskasse zu erstatten sind. Dies gilt auch für den Fall der Erledigung (vgl. KK-Schoreit, 6. Aufl., § 30 EGGVG Rdn. 5). Nach billigem Ermessen sind hier die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, da der Betroffene mit seinem Antrag ohne das erledigende Ereignis, nämlich nachträgliche Erteilung der beantragten Auskunft, Erfolg gehabt hätte. Nach § 42 Abs. 1 BZRG ist einer Person, die das 14. Lebensjahr vollendet hat, auf Antrag mitzuteilen, welche Eintragungen über sie im Register enthalten sind. Für tilgungsreife Eintragungen in der sog. Überliegefrist, gilt nichts anderes. Auch hierbei handelt es sich um Eintragungen im Zentralregister. Über sie darf lediglich keine Auskunft mehr erteilt werden (§ 45 Abs. 2 S. 2 BZRG). Dieses Verbot der Auskunftserteilung betrifft freilich nicht die Auskunft gegenüber dem Betroffenen selbst. Aus Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich, dass gegenüber Dritten keine Auskunft mehr erteilt werden soll, weil es sich bei den tilgungsreifen Eintragungen um solche handelt, die eigentlich schon getilgt sein müssten und nur deshalb noch weiter im Register enthalten sind, um die Tilgung bei ggf. verspäteter Mitteilung neuer Verurteilungen zu verhindern (vgl.: Götz/Tolzmann, BZRG, 4. Aufl., § 45 Rdn. 20). Der Betroffene soll also durch das Auskunftsverbot geschützt werden, indem er bei Auskünften gegenüber Dritten so gestellt wird, als ob die tilgungsreife Eintragung bereits getilgt worden wäre. Das Auskunftsrecht des Betroffenen aus § 42 Abs. 1 BZRG wird dagegen nicht berührt.“

 

 

Sozialgeheimnis oder Strafverfolgungsinteresse – was hat Vorrang?

Eine nicht alltägliche Konstellation behandelt LG Aurich, Beschl. v. 15.04.2011 – 12 Qs 43/11. Es geht um ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung, zu dem es wie folgt gekommen ist. Eine (bislang) unbekannte Person hatte gegenüber dem beschwerdeführenden Jugendamt einer Stadt E. telefonisch Mutmaßungen bezüglich einer Kindeswohlgefährdung angestellt. Aufgrund dessen ist das Jugendamt tätig geworden und hat die Lebensgefährtin des Anzeigeerstatters und zugleich Kindesmutter diesbezüglich zu einem Gespräch geladen. Im Zusammenhang mit diesem Gespräch soll – so die Bekundung des Anzeigeerstatters gegenüber der Polizei – ihm von Seiten eines Mitarbeiters des Jugendamtes mitgeteilt worden sein, dass er die Tochter seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht habe. Es wurde ferner eine ärztliche Untersuchung durchgeführt, in der allerdings keine Anzeichen für einen sexuellen Missbrauch festgestellt wurden.

Angesichts dessen hat die StA ein Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der falschen Verdächtigung und der Verleumdung eingeleitet und beim Amtsgericht – Ermittlungsrichter – einen Antrag gestellt, das Jugendamt dazu zu verpflichten, die Personalien des unbekannten Informanten mitzuteilen. Gegen eine entsprechende, auf § 73 Abs. 2, 3 SGB X i.V.m. § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB X gestützte Anordnung hat sich dann das Jugendamt gewendet. Das LG Aurich hat die Beschwerde als unbegründet verworfen.

Die Gründe sind m.E. Recht interessant zu lesen:Das LG verweist darauf, dass bei solchen Sachverhalten ein Auskunftsverlangen nicht lediglich auf § 73 SGB X gestützt werden darf, sondern dass dieses zugleich den Anforderungen des § 65 SGB VIII genügen muss. Denn die Mitteilung der unbekannten Person über den angeblichen Kindesmissbrauch unterliegen dem besonderen Vertrauensschutz und stellen im Sinne des § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII Sozialdaten dar, die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind. Diese dürfen u.a von diesem nur unter den Voraussetzungen, unter denen eine der in § 203 Abs. 1 oder  3 StGB genannten Personen dazu befugt wäre, weitergegeben werden (§ 65 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII). Nach Auffassung des LG soll sich diese Befugnis wiederum aus den dem rechtfertigenden Notstand angelehnten Grundsätzen über die Güterabwägung widerstreitender Interessen und Pflichten ergeben. Ob ein solcher Rechtfertigungsgrund bzw. eine derartige Abwägung neben § 34 StGB greift, ist zwar umstritten (vgl. nur Fischer, StGB, 58. Aufl., 2011, § 203 Rn. 45 m.w.N.). Auch lässt sich über das Abwägungsergebnis trefflich streiten. Doch im Ergebnis stellt diese Entscheidung die beiden folgenden, für die Praxis bedeutsamen Grundsätze auf. Sie verdeutlicht nämlich, dass

  1. ein Auskunftsverlangen u.U. nicht nur auf § 73 SGB X zu stützen ist, sondern zugleich auch den Anforderungen des § 65 SGB VIII genügen muss und
  2. die Entscheidung über ein solches Auskunftsverlangen nicht pauschal, sondern erst nach eingehender Güterabwägung (oder Berücksichtigung sonstiger Rechtfertigungsgründe) im Einzelfall zu ergehen hat.

Entscheidung demnächst im StRR.